Rechtskonforme Anwendung harmonisierter Normen im CE-Bereich

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1 Rechtskonforme Anwendung harmonisierter Normen im CE-Bereich Dipl.-Ing. Michael Loerzer, GLOBALNORM, Berlin 1 Vorwort Gemäß der New Approach Resolution [1] können Hersteller von Produkten, die in den Geltungsbereich des New Approach fallen, für die Konformitätsvermutung harmonisierte europäische Normen anwenden. Dies wird auch als verstärkte Konformitätsvermutung bezeichnet, da den Herstellern eine Nicht-Konformität im Ernstfall nachzuweisen wäre. Bei Nichtanwendung von solchen Normen muss der Inverkehrbringer nachweisen, dass seine Produkte durch Anwendung anderer Mittel seiner Wahl (z. B. andere technische Spezifikationen) die wesentlichen Anforderungen erfüllen. Dieses Verfahren wird auch als einfache Konformitätsvermutung bezeichnet. In der Normenpraxis sind Anwendungsprobleme von konformitätsauslösenden Normen festzustellen. Dies wird anhand der jüngst neu erschienen Maschinensicherheitsnormenliste in diesem Beitrag dargestellt. Andererseits wird an einem Beispiel aus der Thematik elektromagnetische Verträglichkeit (EMV) deutlich gemacht, dass ein Inverkehrbringer zu aller erst die grundlegenden Schutzanforderungen erfüllen muss und im Zweifelsfall trotz Normenanwendung auch über die Norm hinaus noch etwas tun muss. 2 Einleitung Grundsätzlich gibt es zwei Veröffentlichungsprinzipien konformitätsauslösender Normen: 1. Normen, die ohne Übergangsfristen im EU-Amtsblatt gelistet werden. 2. Normen die mit Übergangsfristen (doc: date of cessation, Datum der Beendigung der Konformitätsvermutung für die ersetzte Norm) veröffentlicht werden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass im EU-Amtsblatt entweder Komplettlisten oder jeweils Einzellisten veröffentlicht werden. Bei den Einzellisten (z. B. bei der Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG) hat der Informationssuchende das Problem, dass er keine Komplettübersicht hat. Die Komplettlisten finden in der Regel bei den EG-Richtlinien mit vielen Normen Anwendung (z. B. EMV-, Niederspannung- und Maschinenrichtlinie). Solche großen Listen werden i.d.r. nur einmal pro Jahr im EU-Amtsblatt aktualisiert. Wenn dann im Laufe des Jahres eine EMV-Norm oder eine elektrische Sicherheitsnorm ihre Konformitätsvermutung

2 verliert, wird das nicht von der EU-Kommission mitgeteilt. Das muss der Normenanwender selbst organisieren (oder automatische Informationssysteme nutzen). 2.1 Normen ohne Übergangsfristen In der letzten Amtsblattmitteilung EG-Maschinen-Richtlinie [3] findet der Maschinenhersteller nun u. a. die Fundstelle EN ISO und -2. In der Praxis hat dies die Konsequenz, dass diese Norm bei freiwilliger Anwendung für die Konformitätsvermutung nun sofort ohne Übergangsfrist seit Veröffentlichung im Amtsblatt (also seit ) anzuwenden ist. Sprich, wer bisher die EN und -2 in der EG-Konformitätserklärung (weil es z. B. keine C-Maschinensicherheitsnorm für Messerfaltmaschinen gibt) angegeben hat, muss nun die EN ISO und 2 angeben! Ein weiteres Problem ist, dass der Hersteller nicht ohne weiteres erkennt, welche Normen neu hinzugekommen sind. In bestimmten Datenbanken gibt es hierzu eine Delta- Listenfunktion, wodurch der Hersteller erkennen kann, dass 161 Normen bzw. Änderungen von Normen neu gelistet worden sind! Dazu noch 32 z. T. schon recht alte AC-Änderungen (Corrigendums). Übrigens gibt es in der vom europäischen Parlament positiv abgestimmten neuen Maschinenrichtlinie [4] folgende Änderung hinsichtlich der Anwendung von Normen : Wenn der Artikel 5 (2) der alten Maschinenrichtlinie Punkt für Punkt ausgelegt wird, muss eine Norm, die von CEN oder CENELEC ratifiziert wurde und eine Konformitätsvermutung auslösen soll, im EU-Amtsblatt veröffentlicht werden und als nationale Norm erschienen sein. Durch diese nationale Umsetzung kann ein zeitlicher Nachteil (nämlich durch die Übersetzungsdauer) den deutschen Unternehmen entstehen. Deshalb wurde im neuen Artikel 7 (2) eine bessere Formulierung gewählt: Ist eine Maschine nach einer harmonisierten Norm hergestellt worden, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht worden sind,... Somit reicht es für die Anwendung des Konformitätsvermutungsprinzip aus, wenn die ratifizierten CEN/CENELEC-Normen im EU-Amtsblatt veröffentlicht sind. 2.2 Normen mit Übergangsfrist In der Regel wird dieses Prinzip bei Elektrotechnischen Sicherheitsnormen, EMV-Normen sowie Telekommunikationsnormen angewandt. Dies bietet den Vorteil, während der Übergangsfrist doc die Wahl zu haben, ob ein Hersteller noch der alten Norm oder freiwillig bereits nach der neuen Norm produziert. Nach Ablauf des doc darf dann nur die neue Norm für die Konformitätsvermutung herangezogen werden. Am Beispiel der EN 55022, die als harmonisierte europäische Norm unter der EMV-Richtlinie eine Konformitätsvermutung auslöst [5], ist die Anwendungssituation in Abbildung 1 dargestellt. Damit wird deutlich, dass die EN 55022:1994 inklusive deren Änderungen

3 A1:1995 und A2:1997 nur noch bis zum anwendbar sind, aber sie sind es juristisch immerhin. Ab gilt dann für die Konformitätsvermutung ausschließlich die EN 55022:1998. Auch hier bedeutet dies, dass diese Überwachungsfunktion im Prozess organisiert sein muss, dass nämlich in der EG-Konformitätserklärung dann mit Ablauf des doc nur die entsprechend gültigen Normenfassungen aufgeführt sein müssen. Viel wichtiger ist aber auch, dass die durch die Normenänderungen einhergehenden neuen Sicherheits- bzw. EMV-Anforderungen auch in der Produktkonstruktion umgesetzt wurden. Dies ist unter dem Begriff interne Fertigungskontrolle unter der neuen EMV-Richtlinie 2004/108/EG neu präzisiert worden [6]. Abbildung 1 Neu an der zweiten Ausgabe der EMV-Richtlinie ist, dass eine EMV-Bewertung (ähnlich einer Risikoanalyse) durchgeführt werden muss (Anhang II Nr. 1, 2004/108/EG). Dem gleichwertig ist die sachgerechte Anwendung von Normen. Dies kann ein Weg sein, er muss aber nicht vollständig sein, wenn beispielsweise bestimme grundlegende Schutzanforderungen für ein bestimmtes Betriebsmittel (noch) nicht genormt sind! Siehe dazu auch weitere Ausführungen zum Thema Produkthaftung. 3 Produkthaftung, Produzentenhaftung In verschiedenen Rechtssprechungen wurden die Verkehrssicherungspflichten nach 823 BGB genauer definiert. Diese teilen sich auf in die Produktpflichten und in die Betriebsorganisationspflichten. Eine der zentralen Produktpflichten ist die Vermeidung von

4 Konstruktions- und Fabrikationsfehlern [7]. Über die Gefährlichkeit eines Produkts und damit das Vorliegen eines Konstruktions- oder Fabrikationsfehlers entscheidet nicht die absolute Gefährlichkeit, sondern eine relative Betrachtungsweise. Hierzu muss eine Risikobetrachtung angestellt werden. In jedem Fall muss ein Produkt aber zum Zeitpunkt jedes erneut erstmaligen Inverkehrbringens dem aktuellen Stand von Forschung und Wissenschaft entsprechen. Diese Messlatte ist noch mal aus Produkthaftungssicht noch mal höher einzustufen, als der Stand nach technischen Regeln. Diese können einen Mindeststandard definieren. Im Ernstfall kann eine Risikoanalyse aber das Ergebnis bringen, dass diese Normen ergänzungsbedürftig sind! Bei Auftreten eines Schadens kann man sich nicht in jedem Fall darauf zurückziehen, man habe aber doch Normen angewandt! Normenkonformes Produzieren führt daher nicht automatisch zu einem rechtskonformen Produzieren! Deshalb sprechen die Juristen in diesem Zusammenhang auch von Compliance. Damit ist gemeint, dass ein Produkt allen rechtlichen Anforderungen entspricht. Das Thema Haftungsrelevante Aspekte in der Produktentwicklung Regulatory Compliance Management ist daher auch die Überschrift der DIN-Tagung am 18. Mai in Berlin ( die hierauf Antworten geben soll. 4 Referenzen [1] Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung (EU-Amtsblatt C 136 vom , S. 1-9) [2] Klindt/Loerzer/Stöwe: Praktische und rechtliche Anwendungsprobleme bei Normen im CE-Bereich, DIN-Mitteilungen , S [3] EG-Amtsblattmitteilung 2005/C 336/05 (EU-Amtsblatt C 336 vom , S ) zur EG-Richtlinie 98/37/EG (Maschinen) [4] Loerzer, M.: Die neue Maschinenrichtlinie neue und strengere Anforderungen?, Sicherheit und Industrie, April 2006, Publish Industry Verlag [5] EG-Amtsblattmitteilung 2005/C 246/01 (EU-Amtsblatt C 246 vom , S. 1) zur EG-Richtlinie 89/336/EWG (EMV) [6] Klindt, T; Loerzer, M.: Die neue EMV-Richtlinie, Bundesanzeiger-Verlag, 2005, ISBN

5 [7] Klindt, Stempfle: Produkthaftung Risiken im nationalen und internationalen Warenvertrieb, Ausgabe Nr. 420/421/422/423 März 2006, Leistung und Lohn (Zeitschrift für Arbeitswirtschaft der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, BDA, Berlin), Heider-Verlag