XXII. Über die Funktion der Kasus.
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- Astrid Holtzer
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1 XXII. Über die Funktion der Kasus.
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3 Die Funktion dessen, was die Grammatiker Kasus nennen, ist bekanntlich etwas recht Mannigfaltiges. Um dabei zu etwas relativ Einheitlichem zu gelangen, muß man vor allem den Vokativ und den Dativus ethicus aussondern, sofern sie den Ausdruck und die Beeinflussung des G em üts- und W ille n s lebens bezwecken, also E m otive sind. Aber weiter auch den Nominativ, soweit er dem Ausdrucke eines besonderen U rte ils modus dient, nämlich die Funktion des Subjektes oder Prädikates in einem wahrhaft kategorischen oder Doppelurteil hat, wie: dieser Baum blüht; dieses Runde ist metallglänzend u. dgl. Soweit aber der Nominativ bloß als Vorstellungssuggestiv fungiert, sind zwei Fälle auseinanderzuhalten, nämlich der, wo er dies für sich allein, und der, wo er es im Zusammenwirken mit einem Casus obliquus tut. Die interessantesten Probleme, welche die Lehre von der Bedeutung der Kasus überhaupt birgt, bieten die letzteren Fälle, wo also ein Casus obliquus zusammen mit einem Nominativ oder überhaupt zusammen mit den ihn regierenden Worten (handle es sich nun dabei um einen Nominativ und überhaupt um ein Nomen oder nicht) als Vorstellungssuggestiv fungiert, und ihnen ist mit gutem Grund eine besondere Betrachtung zu widmen. Auf die Frage, was denn die eben erwähnten Kasusfiigungen bedeuten, pflegen die Grammatiker zu antworten: sie bezeichnten Verhältnisse, Beziehungen oder Beziehungsbegriffe. Und was auch für Einschränkungen und Berichtigungen an dieser Auskunft nötig sein mögen, so ist daran jedenfalls so viel richtig, daß wir in der Tat an den Casus obliqui (zusammen mit den sie regierenden Worten) das am meisten charakteristische Ausdrucksmittel und Suggestiv vor uns haben für die Korrelativa
4 170 mul relativen Bestimmungen,») also für die eine der beiden fundamentalen Klassen von Begriffs Verbindungen, in denen sich unser Denken bewegt. Unter den Begriffen, wodurch wir die (von der Sprache genannten) Gegenstände auffassen, finden sich ja zwei wesentlich verschiedene Weisen der Verknüpfung. Die eine, welche allgemein anerkannt ist, ist die Attribution, und sie ist in Wahrheit keine andere als die, welche in Reflexion auf die Prädikation entstanden und gebildet ist. Prädizieren ist ein besonderer Modus des urteilenden Verhaltens, nämlich ein Identifizieren. Ein solches liegt vor, wenn ich z. B. sage: dieses Runde, ist metallglänzend. Rundes-Glänzendes aber heißt nichts anderes als: Rundes, welches glänzend ist. Was mit Recht attributiv verbunden werden soll, das muß in subjecto identisch sein, d. h. sich wie Prädikat und Subjekt einer möglichen richtigen Prädikation verhalten. Doch neben dieser Weise der Begriffs- Verbindung treffen wir, als auf ein letztes Element unseres Denkens, noch auf eine andere wesentlich davon verschiedene nämlich. die. Korrelation. S ie ist nicht selten in ihrer Eigenart verkannt worden. Wollte man sie doch auf die Prädikation oder Attribution zurückführen. Allein dies ist ganz unmöglich, da es für die Korrelate charakteristisch ist, im Denken und Sein (untrennbar) verbunden zu sein, ohne daß das eine mit dem andern in subjecto identisch ist oder zu sein braucht. Und eben diese eigentümliche Stellung der Glieder einer Relation hat in dem Verhältnis des obliquen Kasus zu den ihn regierenden Worten den eigenartigsten Ausdruck gefunden, während das Verhalten des attributiv Verbundenen sieb sprachlich als eine Fügung in _ recto charakteristisch darstellt. Allein wie die Sprache auch anderwärts und in anderen, Belangen wohl gewisse fundamentale Unterschiede der Gedanken im allgemeinen erschaut oder an sie gerührt hat, aber die dafür gewählten Ausdmcksmethoden dann auch über diesen ursprünglichen Zweck hinaus verwendet und mit anders gerichteten vermischt, so geschah und geschieht es auch, in unserem Falle. Die eigentümliche.fügung des Casus obliquns wurde (auch q Den Unterschied /.wischen einer Korrelation und einer relativen Bestimmung habe ich schon in meinen Untersuchungen zur Grundlegung der allgemeinen Grammatik und Sprachphilosophie 1908, S. 409 ff., klargelegt.
5 177' innerhalb ihrer Funktion als Vorstellungsausdruck) in mannigfacher Weise ihrem natürlichsten Sinn entfremdet. Eine solche Entfremdung liegt schon vor, wo der Casus obliquus nicht bloß Ausdruck der Korrelation oder relativen Bestimmung, sondern nebenbei zugleich einer damit verknüpften Attribution oder Determination ist. Und sie schreitet weiter fort, wo ganz dieselbe grammatische Konstruktion u. U. auch dazu dient, um direkt eine Attribution oder Determination auszudrücken, wobei die Verwandtschaft mit der früher erwähnten Funktion nur darin besteht, daß das determinierende Element eben eine Korrelation oder relative Bestimmung ist. Aber nicht genug! Während bei diesen Verwendungen der obliquen Kasus doch überall irgendwie eine derartige, von der attributiven fundamental verschiedene Begriffsverknüpfung zur Bedeutung gehört, ist bei einer weiteren sehr ausgedehnten Gruppe von Fällen auch dies nicht mehr der Fall; vielmehr ist die Vorstellung einer Korrelation oder relativen Bestimmung, die dabei im Spiele ist, bloß ein Bild der inneren Sprachform. Der Bedeutung nach aber haben wir es weder mit einer Korrelation mit oder ohne Determination, noch mit einer Determination durch Korrelation (oder durch eine relative Bestimmung) zu tun, sondern entweder liegt eine Determination durch eine absolute Bestimmung vor,') oder nicht einmal dies, sondern eine Modifikation im eminenten Sinne dieses Wortes.2) Die ausführliche und genauere Beschreibung und Analyse dieser mannigfachen Übertragungen, die das Bezeichnungsmittel der Casus obliqui (auch sofern sie bloß als Begriffsausdruck dienen) erfahren hat,1') macht die Lehre von der Kasusfunktion zu einem sprechenden Beitrag für die Beantwortung der allgemeinen methodischen Frage, ob und wiefern die Psychologie, speziell die Psychologie des Denkens, von der Sprache, und wie *23 1) Oder falls eiiie solche Korrelation oder relative Bestimmung der Bedeutung angehört, ist es doch nicht die, welche durch den Kasus' ausgedrückt erscheint und deren Vorstellung zunächst durch ihn erweckt wird. 2) Die Attribution ist hier (z. B. bei ein Pferd in Marmor, lupus in fabula) nur eine scheinbare, wenigstens in dem Sinn, daß auch, falls eine solche wirklich vorliegt, es doch nicht die ist, welche durch die sprachliche Fügung.angedeutet erscheint. 3) Sie wird in einer eben (1911) erschienenen Schrift, Die,logische,, Idealistische und andere Kasustheorien (Halle, bei Max Niemeyer), geboten. M a rty, Gesammelte Schriften 11,3. 12
6 178 umgekehrt die Sprachwissenschaft von der Psychologie lernen könne und müsse. Sie illustriert aufs deutlichste, wie die Sprache und ihre Struktur durchaus nicht als zuverlässige Vorlage für die -Beschreibung der Struktur der Gedanken dienen kann, daß wir diese vielmehr erst in sich selbst, auf dem Wege der inneren Wahrnehmung und Beobachtung, erkannt haben müssen, um beurteilen zu können, was an der sprachlichen Syntaxe logisch, d. h. in Hinsicht auf die Bedeutung begründet, und was Ausfluß ganz anderer Faktoren ist. Es erweist sich also, wie der Psychologe von der Sprache wenn auch nicht ausschließlich, so doch in hervorragendem Maße dadurch lernt, daß sie ihm sehr interessante Aufgaben und Probleme stellt, aber nicht ohne weiteres die Lösung gibt, und daß der Sprachforscher aus der Psychologie Belehrung schöpft, indem sie ihm für sein Objekt von der wichtigsten, nämlich der semantischen Seite das deskriptive und genetische Verständnis erschließen hilft.
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