1. Einleitende Bemerkungen
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- Maria Otto
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1 ISSN KALBOTYRA (3) ZU STRUKTUR UND MODUSGEBRAUCH IM UNABHÄNGIGEN INDIREKTEN REFERAT IN DEUTSCHEN UND LITAUISCHEN POLITISCHEN KONTEXTEN Jurgita Sinkevičienė Vilniaus universitetas Filologijos fakultetas Universiteto g. 5, LT Vilnius Tel.: El. paštas: jurgita.sinkeviciene@flf.stud.vu.lt 1. Einleitende Bemerkungen Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem unabhängigen indirekten Referat in Bezug auf seine Struktur bzw. auf den Modusgebrauch in deutschen und litauischen politischen Kontexten. Das Ziel der Forschung besteht darin, einige typische Merkmale des unabhängigen indirekten Referats im Deutschen und im Litauischen herauszuarbeiten und die wichtigsten Unterschiede und Gemeinsamkeiten in beiden Sprachen festzustellen. Der Gegenstand der Arbeit ist der Gebrauch des Modus im unabhängigen indirekten Referat, der besonders in der litauischen Sprachforschung zu wenig beachtet wird. Als Korpusgrundlage für die Analyse wurden die Internetseiten und gewählt, weil die beiden Quellen eine Menge von politischen Texten enthalten, die den heutigen Gebrauch des indirekten Referats liefern. Das Belegkorpus umfasst insgesamt 1000 Beispiele mit dem indirekten Referat, 500 litauische und 500 deutsche, die vom November 2008 bis Februar 2009 gesammelt wurden. Bei der Behandlung der theoretischen Grundlage und bei der Bestimmung der wichtigsten Begriffe wie das abhängige und das unabhängige indirekte Referat stützt man sich auf solche Autoren wie C. Fabricius-Hansen, R. Thieroff, G. Zifonun, sowie auf die Duden- Grammatik von Bei der Untersuchung wird die Methode der Analyse und Sortierung, des Vergleichs, der statistischen Auswertung des deutschen und litauischen Belegkorpus auf der deskriptiven Ebene angewandt. 66
2 2. Zum Problem der Rede- und Gedankenwiedergabe in der deutschen und litauischen Grammatiktheorie In den meisten Grammatiken des Deutschen wird das Thema der Redewiedergabe mehr oder weniger ausführlich behandelt. Zu beachten ist allerdings, dass für diesen Phänomenbereich verschiedene Termini in Gebrauch sind. Unter der Redewiedergabe werden traditionell die direkte Rede und die indirekte Rede verstanden (Buscha/Zoch 1984; Jung 1980; Duden- Grammatik 1998; Helbig/Buscha 2001; Götze/Hess-Lüttich 1993). Laut der Duden-Grammatik wird in der direkten Redewiedergabe eine wörtliche Äußerung angeführt, d.h. so, wie sie tatsächlich gemacht wird. Die Beziehung zwischen dem Sprecher, dem Urheber der Äußerung, und dem Hörer sei direkt und unmittelbar, z.b. (1) Hans behauptet: Davon habe ich nichts gewusst. In der indirekten Redewiedergabe dagegen werde eine Äußerung mittelbar wiedergegeben, von ihr werde berichtet, z.b. (2) Hans behauptet, dass er nichts davon gewusst habe (Duden 1998, 164). Laut H. Weinrich können bei der direkten Redewiedergabe spezifisch dialogische Elemente der Originaläußerung wie Gliederungssignale, Dialogpartikeln, Modalpartikeln und Interjektionen sowie Grußformeln, Wunschformeln, Kraftausdrücke und Ähnliches erhalten bleiben. Bei der indirekten Redewiedergabe zitiere der Sprecher eine Äußerung nicht in ihrer Originalfassung, sondern in einer abgewandelten, an den Kontext angepassten Form (Weinrich 1993, ). Im Unterschied zu Duden-Grammatik und H. Weinrich geht U. Engel vom Text aus und verwendet die Termini direkte Textwiedergabe und indirekte Textwiedergabe. Bei der Festlegung der Definitionen geht er von der Textschichtung aus. Bei der Textschichtung gebe es immer einen Primärtext d.h. eine originale Äußerung, z.b. (3) Der Baum hat keine Chance mehr. Bei der Übernahme der originalen Äußerung in einen neuen Text werde sie zum Sekundärtext. Der Sekundärtext könne mit dem Primärtext identisch sein. Dann ist die direkte Textwiedergabe vorhanden, z.b. (4) Oskar sagt: Der Baum hat keine Chance mehr. Der Sekundärtext könne aber auch gegenüber dem Primärtext nach bestimmten Regeln verändert werden. Dann handelt es sich um die indirekte Textwiedergabe, z.b. (5) Oskar behauptete, dieser Baum habe keine Chance mehr (Engel 2004, 65 67). E. Brendel, J. Meibauer, M. Steinbach vertreten einen anderen Standpunkt. In ihrem Aufsatz Aspekte einer Theorie des Zitierens kritisieren sie den Terminus der Redewiedergabe überhaupt. Die Sprachforscher behaupten, dass der Terminus unglücklich erscheint, wenn man sich mit Redewiedergabe nicht nur auf Wiedergabe mündlicher oder schriftlicher Äußerungen beziehen will, sondern auch auf Wiedergabe von Gedachtem (Brendel / Meibauer / Steinbach 2007, 6). 67
3 R. Thieroff definiert die Redewiedergabe wie folgt: Redewiedergabe heißt, dass der Sprecher deutlich macht, dass ein anderer oder er selbst in einer bestimmten Situation etwas gesagt (gedacht/geschrieben) hat oder sagen (denken/schreiben) will oder sagen (denken/ schreiben) kann (Thieroff 2007, 212). Die jüngste Auflage der Duden-Grammatik verwendet daher den Terminus Referat, der auf C. Fabricius-Hansen zurückgeht. Im engeren Sinne versteht man darunter die Wiedergabe von sprachlichen Äußerungen d.h. indirekte Redewiedergabe und im weiteren Sinne umfasst der Begriff auch die Wiedergabe von Gedachtem d.h. die Gedankenrepräsentation (Duden 2005, 529). C. Fabricius-Hansen unterscheidet das direkte Referat und das indirekte Referat. Das indirekte Referat unterscheidet sich von dem direkten Referat dadurch, dass bei ihm alle deiktischen Kategorien, alle temporalen und modalen Ausdrücke dem aktuellen Sprecher d.h. dem Referenten zugerechnet sind (Fabricius-Hansen 2002, 11). Weiterführend ist zu bemerken, dass innerhalb des indirekten Referats die Duden-Grammatik zwischen dem abhängigen und unabhängigen Referat unterscheidet, je nach dem, ob die Redewiedergabe in syntaktisch selbstständigen Sätzen oder in syntaktisch untergeordneten Sätzen erfolgt (Duden 2005, ). Das Referat ist ein umfangreicher Begriff, der nicht nur die direkte Redewiedergabe und die indirekte Redewiedergabe sondern auch die berichtete Rede und die erlebte Rede umfasst. Als syntaktisch unabhängiges indirektes Referat betrachtet man die berichtete Rede und die erlebte Rede. Laut G. Helbig und J. Buscha zeichnet sich die berichtete Rede dadurch aus, dass bei ihr mehrere indirekte Äußerungen aufeinander folgen und das redeeinleitende Verb bzw. der redeanführende Ausdruck nicht wiederholt wird. Die Sprachforscher verweisen darauf, dass bei der berichteten Rede aufgrund des fehlenden Hauptsatzes die Nebensätze nicht in Form von eingeleiteten Nebensätzen stehen, sondern als selbstständige Sätze auftreten. Die Grammatiker betonen, dass in solchen Sätzen der Konjunktiv obligatorisch ist, da sonst die Sätze nicht als abhängig, sondern als selbstständige Hauptsätze und die Rede nicht als indirekt und vermittelt, sondern als direkte Äußerung des Sprechers verstanden würde (Helbig/Buscha 2001, 177). R. Thieroff hebt hervor, dass die berichtete Rede nicht nur dann vorliege, wenn das redeeinleitende Verb nicht wiederholt wird, sondern sie komme häufig auch ganz ohne redeeinleitendes Verb aus, z.b. (6) [ ] Er lachte: Was zeichnet Sie denn, Faber? (7) Ich zeichnete auf das Marmor-Tischlein [ ], sein Lachen störte mich derart, dass ich einfach nicht zu sagen wusste. (8) Ich sei ja so schweigsam (Thieroff 1992, 258). Im Bereich der berichteten Rede ist der Gebrauch des Modus eine wichtige und aktuelle Frage. Die Grammatiken verweisen darauf, dass bei der unabhängigen indirekten Redewiedergabe der Konjunktiv verwendet wird. Für den Gebrauch des Konjunktivs im Funktionsbereich des Referats haben G. Zifonun et al. (Zifonun et al. 1999, 1753) die Bezeichnung Indirektheitskonjunktiv eingeführt. Diese Bezeichnung hat die Duden-Grammatik übernommen. 68
4 Die erlebte Rede betrachtet C. Fabricius-Hansen als eine typische Erscheinungsform der syntaktisch unabhängigen indirekten Gedankenwiedergabe (Fabricius-Hansen 2002, 12). In der Grammatiktheorie wird darauf hingewiesen, dass bei der erlebten Rede keine Transformation des Modus erfolgt, d.h. sie ist nur durch die Pronominal- und Tempusverschiebung gekennzeichnet, z.b. (9) Der Bäcker war schlechter Laune. Er musste jetzt wirklich der Tochter die Wahrheit erzählen. Es ging nicht an, dass sie in dem Alter an den Weihnachtsmann glaubte! (Duden 2006, 530). Aus dem Grund, dass sich dieser Beitrag hauptsächlich auf den Modusgebrauch im unabhängigen indirekten Referat konzentriert, wird die erlebte Rede in diesem Artikel nicht weiter behandelt. Da diese Arbeit eine kontrastive deutsch-litauische Untersuchung darstellt, ist es wichtig und nötig, auf die Grammatiktheorie des Litauischen zur Frage der Redewiedergabe einzugehen. Der Terminus des Referats, der in dieser Arbeit bevorzugt wird, ist in der litauischen Grammatiktheorie noch nicht vorhanden. Für die Wiedergabe fremder Worte und Gedanken ist im Litauischen die Bezeichnung netiesioginė kalba d.h. indirekte Rede verwendet, die auch in vielen deutschen Grammatiken vorkommt. Die indirekte Rede- und Gedankenwiedergabe wird im Deutschen durch den redekommentierenden Satz eingeführt und in der litauischen Grammatik werden kalbėjimo ir mąstymo veiksmažodžiai, d. h. die Verben des Sagens und Denkens als redeanführende Ausdrücke hervorgehoben (Sirtautas/Grenda 1988, 180). Die Grammatiker verweisen darauf, dass im untergeordneten Satz neben dem Konjunktiv und Indikativ auch die Partizipien und Gerundien auftreten. Das folgende Kapitel soll einen Überblick über die syntaktischen Eigenschaften des unabhängigen indirekten Referats in beiden Sprachen geben und dabei zeigen, dass das unabhängige indirekte Referat nicht nur für das Deutsche, sondern auch für das Litauische kennzeichnend ist. 3. Vergleich der Strukturen des unabhängigen indirekten Referats im Deutschen und Litauischen Wie es schon früher erwähnt wurde, tritt das unabhängige indirekte Referat im Deutschen in selbständigen Sätzen auf. Der Duden-Grammatik zufolge bildet das unabhängige indirekte Referat im Textzusammenhang eine zweite Ebene, die durch die Verwendung des Indirektheitskonjunktivs markiert ist, z.b. (10) Auch hier gibt es Häuser, wo Südländer wohnen: ein schwarzäugiger, braunhäutiger Halbwüchsiger kam in Begleitung eines ihm ähnlichen Kindes zur Tür herein und tauschte an der Theke eine große leere Weinflasche gegen eine volle um; dabei stellte er das Kind als seinen Onkel vor. Er gehe hier in die Volksschule, wo man eine besondere 69
5 70 Ausländerklasse eingerichtet habe, welche Bunte Klasse heiße: nicht wegen der Farbstifte, die fast die einzigen Unterrichtswerkzeuge seien, sondern der verschiedenen Hautfarben. Der Direktor sei stolz auf diese Klasse; [...]. [ ]. Das Kind neben dem Erzähler hob dabei einen Holzprügel und schoss mit diesem in die Runde. Die Duden-Grammatik betont, dass ohne den Konjunktiv diese zweite Ebene nicht oder nicht eindeutig erkennbar wäre. Laut der Duden-Grammatik gibt der Referent mit dem Indirektheitskonjunktiv zu verstehen, dass er den Satzinhalt als indirekte Redewiedergabe verstanden wissen will, für die er selber im Sprechzeitpunkt keinen Gültigkeitsanspruch erhebt (Duden 2005, 538). W. Flämig geht davon aus, dass der Indirektheitskonjunktiv im unabhängigen indirekten Referat nicht nur fremde Worte markiert, sondern auch die syntaktische Abhängigkeit bezeichnet. Der Sprachforscher bemerkt, dass das unabhängige indirekte Referat meistens durch den Konjunktiv I markiert wird. Die Fälle, wo der Konjunktiv I mit dem Indikativ zusammenfällt, werden automatisch durch den Konjunktiv II ersetzt, ohne dass dadurch eine inhaltliche Verschiebung einträte. Es ist bekannt, dass die Formen des Konjunktivs II auch den Modus Irrealis markieren. In dieser Funktion sei ein Austausch des Konjunktivs II mit dem Konjunktiv I nicht möglich. Laut W. Flämig gilt der Konjunktiv I als Normalmodus des unabhängigen indirekten Referats und der Konjunktiv II gilt als Ausdruck ablehnender Stellungnahme oder größeren Abstandes von der objektiven Realität (Flämig 1962, 44 52, 61). Die gleiche Meinung vertreten auch K. E. Heidolph, W. Flämig und W. Motsch, indem sie behaupten, dass mit dem Konjunktiv II, wenn er nicht notwendigerweise als Ersatz für den Konjunktiv I steht, der Referent zeige, dass er der Äußerung eine geringere Geltung beimesse (Heidolph/Flämig/Motsch 1981, 530). In den neueren Grammatiken ist eine andere Meinung vertreten. Im Gegensatz zu W. Flämig, K. E. Heidolph, W. Motsch verweisen E. Hentschel und H. Weydt auf G. Helbig und J. Buscha und behaupten, dass ein Zusammenhang zwischen der Distanz zur wiedergegebenen Äußerung und dem Gebrauch des Konjunktivs nicht nachweisbar sei (Hentschel/Weydt 1990, 108). C. Fabricius-Hansen vertritt die gleiche Meinung wie E. Hentschel und H. Weydt und betont, dass zur Wahl zwischen dem Konjunktiv I und Konjunktiv II stilistische und soziolinguistische Aspekte eine Rolle spielen. Welchen Stellenwert man einer konkreten unnötigen Konjunktiv II-Form in einem gegebenen Text oder Diskurs beimesse, hänge natürlich sehr stark davon ab, ob es sich um ein Gespräch handele, in dem sowieso dauernd die Konjunktiv II-Formen im indirekten Referat vorkommen oder um einen Zeitungsartikel, der sich sonst streng an die Regel Konjunktiv I, wenn eindeutig! halte (Fabricius-Hansen 1997, 31). Die Sprachforscherin weist darauf hin, dass es immer noch umstritten ist, ob mit einer Konjunktiv II-Form in Fällen, wo der Konjunktiv I deutlich genug wäre, eine größere Distanz zu dem Referierten als mit der entsprechenden Konjunktiv I-Form ausgedrückt wird, z.b. (11) Mag sein, dass Helmut Schlesinger und Co. Dem Druck weichen mussten. Aber sie können nicht im Ernst hoffen, dass es mit den europaweiten Spekulationen nun zu Ende wäre. Jedenfalls nicht, wenn, wie der Bundesbankchef sagt, bisher Spekulanten ein
6 unfreundliches Dominospiel betrieben hätten, wo eine Währung nach der anderen gekippt wurde. Warum sollte dieses Spiel jetzt nicht fortgesetzt werden? Laut C. Fabricius-Hansen muss die erste Konjunktiv-II-Form (wäre) nach der Distanzierungsannahme eine besondere Distanz ausdrücken, während die zweite Form (hätten) als Ersatz zu erklären ist, d.h. dass sie nicht als eine Distanz-Form betrachtet werden kann. Die Sprachforscherin betont, dass bisher kein methodisches Verfahren entwickelt worden ist, mit dem nachgewiesen werden könnte, dass die Distanz vom Referenten durch den Konjunktiv II zum Ausdruck gebracht wird (Fabricius-Hansen 1997, 30). Was das Litauische betrifft, ist zu bemerken, dass in dieser Sprache andere formale Mittel zur Markierung des unabhängigen indirekten Referats vorhanden sind. A. Valeckienė verweist darauf, dass die Worte einer anderen Person durch zwei Partizipien markiert werden können, z.b. (12a) Jis esąs ir vilką matęs. (12b) Er habe wohl auch den Wolf gesehen. (Valeckienė 1998, 88). Im Beispiel (12a) tritt das Partizip Präsens Aktiv im Nominativ Singular esąs als Hilfsverb auf und bildet das Perfekt des Wiedererzählmodus (WM) in Verbindung mit dem Nominativ Singular des Partizips Präteritum Aktiv matęs. V. Valskys analysiert in seinem Aufsatz Netiesioginės nuosakos raiška bevardės giminės dalyviais die Verwendung des im Präsens stehenden Partizips esą und behauptet, dass es über mehrere Funktionen verfügt. Laut V. Valskys tritt die Partizipialform esą auch als Modalpartikel (MP) auf, wenn sie nicht zur Bildung der Tempora des Wiedererzählmodus dient. Seine Behauptung bestätigt das folgende Beispiel, wo esą als Modalpartikel zu betrachten ist: (13a) Personažus aš esą renkuosi kaip draugus ar pažįstamus. (13b) Man sagt, dass ich mir die handelnden Personen wie Freunde oder Bekannte aussuche. (Valskys 2002, 33). 4. Ergebnisse der Analyse Die Untersuchung hat ergeben, dass das litauische unabhängige indirekte Referat im Vergleich zum Deutschen ganz selten gebraucht wird. Im Deutschen wurden mehr als 38% der analysierten Kontexte festgestellt, die das unabhängige indirekte Referat enthalten (etwa 300 Kontexte), im Litauischen machen sie dagegen nur 2% (9 Kontexte) aus. Aus der Untersuchung ist ersichtlich, dass im Deutschen und im Litauischen unterschiedliche formale Mittel zur Markierung des unabhängigen indirekten Referats vorhanden sind. Im Deutschen wird das unabhängige indirekte Referat hauptsächlich durch den Indirektheitskonjunktiv markiert, z.b. (14) Seinen Nachfolger im Auswärtigen Amt, Frank-Walter Steinmeier, nahm Fischer dagegen in Schutz. Der SPD-Kanzlerkandidat sei weder in der Finanzkrise noch beim Desaster der hessischen Genossen vordringlich gefragt gewesen. Bei den Vorgängen in Hessen 71
7 72 hätte die SPD-Parteiführung in Berlin wenig machen können. Die hessische SPD-Chefin Andrea Ypsilanti habe es versäumt, den rechten Flügel ihrer Partei bei der geplanten Duldung durch die Linkspartei einzubinden. Wie das Beispiel (14) zeigt, wird das unabhängige indirekte Referat in Form von selbständigen Sätzen gebraucht. In jedem Satz, der zum indirekten Referat gehört, tritt der Konjunktiv als obligatorisches Kennzeichen eines unabhängigen indirekten Referats auf. Der vorangestellte Satz im Beispiel (14) gilt als redekommentierender Satz, dessen Kern phraseologische Einheit in Schutz nehmen bildet. Der Konjunktiv Präsensperfekt Passiv (sei gefragt gewesen) als auch der Konjunktiv Präteritumperfekt Aktiv (hätte machen können) und der Konjunktiv Präsensperfekt Aktiv (habe versäumt) dienen zum Ausdruck der Vorzeitigkeit in Bezug auf das Geschehen im redekommentierenden Satz, wo der Indikativ Präteritum verwendet wird. Aus dem deutschen Belegkorpus geht hervor, dass neben dem redekommentierenden Satz auch die redekommentierenden Phrasen zur Einführung des unabhängigen indirekten Referats dienen, z.b. (15) Nach Steinmeiers Ansicht soll die Europäische Union (EU) etwa geplante Großinvestitionen vorziehen und gemeinsame Projekte etwa im Energiebereich beschleunigen, um drohende Beschäftigungsprobleme abzufedern. Weiter sei ein zusätzliches EU-Kreditprogramm für kleine und mittlere Unternehmen erforderlich. Im Beispiel (15) wird das unabhängige indirekte Referat, das im Konjunktiv Präsens Aktiv steht (sei erforderlich), durch den vorangestellten Satz mit der Präpositionalphrase nach Steinmeiers Ansicht eingeführt. Der Konjunktiv Präsens Aktiv (sei erforderlich) zeigt die Gleichzeitigkeit des Geschehens im unabhängigen indirekten Referat in Bezug auf das Geschehen im Satz mit redekommentierender Präpositionalphrase. Wie das Belegkorpus zeigt, kann das unabhängige indirekte Referat durch einen redekommentierenden Satz, der ein direktes Referat enthält, eingeführt werden, z.b. (16) Es ist offen, sagt auch Martin Krems, Sprecher des sachsen-anhaltinischen Innenministeriums. In Magdeburg trete das Kabinett ebenfalls am Dienstag vor der entscheidenden Sitzung in der Länderkammer zusammen. Beratungsbedarf bestehe in Sachen Sinnhaftigkeit der Online-Durchsuchungen und der Kompetenzverteilung von Bund und Land. Allerdings müsse der vom Bundestag verabschiedete Gesetzestext erst noch gründlich gelesen werden. Im Beispiel (16) tritt das unabhängige indirekte Referat in drei hintereinander stehenden Sätzen nach dem Satz mit dem direkten Referat auf. In allen drei Sätzen mit dem unabhängigen indirekten Referat wird der Konjunktiv Präsens verwendet, der zum Ausdruck der Nachzeitigkeit in Bezug auf die Handlung des redekommentierenden Satzes dient. Aus der Analyse des Belegkorpus geht hervor, dass sich das unabhängige indirekte Referat im Deutschen durch folgende Struktur auszeichnet: RKS/RKPh: UIR [Konj] 1 1 RKS: redekommentierender Satz; RKPh: redekommentierende Phrase; UIR: unabhängiges indirektes Refe- RKS: redekommentierender Satz; RKPh: redekommentierende Phrase; UIR: unabhängiges indirektes Referat; Konj: Konjunktiv.
8 Bei der Analyse des litauischen Belegkorpus wurde festegestellt, dass im Litauischen das unabhängige indirekte Referat wie im Deutschen in selbständigen Sätzen auftritt, z.b. (17) Seimo senbuvių nuomone, naujosios Vyriausybės programoje stiprus tik mokesčių reformos, arba kitaip vadinamas finansų sistemos stabilizavimo skyrius. Visa kita esą labai nekonkretu, tarsi kokio jaunesniojo mokslinio bendradarbio parašytas mokslo instituto darbo planas. (18) Kartu jis pripažino, kad kai kurie valdžios sprendimai buvo klaidingi, pavyzdžiui, už Mažeikių naftos akcijas gautus pinigus iš karto išmokėti kaip kompensacijas už prarastus sovietinius indėlius. Esą kur kas naudingiau būtų buvę juos panaudoti mokykloms renovuoti. Im Beleg (17) tritt das unabhängige indirekte Referat nach einem selbständigen Satz mit einer redekommmentierenden Nominalphrase auf und im Beleg (18) steht das unabhängige indirekte Referat nach einem redekommentierenden Satz, der syntaktisch selbständig ist und ein Verb des Sagens enthält. Wie die Beispiele (17), (18) zeigen, steht das unabhängige indirekte Referat in beiden Kontexten neben dem abhängigen indirekten Referat. Das unabhängige indirekte Referat folgt in einem selbständigen Satz und die Form esą gilt als Kennzeichen des indirekten Referats. Die Partizipialform esą ist vom suppletiven Verb būti abgeleitet. Im Beispiel (17) ist das Partizip esą das Präsens Aktiv des Wiedererzählmodus und im Beispiel (18) kann es als Modalpartikel betrachtet werden. Neben esą tritt im Beispiel (18) der Konditional Präteritum auf (būtų buvę), der auf die Irrealität des Geschehens hinweist. (19) Kita politikų skola visuomenei tuzinas garsių analitinių pažymų, kurių Seimas prašė iš Valstybės saugumo departamento (VSD), bet taip jų ir nesulaukė. Akademinio politologų klubo pirmininkas Justas Šireika įsitikinęs, kad ši skola itin skaudi gyventojams ir pavojinga demokratijai. Esą tai rodo, jog Lietuva tolsta nuo modernios šalies idealo ir virsta policine valstybe. Im Beispiel (19) tritt das unabhängige indirekte Referat nach dem syntaktisch selbständigen Satz auf, der ein abhängiges indirektes Referat enthält und als redekommentierender Satz gilt. Das unabhängige indirekte Referat ist durch die Modalpartikel esą, die in Verbindung mit dem Indikativ Präsens Aktiv steht, markiert. Der Indikativ Präsens Aktiv (rodo) dient im unabhängigen indirekten Referat zum Ausdruck der Gleichzeitigkeit in Bezug auf das Geschehen im redekommentierenden Satz mit dem Indikativ Präsens. Wie das Belegkorpus gezeigt hat, enthält das unabhängige indirekte Referat im Litauischen folgende Struktur: RKS/RKPh: UIR [WM-esą/MP-esą +Ind/Konj]. 2 Abschließend lässt sich sagen, dass das unabhängige indirekte Referat im Litauischen (2%) im Vergleich zum Deutschen (38%) sehr selten gebraucht wird. Es lässt sich anscheinend durch den Einfluss sämtlicher Mundarten und der russischen Sprache, unter deren Wirkung das Litauische lange Zeit stand, erklären. Darauf gibt es auch Hinweise in der litauischen Grammatiktheorie (LKE 2008, 371, Valskys 2002, 34). 2 WM: Wiedererzählmodus; MP: Modalpartikel; Ind: Indikativ. 73
9 Weiterhin ist zu bemerken, dass beim Vergleich des unabhängigen indirekten Referats im Deutschen und Litauischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen sind. Was die Struktur des unabhängigen indirekten Referats betrifft, wird es sowohl im Deutschen als auch im Litauischen in selbständigen Sätzen realisiert. Beide Sprachen weisen bestimmte Unterschiede im Modusgebrauch auf. Die Untersuchung des Belegkorpus hat ergeben, dass im unabhängigen indirekten Referat des Deutschen der Indirektheitskonjunktiv vorkommt, und in den entsprechenden Strukturen des Litauischen wird meistens die Partizipform esą, die als Tempus des Wiedererzählmodus (siehe Beispiel 17) oder als Modalpartikel (siehe Beispiele 18, 19) fungiert, in Verbindung mit dem Konjunktiv oder Indikativ verwendet. LITERATURVERZEICHNIS Brendel E., Meibauer J., Steinbach M Aspekte einer Theorie des Zitierens. In: Brendel E., Meibauer J., Steinbach M. Zitat und Bedeutung. Linguistische Berichte. Sonderheft 15/2007. Hamburg. S Buscha J., Zoch I Der Konjunktiv. Leipzig. Duden 4. Die Grammatik Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Duden Die Grammatik. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Eckert R., Bukevičiūtė E. J., Hinze F Die baltischen Sprachen. Leipzig, Berlin, München. Engel U Deutsche Grammatik. München. Fabricius-Hansen C Nicht direktes Referat im Deutschen Typologie und Abgrenzungsprobleme. In: Fabricius-Hansen C., Leirbukt O., Letens O Modus, Modalverben, Modalpartikeln. Trier. S Fabricius-Hansen C Der Konjunktiv als Problem des Deutschen als Fremdsprache. In: Aspekte der Modalität im Deutschen auch in kontrastiver Sicht. Hrsg. Friedhelm Debus. Hildesheim. S Flämig W Zum Konjunktiv in der deutschen Sprache der Gegenwart. Inhalte und Gebrauchsweisen. Berlin. Götze L., Hess-Lüttich E.W.B Grammatik der deutschen Sprache. München. Heidolph K. E., Flämig W., Motsch W Grundzüge einer deutschen Grammatik. Berlin. Helbig G., Buscha J Deutsche Grammatik. Ein Handbuch für Ausländerunterricht. Berlin, München, Wien, Zürich, New York. Hentschel E., Weydt H Handbuch der deutschen Grammatik. Berlin, New York. Jung W Grammatik der deutschen Sprache. Leipzig. LKE Lietuvių kalbos enciklopedija. Ambrazas V. ir kt. Vilnius. Sirtautas V., Grenda Č., Lietuvių kalbos sintaksė. Vilnius. Thieroff R Wer spricht? Über die Formen der Redewiedergabe im Deutschen. In: Convivium. Germanistisches Jahrbuch Polen. Bonn. S Thieroff R Das finite Verb im Deutschen. Tempus Modus Distanz. Tübingen. Valeckienė A Funkcinė lietuvių kalbos gramatika. Vilnius. Valskys V Netiesioginės nuosakos raiška bevardės giminės dalyviais. In: Žmogus ir žodis. Nr Vilnius. S
10 Weinrich H Textgrammatik der deutschen Sprache. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich. Zifonun G., Hoffmann L., Strecker B. et al Grammatik der deutschen Sprache. 3 Bände. Berlin, New York. QUELLEN DES BELEGKORPUS [ ] [ ] APIE SINTAKSIŠKAI SAVARANKIŠKO NETIESIOGINIO REFERATO STRUKTŪRĄ IR NUOSAKŲ VARTOJIMĄ VOKIEČIŲ IR LIETUVIŲ KALBŲ POLITINIUOSE KONTEKSTUOSE Jurgita Sinkevičienė Santrauka Straipsnyje lyginami sintaksiškai savarankiško netiesioginio referato raiškos būdai vokiečių ir lietuvių kalbose. Taip vadinamas sintaksiškai savarankiškas netiesioginis referatas suprantamas kaip referento perteikta informacija savarankiškuose sakiniuose, t.y. be kito asmens kalbą įvedančių sakinių ar frazių. Tyrimas parodė, kad vokiečių kalboje skirtingai nei lietuvių šis reiškinys yra gan dažnas (38%), lietuvių kalboje jis aptinkamas pakankamai retai (2%). Tiek vokiečių, tiek lietuvių kalbose sintaksiškai savarankiškas netiesioginis referatas realizuojamas savarankiškuose sakiniuose, skirtumas glūdi tame, kad vokiečių kalboje pagrindinis išskiriamasis referato bruožas yra tariamoji nuosaka, o lietuvių kalboje esamojo laiko bevardės giminės dalyvis esą vartojamas ir kaip netiesioginės nuosakos forma, ir kaip modalinė dalelytė kartu tiek su tiesiogine, tiek su tariamąja nuosakomis. Įteikta 2009 m. birželio mėn. 75
Wirklichkeitsfonn Möglichkeitsfonnen <nur berichtet> ("ohne Gewähr", nicht gesichert) <nur gedacht, aber nicht wirklich>
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