Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren
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- Joachim Fleischer
- vor 7 Jahren
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1 Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren Leistungsvoraussetzungen und Qualitätsstandards des Jugendhilferechts für die sozialpädagogische Betreuung straffällig gewordener junger Menschen Rieneck, Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A. sozwiss./sozpäd.; Mediator (S.C.Qld.)
2 Weiterentwicklung in der Jugendhilfe Veränderungen durch das KICK Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren : Schutzauftrag - Steuerungsverantwortung - Junge Volljährige Rieneck, Prof. Dr.iur. Thomas Trenczek, M.A. sozwiss./sozpäd.; Mediator (S.C.Qld.)
3 Weiterentwicklung der Jugendhilfe durch das KICK Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren : Schutzauftrag Steuerungsverantwortung Junge Volljährige
4 Weiterentwicklung der Jugendhilfe durch das KICK Fazit vorweg: Das KICK 2005 hat im Hinblick auf die Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren keine substantiellen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage gebracht. Wer das SGB VIII schon bisher richtig las und verstand ggf. unter zur Hilfenahme der richtigen Literatur (vgl. u.a. Frankfurter Kommentar 4. Aufl ;-) für den ergibt sich nichts wesentlich Neues oder ist die Aufgeregtheit der aktuellen Situation nur mir der mangelnden Information oder sogar Ignoranz der Praxis vor dem Recht zu erklären.
5 Zur Kooperation von Jugendhilfe und Strafjustiz Die sog. Neue Ambulante Maßnahmen (NAM) stehen als jugendstrafrechtliche Maßnahmen nur auf dem Papier. Ungeachtet der Möglichkeit, sie durch eine justizielle Entscheidung dem Jugendlichen aufzuerlegen, stehen für deren unmittelbare Vollstreckung keine Träger und Einrichtungen (der öffentlichen Jugendhilfe) zur Verfügung. Der Gesetzgeber hat mit dem SGB VIII und dem JGG Regelungen geschaffen, die eine geradezu optimale Kooperation zwischen Justiz und Jugendhilfe ermöglichen. Dies setzt freilich ein Umdenken auf beiden Seiten voraus. Die Justiz muss im Hinblick auf den sog. Erziehungsgedanken lernen loszulassen. Das KICK 2005 hat insoweit keine substantiellen Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage gebracht. Insbesondere entspricht die in 36a Abs. 1 SGB VIII hervorgehobene Steuerungsverantwortung des Jugendamtes der schon bisher geltenden korrekten Vorgehensweise (vgl. Frankfurter Kommentar 2003, 52 )
6 Ende der Maßnahmenphilosophie Die NAM (soziale Gruppenarbeit, Betreuungshilfe und betreute Arbeitsprojekte) werden als Leistungen der Jugendhilfe erbracht. Die öffentlichen Träger sind aufgrund des sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalts ( 31 SGB-I) zur Finanzierung und Durchführung der NAM nur berechtigt und verpflichtet, wenn sich dies aus dem SGB VIII ergibt. Das Jugendhilferecht erfordert ein Ende der Maßnahmephilosophie. Die Jugendhilfe orientiert sich am Kindeswohl. Das (Jugend)Strafrecht bezweckt die Verhinderung von Straftaten.
7 Kindeswohl Aus der Sicht der (Straf)Justiz bereitet der Begriff Kindeswohl Schwierigkeiten, weil er für die praktische Handhabung nur schwer zu operationalisieren ist. Der Begriff wird zumeist negativ im Hinblick auf die Kindeswohlgefährdung ( 1666 BGB) abgegrenzt. Das Begehen einer Straftat durch einen Jugendlichen stellt noch keine derartige Kindeswohlgefährdung dar. Ungeachtet des gleichen Ausgangspunktes bestehen zwischen der zivilrechtlichen und sozialrechtlichen Auslegung des Kindeswohlbegriffs, insb. im Hinblick auf die Geeignet- und Erforderlichkeit von Interventionen, Unterschiede.
8 Unterschiedliche Perspektiven Auch wenn beide Institutionen, Gericht und JA, sich mit Fragen der Personensorge und des Kindeswohls befassen, sind ihre Ziele, Aufgaben und Funktionen nicht identisch. Der Systemzweck der Jugendhilfe (Verwirklichung und Förderung des Wohles des jungen Menschen) wird dem Systemzweck der Justiz (Rechts- und Verfahrensschutz) nicht untergeordnet. Die Jugendhilfe hat es mit ganzheitlichen Biographien und dynamischen Familiensystemen zu tun, Justiz mit Rechtsbeziehungen und punktuellen Ereignissen. Nicht die rechtliche Entscheidung als solche führt zu einer Veränderung der Situation von Kindern, Jugendlichen und ihrer Familien, sondern die mit ihnen gemeinsam erarbeiteten Veränderungsprozesse.
9 Unterschiedliche Perspektiven Die Jugendgerichte entscheiden aus Anlass zurückliegender Geschehnisse. Das JA hat die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten der Kinder und Jugendlichen sowie ihrer Familien und damit die möglichen Unterstützungsleistungen im Auge (zu behalten). Das Denken und Handeln der Jugendhilfe ist prozesshaft und rekonstruktiv. Es geht ihr nicht um Wahrheitsfindung oder das Treffen einer möglichst objektiven, richtigen Entscheidung, sondern darum, die ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen und Methoden zur Förderung und Herstellung des Kindeswohl zu nutzen. Es geht im Rahmen der Jugendhilfe vorrangig nicht um eine richtige, sondern um ein einvernehmliche Konfliktklärung und Entscheidungsfindung.
10 Ziele und Erfolgskriterien der NAM Die Jugendhilfe muss das Wohl des Jugendlichen stets im Hinblick auf die in 1 SGB VIII formulierten Ziele bestimmen (insb. Abs. 1 u. 3 SGB VIII). Die Ziele der NAM liegen deshalb nicht in der (formalen) Legalbewährung, sondern in dem Abbau und der Vermeidung von benachteiligenden Lebenslagen und der sozialen Integration von gefährdeten und straffällig gewordenen jungen Menschen, der Erhöhung ihrer Konfliktlösungs- und sozialen Handlungskompetenz und die Förderung der Diversion und Vermeidung von Freiheitsentzug (als besonders intensive Form der Ausgrenzung und Benachteiligung).
11 Leistungsvoraussetzungen der NAM Jugendhilfeleistungen nach 27 setzen einen erheblichen Hilfe- und Betreuungsbedarf der jungen Menschen voraus. Entsprechendes gilt für die Angebote nach 13. Aus jugendhilferechtlicher Sicht bleiben deshalb hier alle Personen außer Betracht, die nicht über den ubiquitären Bereich der bagatell- oder jugendtypischen, episodenhaften Kriminalität auffällig werden. Zielgruppe der NAM sind ausschließlich junge Menschen, deren gesellschaftliche Integration (z.b. aufgrund ihrer mangelnden sozialen Handlungskompetenzen) gefährdet oder verloren gegangen ist. Es geht mithin im Rahmen der NAM um die mehrfach benachteiligten, mehrfach belasteten und mehrfach auffälligen jungen Menschen.
12 Leistungsarten Als sozialpädagogische Leistungen kommen grds. alle Erziehungshilfen des SGB VIII in Betracht, insb. Sozialpädagogische Gruppenarbeit ( 29) Betreuungshilfe ( 30) Betreute Wohnformen ( 34) andere maßgeschneiderte Formen pädagogischer Betreuung ( 27 Abs. 2).
13 Arbeitsleistungen Die administrative (vollstreckungsähnliche) Vermittlung von Arbeitsmaßnahmen fällt nicht in den Aufgabenbereich der JÄ. Soweit die Arbeitssanktionen tatorientiert-taxativ und schuldausgleichend auferlegt werden (ob als Auflage nach 15 Abs. 1 Nr. 3 JGG oder weiterhin im Gewande einer Weisung nach 10 Abs. 1 Nr. 4 JGG), fehlt ihnen der für die Jugendhilfe relevante (leistungsauslösende) erzieherische Gehalt. Die Teilnahme an sozialpädagogisch betreuten Arbeits- und Beschäftigungsprojekten kann im Einzelfall, als Leistung der Jugendhilfe bewilligt werden.
14 Täter-Opfer-Ausgleich Der Täter-Opfer-Ausgleich ist konzeptionell keine zugunsten des Jugendlichen vorgenommene, erzieherische Intervention, sondern in Anlehnung an den Mediationsgedanken ein allparteiliches Verfahren zur einvernehmlichen Konfliktregelung. Der TOA kann nur im Einzelfall aufgrund einer entsprechenden Hilfeplanung als atypische Leistung nach 27 Abs. 2 SGB VIII anerkannt werden. Möglich wären hier auch Vereinbarungen über die unmittelbare Inanspruchnahme niedrig-schwelliger Interventionen ( 36a SGB VIII).
15 Justizielle Weisungen/Auflagen Die nur auf einer richterlichen Weisung (ohne vorherige Feststellung des erzieherischen Bedarfs sowie der Geeignet- und Erforderlichkeit der Leistung durch das Jugendamt) beruhende Durchführung von NAM ist aus Sicht der öffentlichen Jugendhilfe unzulässig. Eine jugendstrafrechtliche Weisung des Jugendrichters nach 10 JGG begründet (noch) keine sozialrechtliche Leistungs- und/oder Kostentragungspflicht der Jugendhilfe nach 13, 27, 85 ff. SGB VIII. Es besteht keine Möglichkeit der Strafjustiz, die Jugendhilfe zur Durchführung sozialpädagogischer Leistungen bzw. Maßnahmen anzuweisen. Davon unberührt bleibt die Entscheidung der Strafjustiz, gegenüber dem Jugendlichen oder Heranwachsenden jugendstrafrechtliche Sanktionen anzuordnen. Liegen aber die Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII nicht vor, gehen die - eine Vollstreckung durch die Jugendhilfe voraussetzenden - Entscheidungen der Strafjustiz ins Leere.
16 Steuerungsverantwortung des JA Mit dem KICK 2005 wurde die schon bislang bestehende - Kostenund Steuerungsverantwortung des JA in 36a Abs. 1 ausdrücklich auch mit Verweis auf das Jugendgericht hervorgehoben. Die Jugendhilfe hat nach 52 Abs. 2 SGB VIII ihre Leistungspflicht frühzeitig zu prüfen, um eine informelle Erledigung des Strafverfahrens (Diversion) zu fördern. Besteht kein erkennbarer sozialpädagogischer Handlungsbedarf (insb. kein erzieherischer Bedarf nach 27 bzw. kein erhöhter Bedarf an Unterstützungsleistungen i.s.d. 13) oder verspricht die Hilfe keinen Erfolg, dürfen im Strafverfahren durch die JGH keine Angebote der öffentlichen Jugendhilfe vorschlagen oder durchgeführt werden. Die JGH hat innerhalb des JA kein Privileg zur Entscheidung über die Gewährung von Jugendhilfeleistungen. Eine fachgerechte Hilfeplanung unter Mitwirkung der Betroffenen und ggf. mehrerer Fachkräfte (vgl. 5, 8, 9, 36, 36a Abs. 1 SGB VIII) muss deshalb selbstverständlich sein und eine JGH-Stellungnahme hierauf basieren.
17 Jugendkriminalrechtliches Dreiecksverhältnis Kooperation Jugendgericht 10, 15 JGG gegenüber dem Jugendlichen 1666, 1666a BGB gegenüber den Eltern Jugendliche Jugendamt Personensorgeberechtigte 27 SGB VIII
18 Freie Träger Freie Träger können im Rahmen der NAM autonom tätig werden ( 3 Abs. 1 SGB VIII). Dies wird ungeachtet der konzeptionellen Entscheidung wirtschaftlich davon abhängen, ob sie die hierfür nötigen finanziellen Ressourcen haben oder von der Justiz für ihre Leistungen angemessen bezahlt werden. Eine Refinanzierung durch Mittel der öffentlichen Jugendhilfe ist nur zulässig, wenn die (materiellen und formellen) Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII erfüllt sind ( 31 SGB I). Vereinbarungen über die unmittelbare Inanspruchnahme von ambulante Hilfen müssen sich auf niedrigschwellige Leistungen (z.b. TOA) beschränken ( 36a Abs. 2 SGB VIII).
19 Tendenz zur Leistungsverweigerung Interne Weisungen, keine Leistungen insb. bei mehrfach straffälligen Jugendlichen oder jungen Volljährigen zu initiieren. Verwaltungstechnische Tricks und Schwellen Bestehen auf einer formalen Antragstellung der Eltern; Anweisung, dass JGH-Mitarbeiter, keine HzE initiieren dürfen; langwierige Entscheidungsfindung, so dass sich das Problem bei weiteren Krisen und Straftaten aufgrund von Inhaftierung von selbst erledigt. Eine solche offen rechtswidrige Praxis kann durch eine enge Kooperation der Fachkräfte der Jugendhilfe und der Justiz begegnet werden.
20 Literatur Trenczek, T.: Rechtliche Grundlagen der Neuen Ambulanten Maßnahmen und sozialpädagogischen Hilfeangebote für straffällige Jugendliche in: BAG (Hrsg.) Neue Ambulante Maßnahmen Grundlagen, Hintergründe, Praxis; Bonn-Forum Verlag 2000, S Trenczek, T.: Fachliche Verantwortung und gemeinsames Handeln. Institutionenübergreifende Kommunikation und Verfahrensoptimierung nach Jugendstraftaten; Forum Jugendhilfe 2/2001, S Trenczek, T.: Die Mitwirkung der Jugendhilfe im Strafverfahren. Konzeption und Praxis der Jugendgerichtshilfe; BeltzVotum, Münster Trenczek, T.: Ende der Ambulanten Maßnahmen? Qualitätsstandards in den Neuen Ambulanten Maßnahmen Qualitätsstandards des Jugendhilferechts für die sozialpädagogische Betreuung junger Straffälliger; Jugendamt 3/2004, S Münder, J. /Trenczek. T. u.a.: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII; Juventa, 5. Aufl. 2006; insb. 27, Vor 50, 52.
21 Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
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