Behindertenfeindlichkeit als Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit - Folge einer desintegrierten Gesellschaft?
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- Gabriel Pfaff
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1 Behindertenfeindlichkeit als Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit - Folge einer desintegrierten Gesellschaft? Prof. Dr. Rainer Benkmann unter Mitarbeit von Tim Thonagel Fachgebiet Sonder- und Sozialpädagogik rainer.benkmann@uni-erfurt.de tim.thonagel@uni-erfurt.de
2 Gliederung Behindertenfeindlichkeit als Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit (GMF) - Folge einer desintegrierten Gesellschaft? 1. Behindertenfeindlichkeit in NS-Diktatur 2. Die Zeit nach 1945 bis heute 3. Desintegration heute 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF 5. Rassismus
3 1. Behindertenfeindlichkeit in NS-Diktatur Aktion T Menschen Medikamente Injektionen Nahrungsentzug
4 1. Behindertenfeindlichkeit in NS-Diktatur 1941 offiziell eingestellt Dezentralisierung Fortführung Menschen ( )
5 1. Behindertenfeindlichkeit in NS-Diktatur
6 1. Behindertenfeindlichkeit in NS-Diktatur
7 2. Die Zeit nach 1945 bis heute Menschen mit Behinderung kaum Bestandteil der Erinnerungskultur Kriegsversehrtenverbände Vertretung behinderter Menschen nur durch Druck alliierter Politik
8 2. Die Zeit nach 1945 bis heute Anfang der 60ger Jahre = Gründung von Elternvereinen für behinderte Kinder 70er & 80er Jahre = Krüppelbewegung Selbstvertretung behinderter Menschen desolate Wohn- und Lebensbedingungen Verwahranstalten
9 2. Die Zeit nach 1945 bis heute physische Gewalt gegen Menschen mit Beeinträchtigung Anfang der 90er Jahre Klima des Hasses gegen Behinderte" (Antor / Bleidick 1995)
10 2. Die Zeit nach 1945 bis heute Flensburger Urteil 1992 Familie mit 2 Kindern / Urlaub in der Türkei / Gruppe von schwerbeeinträchtigte Menschen im selben Hotel / gemeinsames Essen im Speisesaal / Anblick = Ekel erregend / Familie klagt auf 10 % Reisekostenrückerstattung
11 2. Die Zeit nach 1945 bis heute Urteil Amtsgericht Flensburg: Der unausweichliche Anblick der Behinderten auf engem Raum bei jeder Mahlzeit verursachte Ekel und erinnert ständig in einem ungewöhnlich eindringlichen Maß an die Möglichkeiten menschlichen Leidens. Solche Erlebnisse gehören nicht zu einem typischerweise erwarteten Urlaubsverlauf.
12 2. Die Zeit nach 1945 bis heute Zeitgeist Behindertenfeindlichkeit Ich bang krass, weil du nichts kannst. Spast, fick deinen Vater, ich bin Gangster, du Nutte hart, yo. Wir zerbomben deine Stadt, deine Opfer können nicht battle n denn, ihr seid behindert! Ich fick dich und deine Kinder. Schwuchtel halt den Mund, Ich bin Gangbang, und verkloppe jeden Freak
13 2. Die Zeit nach 1945 bis heute Bushido Behindert (2002) 2x Gold, 1x Platin MTV & Bravo Award Echo -Gewinner Bambi für Integration
14 3. Desintegration heute Wachsender Leistungs- und Selektionsdruck Ergebnis gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse Vorteile = Anerkennung des Werts Individuums, Befreiung von fixierten Geschlechterrollen Nachteile = Zerfall traditioneller Gemeinschaften Weniger Gemeinwohlorientierung Eigennutz und Eigeninteresse Verlierer bleiben zurück
15 3. Desintegration heute Verbindlichkeit sozialer und moralischer Werte und Normen verringert sich Erhöhung der Wahlfreiheit Fehlentscheidungen und Versagen des Einzelnen werden individualisiert
16 3. Desintegration heute Ökonomische Globalisierung verschärft Konkurrenz Profit- und Renditeerwartungen Neoliberale Marktorientierung = Beschleunigung + ständiger Wandel (Philosoph Virilio: rasender Stillstand) Credo = Kosten-Nutzen-Denken
17 3. Desintegration heute Globalisierung = massive desintegrierende Folgen für nationale Arbeitsmärkte Gewinnmaximierung, Rationalisierung, Standortverlagerung langfristige Arbeitslosigkeit, prekäre und kurzfristige Arbeitsverhältnisse Überflüssige und Nutzlose
18 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Arbeitende Bevölkerung in Angst vor sozialem Abstieg, selber überflüssig und nutzlos zu werden Maximum an Leistung Widerstand gegen materielle und soziale Ungerechtigkeit immer schwächer Solidarität schwindet
19 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Projekt Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Ökonomisierung des Sozialen = Folgen für gesellschaftliche Desintegration Gruppen von sog. Überflüssigen (Langzeitarbeitslose, Obdachlose, Menschen mit Migrationshintergrund, oder mit Behinderung) Ökonomisierung: 1. Bindungslose Flexibilität 2. Ökonomistische Einstellungen
20 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Abb. 1: Prozentuale Verteilung bindungsloser Flexibilität in der Bevölkerung (Quelle: Heitmeyer & Endrikat 2008, 60)
21 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Mehrheit der Bevölkerung stellt bei sozialen Beziehungen Nützlichkeitserwägungen an. Soziale Beziehungen von nachrangiger Bedeutung, wenn Aussichten auf eigene Chancennutzung erfolgreich Gegenüber Vorjahren deutliche Steigerung bindungsloser Flexibilität in allen gesellschaftlichen, besonders mittleren Soziallagen
22 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Abb. 2: Prozentuale Verteilung ökonomistischer Einstellung in der Bevölkerung (Quelle: Heitmeyer & Endrikat 2008, 60)
23 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Ökonomistische Einstellungen vor allem in sozial benachteiligten Soziallagen Nutzenkalküle besonders häufig bei beruflich wenig Erfolgreichen und denen mit starkem Bedürfnis nach sozialem Aufstieg Ellbogenmentalität, Leistung, Durchsetzungsvermögen Ausmaß ökonomistischer Einstellungen nimmt ab, je höher sozialer Status, allerdings Anstieg in mittleren und privilegierten Soziallagen gegenüber den Vorjahren
24 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Enge Verknüpfung ökonomistische Einstellung und bindungslose Flexibilität Vermutung: Menschen in benachteiligten Soziallagen Abgrenzung von denjenigen mit noch tieferem Status Streben nach Distinktion
25 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Ökonomistische Einstellung und bindungslose Flexibilität beeinflussen GMF Abwertungen und feindselige Einstellungen Langzeitlose, Obdachlose, Behinderte und Migranten Abwertung und Feindlichkeit fallen umso stärker aus, je ausgeprägter ökonomistische Orientierungen
26 4. Behindertenfeindlichkeit als GMF Hohe Erklärungskraft haben die ökonomistischen Orientierungen insbesondere für das Ausmaß der Fremdenfeindlichkeit, die Abwertung von Langzeitarbeitslosen sowie von Obdachlosen. Zusätzlich klären wirtschaftliche Effizienzkalküle einen hohen Anteil der Varianz bei der Abwertung von Behinderten auf. (Heitmeyer & Endrikat 2008, 68 f.)
27 5. Rassismus Rassismus jede Form von Feindlichkeit gegenüber Fremden Ablehnung des Fremden führt zur Praxis der Ausgrenzung bzw. Ausschließung Rassismus = Ausgrenzungsdiskurs
28 5. Rassismus Rassismus ist m.e. zum Teil das Verleugnen, dass wir das, was wir sind, aufgrund innerer gegenseitiger Abhängigkeiten von Anderen sind. Es ist die Zurückweisung der angsterregenden Bedrohung, dass das Andere,, möglicherweise ein Teil von uns ist. (Hall)
29 5. Rassismus Menschen mit Behinderungen werden in Diskursen als auszuschließende Randgruppe konstituiert. Folgen: Objekte von Gewaltanwendung, Identitätsstabilisierung, Stabilisierung der Innen-Außen-Differenzierung Abwertendes, feindseliges Klima gegenüber Fremdem: Arbeitslose, Arme, Migranten und Behinderte früher oft Förder- oder Hauptschüler/-innen
30 5. Rassismus Abwertendes, feindseliges Klima beeinflusst Sozialisation von Kindern und Jugendlichen in Familie, Schule und Wohnort Weitergabe ökonomistischer Orientierungen = Gelegenheitsstrukturen für Erwerb menschenfeindlicher Haltungen gegenüber Benachteiligten, Behinderten und Migranten
31 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! I
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