Ambulante stationäre Behandlung? Handlungsräume der Kantone in der Krankenversicherung!? Prof. Dr. iur. Ueli Kieser
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- Lorenz Kohler
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1 1 Ambulante stationäre Behandlung? Handlungsräume der Kantone in der Krankenversicherung!? Prof. Dr. iur. Ueli Kieser
2 2 Ausgangspunkt: Finanzierung der Krankenversicherung Stationäre Behandlung: Art. 49a Abs. 2 KVG legt fest, dass die Kantone mindestens 9 Monate vor Beginn eines neuen Kalenderjahres den für alle Kantonseinwohner geltenden kantonalen Anteil für Abgeltungen im stationären Bereich festlegen müssen, wobei dieser mind. 55% betragen muss Ambulante Behandlung: Finanzierung ohne kantonale Beiträge
3 Es kommt hinzu Zusatzversicherungen können «echte Mehrleistungen» finanzieren. «Echte Mehrleistungen» können nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht im ambulanten Bereich, aber im stationären Bereich erbracht werden. Solche Leistungen können etwa darin bestehen, dass bei einer stationären Behandlung ein Aufenthalt im Einer-Zimmer erfolgt oder dass die ärztliche Behandlung regelmässig durch die Chefärztin bzw. den Chefarzt übernommen wird. BGE 134 V 273 (Tarifschutz), 130 I 310 (kein Tarifschutz bei echten Mehrleistungen). 3
4 Interessenlagen Plakativ gesagt gilt folgendes: Kantone haben ein finanzielles Interesse an ambulanten Leistungen Krankenversicherer haben ein finanzielles Interesse an stationären Leistungen Kliniken mit Privatpatientenzugang haben ein Interesse an stationären Leistungen Versicherte neigen aus Sicherheitsgedanken teilweise wohl eher einer stationären Behandlung zu 4
5 5 Zur eigentlichen Frage Ist es zulässig, dass ein Kanton oder eventuell der Bund vorschreibt, dass bestimmte Behandlungen ambulant vorgenommen werden?
6 6 Ökonomische Untersuchungen Es sollen Listen eingeführt werden, welche gewisse Eingriffe und Untersuchungen nur noch ambulant und nicht mehr stationär zulassen. Die Wirtschaftsberatungsgesellschaft PwC hat errechnet, dass sich bis 2030 über eine Milliarde Franken einsparen lassen, wenn die Medizin in der Schweiz in gewissen Bereichen stärker auf ambulant statt stationär setzt. Diesbezüglich schlagen sie diverse Modelle zur Umsetzung vor. Laut PwC bedeutet dies konkret, dass 13 Behandlungen vermehrt ambulant behandelt werden sollen
7 Um welche Leistungen geht es gemäss PwC 7
8 Plan Kanton Luzern In Luzern sollen ab 1. Juli 2017 bestimmte Behandlungen und Untersuchungen von den Spitälern nur noch ambulant durchgeführt werden. Der Kanton LU bezieht sich dabei auf die PwC Liste (siehe oben). Konkret sind es folgenden Eingriffe im Detail: /media/gesundheit/dokumente/gesundheitsversorgung/ambulant_vor _stationaer/liste_der_eingriffe_per_1717.pdf?la=de-ch Die Liste soll jährlich überarbeitet und den neuen Erkenntnissen und medizinischen Fortschritt angepasst werden. Für die aufgeführten Untersuchungen werden den Spitälern und Ärzten zur vorgängigen medizinischen Untersuchung sog. Kostengutsprache-Formulare zu Verfügung gestellt (siehe: ung/kostengutsprache) 8
9 Plan Kanton Zürich Auch der Kanton Zürich hält grundsätzlich an der 13er-Liste von PwC fest (wobei auch die Rede von einer vorläufig verkürzten 10er-Liste ist). Ziel ist es 7 Mio. Franken pro Jahr zu sparen, indem gewisse Behandlungen nur noch ambulant ausgeführt werden. Damit soll es 4000 stationäre Fälle pro Jahr weniger geben (2% aller stationären Fälle). Dies soll spätestens 2018 umgesetzt werden. Eine stationäre Behandlung für die gelisteten Eingriffe ist nur dann möglich, wenn ein Patient besonders schwer erkrankt ist, ein Patient schwere Begleiterkrankungen hat oder soziale Faktoren eine ambulante Untersuchung oder Behandlung stark erschweren. Die Spitäler müssen solche Spezialfälle dokumentieren und begründen. Schwierigkeiten werden sich dort stellen, wo definiert werden soll, was besondere Umstände sind. Die Kontrolle soll wie bei den Praxisärzten erfolgen, nämlich entsprechend den WZW- Kontrollen bei den Praxisärzten. Konkret heisst dies, dass die Kontrolle der Begründungen durch die Behörden erst dann erfolgen, wenn die Zahl der stationären Ausnahmebehandlungen einen gewissen Durchschnitts- und Schwellenwert übersteigt. (siehe 9
10 Stellungnahme des Bundes Gemäss Antwort des Bundesrates in der nationalrätlichen Fragestunde vom 13. März 2017 ist das Vorgehen des Kanton Luzerns rechtmässig. Der Bund spricht Kantonen damit grundsätzlich Kompetenzen zu. Das Bundesamt für Gesundheit prüfe zudem, ob schweizweit einheitliche Vorgaben für die Abgrenzung ambulant und stationär gemacht werden sollen. Es finden sich unter folgendem Link Anfragen von Nationalrat Franz Grüter (SVP, LU) und Sebastian Frehner (SVP, BS) sowie Ausführungen zur nationalrätlichen Fragestunde: 10
11 Einordnung aus rechtlicher Sicht eine Skizze Ausgangspunkt: Steuerung der Leistungen im Krankenversicherungssystems über unterschiedliche Kriterien: - Grundsatz: Zulassung der Leistungserbringenden mit Pflichtleistungsvermutung - Gesetzliche Regelung der Leistungspflicht (z.b. bei Pflege oder Zahnbehandlungen) - Listen bei Medikamenten, Analysen, Mitteln und Gegenständen - Konkretisierende Weisungen des Bundesamtes für Gesundheit - Anhang 1 zur Krankenpflegeleistungsverordnung 11
12 Anhang 1 zur Krankenpflege-Leistungsverordnung Der Anhang stützt sich auf Artikel 1 der Krankenpflege-Leistungsverordnung. Er enthält keine abschliessende Aufzählung der ärztlichen Pflicht- oder Nichtpflichtleistungen. Er enthält: Leistungen, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit durch die Leistungs- und Grundsatzkommission geprüft wurde und deren Kosten demgemäss übernommen, allenfalls nur unter bestimmten Voraussetzungen übernommen oder gar nicht übernommen werden; Leistungen, deren Wirksamkeit, Zweckmässigkeit oder Wirtschaftlichkeit noch abgeklärt wird, für die jedoch die Kosten unter bestimmten Voraussetzungen und in einem festgelegten Umfang übernommen werden; besonders kostspielige oder schwierige Leistungen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nur vergütet werden, wenn sie von hierfür qualifizierten Leistungserbringern durchgeführt werden. 12
13 Was liegt den kantonalen Listen zugrunde? 1. Aspekte der qualitativ hochstehenden Behandlung? Das ist primäres Ziel der Krankenversicherung. Zielerreichung aber primär über Leistungserbringende 2. Aspekte der Kostensteuerung? Art. 43 Abs. 6 KVG: Die Vertragspartner und die zuständigen Behörden achten darauf, dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird. Die Kantone sind zwar «Behörde», doch ist die «Zuständigkeit» der Kantone nicht erkennbar 13
14 Was liegt den kantonalen Listen zugrunde? 3. Konkretisierung der Kriterien der Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit Art. 32 KVG 1 Die Leistungen nach den Artikeln müssen wirksam, zweckmässig und wirtschaftlich sein. Die Wirksamkeit muss nach wissenschaftlichen Methoden nachgewiesen sein. 2 Die Wirksamkeit, die Zweckmässigkeit und die Wirtschaftlichkeit der Leistungen werden periodisch überprüft. 6 Die Vertragspartner und die zuständigen Behörden achten darauf, dass eine qualitativ hoch stehende und zweckmässige gesundheitliche Versorgung zu möglichst günstigen Kosten erreicht wird. Konkretisierung erfolgt durch Leistungserbringende bzw. durch BAG 14
15 Hinweis auf haftungsrechtliche Auswirkungen Ausgangslage: Bei der ambulanten Behandlung tritt eine Schädigung ein, welche bei einer stationären Behandlung nicht eingetreten wäre. Die ambulante Behandlung ist durch eine kantonale Liste vorgeschrieben Haftung des Arztes/der Ärztin: Behandlungsvertrag Verantwortlichkeit der Krankenversicherung: Art. 78 ATSG Verantwortlichkeit der kantonalen Behörde nach kantonalem Staatshaftungsrecht; primär wird hier die Frage sein, ob der Erlass der kantonalen Liste rechtmässig erfolgte oder nicht 15
16 16 Fragen zu Hauf und Antworten lassen auf sich warten Steuerung der Krankenversicherung müsste grundsätzlich erfolgen Keine Einzeleingriffe ohne klare Ergebnisse einer Effektivitätsprüfung Konzentrierung der Entscheidungsbefugnis auf die fachlich am besten ausgewiesene Stelle/Person mit klarer Verantwortlichkeit Trennung der Fragen der Leistungssteuerung und der Finanzierung, wobei die gegenseitigen Querbezüge berücksichtigt werden müssen
17 IRP-HSG Bodanstrasse St.Gallen Schweiz irp@unisg.ch 17
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