Strafrecht Allgemeiner Teil II
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- Eike Möller
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1 Strafrecht Allgemeiner Teil II 10 Prozessvoraussetzungen (Strafantrag und Verjährung) Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi, LL.M., RA Vgl. DONATSCH/TAG, Strafrecht I, S. 419 ff., 431 ff.
2 Antragsdelikte Offizialmaxime: Behörden verfolgen Straftaten von Amtes wegen (Art. 7 Abs. 1 StPO) Ausnahme Antragsdelikte: Verfolgung nur auf Antrag der berechtigten Person Arten von Antragsdelikten absolute Antragsdelikte: Straftat wird nur auf Antrag verfolgt (Bsp. Art. 177 Abs. 1 StGB) relative Antragsdelikte: Straftat wird grundsätzlich von Amtes wegen verfolgt, bei bestimmten Täter-Opfer-Konstellationen aber nur auf Antrag (Bsp. Art. 139 Ziff. 4 StGB) Art. 177 Abs. 1 StGB Beschimpfung: Wer jemanden in anderer Weise durch Wort, Schrift, Bild, Gebärde oder Tätlichkeiten in seiner Ehre angreift, wird, auf Antrag, mit Geldstrafe bis zu 90 Tagessätzen bestraft. Art. 139 StGB Diebstahl: 1. Wer jemandem eine fremde bewegliche Sache zur Aneignung wegnimmt, um sich oder einen andern damit unrechtmässig zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. [A] 4. Der Diebstahl zum Nachteil eines Angehörigen oder Familiengenossen wird nur auf Antrag verfolgt. FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 314
3 Strafantrag, Art StGB Strafantrag= Wissenserklärung PLUS Willenserklärung, dass Strafverfolgung wegen der mutmasslichen Begehung einer Straftat gegen einen mutmasslichen Täter gewünscht wird. Antragsberechtigung und Fristwahrung erforderlich Prozessvoraussetzung (h.m.), seit Inkrafttreten der eidg. StPO aus Art. 303 StPO ersichtlich Strafanzeige: blosse Wissenserklärung gegenüber zuständiger Behörde, dass mutmasslich eine bestimmte Straftat begangen worden sei; jedermann kann jederzeit eine Strafanzeige erstatten, Art. 301 Abs. 1 StPO FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 315
4 Antragsberechtigung Art. 30 Abs. 1 StGB: Ist eine Tat nur auf Antrag strafbar, so kann jede Person, die durch sie verletzt worden ist, die Bestrafung des Täters beantragen. Antragsberechtigt ist gemäss Art. 30 Abs. 1 StGB in erster Linie der Verletzte, also bei der Verletzung von Individualrechtsgütern der Rechtsgutsträger, der im Wege der Auslegung des betreffenden Tatbestandes zu ermitteln ist bei Straftaten, in denen es nicht um höchstpersönliche Rechtsgüter geht, zusätzlich noch sonstige Personen, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Erhaltung des Rechtguts haben (z.b. neben dem Eigentümer der Mieter oder sonstige Gebrauchsberechtigte einer gestohlenen/zerstörten Sache). FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 316
5 Antragsberechtigung Art. 30 Abs. 2 4 StGB: 2 Ist die verletzte Person handlungsunfähig, so ist ihr gesetzlicher Vertreterzum Antrag berechtigt. Steht sie unter Vormundschaft oder unter umfassender Beistandschaft, so steht das Antragsrecht auch der Erwachsenenschutzbehörde zu. 3 Ist die verletzte Person minderjährig oder steht sie unter umfassender Beistandschaft, so ist auch siezum Antrag berechtigt, wenn sie urteilsfähig ist. 4 Stirbt die verletzte Person, ohne dass sie den Strafantrag gestellt oder auf den Strafantrag ausdrücklich verzichtet hat, so steht das Antragsrecht jedem Angehörigenzu. Subsidiär antragsberechtigt sind: der gesetzliche Vertreter eines handlungsunfähigen Verletzten (Art. 30 Art. 2 StGB) die Erwachsenenschutzbehörde bei einem unter Vormundschaft oder umfassender Beistandschaft stehenden Verletzten (Art. 30 Abs. 2 StGB; beachte aber konkurrierendes Antragsrecht nach Abs. 3 bei Urteilsfähigkeit) Angehörige (vgl. Art. 110 Abs. 1 StGB) eines verstorbenen Verletzten (Art. 30 Abs. 4 StGB; beachte aber auch Endgültigkeit eines Verzichts nach Art. 30 Abs. 5). FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 317
6 Voraussetzungen für einen wirksamen Strafantrag: «Jemand hat mir am in der Kanzlei in Zürich eine Bierflasche auf den Kopf geschlagen. Der muss hinter Gitter!» Der Antragsberechtigte muss entweder selbst oder durch einen bevollmächtigten Stellvertreter eine Erklärung abgeben, in welcher deutlich der Wille zum Ausdruck kommt, es solle wegen eines bestimmten Sachverhalts eine Strafverfolgung stattfinden. Unwirksam sind Erklärungen, wenn der Antrag an Bedingungen geknüpft wird oder die Verfolgung auf bestimmte Tatbeteiligte und/oder Teile der Tat beschränkt sein soll (vgl. Art. 32 StGB). Diese Erklärung muss den Formvorschriften entsprechen (vgl. dazu Art. 304 Abs. 1 StPO) und fristgerecht (vgl. Art. 31 StGB, Art. 90 f. StPO: 3 Monate beginnend ab dem Tag, an dem der antragsberechtigten Person «der Täter bekannt wird» d.h. Kenntnis Tat UND Täter) bei der Polizei, derstaatsanwaltschaft oder der Übertretungsstrafbehörde eingegangen sein (Art. 304 Abs. 1 StPO). FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 318
7 Voraussetzungen für einen wirksamen Strafantrag (Forts.): Die Antragsberechtigung darf nicht durch einen Verzichtauf das Antragsrecht (Art. 30 Abs. 5 StGB) oder durch den Rückzug eines zuvor bereits gestellten Antrags (Art. 33 Abs. 2 StGB) untergegangen sein. Der Antrag darf nicht wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein. FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 319
8 Verjährung (Art StGB) Art. 101 StGB Unverjährbarkeit 1 Keine Verjährung tritt ein für e. sexuelle Handlungen mit Kindern (Art. 187 Ziff. 1) [A], wenn sie an Kindern unter 12 Jahren begangen wurden. 3 [A] Absatz 1 Buchstabe e gilt, wenn die Strafverfolgung oder die Strafe am 30. November 2008 nach dem bis zu jenem Zeitpunkt geltenden Recht noch nicht verjährt war. «Es entspricht der allgemeinen Überzeugung in unserem Rechtskreis, dass Straftaten, abgestuft nach der Schwere der Tat, nach gewisser Zeit nicht mehr verfolgt werden sollen. Mit der Zeit schwindet einerseits das Bedürfnis, das begangene Unrecht auszugleichen, andererseits nehmen Beweisschwierigkeiten zu.» BGer, Urteil 6B_479/2013 vom , E FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 320
9 Arten der Verjährung Verjährung Verfolgungsverjährung Vollstreckungsverjährung Untergang des gesetzlichen Strafanspruchs durch Zeitablauf Strafverfolgung nach Fristablauf nicht mehr möglich Ausschluss des Vollzugs einer ausgefällten Strafe infolge Zeitablaufs FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 321
10 Verfolgungsverjährung: Beginn des Fristenlaufs Art. 98 Die Verjährung beginnt: a. mit dem Tag, an dem der Täter die strafbare Tätigkeit ausführt; b. wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt; c. wenn das strafbare Verhalten dauert, mit dem Tag, an dem dieses Verhalten aufhört. tatbestandsmässiges Verhalten (Tun/Unterlassen) massgeblich, nicht der Erfolg (str.) verschiedene Begehungszeitpunkte Dauerdelikte FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 322
11 Verfolgungsverjährung: Dauer der Frist variiert jenach derschwere dertat 30 Jahre, wenn Tat mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe bedroht ist (Art. 97 Abs. 1lit. astgb) 15Jahre, wenn die Tat mit Freiheitsstrafe von mehr als 3 Jahren bedroht ist(art. 97 Abs.1lit.bStGB) 7 Jahre, wenn die Tat mit einer anderen Strafe bedroht ist (Art. 97 Abs. 1 lit. c StGB) 3 Jahre für Übertretungen(Art. 109 StGB) weitere besondere Regelungen in Art.97 Abs.2und Abs.4StGB Spezialregelungen im BT für bestimmte Delikte (z.b. Art. 178 StGB für Ehrverletzungen) FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 323
12 Verfolgungsverjährung: Wahrung der Frist gewahrt ist Frist, wenn vor Ablauf ein erstinstanzliches (auch freisprechendes!) Urteil ergeht,art.97 Abs. 3StGB beachte BGE 139 IV 62, 70 ff.( , Änderung der Rechtsprechung): «Unter erstinstanzlichen Urteilen im Sinne von Art. 97 Abs. 3 StGB, nach deren Ausfällung die Verjährung nicht mehr eintritt, sind nicht nur verurteilende, sondern auch freisprechende Erkenntnisse zu verstehen.» (BGE 139 IV 62, Regeste) massgeblich ist die Fällung und nicht erst die Eröffnung des Urteils (BGE 130 IV 101, 105) Fristwahrung auch dann, wenn erstinstanzliche Verurteilung später im Rechtsmittelverfahren aufgehoben wird! (mittlerweile gefestigte Praxis des BGer, Urteil 6B_321/2014 vom , E. 1.3 m.w.n., aber problematisch) FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 324
13 Vollstreckungsverjährung Beginn der Frist Art. 100 StGB Beginn: Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird. regelungsbedürftig: Vollstreckungsverjährung beim teilbedingten Vollzug der Strafe? FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 325
14 Vollstreckungsverjährung Dauer der Frist variiert jenach derschwere dertat 30 Jahre, wenn lebenslängliche Freiheitsstrafe ausgesprochen (Art. 99 Abs. 1 lit. astgb) 25Jahre,Freiheitsstrafevon mindestens 10 Jahren (Art.99Abs. 1lit. bstgb) 20 Jahre, Freiheitsstrafe von mindestens 5 und weniger als 10 Jahren (Art. 99 Abs.1lit.cStGB) 15 Jahre, Freiheitsstrafe von mehr als einem und weniger als 5 Jahren (Art. 99 Abs.1lit.dStGB) 5Jahre, wenn andere Strafeausgesprochen (Art.99 Abs.1lit.eStGB) Verlängerung der Vollstreckungsverjährungsfrist nach Art. 99 Abs. 2 StGB FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 326
15 Unverjährbarkeit (Art. 101 StGB) kein Eintritt der Verjährung bei völkerstrafrechtlichen core crimes (Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen) schwerster Nötigung mit (u.a.) Massenvernichtungsmitteln oder Auslösen von Katastrophen bestimmten Sexualdelikten, wenn an Kindern unter 12 Jahren begangen jeweils unter Beachtung der Übergangsregelungen in Art. 101 Abs. 3 StGB Art. 101 Abs. 3 StGB:[A] Absatz 1 Buchstabe e gilt, wenn die Strafverfolgung [A] am 30. November 2008 nach dem bis zu jenem Zeitpunkt geltenden Recht noch nicht verjährt war. FS 2017 Strafrecht AT II, Prof. Dr. iur. Gunhild Godenzi Folie 327
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