Resilienz Ressourcen erkennen und fördern
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- Rainer Grosser
- vor 7 Jahren
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1 Resilienz Ressourcen erkennen und fördern Das Resilienzkonzept 1 Das Resilienz Konzept geht von der Annahme aus, dass Menschen über Schutzfaktoren verfügen, die ihnen helfen Stress, Belastungen, äußere Faktoren und Lebenskrisen auszuhalten und mit Hilfe eigener psychischer und sozialer Ressourcen zu kompensieren. Sie nutzen diese zur persönlichen Weiterentwicklung und gehen somit gestärkt aus Krisen hervor. Die Risiken und Belastungen werden durch diese Schutzfaktoren zwar nicht beseitigt, aber sie ermöglichen es dem Menschen wirkungsvoll damit umzugehen. 2Resilienz ist nicht als individuelle Eigenschaft zu verstehen, sondern als eine Fähigkeit, die sich im Verhalten der Personen und ihren Lebensmustern manifestiert. Sie ist also kein angeborenes, stabiles und generell einsetzbares Persönlichkeitsmerkmal, sondern das Ergebnis eines Prozesses, der sich in der Interaktion zwischen dem Individuum und seiner Umwelt vollzieht. Das Konzept der Resilienz ist ein ressourcenorientiertes Modell, das sich dadurch auszeichnet, dass es sich an den Fähigkeiten, Potentialen und Ressourcen eines Menschen orientiert, ohne vorhandene Probleme zu ignorieren oder zu unterschätzen. Wie können solche Bewältigungskompetenzen wirksam gefördert werden? An welchen Punkten kann Resilienzförderung z.b. in Angehörigengruppen oder Beratungsgesprächen ansetzen? 1 Staudinger, U. M. & Greve, W. (2001). Resilienz im Alter. In: Deutsches Zentrum für Altersfragen Personale, gesundheitliche und Umweltressourcen im Alter. Expertisen zum Dritten Altenbericht der Bundesregierung. Opladen: Leske & Buddrich, S vgl. Rampe 2010 S , Rampe, Micheline (2010): Der R-Faktor. Das Geheimnis unserer inneren Stärke. Norderstaedt: Books on demand Verlag GmbH 2 Weiß, H, 2007: Frühförderung als protektive Maßnahme. In: Opp/Fingerle (Hg), S
2 Die Resilienzforschung zeigt 7 Faktoren auf, die uns unterstützen, Krankheiten, Verluste und Stress zu bewältigen. Grundhaltungen der Resilienz Akzeptanz - Optimismus - Lösungsorientierung Akzeptanz Akzeptanz im Sinne von Resilienz bedeutet nicht zu resignieren, sondern anzunehmen, was sich nicht beeinflussen oder ändern lässt. Akzeptanz ist ein aktiver, individueller Prozess, kein Zustand. Eine Demenzdiagnose löst bei den meisten betroffenen Menschen und ihren Angehörigen häufig eine Krise aus, und nicht selten weigern sie sich zunächst die Korrektheit der Diagnose anzuerkennen. Dieses Leugnen kann helfen, die Situation im Augenblick zu ertragen. Sie brauchen Zeit, um diese zu begreifen und letztendlich als zum Leben gehörend anzunehmen. 3 Die ersten Wochen, nachdem [...] der Arzt mir gesagt hatte, dass ich eine Demenz habe, da habe ich nur noch geheult. Dann hab ich zu meinem Mann gesagt: Ich möchte jetzt wissen, was das für eine Krankheit ist und wie das weiter geht. Und habe dann alles gelesen [...]. [...] Ich kann nichts anderes tun, als das zu akzeptieren. Soweit zu kommen dauert halt ein paar Tage, also es war n dann schon mehrere Wochen. Von da an gehört es zu meinem Leben [...]. In diesem Prozess ist auch eine Akzeptanz des Umfeldes erforderlich, gut gemeinte Ratschläge oder Angebotsunterbreitungen sind in dieser Situation oft wenig hilfreich. Die Inanspruchnahme von Angeboten steht im engen Zusammenhang mit der Akzeptanzphase, in der sich Menschen mit Demenz oder auch Angehörige befinden. Das erfordert von den Beraterinnen und Beratern eine hohe Sensibilität, sie können den Akzeptanzprozess mit entsprechenden professionellen Methoden unterstützen, letztendlich bleibt es ein sehr individueller mentaler Prozess. Optimismus Optimismus im Sinne von Resilienz bedeutet, daran zu glauben, dass Krisen zeitlich begrenzt sind (im Moment ist es schlimm, aber es muss nicht so bleiben) und überwunden werden können. Eine optimistische Haltung bewahren sich viele Menschen, indem sie ihn aus den Erinnerungen an bereits bewältigte frühere Krisen oder erreichte Erfolge im Leben speisen. Viele Angehörige von Menschen mit Demenz sehen z.b. eine Erkrankung der Partnerin/des Partners als eine von vielen in der Vergangenheit gemeinsam bewältigten Krisen z.b. im Laufe einer langen Ehe. Beraterinnen und Berater können sowohl Menschen mit Demenz als auch Angehörige dabei unterstützen, den Blick auf vorhandene Ressourcen und weniger auf die wahrgenommenen Verluste und eventuell kommende Schwierigkeiten zu lenken. Stärkung der Resilienz bedeutet, sich dieser verschiedenen Fähigkeiten und der Erfolge bewusst zu werden und sie auf die aktuelle Situation zu übertragen. 3 Zitat: Rita Dechant, Demenz Support Stuttgart 2010, 109 in: Demenz und Selbstbestimmung, Stellungnahme, Hrsg.: Deutscher Ethikrat Berlin2012 2
3 4 Bedauerlicherweise schaut man bei Menschen mit Alzheimer vor allem auf das, was sich verändert hat und auch verschlechtert. Schon in der Schule beginnt ja dieser falsche Blick auf die Defizite statt auf die Stärken der Personen. Wir sollten vor allem auf das schauen, was wir können und diese Stärken pflegen. Resilienz ist weder gleichbedeutend damit, Schwierigkeiten und Kummer zu ignorieren, noch Probleme und Niederlagen durch ein unkritisches positives Denken zu ersetzen. Es gilt vielmehr, eine Transparenz dafür zu schaffen, dass sowohl das eine als auch das andere existiert. 5 Wenn neben den Leidsituationen die immer noch vorhandenen Werte in den Mittelpunkt des Interesses gestellt werden, können damit wieder Hoffnung, Vertrauen und Zuversicht in das Leben entstehen. Denn das letzte Wort hat nicht das Leid, sondern die Antwort, die der Mensch darauf gibt! Lösungsorientierung Wenn Betroffene und Angehörige die Krankheit mit ihren Gefühlen und Gedanken als solche annehmen, eröffnet ihnen das den Blick auf mögliche Lösungen. Es ist häufig zu beobachten, wie sich im Laufe der Zeit wieder eine Lebensperspektive entwickelt, in der neben der Erkrankung auch Freude, Hoffnung und Ziele ihren Platz finden. Die aus dem Lebenslauf der Betroffenen und Angehörigen bekannten Strategien für Krisenmanagement werden dann aktiviert. 6 [...]. Oft zeichnen sich die Selbstzeugnisse auch durch Humor und Schlagfertigkeit aus. Viele berichten auch von neuen Entdeckungen und Entwicklungen bei sich. Dazu zählen das Malen von Bildern von Menschen, die vorher nie einen Pinsel in der Hand hielten, oder das Theaterspielen von Leuten, die sich das bisher nicht zutrauten. Es wird also nicht nur Altvertrautes erhalten oder weitergeführt (wer früher gut gesungen hat, kann das oft auch als Demenzbetroffener noch), es werden auch neue Dinge entdeckt oder lange Aufgegebenem wieder angefangen [...]. Hilfreich und unterstützend können hier Selbsthilfe- und Angehörigengruppen sein. Durch die Anregungen von anderen kann das Denken in Möglichkeiten das einseitige Denken (Fokus auf Verluste) ablösen. Beraterinnen und Berater können mit kreativen Ideenpools wichtige Impulsgeber sein. Die 4 Fähigkeiten der Resilienz Verantwortung übernehmen - Beziehungen gestalten - Sich selbst regulieren - Zukunft gestalten Verantwortung übernehmen Durch eine Demenz Diagnose geraten die meisten Betroffenen und ihre Angehörigen zunächst in eine Opferrolle. Die Opferrolle erzeugt Ohnmachtsgefühle und stellt das 4 Zimmermann/Wißmann 2011, 84, in: Demenz und Selbstbestimmung, Stellungnahme, Hrsg.: Deutscher Ethikrat Berlin Schechner 2007, 6 Demenz Support Stuttgart S. 83 in: Demenz und Selbstbestimmung, Stellungnahme, Hrsg.: Deutscher Ethikrat Berlin
4 Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit in Frage. Nach der Auseinandersetzung mit der Diagnose gelingt es jedoch vielen Menschen, wieder das Heft in die Hand zu nehmen und sie überprüfen die realistischen Möglichkeiten, ihr Leben (neu / anders) zu gestalten. 7 Selbstbestimmung und Autonomie haben bei einem Menschen mit Demenz eine andere Bedeutung als beim gesunden Menschen. Bei ihnen geht es weniger um das Erreichen, als um das Erhalten der Selbstbestimmung und Autonomie im Rahmen der Möglichkeiten, die ihnen verbleiben. Angehörige und Betreuende die die Autonomie und die Möglichkeiten der Selbstwirksamkeit der Betroffenen im Krankheitsverlauf immer wieder neu überprüfen, schaffen damit ein hohes Maß an Lebensqualität. Auch wenn die Selbstverantwortung von Menschen mit Demenz im Verlauf der Erkrankung eingeschränkt ist, so sollte immer der Versuch unternommen werden, den Betroffenen als Teil der Lösung zu sehen und ihn als solchen einzubeziehen. Z.B. ist es für den Betroffenen vielleicht nicht mehr möglich, die Verantwortung als Fahrzeugführer zu übernehmen, dafür kann er / sie aber die Entscheidung treffen, wer mit dem Fahrzeug fahren darf oder was mit dem Fahrzeug zukünftig geschehen soll. Beraterinnen und Berater können Betroffene und Angehörige professionell unterstützen, bestehende Gestaltungsspielräume zu identifizieren und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen. Netzwerke- und Beziehungen gestalten 8 [...]Demenz heißt nicht, dass ich kein soziales Netz von Freunden und Familienangehörigen mehr brauche, mit denen ich tagtäglich interagiere. Ein stabiles Netzwerk trägt viel zur Stärkung von Resilienz bei. In den Resilienzstudien verfügten die erfolgreichen Testpersonen in der Regel über stabile, vielseitige, nicht zu große, nicht zu kleine Netzwerke mit hoher sozialer Flexibilität. Von Angehörigen wird häufig beklagt, dass Freunde und Nachbarn sich zurückziehen und kein Interesse an ihrer Situation zeigen. Dies ist nicht immer auf Desinteresse oder Gleichgültigkeit zurückzuführen, oft steckt die Sorge dahinter, den Betroffenen mit den falschen Fragen oder Themen zu kompromittieren. Angehörige in Gesprächskreisen berichten immer wieder von großem Verständnis und Interesse, wenn sie selbst den ersten Schritt auf Menschen in ihrem sozialen Umfeld zugegangen sind (Selbstverantwortung). 9 Selbsthilfegruppen und Netzwerke können sehr wichtige Funktionen in der Stabilisierung der Resilienzfaktoren und der Ressourcen von Betroffenen und Angehörigen darstellen. Erfreulicherweise entwickeln sich zunehmend Gruppen für Menschen im frühen Stadium einer Demenzerkrankung, hier lassen sich wertvolle Kontakte knüpfen. 10 Die Teilnehmenden haben das Sagen, nichtbetroffene Personen dienen als Unterstützer. Das Selbstbestimmungsrecht soll erhalten bleiben. Die Gesprächs- 7 Empowerment demenzkranke Menschen stärkenorient-express e.v. Miesbach, 8 Demenz Support Stuttgart 2010, 67, in: Demenz und Selbstbestimmung, Stellungnahme, Hrsg.: Deutscher Ethikrat Berlin Masterstudiengang Seminararbeit: Resilienz und Demenz - ein Widerspruch? Regula Bockstaller. Wald Demenz-Servicezentrum Region Aachen/Eifel, Selbsthilfekontaktstelle Kreis Düren 4
5 inhalte, die neue Lebenssituation und deren Anforderungen sollen in der Gruppe ausgetauscht werden. Zukunft planen und gestalten Eine Demenzdiagnose durchkreuzt nicht selten die bisherige Lebens- und Zukunftsplanung und dennoch heißt es, gerade auch in dieser schwierigen Zeit, umzudenken und eine neue Richtung einzuschlagen. Manche Ziele lassen sich, zwar auf anderen Wegen, aber dennoch erreichen. Andere Ziele müssen aufgegeben und dafür neue gefunden werden. Rückblickend haben alle Menschen in Krisensituationen immer wieder in ihrem Leben erfolgreich die Richtung gewechselt. Hier kommt den Beraterinnen und Beratern eine wichtige Rolle zu, den Blick der Betroffenen und Angehörigen auf vergangene erfolgreich bewältigte Änderungen im Lebenskonzept zu wenden. Die angewandten Strategien können eruiert und für die gegenwärtige Situation oft nutzbar gemacht werden. 11 Ich habe gedacht, mit den Urlauben an der Ostsee ist es nun wohl endgültig vorbei, aber nun fahren wir mit dem Zug und das klappt super, wir sind sogar noch schneller da als mit dem Auto. (Ehefrau eines Betroffenen). Auch Betroffene haben eine Vorstellung von ihrer Zukunft und sollten wann immer es möglich ist, in diese einbezogen werden. 12 Die Selbstzeugnisse belegen eine Vielfalt von Reflexionen über die eigene Situation, in denen zwar immer wieder Zukunftsängste zu erkennen sind, in denen aber meist viele Wünsche und Bedürfnisse und klare Vorstellungen für die Zukunft und das, was man noch machen will, enthalten sind. 13 Ich habe meiner Frau beigebracht, wie das mit den Konten alles funktioniert, ich hatte große Sorge, dass sie das nicht schafft, sie kann sowas ja nicht, aber ich war ein guter Lehrer und jetzt bekommt sie es wohl hin. Manche Angehörige, aber auch Betroffene haben ein sehr vorausplanendes Krisenmanagement, dadurch geraten sie bei kommenden Schwierigkeiten nicht so schnell aus dem Gleichgewicht. 14 Ich habe mir letzte Woche mit meinem Mann die Tagespflege angeschaut, falls ich es so nicht mehr jeden Tag schaffe ihn zu versorgen. Es hat ihm gefallen, das ist gut, jetzt weiß ich, falls es mal so kommt, kann er gut dahin hingehen. Sich selbst regulieren Es ist wichtig, in einer Krise aktiv zu bleiben und Unterstützung zu suchen, aber ebenso wichtig ist es auch, sich hin und wieder zurückzuziehen, um neue Energie zu tanken. Manche Menschen ziehen Stärke aus den Gesprächen mit Freunden, andere in der Natur, bei einer Meditation, bei kreativen Beschäftigungen oder beim Sport. Der Körper des Menschen ist oft wie ein Barometer, der psychische und emotionale Überforderungen in körperlichen Beschwerden zum Ausdruck bringt. Daher ist es wichtig, seine Gedanken, Gefühle und Emotionen wahrzunehmen und sich selbst hinsichtlich unterschiedlicher Befindlichkeiten zu regulieren, um handlungsfähig zu bleiben. Viele Angebote für Menschen mit Demenz und deren Angehörige sind auf Informationsvermittlung und Weitergabe ausgerichtet. Auch der Bereich 11 Angehörige und Betroffene in Kursreihen des Demenz-Servicezentrums Münsterland ( ) 12 Demenz Support Stuttgart S. 83 in: Demenz und Selbstbestimmung, Stellungnahme, Hrsg.: Deutscher Ethikrat Berlin ebenda 14 ebenda 5
6 Selbstpflege geht nur manchmal tatsächlich über die Informationsvermittlung von Betreuungs- und Entlastungsangeboten hinaus. Die Inanspruchnahme von Angeboten kann die Selbstregulierung zwar befördern, ist aber nur eine Maßnahme, die von außen an die Betroffenen und Angehörigen herangetragen wird. Selbstregulierung im Sinne von Resilienz bedeutet u.a. das Aufspüren von wirksamen Strategien, mit Stress so umzugehen, dass Betroffene und Angehörige keinen Schaden davontragen. Dabei können Energie- und Kraftquellen aus der Vergangenheit identifiziert und aktiviert werden, z.b. wer oder was hat mir in früheren Zeiten geholfen, immer wieder ins Gleichgewicht zu kommen? Annette Wernke Demenz-Servicezentrum Münsterland Gefördert vom Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter Nordrhein-Westfalen und den Landesverbänden der Pflegekassen Wilhelmstraße Ahlen Tel / Fax / info@demenz-service-muensterland.de 6
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