Austrian Institute for International Affairs - oiip
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- Gertrud Raske
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1 Zusammenfassung Risiko und Resilienz: substaatliche Sicherheitspolitik in Afghanistan und Pakistan Vortrag und Diskussion, Witold HAMETTER Vortragende: Florian P. KÜHN (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) Johannes CHUDOBA (Strategic Planning Adviser, UNO) Moderation: Jan POSPISIL (oiip) Veranstaltungsort: Österreichisches Institut für Internationale Politik, Berggasse 7, 1090 Wien Anzahl der TeilnehmerInnen: 65 Personen
2 Durch die Intervention der internationalen Staatengemeinschaft in nicht-europäischen Ländern wird immer deutlicher, dass die westliche vorherrschende Idee der Staatlichkeit nicht auf alle Teile der Welt anwendbar ist, beziehungsweise diese Anwendung großes Konfliktpotenzial in sich birgt. Als besonders wichtig stellt sich hierbei die Funktion von substaatlichen Gruppierungen dar und wie deren Abschätzung der Widerstandsbzw. Anpassungsreaktionen bei einer Intervention aussehen. Das Österreichische Institut für internationale Politik oiip lud daher am 29. März 2012 ein, die vorläufigen Forschungsergebnisse von Florian P. Kühn (Helmut-Schmidt-Universität Hamburg) zu Risiko und Resilienz: substaatliche Sicherheitspolitik in Afghanistan und Pakistan zu diskutieren. Als Discussant wurde Johannes Chudoba (Strategic Planning Adviser, UNO) geladen, der sich aufgrund mehrerer Aufenthalte als UNO- Mitarbeiter in der Region Zentralasien durch einen praktischen Zugang zu dieser Thematik auszeichnet. Als Chair fungierte Jan Pospisil (oiip). In der Einleitung betonte der Direktor des oiip, Otmar Höll, die Wichtigkeit eines neuen Zugangs zur Staatlichkeit. Gleichzeitig wies er auf die Bedeutung der Forschung zu Resilienz und fragiler Staatlichkeit als einen der neuen Schwerpunkte des oiip hin. Zum Einstieg präsentierte Florian P. Kühn seine vorläufigen Forschungsergebnisse zu dem Thema, wie nicht-staatliche soziale Gruppierungen bei einer Intervention ihren Widerstand organisierten und wie deren Risikoabwägung funktioniere, also welche Risiken ihre Handlungen beeinflussten. In seinen konzeptionellen Überlegungen will sich Kühn vom klassischen Denken der Politikwissenschaft zur Staatlichkeit abgrenzen und einen eigenen Zugang entwickeln. Er schlägt dazu den Begriff der sozialen Figuration vor, der aus der Soziologie stammt. Dieser Begriff ermögliche es, nichtformalisierte Gruppierungen über eine bestimmte Zeit zu analysieren. Zwischen dem Staat und den sozialen Figurationen bestehe eine Art Wechselspiel, da sie sich gegenseitig beeinflussen, andererseits könnten letztere nach Kühn ebenso den Staat übernehmen (siehe Taliban in Afghanistan). Indem der Schwerpunkt auf die nichtformalisierten Figurationen gelegt werde, werde es ermöglicht, zum Beispiel die Rolle und die Interessen der Warlords und Opiumschmuggler in Afghanistan zu untersuchen, die als nichtformalisierte Gruppen in der Politikwissenschaft nur schwer erfasst werden könnten. 2
3 Nach Kühn funktioniere die herkömmliche Gewaltmonopolisierung des Staates wie z.b. in Afghanistan nicht, da hier nichtformalisierte Gruppierungen lokal die Macht übernehmen und damit auch die gleiche Legitimation wie der Staat erfahren würden. Die herkömmliche Vorstellung von Bedrohung werde nach Kühn seit dem Ende der Ost-West Konfrontation durch die Vorstellung von Risiko ersetzt. Es sei nicht mehr klar, wer der/die handelnde Akteur/in ist, welche Intentionen verfolgt werden und über welche Mittel er/sie verfügen. Dadurch würde laut Kühn eine immense Ungewissheit entstehen, die das Handeln für westliche Staaten immer schwieriger werden ließe, aber auch im Wechselspiel mit dem Staat die sozialen Figurationen vor große Probleme stelle. Den Begriff der Resilienz verwendet Kühn in Zusammenhang mit Anpassungsfähigkeit der sozialen Figurationen an äußere Einflüsse. Durch die Resilienz werde es den sozialen Figurationen ermöglicht, ihre Organisationsform zu erhalten und zu reproduzieren. Auf der internationalen Ebene und hier vor allem in der Entwicklungspolitik ergebe sich eine Zweiteilung des Begriffes. Kühn spricht hier von der guten civil society und der schlechten civil society. Diese Unterscheidung werde durch die internationale Staatengemeinschaft konstruiert. Laut Kühn müsse es das Ziel sein, die Unterscheidung der Politik nichtstaatlicher Akteure, die nur lose in Beziehung mit dem Staat stehen, zu untersuchen und zu entmystifizieren. Seinen konzeptionellen Rahmen exemplifiziert er anhand der Fallbeispiele Afghanistan und Pakistan. In Afghanistan spricht Kühn von einem Sicherheitsdilemma auf der substaatlichen Ebene, wobei es hier den Fall des Warlords genauer zu betrachten gelte. Der Warlord nehme regional die Ordnungsfunktion (Gewaltmonopol) des Staates ein, der selbst nicht im Stande sei diese zu liefern. Daher spricht Kühn nach 10 Jahren State Building in Afghanistan durch die Internationale Staatengemeinschaft auch von einem Hybridenstaat im Sinne der Teilung, die weiter oben erwähnt wurde (Warlord vs. Staat). Durch eine Kooperation mit dem Staat könne sich der Warlord Legitimation verschaffen und seine ökonomische Reproduktion sichern. Im substaatlichen Sicherheitsdilemma ging Kühn von einem Geflecht aus, in dem sich zwei Gruppierungen gegenüberstünden, die die Intentionen und genaue Stärke der jeweils anderen Gruppierung nicht kennen würden und wobei der Staat ein übergreifender Akteur sei. Die Rolle des Staates sei es, die Gruppierungen zu entmachten, da sie keine staatlichen Akteure seien, doch sei hierbei immer die Reichweite und Legitimation des Staates ausschlaggebend. Das hierbei auftretende Dilemma zeige sich darin, dass die Gruppierungen nicht wüssten, wen der Staat unterstütze und ob sich eine der Gruppierungen des Staates bemächtigt habe. Durch die aus 3
4 diesem Dilemma resultierenden Unsicherheiten begännen nach Kühn die Risikoabwägungen der substaatlichen Akteure. Das Gefüge ändere sich vollständig, wenn eine Intervention von außen erfolge, da nur mit manchen Gruppen zusammengearbeitet werde und mit anderen nicht, womit das gesamte Gefüge zwischen dem Staat und den Gruppierungen nicht mehr ausbalanciert sei. Der Staat profitiere zwar davon, aber die Unsicherheit für beide Gruppierungen steige stark an. Am Fallbeispiel Pakistan versucht Kühn noch einmal zu verdeutlichen, wie ein Geflecht von Figurationsbeziehungen auf der Meso-Ebene, zwischen zwei großen Akteuren in einem Staat, aussehen könne. So seien im pakistanischen Staat nach Kühn die zivile Administration und das Militär die zwei bestimmenden Akteure. Durch die starke Subventionierung des Militärs durch die USA komme es auch hier zu einer Macht- und somit zu einer Legitimitätsverschiebung, da das Militär von außen als Stabilisator wahrgenommen werde. Abschließend geht Kühn noch einmal auf die Ambivalenz der beiden Begriffe Risiko und Resilienz, vor allem auf die Frage nach Anpassung und Veränderung ein. Er plädiert dafür, dass die Intervention resilient werden, also sich den vorherrschenden Gegebenheiten anpassen, sowie dass die Intervention ergebnisoffen sein müsse. In seinen aufgestellten Thesen spricht Kühn zusammenfassend davon, dass Risiko und Resilienz zwar Modebegriffe seien, aber durchaus wissenschaftliche Beachtung finden sollten, Resilienz nur über einen gewissen Zeitrahmen untersucht werden könne und Interventionismus nur sehr begrenzt möglich sei. Johannes Chudoba kommentiert einerseits das Vorgetragene von Florian Kühn, andererseits gibt er einen Einblick in die Praxis eines Strategic Planning Adviser der UNO in Zentralasien. Er betont vor allem den Unterschied zwischen Entwicklungspolitik und Entwicklungszusammenarbeit, die einer steten Veränderung unterworfen seien. Chudoba hält ebenfalls das typische westliche Staatsbild als entwicklungspolitisches Credo für überholt und plädiert dafür, sich auf das Wesentliche wie humanitäre Hilfe in Krisenherden zu konzentrieren. Außerdem müsse seiner Meinung nach die UNO in Krisengebieten eine stärkere Rolle als Vermittler einnehmen. Den Diskurs um das Schlagwort Resilienz sieht er zweigeteilt, einerseits belebe es die Diskussion, andererseits lenke es von den wichtigen Problemen ab. In der anschließenden Diskussion gibt es einige Rückmeldungen aus dem Publikum bezüglich dem Verständnis von Staatlichkeit der westlichen Staatengemeinschaft und Organisationen und den daraus resultierenden Konflikten durch eine Intervention. Florian Kühn sieht diesen Konflikt vor allem dann, wenn es sich um 4
5 Menschenrechtsverletzungen handle. Hier stellt sich für ihn die Schwierigkeit dar, dass man es schaffen müsse, die Normen der Staatlichkeit z.b. Afghanistans in eine sozial praktikable Variante zu transformieren. Außerdem wird das Problem der Korruption in Afghanistan angesprochen, das als ein Produkt der westlichen Vorstellung von Staatlichkeit und Intervention gesehen und zugleich mit der fehlenden Motivation und den starken Eigeninteressen mancher Entscheidungsträger im Zusammenhang gebracht wurde. 5
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