Stoffgeschichte Beta-Carotin Sonnenschutzkapseln?

Transkript

1 Stoffgeschichte Beta-Carotin Sonnenschutzkapseln? Im Jahr 2000 meldete die Firma Cognis Deutschland GmbH ein Patent mit der Bezeichnung Sonnenschutzmittel zur oralen Aufnahme an. Sonnenschutz gehört in Zeiten des Ozonlochs fast schon zur alltäglichen Körperpflege. Zumindest im Sommerurlaub gibt es nur noch wenige Unentwegte, die einen richtigen Sonnenbrand gleich zu Beginn des Sommers für die beste Vorbereitung auf die Badesaison halten. Sportliche Bräune um jeden Preis, das ist angesichts der steigenden Hautkrebsraten nicht mehr zeitgemäß. Trotzdem gilt das Schönheitsideal einer bronzefarbenen Haut nach wie vor - es steht für einen aktiven Lebensstil, modernes Körperbewusstsein, Fitness und Gesundheit. Deshalb suchen wir nach Möglichkeiten beides zu bekommen: Gesunde Haut und sportliche Bräune. Üblicherweise beugen wir Hautschädigungen durch Sonneneinstrahlung entweder durch Vermeidung direkter Sonne oder durch Sonnencremes vor, die wir auf die Haut auftragen. Das Eincremen ist allerdings durchaus lästig. Manchmal wird die Sonnencreme nicht vertragen, Hautausschläge sind die Folge. Außerdem bleibt meistens eine unangenehm klebrige Schicht auf der Haut zurück, die Sand und Schmutz anzieht. Kinder sind auch nicht immer begeistert von der Prozedur und nach dem nächsten Sprung ins Wasser könne man eigentlich schon wieder von vorne beginnen. Sonnenschutz zur oralen Aufnahme verspricht demgegenüber bequemen Schutz von innen. Eine Kapsel täglich und vergessen sind alle Sorgen. Das Produkt enthält eine Mischung aus Beta-Carotin, Lutein und Lycopin. Die drei Stoffe gehören zu der Gruppe der Carotine. Das bekannteste von mehr als 400 vorkommenden Carotinoiden ist Beta-Carotin. Es kann im Körper zu Vitamin A umgewandelt werden und wird deshalb auch als Provitamin A bezeichnet. Das Patent der Firma Cognis ist nicht das erste, das einen Sonnenschutz zur oralen Aufnahme beschreibt. Frühere Patente arbeiten ebenfalls mit Carotinoiden, insbesondere mit Beta- Carotin, dem entscheidenden Bestandteil vieler Nahrungsergänzungsmittel, die als Hautschutzpräparat vertrieben werden. Tatsächlich ist Beta-Carotin Teil des antioxidativen Systems der Haut. Durch Sonneneinstrahlung bilden sich freie Radikale, die die Haut schädigen können. Beta-Carotin schützt mit anderen Antioxidantien die Haut vor diesen Schäden, indem es die freien Radikale inaktiviert. Ein Nebeneffekt reichlicher Versorgung mit Beta-Carotin, ob aus Nahrungsergänzungsmitteln oder durch Obst und Gemüse, ist eine gelblich-orange Färbung der Haut. Überschüssiges Beta-Carotin wird in der Haut abgelagert. Deshalb werden diese Präparate auch als Selbstbräuner beworben. Inwiefern tatsächlich eine positive Wirkung, also ein Schutz vor Hautkrebs, durch Beta Carotin besteht, ist wissenschaftlich nicht erwiesen. Studien konnten nur einen sehr geringen Zusammenhang nachweisen (Marchand et al. 2006, S. 244) Alarmierende Studien in den 90er Jahren zeigten zudem, dass die Einnahme von hoch dosierten Beta-Carotin-haltigen Nahrungsergänzungsmitteln die Krebsgefahr bei Rauchern erhöhen kann (ATBC 1994, Omnen 1996, Bjelakovic 2007). Bisher gibt es keine festgelegte 1

2 Höchstmenge von Beta-Carotin in Nahrungsergänzungsmitteln. Das Bundesinstitut für Risikobewertung hat 2004 eine Höchstmenge für die Dosis in Nahrungsergänzungsmitteln von 2 mg vorgeschlagen. Allerdings sind noch immer wesentlich höher dosierte Mitteln im Umlauf, da der Vorschlag des BfR nicht bindend ist. Es gibt eine freiwillige Selbstbeschränkung der Industrie, die jedoch lediglich einen Höchstwert für den Zusatz von Beta-Carotin in Getränken nennt (2 mg pro 100ml). Nahrungsergänzungsmittel mit einer Dosis von mehr als 4,8 mg isoliertes Beta-Carotin sollen einen Warnhinweis für Raucher erhalten. Wie dieser Hinweis aussehen soll, ist nicht bestimmt. Warum brauchen wir Beta-Carotin? Beta-Carotin ist der bekannteste Stoff aus der Familie der Carotinoide, der im Körper in Vitamin A umgewandelt werden kann. Andere Carotinoide zeigen diese Eigenschaft ebenfalls, doch bei Beta-Carotin ist die Vitamin A Aktivität besonders hoch, deshalb wird Beta-Carotin auch als Provitamin A bezeichnet. Vitamin A ist wichtig für das Wachstum, für die Funktion und den Aufbau von Haut und Schleimhäuten, Blutkörperchen, Stoffwechsel sowie für den Sehvorgang. Der Körper baut immer nur soviel Beta-Carotin in Vitamin A um wie er benötigt. Zu viel Beta-Carotin kann also nicht zu einer Überdosis Vitamin A führen. Frühere Studien haben gezeigt, dass eine ausreichende Versorgung mit Beta-Carotin aus Obst und Gemüse das Krebsrisiko senken kann. Es ist allerdings nicht gesichert, ob Beta-Carotin dabei tatsächlich der entscheidende Stoff ist, da es in natürlicher Nahrung immer zusammen mit vielen anderen Substanzen aufgenommen wird. Dieser Widerspruch zwischen isolierter Betrachtung einzelner Stoffe und der ganzheitlichen Aufnahme im Körper stellt eine große Herausforderung in den Ernährungswissenschaften dar. Studien mit isoliertem Beta-Carotin lieferten widersprüchliche Ergebnisse. So zeigte sich in oben genannten Interventionsstudien sogar ein Anstieg der Lungenkrebsrate bei Rauchern bei der Gabe von 20 mg bis 30 mg Beta- Carotin täglich. Es ist laut Bundesinstitut für Risikobewertung nicht ausreichend untersucht, ob isoliertes Beta-Carotin in hohen Dosierungen auch bei gesunden Menschen Schäden hervorrufen kann (BfR 2005). Wie nehmen wir Beta-Carotin auf? Als erstes denken wir bei Beta-Carotin an Karotten, die eine reichhaltige Quelle für Beta- Carotin sind. Außerdem enthalten andere gelbe oder orange Obst- und Gemüsearten viel Beta-Carotin, z.b. Kürbis oder Pfirsiche. Auch dunkelgrünes Gemüse wie Brokkoli oder Spinat sind Quellen für Beta-Carotin. Eine ausgewogene Ernährung sichert über die normalen Mahlzeiten die Versorgung mit Beta-Carotin. Wichtig dabei ist, dass diese Lebensmittel neben Beta-Carotin noch viele andere Stoffe enthalten, deren Zusammenwirken mit Beta- Carotin im Körper nicht ausreichend wissenschaftlich geklärt ist. Wissenschaftlich unsicher ist also, was Beta-Carotin, neben seiner Eigenschaft als Provitamin A, genau im Körper bewirkt und welche anderen Stoffe involviert sind. Die Bioverfügbarkeit von Beta-Carotin aus rohen Lebensmitteln ist gering. Sie kann allerdings durch Zerkleinern, Erhitzen und die Zugabe von Fett gesteigert werden. Dabei genügen 3-5 g Fett pro Mahlzeit, es ist also keine zusätzliche Gabe von Fett notwendig (Hahn 2006). 2

3 Beta-Carotin ist auch in vielen Lebensmitteln enthalten, bei denen es nicht unbedingt erwartet wird. Als Lebensmittelzusatzstoff E160a wird es in Margarinen, Butter, Süßwaren, Molkereiprodukten, Limonaden und anderen Produkten als Farbstoff verwendet. Als Farbstoff unterliegt Beta-Carotin einer anderen gesetzlichen Regulierung als bei der Verwendung in Nahrungsergänzungsmitteln. Diese, teilweise nicht unerheblichen Mengen Beta-Carotin werden zusätzlich aufgenommen und dabei handelt es sich um isoliertes Beta- Carotin. Die wissenschaftliche Bewertung der täglich aufgenommenen Menge von Beta-Carotin wird durch die vielen Varianten des Stoffes und die unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten von Verbraucherinnen und Verbrauchern erschwert. Zudem besteht Ungewissheit über die Wirkung von isoliertem Beta-Carotin im Körper. Verlässliche wissenschaftliche Aussagen über Nutzen und mögliche Schäden gibt es nicht. Zudem wird eine breite Palette von Nahrungsergänzungsmitteln angeboten, die Beta-Carotin enthalten. Wenn wir aber eigentlich durch die normale Ernährung ausreichend Beta-Carotin zu uns nehmen, warum sollten wir dann zusätzlich Nahrungsergänzungsmittel nehmen? Hier gehen die Meinungen auseinander. Verbraucherzentrale, Bundesinstitut für Risikobewertung und DGE vertreten beispielsweise die Ansicht, dass eine zusätzliche Einnahme von Beta- Carotin nicht notwendig ist und im schlimmsten Fall sogar mehr schadet als hilft. Die Hersteller werben demgegenüber damit, dass Beta-Carotin die Haut vor Schäden durch Sonneneinstrahlung schützt. Durch die Provitamin A Wirkung von Beta-Carotin soll die Versorgung mit Vitamin A sichergestellt werden. Meist wird Beta-Carotin in Kombination mit anderen Vitaminen (C,E) angeboten, da diese für die antioxidative Wirkung von Beta- Carotin wichtig sind. Auch für einen anderen Zweck werden Beta-Carotin Pillen verkauft: als Selbstbräuner. Nimmt der Körper regelmäßig hohe Mengen an Beta-Carotin auf, so führt das zu einer leichten Gelb- bis Orangefärbung von Haut und inneren Organen. Dieser Effekt ist reversibel und lässt nach Absetzen der Präparate wieder nach. Auch bei ungewöhnlich hohem Verzehr von Karotten kann eine solche Färbung der Haut beobachtet werden. Wie wird isoliertes Beta-Carotin hergestellt? Wenn Beta-Carotin in isolierter Form in Lebensmitteln oder Nahrungsergänzungsmitteln enthalten ist, muss es zuvor industriell hergestellt werden. Dafür gibt es zwei Verfahren: a) die Extraktion von Beta-Carotin aus Organismen und b) die synthetische Herstellung von Beta-Carotin. Bei der Extraktion wird durch verschiedene Verfahren das Beta-Carotin 3

4 aus Algen, Pilzen oder Gemüse isoliert und dann als Grundstoff weiterverarbeitet. Dabei kommen auch gentechnisch veränderte Organismen zum Einsatz Etwa 85% des Gesamtverbrauchs an Beta-Carotin wird rein synthetisch hergestellt, das bedeutet ohne die Hilfe von biologischen Verfahren oder Organismen. Einer der größten Hersteller ist BASF. Die erste Anleitung zur Synthese von Beta-Carotin wurde 1950 von Hans Herloff Inhoffen veröffentlicht. Dabei werden zwei C19-Alehyde an Acetylen angelagert, was den eine Kohlenstoff-Kette C19+C12+C19=C40 ergibt (Isler 1956). Wie viel Beta-Carotin braucht der Körper? Die DGE empfiehlt eine Aufnahme von 2-4 mg Beta-Carotin täglich. Durchschnittlich nehmen Männer 2,3 mg/d und Frauen 3,2 mg/d auf (DGE). Diese Zahlen sollten aber vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass wir im Alltag nicht immer wissen können, ob ein Lebensmittel Beta-Carotin enthält oder damit angereichert ist. Sie zeigen aber deutlich, dass bei ausgeglichener Ernährung nicht von einer Unterversorgung gesprochen werden kann. Diese Aussage bezieht sich nur auf die westlichen Wohlstandsgesellschaften. Zudem ist fraglich, wie Verbraucherinnen und Verbraucher sich an solchen Werten orientieren sollen, wo es selbst für die Wissenschaften kaum möglich ist, die tägliche Aufnahme zu Bestimmen. Zu variabel sind die Ernährungsgewohnheiten und zu verstreut und gut getarnt sind die Beta- Carotin Quellen. Gerald Beck, Referenzen ATBC (1994): The Alpha-Tocopherol Beta Carotene Cancer Prevention Study Group The effect of vitamin E and beta carotene on the incidence of lung cancer and other cancers in male smokers. N Engl J Med 1994;330(15): BfR (2005): Beta-Carotin in Nahrungsergänzungsmitteln. Stellungnahme Nr. 019/2005 des BfR vom 08. März Bjelakovic, Goran/ Nikolova, Dimitrinka/ Gluud, Lise Lotte (2007): Mortality in Randomized Trials of Antioxidant Supplements for Primary and Sacondary Prevention: Systematic Review and Meta-Analysis. In: Journal of American Medical Association Vol. 297, Nr. 8, S Hahn, Andreas (2006): Nahrungsergänzungsmittel: und ergänzende bilanzierte Diäten. Wissenschaftliche Verlagsges. Isler, O. (1956): Über das Vitamin A und die Carotinoide. In: Angew. Chem. 68. Jahrg Marchand, Loïc/ Saltzman, Barbara/ Hankin, Jean/ Wilkens, Lynne/ Franke, Adrian/ Morris, Steven/ Kolonel, Laurence (2006): Sun Exposure, Diet, and Melanoma in Hawaii Caucasians. In: American Journal of Epidemiology Vol 164, S

5 Omenn, Gilbert S. et al. (1996): Effects of a Combination of Beta Carotene and Vitamin A on Lung Cancer and Cardiovascular Disease, N Engl J Med 1996: ; 5