SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen Manuskriptdienst. Lützen 1632 Archäologie einer Schlacht

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1 SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen Manuskriptdienst Lützen 1632 Archäologie einer Schlacht Hendrik Kirchhof Produktion: Hendrik Kirchhof Redaktion: Martin Gramlich Sendung: Freitag, 16. November 2012, 8.30, SWR2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/ SWR 2 Wissen können Sie ab sofort auch als Live-Stream hören im SWR 2 Webradio unter oder als Podcast nachhören: Manuskripte für E-Book-Reader E-Books, digitale Bücher, sind derzeit voll im Trend. Ab sofort gibt es auch die Manuskripte von SWR2 Wissen als E-Books für mobile Endgeräte im so genannten EPUB-Format. Sie benötigen ein geeignetes Endgerät und eine entsprechende "App" oder Software zum Lesen der Dokumente. Für das iphone oder das ipad gibt es z.b. die kostenlose App "ibooks", für die Android-Plattform den in der Basisversion kostenlosen Moon-Reader. Für Webbrowser wie z.b. Firefox gibt es auch so genannte Addons oder Plugins zum Betrachten von E-Books. Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/ oder swr2.de 1

2 O-Ton Dietmar Hennicke: So. Wir bleiben immer auf der schwedischen Seite vom Schlachtfeld, mit unsern Gebäuden. Über der Straße die kaiserliche Seite gewesen unter diesem Wallenstein und Pappenheim es gibt ja immer einen Gegner Eine Führung durch die Gustav-Adolf-Gedenkstätte in Lützen, Sachsen-Anhalt, rund zwanzig Autominuten südwestlich von Leipzig. Sie ist umgeben von flachem Land, größtenteils Acker, hier und da ein paar Bäume. Irgendwo hier draußen unter der Erde müssen etwa sechs- bis zehntausend Tote liegen, die gefallenen Soldaten der Schlacht bei Lützen. Denn hier verlief die Frontlinie, hier begegneten sich am 16. November 1632, einem nebligen Herbstmorgen, die Heere der Protestanten und der Katholiken, insgesamt rund vierzigtausend Männer. Es war eine der furchtbarsten Schlachten des Dreißigjährigen Krieges. Und noch heute sind Spuren davon zu entdecken. Atmo: Schlacht-Trommeln Sprecher: Lützen 1632 Archäologie einer Schlacht. Eine Sendung von Hendrik Kirchhof. Gedichtausschnitt von Theodor Fontane: Es ist wie Schlacht, die herwärts dringt, Wie Kirchenlied es dazwischen klingt, Ich hör in der Rosse wieherndem Trott: Eine feste Burg ist unser Gott! (Aus Theodor Fontanes Gedicht über die Lützener Schlacht) Wir haben eine sehr lange Schlachtdauer gehabt. Über sechs Stunden hat man gekämpft. Man hat natürlich erst eröffnet vor allen Dingen mit Artillerie, das heißt, hat natürlich auch eine moralische Wirkung, wenn Donner dann über das Schlachtfeld rollt. Maik Reichel ist Historiker, ehemaliger Bürgermeister von Lützen und Leiter des Museums im Schloss Lützen. Dann wird entsprechend angegriffen, meist sind es Reiterattacken. Und wenn man die Pistole verschossen hatte, ging es dann mit dem Degen weiter oder mit dem Messer weiter. Und man stach lieber ein oder zweimal mehr zu, dass der andere tot war und nicht wieder aufstehen konnte, wenn man da weiter nach vorne drang. Das ist tatsächlich auch teilweise ein menschliches Gemetzel gewesen. Also ein harter Kampf, Mann gegen Mann. Musik: Samuel Scheidt Galliarda Battaglia 2

3 Wir schreiben das Jahr 1632, der Dreißigjährige Krieg ist im vierzehnten Jahr. Der protestantische Schwedenkönig Gustav Adolf feiert mit seinem Heer große militärische Erfolge in ganz Deutschland. Sein Gegner ist Albrecht von Wallenstein, Oberbefehlshaber der katholischen Armee des römisch-deutschen Kaisers. Nach der Schlacht bei Nürnberg zieht Wallenstein im Herbst 1632 mit seinem Heer ins protestantische Sachsen, um hier in Feindesland zu überwintern. Mit Mann ist das natürlich eine große Anzahl von Soldaten, die zu versorgen sind, auch der Tross, der fast genauso stark war mit Frauen, Kindern, Händlern, Marketendern, musste versorgt werden, und das wollte Wallenstein in Sachsen tun, in Halle und in Leipzig. Und so hat er dann Ende Oktober, Anfang November 1632 entschieden, sein Heer zu teilen. Wallenstein schickt je einen Teil des Heeres nach Halle und Leipzig. Doch Gustav Adolf ist ihm mit der schwedischen Armee auf den Fersen. Am 16. November 1632 kommt es in Lützen zwischen Halle und Leipzig zur Schlacht. Von den rund Vierzigtausend beteiligten Soldaten sterben etwa sechs- bis zehntausend, darunter auch Gustav Adolf. Einen klaren Sieger gibt es nicht. Wir sprechen dann von eher einem Unentschieden. Wenn man es aber genau nimmt, gab es einen leichten Vorteil für die Schweden, denn Albrecht von Wallenstein zog mit seinem Heer noch am Abend ab. Die Schweden behaupteten damit also das Schlachtfeld, sie übernachteten dort, und damit, ja, leichter Vorteil Schweden. Unabhängig davon ist die historische Bedeutung der Schlacht schon den Zeitgenossen klar. Denn mit Gustav Adolf stirbt in Lützen eine zentrale Figur des Dreißigjährigen Krieges. Die Schlacht ist zwar vergleichsweise gut dokumentiert, es gibt Berichte von Augenzeugen. Doch darin verschmelzen Wahrheit und Legende, meint Maik Reichel. Jede Quelle hat eine gewisse Subjektivität in sich des Schreibenden, und nicht jeder, der seine Augenzeugenberichte hat, hat natürlich das Gesamte erfasst und hat nur seine einzelnen Details aufgeschrieben. Zitator: Zogen also in voller Bataglia nüchtern / ohne niessung einig Speiß oder Trancks / gerade gegen dem Städtlein Lützen zu / da denn zu beyden seiten des Feindes Cavallerie sich praesentiret / biß so lang der General Wallensteiner das Fußvolck neben den Windmühlen... in Bataglie... gebracht hatte... Und ob er sie dann gleich nach der Schlacht aufgeschrieben hat oder erst Monate später, ist ja auch wieder eine andere Sache, deshalb sind wir sehr vorsichtig bei diesen Quellen. 3

4 Historiker Reichel will die alten Berichte deshalb um harte Fakten ergänzen. Im Jahr 2006 setzt er sich als Erster dafür ein, das Schlachtfeld archäologisch zu untersuchen. Die Archäologen finden so viel, dass die auf ein Jahr angelegten Arbeiten am Ende fünf Jahre dauern. Und sie betreten archäologisches Neuland: Denn Erfahrungen mit der systematischen Untersuchung alter Schlachtfelder gibt es in Deutschland bisher kaum. Auch für den leitenden Archäologen André Schürger ist diese Arbeit neu. Also was wir auf dem Schlachtfeld im Grunde genommen machen, ist das, was die Kriminalpolizei auch bei der Untersuchung eines Ortes des Verbrechens machen würde. Nur in einem wesentlich größeren Maßstab und über eine wesentlich längere Zeit. Und das ist eigentlich die Faszination, weil wir Aktionen, Geschehnisse, also das, was direkt passiert ist, das können wir nachweisen auf einem Schlachtfeld. André Schürger gräbt kaum in Lützen, wie Archäologen das sonst tun würden. Dafür ist das Gelände viel zu groß. Außerdem suchen die Experten ja nicht nach altem Mauerwerk, nach verschütteten Fundamenten tief im Boden. Bei einer Schlacht ist es eben so, dass dort wenig Eingriffe im Boden eigentlich stattfinden. Das, was wir eigentlich in der Archäologie, in der herkömmlichen Archäologie, also bei archäologischen Ausgrabungen suchen, das können wir auf dem Schlachtfeld kaum finden. Also herkömmliche Archäologie, die schiebt die Humus-Deckschicht ab, 30 Zentimeter, und im darunter liegenden Bereich sind dann eben die ganzen Strukturen zu erkennen. Und in der Schlachtfeldarchäologie funktioniert das eben nicht. Weil dort 95 Prozent der Funde in dieser Humus-Deckschicht liegen, die ursprünglich von der Archäologie immer gern entfernt wird, und das ist eben ein großes Problem. Auf dem Schlachtfeld in Lützen liegen keine steinernen Zeugen der Vergangenheit. Hier sind neben Knochen nur Fundstücke aus Metall zu erwarten. Deshalb entscheidet André Schürger sich für eine sogenannte Prospektion als ersten Schritt. Dabei läuft der Archäologe das Gelände mit einer Metallsonde ab. Er trägt sie an einer Stange vor sich her und schwenkt sie dabei knapp über der Erde. Liegt in der obersten Schicht ein Stück Metall, gibt die Sonde ein Signal. Und hat dann dort auch ein Display, was mir eben diese Informationen mitteilt, welche Metallarten das jetzt sein können, wie tief die liegen, wie groß die Funde sind, ungefähr welcher Art, ob es Scheiben sind, ob es einfach sehr klobige Funde sind, also das sind so grobe Informationen, die ich da im Vorfeld, wenn ich Erfahrungen habe, schon mal rausfiltern kann. Die Prospektion mit Metallsonden ist ein äußerst mühsames Geschäft. André Schürger 4

5 und seine Mitarbeiter suchen auf diese Weise mehr als einen Quadratkilometer Acker ab, Zentimeter für Zentimeter. Wegen der großen Fläche und weil die Felder parallel bewirtschaftet werden, dauert das Ganze von 2006 bis 2011, insgesamt 4500 Arbeitsstunden. Dabei ist es manchmal schwierig, zu entscheiden, ob ein gefundenes Objekt überhaupt von Interesse ist. Da liegt natürlich alles Mögliche. Es liegen auch andere Funde aus anderen Zeiten, die interessant sind. Aber der weitaus größte Teil der Funde, oder der Metallobjekte auf einem Schlachtfeld, das ist moderner Schrott. Meistens Aluminium, Zink, also das sind hunderttausende, Millionen von Metallobjekten, die auf einem Schlachtfeld liegen und dementsprechend, wenn man das nicht unterscheiden kann, dann auch die Feldbegehung, also die Prospektion, verzögert. Dazu kommt: Die Sonden durchsuchen nur die obersten zehn Zentimeter des Bodens, zudem arbeiten sie nicht fehlerfrei und übersehen einen gewissen Anteil der Kugeln. Trotz dieser Schwierigkeiten finden André Schürger und seine Mitarbeiter insgesamt etwa zwölftausend Objekte. Gut ein Viertel davon stammt aus der Schlacht. Davon sind gut 2700 Bleikugeln von Handfeuerwaffen, also Musketen, Pistolen zum größten Teil. Wir haben einige wenige Stücke von Artilleriemunition, vor allem kleine Granatsplitter und auch kleinere Geschosse. Was wir noch haben, sind Schnallen und vor allem Knöpfe. Gerade Knöpfe, Gürtelschnallen oder Teile von Pferdegeschirr sind zeitlich eher schwer zu bestimmen. Und Mitte des 17. Jahrhunderts hatten Armeen noch keine einheitlichen Uniformen, deshalb lassen sich Kleidungsteile nicht einer Armee oder gar einem Regiment zuordnen. Da kann man eigentlich dann nachher nur noch über Statistik arbeiten, und gerade über die Verteilung. Also sprich, wenn es einen Verteilungsschwerpunkt in einem bestimmten Bereich gibt von einem bestimmten Gegenstand, ich nenne ihn mal Knopf Typ A. Und genau in dem gleichen Bereich sind auch sehr viele Kugeln von einem bestimmten Typ gefunden worden, zum Beispiel Pistolenkugeln. Dann ist es wahrscheinlich, dass die beiden Fundgattungen von ein und derselben Aktion stammen. Zum Beispiel aus einem intensiven Gefecht, an dem Reiter mit ihren Pistolen beteiligt waren. Viele Knöpfe sprechen für einen Kampf Mann gegen Mann, bei dem sich die Soldaten buchstäblich an den Kragen gehen. Um aus den Funden Schlüsse zu ziehen, müssen die Wissenschaftler also deren genaue Verteilung untersuchen. Deshalb kartieren sie jeden einzelnen Fund. Das heißt, sie notieren dazu die zentimetergenauen GPS- Koordinaten, erklärt Maik Reichel: 5

6 Das sieht man vor allen Dingen an den Musketenkugeln, wir haben dort alle Daten vom GPS-Empfänger von allen Musketenkugeln auf eine Karte projiziert, und können damit natürlich feststellen, wo haben wir viele Punkte, wo man merkt: Aha, da wurde sehr hart gekämpft, wo gehen die Punkte auseinander, wo verläuft sich die Schlacht. Und da kann man drei, vier Punkte erkennen, wo wirklich sehr hart gekämpft wurde, wo wir auch Musketenkugeln, also die etwas Größeren, feststellen können, und die etwas Kleineren, die wir der Reiterpistole zuordnen können, der Kavallerie, und können dort Aussagen treffen, wo Infanterie, Kavallerie gekämpft hat, wo wurde hart gekämpft, wo wurde wenig gekämpft, und wo können wir Schlachtsituationen ausschließen. Atmo: Schlachtszenen Gedichtausschnitt Theodor Fontane: "Und kaum gesprochen, da Lärmen und Schrein, In tiefen Geschwadern bricht es herein, Es brausen und dröhnen Luft und Erd, Voraus ein Reiter auf weißem Pferd." Wie aussagekräftig die genauen Fundorte der Munition sind, war auch unter Fachleuten lange umstritten. Schließlich könnten die Bauern mit ihren Pflügen die kleinen Kugeln im Laufe der Jahrhunderte kreuz und quer übers ganze Feld verteilt haben. Doch die Verteilungsmuster von Kugeln auf einem Schlachtfeld ändern sich über die Zeit erstaunlich wenig. Das haben britische Schlachtfeldarchäologen vor einigen Jahren gezeigt. In Experimenten feuerten sie alte Kanonen aus dem 17. Jahrhundert ab, die mit vielen kleinen Kugeln geladen waren, wie bei einer Schrotflinte. Die Verteilung der Munition verglichen sie hinterher mit der Verteilung ähnlicher Kugeln, wie sie sie auf einem alten Schlachtfeld vorgefunden hatten. Die Muster stimmten weitgehend überein. So konnten die Wissenschaftler aus der Streuung ihrer mehr als 300 Jahre alten Funde sogar noch rekonstruieren, wo damals in der Schlacht die Kanone gestanden haben musste. Atmo: Kanonenschüsse In Lützen untersuchen die Wissenschaftler bei jeder einzelnen Kugel, aus welcher Art Waffe sie stammt. Das sehen sie entweder am Kaliber oder am Gewicht. Also meistens am Kaliber. Das Gewicht ist im Prinzip nur ein Hilfsmittel dafür, wenn ich das Kaliber nicht messen kann, wenn die Kugeln deformiert sind, weil sie irgendwo eingeschlagen sind. Das Ganze ist eben aber auch nicht ganz so einfach, weil die eben nicht genau genormt waren. Das heißt, die Kugeln sind nicht auf einen Zehntelmillimeter exakt genau. Genauso wenig wie übrigens die Läufe der Waffen auf einen Zehntelmillimeter genau waren. Dadurch gibt s eben eine ganze Menge Überschneidungen bei den Kalibern der unterschiedlichen Waffen. Dadurch wird es eben 6

7 schwierig, das Ganze zu interpretieren, aber es ist möglich. Die Muskete, eine Art Schießgewehr, war die Waffe der Infanterie, also der Fußtruppen. Die Reiter der Kavallerie nutzten die viel handlicheren Pistolen. Diese Unterscheidungen können die Experten anhand der Kugeln relativ einfach treffen. Schwieriger ist es, anzugeben, von welcher Seite eine bestimmte Kugel stammt. Denn damals waren die Armeen noch nicht einheitlich bewaffnet. In einige der Kugeln sind Kreuze geritzt, das spricht dafür, dass sie von der kaiserlichen, katholischen Armee stammen. In der Regel aber lässt sich Munition nicht mehr einem Heer zuordnen. Es gibt allerdings einige Ausnahmen. Zum Beispiel haben die kaiserlichen Reiter zum großen Teil Pistolen gehabt mit einem sehr kleinen Kaliber. Dadurch kann man dann sagen, o.k., diese Pistolen, also diese Kugeln stammen zum größten Teil von kaiserlichen Reitern. Und wir haben auch eine Muskete identifiziert, die ausschließlich von Schweden verwendet wurde. Und das ergibt dann wieder Rückschlüsse, wo entsprechend eine Seite gekämpft hat, beziehungsweise geschossen hat. Vor allem zur Bewaffnung der schwedischen Soldaten haben die Funde aus Lützen neue Erkenntnisse gebracht. Und zwar ist es so, dass Historiker bisher vermutet haben, dass die schwedische Armee deshalb so erfolgreich war, weil sie besonders leichte Musketen eingesetzt haben, die man ohne Stützgabel verwenden konnte. Wir haben die Munition von dieser Muskete auch tatsächlich gefunden, aber herausgefunden, dass die schwedische Armee über maximal zehn Prozent von diesen leichten Musketen verfügte. Atmo: Musketenschüsse Die damaligen Handfeuerwaffen waren bei Weitem nicht so leistungsfähig wie heutige. Die Bleikugeln dafür haben sich die Soldaten zum Teil direkt vor der Schlacht selbst gegossen. Eine Muskete neu zu laden, dauerte mindestens eine Minute, im Eifer des Gefechts wohl eher länger, häufig waren sie verstopft oder funktionierten gar nicht. Um mit einer Muskete einen Gegner zu treffen, musste der Schütze dicht an ihn herankommen, sagt Historiker Maik Reichel. Die Muskete reicht etwa 80 bis 100 Meter. Dann verliert die Musketenkugel ihre kinetische Energie, wird natürlich langsamer und schlägt dann teilweise sehr weich auf und konnte natürlich nach über 100 Metern vielleicht einem Soldaten eher einen blauen Fleck verursachen als ihn dann auch töten. Wir haben auch eine Kugel gefunden, an der man noch das Gewebe erkennen kann, also ist hart aufgetroffen bei dem Soldaten, er hat einen blauen Fleck gehabt, schmerzte wahrscheinlich, aber er ist dadurch nicht umgekommen. 7

8 Und wir haben das Gewebe seiner Kleidung auf dieser Kugel noch vorhanden. Auch bei den Kanonenkugeln ist die Vorstellung übertrieben, dass sie tausend Meter und weiter flogen realistisch sind wenige hundert Meter. Zudem wurde jede Kanone im Verlauf der Schlacht höchstens ein paar Mal abgefeuert. Nach jedem Schuss musste sie erst lange abkühlen, bevor man sie wieder laden konnte. Trotzdem haben die etwa 80 schweren Geschütze in Lützen sicherlich Angst und Schrecken verbreitet. Reichel: Wenn man natürlich eine solche Kanonenkugel dann in eine Reihe von Soldaten hineindrückt, dann wird nicht nur einer zu Boden gerissen. Der Erste, den es erwischt, der sieht sicherlich sehr fürchterlich aus. Aber viele liegen dann am Boden, sind schwer verletzt, die Beine abgerissen vielleicht oder Leiber aufgerissen, das ist natürlich für den Kameraden, der links oder rechts daneben steht, sicherlich kein guter Anblick. Und hat Auswirkung auf die eigene Moral. Und darauf kam es ja vor allen Dingen auch an, teilweise zu demoralisieren, wenn man den sterbenden Kameraden neben sich sieht, das menschliche Leid zu sehen, das ist schon eine Komponente, über die wir uns vielleicht teilweise gar nicht so klar werden bei so einer Schlacht. Musik: Schlacht-Trommeln Gedichtausschnitt Theodor Fontane: "Signale, Schüsse, Rossegestampf, Der Nebel wird schwarz wie Pulverdampf, Wie wilde Jagd so fliegt es vorbei; Zitternd ducken sich die Zwei." Die psychische Belastung durch eine Schlacht war damals wie heute gewaltig. Auf dem Schlachtfeld in Lützen fanden sich einige Hinweise darauf, wie die Söldner damit umgingen: Zwischen all der Munition und den Kleidungsresten lagen auch einige kleine Zapfhähne, die sich zeitlich der Schlacht zuordnen ließen. Von der Größe her passen sie perfekt zu Schnaps- oder Branntweinfässern. Also es wurde natürlich getrunken. Warum wurde getrunken? Einfach aus Gründen, aus medizinischen vielleicht. Es wurde getrunken, um vielleicht ungehemmter in so eine Schlacht zu kommen, wie gehe ich insgesamt mit Angst um, da ist Alkohol sicherlich auch ein wichtiger Begleiter. Auch Münzen und Schüsselgewichte fanden sich noch auf dem Schlachtfeld. Denn vor und nach der Schlacht haben die Söldner dort biwakiert, gekocht und gehandelt, etwa mit Lebensmitteln, Alkohol oder Kleidung. 8

9 Denn Sie müssen sich vorstellen, dass dort ja eine kleine Stadt oder eine große Stadt herumzog, mit allem, was man brauchte, um sich selbst zu versorgen, man ging nicht irgendwo mal schnell einkaufen, sondern man hat alles im Tross mitgeführt. Wenn die Waffe gereinigt werden musste, wenn etwas repariert werden musste, der Schmied zog mit. Alles was mit Holz zu tun hatte, brauchte ich also Leute, die auch mit Holz arbeiteten. Ich brauchte jemanden, bei dem ich einkaufen konnte, Essen und Trinken. Man hat nicht unbedingt alles immer nur gestohlen, geraubt, geplündert. Sondern man konnte es sich auch innerhalb des Trosses legal erwerben. Gerade über das Alltagsleben der Söldner im Dreißigjährigen Krieg ist bisher vergleichsweise wenig bekannt. Was waren das für Menschen, woher kamen sie, wie alt waren sie? Mit modernen wissenschaftlichen Methoden lässt sich das zum Teil herausfinden anhand von sterblichen Überresten. Deshalb suchten die Wissenschaftler in Lützen bald nicht mehr nur nach Metallobjekten, sondern auch danach, was von den gefallenen Soldaten noch übrig ist. Die alten Aufzeichnungen sprechen von bis zu zehntausend Toten. Aber wer hat diese vielen Leichen begraben? Ihre Kameraden? Die Bewohner der kleinen Stadt Lützen? Und wo waren die Gräber? Die Suche danach blieb lange erfolglos, erzählt Archäologe André Schürger. Bei der Prospektion des Geländes gab es zumindest keine Hinweise. Wir haben natürlich auch andere Methoden verwendet, wie Luftbildarchäologie zum Beispiel. Da war überhaupt nichts drauf zu erkennen. Wir haben geophysikalische Untersuchungen gemacht, Geomagnetik und Bodenradar. Es hatte auch kein Ergebnis erzielt. Den entscheidenden Hinweis gibt schließlich eine zeitgenössische Quelle: Im Archiv findet sich ein Vermerk zu den Aufräumarbeiten nach der Schlacht. Demnach halfen 200 Soldaten aus dem Nachbarort Weißenfels, die Toten zu begraben und zwar entlang der alten Handelsstraße nach Weißenfels und Leipzig. Und wir haben einen Zeitungsartikel aus dem Jahre 1901, aus dem Lützener Tageblatt, wo drinsteht: Vor zehn Jahren hat man ein Massengrab gefunden, wahrscheinlich der Lützener Schlacht, beim Bau der alten Fenchelfabrik, die wir lokalisieren können. Und so hatten wir dann die zweite Koordinate und haben dort einfach einen Parallelschnitt, einen Suchschnitt gemacht entlang der Straße... und haben dann tatsächlich, trotz allem mit sehr viel Glück, ein Massengrab gefunden. Wir haben nämlich nur eine kleine Ecke von etwa fünfzig Zentimetern angeschnitten. Also es ist sehr schwierig, Massengräber einfach so zu finden. Um das Massengrab in Ruhe freilegen zu können, entschieden sich die Experten für eine so genannte Blockbergung. Das heißt, sie hoben das gesamte Grab mit der umliegenden 9

10 Erde als einen großen Block heraus und transportierten es ab, ins 30 Kilometer entfernte Halle (Saale). Dort liegt der Block jetzt in einem großen, klimatisierten Labor des Landesamts für Denkmalpflege, eingeklemmt in ein Gerüst aus Stahl und Holz, sechs Meter breit, sieben Meter lang, 55 Tonnen schwer. Über eine Leiter gelangt man auf das etwa zwei Meter hohe Gerüst um den Block und blickt auf das offene Massengrab. Darin liegen rund 45 gut erhaltene Skelette, die meisten gerade nebeneinander, der Rest kreuz und quer darüber. Dazwischen kniet ein Mitarbeiter des Landesamtes und befreit Knochen für Knochen vom Lehm mit Werkzeug, das man eigentlich vom Hals-Nasen-Ohren-Arzt kennt. O-Ton Heiko Heilmann: Also Sie sehen ja hier, dass wir die einzelnen Individuen sehr vorsichtig freilegen. Das ist nicht nur so, dass man jetzt sagt, wir gehen da jetzt mit scharfem Werkzeug ran. Sondern hier kommt tatsächlich Zungenspatel ja, die sind so ein bisschen angeschliffen, zum Einsatz. Das hat was damit zu tun, das ist ein weiches Material. Und dann bricht eher das als der Knochen. Heiko Heilmann ist Grabungstechniker. Er koordiniert die verschiedenen Untersuchungen an den Skeletten. Das ist beileibe nicht sein erstes archäologisches Projekt, aber eine Blockbergung dieser Größenordnung hat er noch nicht erlebt. O-Ton Heiko Heilmann: Jeder aus unserem Beruf, sag ich mal, hat sicherlich schon mal Skelette freigelegt. Aber in dieser Vielzahl, das ist schon ungewöhnlich. Also es handelt sich ja hier um ein Massengrab, in mindestens zwei Reihen, die sind damals mit dem Kopf immer nach außen gelegt worden, mit den Füßen nach innen, und der Rest, na ja ich will mal nicht sagen reingeworfen, aber letztendlich ist es wahrscheinlich tatsächlich so. Und es kommt tatsächlich auch vor, dass wir hier uns manchmal so ein bisschen bildlich vorstellen, was da tatsächlich passiert sein mag, ja. Atmo: Schlacht Gedichtausschnitt Theodor Fontane: "Nun ist es vorüber da wieder mit Macht Rückwärts wogt die Reiterschlacht, Und wieder dröhnt und donnert die Erd Und wieder voraus das weiße Pferd." Die Anthropologin Nicole Nicklisch kommt regelmäßig aus Mainz nach Halle. Sie möchte mehr herausfinden über die Toten über ihr Alter, ihr Geschlecht oder ihre Todesursache. Bisher, meint sie, hat sie nur Männer gefunden alles andere hätte sie auch überrascht. O-Ton Nicole Nicklisch: Also wir haben ein paar relativ grazile junge Männer dabei, also es ist auch einfach noch zum Teil, weil die aufgrund der Jugendlichkeit, die sind ja noch nicht komplett 10

11 ausgewachsen. Die Altersspanne reicht von 15 bis 40 Jahre. Wobei der Großteil ist so um die 20 Jahre. Nach der Altersbestimmung untersucht Nicole Nicklisch die Skelette auf Schäden. Fehlen ihnen Gliedmaßen? Erkennt sie Verletzungen? O-Ton Nicole Nicklisch: Um welche Verletzungen handelt es sich, lassen sich Verletzungsmuster ablesen, wurden bestimmte Waffen besonders eingesetzt. Finden wir vielleicht extrem viele Schussverletzungen, oder sind es eher Hiebverletzungen oder solche Sachen. Vielen der etwa 45 Skelette meint man noch das Grauen der Schlacht anzusehen. Manche starren den Betrachter mit weit aufgerissenen Kiefern an, alle Viere von sich gestreckt. Hier und da sind Knochen beim Ausgraben unter der Baggerschaufel geborsten Nicole Nicklisch kann solche Schäden aber klar von Kriegsverletzungen unterscheiden. O-Ton Nicole Nicklisch: Wir haben hier einen Schädel, der massiv zertrümmert ist, aber trotzdem haben wir einen Bereich, wo man genau sieht, dass da eine Austrittswunde ist von einem Schuss. Also man kann das dann schon unterscheiden, man muss ein bisschen ein geübtes Auge haben. Hier vorne zum Beispiel an Individuum 9, eine Hiebverletzung im Hinterkopf. Oder auch hier, der Mann, der daneben liegt, der hat eine Schussverletzung im Schädel. Also wir haben einiges an Schuss- und Hiebverletzungen. Erstaunlich ist, dass Nicole Nicklisch bislang nur wenig Munition im Grab gefunden hat. Gerade mal sechs Kugeln. Deshalb sollen die Skelette später eventuell noch geröntgt werden, um Kugeln in den Knochen aufzuspüren. O-Ton Nicole Nicklisch: Also wir haben eine, die steckt im Becken von einem. Also der ist aber von hinten getroffen worden. Schuss in das Hinterteil. Ich hab aber auch schon Kugeln im Brustbereich, zwischen den Wirbeln gefunden, oder wir haben auch da drüben einen Toten, der hat eine Kugel in der Mundhöhle. Wenn die Kugel derart in den Schädel eingedrungen ist, dann war das auch tödlich. Viele der Söldner müssen schon vor der Schlacht in einem schlechten Gesundheitszustand gewesen sein, vielleicht wurden sie bei früheren Kämpfen verwundet. Einige hatten zum Beispiel verheilte Arm- und Beinbrüche. O-Ton Nicole Nicklisch: Wenn man eine Fraktur hatte oder einen Knochenbruch, das hat die Männer nicht davon abgehalten, erneut in die Schlacht zu ziehen. Die waren sicherlich beeinträchtigt. Also der eine, da ist auch deutlich der Oberschenkel verkürzt, durch die Fraktur, und also der hat sicherlich massiv gehinkt. 11

12 Nicole Nicklisch hat an einigen Skeletten auch Hinweise gefunden, die für eine Infektion mit Syphilis sprechen. Möglicherweise eine Folge des harten und unsteten Söldnerlebens im Dreißigjährigen Krieg. Dagegen sind die Zahnschmerzen, die viele der Männer plagten, eine Kleinigkeit. O-Ton Nicole Nicklisch: Ein Drittel der Männer weist kariöse Zähne auf. Wenn man dazu noch die Zahnverluste hinzuzählt, dann kommt man auf circa 60 Prozent, die Probleme mit ihren Zähnen hatten. Einige weisen auch Hinweise auf Infektionskrankheiten hin. Wir haben einen Soldaten, der hat eine Infektion im Unterarm, und auch noch in den Unterschenkeln. So ist der schon mal in den Krieg gezogen, also da war er schon deutlich beeinträchtigt. Also so, wie das ausgesehen hat, war auch eitrig, dann war das sehr schmerzhaft. Weitere komplizierte biochemische Untersuchungen stehen noch aus: Anhand von Zahnund Rippenproben können Experten zum Beispiel erkennen, wie gut sich die Söldner ernährt haben. Mit so genannten Strontium-Analysen lässt sich vielleicht sogar noch etwas über ihre Herkunft sagen. Die Koalitionen im Dreißigjährigen Krieg reichten weit über Ländergrenzen hinweg. Die Kämpfer können aus ganz Europa stammen, von Kroatien bis nach Schottland oder Skandinavien. Strontium kommt in der Natur unterschiedlich häufig vor und gelangt über die Nahrung in den Körper. Je nachdem, wo ein Soldat aufgewachsen ist, findet sich noch heute mehr oder weniger Strontium in seinem Zahnschmelz. Musik Bislang haben die Archäologen erst etwa ein Drittel des Schlachtfeldes von Lützen untersucht. Ob das Projekt fortgesetzt wird, ist offen. Unabhängig davon werden weiterhin tausende schwedische Touristen Jahr für Jahr zur Gedenkstätte pilgern. Sie möchten den Ort sehen, an dem Schwedenkönig Gustav Adolf an einem nebligen Novembermorgen 1632 tot vom Pferd fiel, getroffen von mehreren Kugeln. Gedichtausschnitt Theodor Fontane: "Wie ein Lichtstreif durch den Nebel es blitzt, Kein Reiter mehr im Sattel sitzt, Das fliehende Thier es dampft und raucht, Sein Weiß ist tief in Roth getaucht. Der Sattel blutig, blutig die Mähn, Ganz Schweden hat das Roß gesehn; Auf dem Felde von Lützen am selben Tag Gustav Adolf in seinem Blute lag." Doch vielleicht tritt der Mythos in Zukunft ein wenig in den Hintergrund: Die jüngsten 12

13 Untersuchungen rücken endlich die vielen tausend einfachen Soldaten ins Blickfeld, die hier gefallen sind, resümiert Historiker Maik Reichel. An die denkt ja sonst so keiner. Und das wollen wir also auch mit diesem Massengrab und mit den Funden von der Schlacht wieder nachholen und nämlich den Menschen auch zeigen, wie schlimm es damals gewesen ist, im Krieg. ****** 13