Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner/ Prof. Dr. Bernd Schlüter Jugendarbeit in Berlin stärken - Gesetzliche Standards und eine bessere Finanzierung
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1 Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Wiesner/ Prof. Dr. Bernd Schlüter Jugendarbeit in Berlin stärken - Gesetzliche Standards und eine bessere Finanzierung
2 Übersicht 1. Ausgangslage 2. Rechtslage in Berlin 3. Instrumente zur besseren Absicherung der Jugendarbeit 2
3 Wie geht s der Jugendarbeit? Angesichts der finanziellen Situation vieler Kommunen droht die Kinder- und Jugendarbeit zunehmend in die Rolle eines Sandwichs zu geraten. Auf der einen Seite wird sie von den Ausgaben für den Ausbau der Einrichtungen zur Kindertagesbetreuung unter Druck gesetzt, insbesondere im Hinblick auf die Umsetzung des Rechtsanspruchs für unter dreijährige Kinder, auf der anderen Seite entsteht der gleiche Druck durch die deutlich steigenden Ausgaben für die Hilfen zur Erziehung (14.Kinder- und Jugendbericht Bundestags-Drucks. 17/ S. 318) 3
4 und was sagt die Berichtskommission zu den Jugendverbänden? Jugendverbände sind als historisch älteste Ausprägungen einer organisierten Jugendarbeit ein feststehender Bestandteil der Kinder- und Jugendarbeit, der sich auch auf eine besondere, fast privilegierte, gesetzliche Grundlage stützen kann ( 12 SGB VIII). Als Jugendorganisationen nehmen sie auch durch ihre geschichtliche Entwicklung eine wichtige Rolle in der Selbstorganisation junger Menschen ein (vgl. Böhnisch u. a. 1991). Sie umfassen ein breites und vielfältiges Spektrum unterschiedlicher organisatorischer und weltanschaulicher Verbände. (Bundestags-Drucks. 17/ S. 319) 4
5 Quelle: Statistisches Bundesamt: Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, Wiesbaden, versch. Jahrgänge; Berechnungen der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik Wiesner Schlüter Jugendarbeit stärken 5
6 Quelle: Statistisches Bundesamt: Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, Wiesbaden, versch. Jahrgänge; Berechnungen der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik Wiesner Schlüter Jugendarbeit stärken 6
7 Quelle: Statistisches Bundesamt: Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, Wiesbaden, versch. Jahrgänge; Berechnungen der Dortmunder Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik Wiesner Schlüter Jugendarbeit stärken 7
8 Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit (Deutschland; 1995, 2000, 2005, 2010, 2014; nominale Angaben in Mio. EUR ohne Berücksichtigung der allgemeinen Preisentwicklung) In Mio. EUR Methodischer Hinweis: Die Entwicklung der Ausgaben für in diesem Falle der Kinder- und Jugendarbeit sollte ins Verhältnis gesetzt werden zur Preisentwicklung. Für den Zeitraum 2005 bis 2015 ist der Verbraucherpreisindex um 16,3% gestiegen. Nominal sind die finanziellen Aufwendungen seit Mitte der 2000er-Jahre um 24% gestiegen, so dass real unter Berücksichtigung der allgemeinen Preisentwicklung von einer Verbesserung der finanziellen Ausstattung für dieses Arbeitsfeld auszugehen ist. Allerdings sollten zusätzlich auch die Veränderungen bei den Löhnen beachtet werden. Diese sind z.b. zwischen 2010 und 2014 um 10,4 gestiegen, während die Ausgaben für die Kinder- und Jugendarbeit im gleichen Zeitraum lediglich 9% mehr finanzielle Aufwendungen gemeldet haben. 8 Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe Ausgaben und Einnahmen, versch. Jahrgänge; Zusammenstellung und Berechnung Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik
9 ..und in Berlin 9
10 Rechtsgrundlagen für die Jugendarbeit im SGB VIII 11 Jugendarbeit 12 Förderung der Jugendverbände 74 Förderung der freien Jugendhilfe 79 Gesamtverantwortung, Grundausstattung 80 Jugendhilfeplanung 10
11 11 SGB VIII: Jugendarbeit (1) Jungen Menschen sind die zur Förderung ihrer Entwicklung erforderlichen Angebote der Jugendarbeit zur Verfügung zu stellen. Sie sollen an den Interessen junger Menschen anknüpfen und von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden, sie zur Selbstbestimmung befähigen und zu gesellschaftlicher Mitverantwortung und zu sozialem Engagement anregen und hinführen. (2).(4) 11
12 Rechtliche Bedeutung von 11 SGB VIII objektiv-rechtliche Verpflichtung zur Bereitstellung von Angeboten in dem weit gefassten Bereich der Jugendarbeit mit ihr korrespondiert kein Anspruch eines jungen Menschen auf ein bestimmtes Angebot der Jugendarbeit Anspruch auf Grundversorgung? 12
13 Förderung der Jugendverbände ( 12 SGB VIII) (1) Die eigenverantwortliche Tätigkeit der Jugendverbände und Jugendgruppen ist unter Wahrung ihres satzungsgemäßen Eigenlebens nach Maßgabe des 74 zu fördern. (2) In Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mitverantwortet. Ihre Arbeit ist auf Dauer angelegt und in der Regel auf die eigenen Mitglieder ausgerichtet, sie kann sich aber auch an junge Menschen wenden, die nicht Mitglieder sind. Durch Jugendverbände und ihre Zusammenschlüsse werden Anliegen und Interessen junger Menschen zum Ausdruck gebracht und vertreten. ( Alleinstellungsmerkmale ) 13
14 Rechtsgrundlagen für die Jugendarbeit im Landesrecht Berlin (AGKJHG Berlin) Z w e i t e r A b s c h n i t t: Allgemeine Jugendarbeit 6 Aufgaben und Ziele der Jugendarbeit 7 Jugendverbandsarbeit 8 Einrichtungen und Veranstaltungen der bezirklichen Jugendarbeit 9 Gesamtstädtische Angebote und Einrichtungen 10 Ehrenamtliche Jugendarbeit N e u n t e r A b s c h n i t t: Gesamtverantwortung, Jugendhilfeplanung 41 Bezirkliche Jugendhilfeplanung 42 Gesamtjugendhilfeplanung 43 Kinder- und Jugendpolitische Leitlinien 44 Koordination der Jugendhilfeplanung mit anderen Planungen 45 Sicherung der Gewährleistungsverpflichtung 46 Sicherung des Raum- und Flächenbedarfs für die Jugendhilfe 14
15 Die Ausgaben folgen den Aufgaben Welche Haushaltmittel für die Jugendhilfe insgesamt zur Verfügung stehen, bestimmt die jeweilige Vertretungskörperschaft. Bei dieser Entscheidung ist sie aber nicht frei, sondern hat die Vorgaben des SGB VIII zu beachten. Für die Jugendhilfe müssen daher Haushaltsmittel in einer Höhe bereit gestellt werden, die den öffentlichen Träger in die Lage versetzen, seiner Gesamtverantwortung nach 79 Abs. 1 und seiner Gewährleistungspflicht nach 79 Abs. 2 SGB VIII gerecht zu werden. Ist dies nicht der Fall, verstößt die Haushaltssatzung gegen das höherrangige Recht des 79 SGB VIII und ist somit rechtswidrig. Ein rechtswidriger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung (Art. 28 GG) ist damit nicht verbunden (so BVerfG, Urteil v , E 22, 180).. 15
16 Was steht in 79 SGB VIII? Gesamtverantwortung, Grundausstattung (1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. (2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch 1. die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen; 2.eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von 79a erfolgt. Von den für die Jugendhilfe bereitgestellten Mitteln haben sie einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden. (3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. 16
17 Die Ausgaben folgen den Aufgaben Dass die Haushaltsmittel bedarfsdeckend sein müssen, ergibt sich auch aus 45 Abs. 2 Satz 1 AG KJHG Berlin, wonach die zuständige Senatsverwaltung daraufhin zu wirken hat, dass die der Jugendhilfe zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel ein Höchstmaß an Wirksamkeit für die Erfüllung aller Jugendhilfeaufgaben erzielen können 17
18 In welcher Höhe ist die Jugendarbeit zu fördern? Gibt es einen Maßstab für die Ausgestaltung des Angebots? Notwendig ist die Konkretisierung der objektiv- rechtlichen Verpflichtung in 11 und 12 Abs.1 SGB VIII 79: Die Gesamtverantwortung des Trägers der öffentl. Jugendhilfe für ein erforderliches und geeignetes Angebot Die Wahrnehmung der Gesamtverantwortung gibt den Maßstab für die bereitzustellenden Haushaltsmittel vor 79 Abs.2 Satz 2 SGB VIII: Der angemessene Anteil für die Jugendarbeit Landesrechtliche Vorgabe in Berlin: 10% des Gesamtbudgets für die KJHilfe 11. Kinder- und Jugendbericht : 15% des Gesamtbudgets 18
19 Planungsverpflichtung als Teil der Gesamtverantwortung Jugendhilfeplanung als Pflichtaufgabe ( 80) Planung als ein durch Kommunikation und Partizipation bestimmter Aushandlungsprozess Planung als Instrument zur Bedarfsermittlung 19
20 Was steht in 80 SGB VIII? Jugendhilfeplanung (1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung 1.den Bestand an Einrichtungen und Diensten festzustellen, 2. den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und der Personensorgeberechtigten für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln und 3. die zur Befriedigung des Bedarfs notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen; dabei ist Vorsorge zu treffen, dass auch ein unvorhergesehener Bedarf befriedigt werden kann. (2) Einrichtungen und Dienste sollen so geplant werden, dass insbesondere 1. Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können, 2. ein möglichst wirksames, vielfältiges und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen gewährleistet ist, 3. junge Menschen und Familien in gefährdeten Lebens- und Wohnbereichen besonders gefördert werden, 4.Mütter und Väter Aufgaben in der Familie und Erwerbstätigkeit besser miteinander vereinbaren können. (3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe in allen Phasen ihrer Planung frühzeitig zu beteiligen. Zu diesem Zwecke sind sie vom Jugendhilfeausschuss, soweit sie überörtlich tätig sind, im Rahmen der Jugendhilfeplanung des überörtlichen Trägers vom Landesjugendhilfeausschuss zu hören. Das Nähere regelt das Landesrecht. (4) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen darauf hinwirken, dass die Jugendhilfeplanung und andere örtliche und überörtliche Planungen aufeinander abgestimmt werden und die Planungen insgesamt den Bedürfnissen und Interessen der jungen Menschen und ihrer Familien Rechnung tragen. 20
21 Aus dem Bericht der AGJF an die JFMK (2014) Handlungsbedarf besteht in der Rechtsanwendung beim Einsatz bestehender Steuerungsinstrumente. Zu prüfen wäre der Aufbau eines Programms zur Stärkung der Jugendhilfeplanung durch Bund und Länder, das geeignet sein müsste, die regionale Bedarfsermittlung weiter zu qualifizieren und in der Breite voranzubringen.. 21
22 Übersicht 1. Ausgangslage 2. Rechtslage in Berlin 3. Instrumente zur besseren Absicherung der Jugendarbeit 22
23 Die speziellen Bedingungen im Stadtstaat Berlin Das Land Berlin ist (nach außen) örtlicher und überörtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Intern wird die Wahrnehmung der Aufgaben des örtlichen Trägers im Wesentlichen den Bezirken, die des überörtlichen Trägers der für Jugend und Familie zuständigen Senatsverwaltung (Landesjugendamt) zugewiesen ( 33 Abs. 1 AG KJHG). 23
24 Die speziellen Bedingungen im Stadtstaat Berlin Umfassende Gesamtverantwortung des Landes für ein bedarfsgerechtes Angebot Weitgehende Autonomie der Bezirke zur Aufgabenerfüllung nach den Grundsätzen der Selbstverwaltung (Art. 66 Absatz 2 Satz 1 VvB, 2 Absatz 1 BezVG) Zuweisung von Globalsummen zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung aller ihnen übertragenen Aufgaben (Art. 85 Absatz 2 VvB). 24
25 Derzeitige Möglichkeiten zur Wahrnehmung der Gesamtverantwortung Bindung der Bezirke an gesetzliche Vorgaben Die dem Land Berlin bundesrechtlich obliegende Gewährleistungspflicht ( 79 SGB VIII) begrenzt deshalb die Globalsummenhoheit der Bezirke. Rechtsverbindlich geregelte Standards verstoßen nicht gegen den Grundsatz der Globalsummenzuweisung der Haushaltsmittel für die Bezirke Die Senatsverwaltung für Finanzen prüft im Rahmen der Landeshaushaltsordnung die Bezirkshaushaltsplanentwürfe darauf, ob die Globalsummen eingehalten und Rechtsvorschriften sowie Auflagen und Leitlinien beachtet worden sind. Unterrichtung des Abgeordnetenhauses über das Prüfungsergebnis 25
26 Aus dem Protokoll der Sitzung des Landesjugendhilfeausschusses Berlin (LJHA) am 20. Mai 2015 Der LJHA fordert das Abgeordnetenhaus auf, gesetzliche Regelungen zu schaffen, die strukturelle, fachliche, personelle, sächliche und quantitative Standards für die Jugendarbeit festlegen und dadurch die Finanzierung der Jugendarbeit entsprechend sicherzustellen. 26
27 Übersicht 1. Ausgangslage 2. Rechtslage in Berlin 3. Instrumente zur besseren Absicherung der Jugendarbeit 27
28 Zentrale Positionen des Gutachtens Sicherstellung bedarfsgerechter Angebote der Jugendarbeit Änderung des AG KJHG Präzisierung der Leistung Jugendarbeit anhand qualitativer und quantitativer Standards Verpflichtung zur Aufstellung eines Landesplanes zur Förderung der Jugendarbeit sowie entsprechender Pläne auf Bezirksebene Regelung der Einzelheiten in einer Rechtsverordnung 28
29 Zentrale Positionen des Gutachtens Quantitative und qualitative Standards Die qualitativen Standards sind aus den gesetzlichen Zielen der Jugendarbeit und aus aktuellen Herausforderungen abzuleiten. Die quantitativen Ziele sollten sich maßgeblich an der Zahl der jungen Menschen in den Bezirken orientieren. Diese Standards beziehen sich sowohl strukturell auf die Anzahl der Angebote in Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen, Erholungsmaßnahmen oder Mobiler Jugendarbeit in den Bezirken als auch auf ihre personelle und sächliche Ausstattung. 29
30 Zentrale Positionen des Gutachtens Förderpläne als Maßstab für die Haushaltsaufstellung Die bezirklichen Jugendförderpläne sind jeweils so rechtzeitig zu entwickeln, dass sie bei der Aufstellung der Bezirkshaushaltsplanentwürfe und vor der Verabschiedung des Landeshaushaltes vorliegen Der Haushaltsplan des Landes hat die für die Finanzierung der Standards erforderlichen Mittel der Bezirke auszuweisen und festzulegen, dass sie für diesen Zweck eingesetzt werden. 30
31 Folgen für die Umsetzung in den Bezirken Die Bezirke und deren Jugendhilfeausschüsse werden durch das geänderte AGKJHG und die Verordnung über die Ausgestaltung der Jugendarbeit sowie durch ein den Standards entsprechendes Haushaltsgesetz gesetzlich verpflichtet und in Stand gesetzt, diese Standards in eigenen Jugendförderplänen bezirksspezifisch umzusetzen. Erfüllen die Bezirkshaushaltspläne die Standards nicht, so ist dies durch die Bezirksaufsicht des Senats und die Korrekturverfahren bei der Aufstellung des Haushaltsplanes zu berichtigen Prüfung: Einführung des Instruments einer Verbandsklage zur Sicherung der Umsetzung der rechtlichen Vorgaben 31
32 Vielen Dank fürs Zuhören und Ihr Engagement für die Zukunft unserer demokratischen Gesellschaft
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