Der Röstigraben seine Bedeutung heute und sein Ursprung gestern
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- Viktor Kappel
- vor 6 Jahren
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1 Der Röstigraben seine Bedeutung heute und sein Ursprung gestern Rede zur Eröffnung der Röstigraben- Ausstellung im Vindonissa Museum Donnerstag, 29. Oktober 2014 Claude Longchamp Verwaltungsratspräsident und Institutsleiter gfs.bern Lehrbeauftragter an den Universitäten St. Gallen, Zürich und Bern
2 Am 6. Dezember 1992 entschied die Schweiz, dem Europäischen Wirtschaftsraum nicht beizutreten. In einer Abstimmung votierten 16 Kantone dagegen und es sagten 50,3 Prozent der Stimmenden Nein. Die Analyse von Zustimmung und Ablehnung zeigte, dass unter anderem die Polarisierung zwischen den Sprachregionen den Ausschlag gab: Die französischsprachige Schweiz war dafür, die italienische dagegen und die deutschsprachige war gespalten. An diesem Tag machte ich meine erste Hochrechnung für die Medien der SRG. Am Abend wurde mir klar: Ich war der Erste, der es wusste, vielleicht aber der Letzte, der es merkte. Das Ergebnis innerlich zur Kenntnis genommen habe ich erst am Abend, als mich eine Journalistin des Nouveau Quotidien anrief, um mich nach einigen einleitenden Worten übelst zu beschimpfen. Bis zu diesem Tag dachte der Freiburger in mir, auch ein Romand zu sein, seither ist alles komplizierter. Dieser Abend war auch für mich Anlass, über den Röstigraben nachzudenken: Wann entstand er? Woran erkennt man ihn? Was für Folgen hat er? Lässt er sich überwinden? Bei der Vorbereitung dieses Referates griff ich zum eben fertig gestellten "Historischen Lexikon der Schweiz". Zwölf massive Bände dick ist das grösste Geschichtswerk der Schweiz. Zu meinem Erstaunen musste ich allerdings feststellen, dass die historische Herleitung des Röstigrabens nicht eindeutig ist. Der Graben stammt aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Romanen und Germanen optierten auch in der Schweiz für verschiedene Konfliktparteien. Nach dem Weltkrieg widerholte sich dies beim Beitritt der Schweiz zum Völkerbund. Denn das Ja in der Volksabstimmung bestand aus einer grossen Mehrheit in der französischsprachigen Schweiz und einer Minderheit in den übrigen Landesteilen. Sichtbar wurde der Graben während des Weltkriegs. Denn die Verteidigungslinie der Schweiz gegen Frankreich verlief haarscharf entlang der Sprachgrenze. Mit anderen Worten: Die französischsprachige Schweiz hätte man nicht verteidigt. Komplizierter wird es, wenn man dem Zusatz "Rösti" im Röstigraben nachspürt. 1964, zu Zeiten der Expo in Lausanne war die Schweiz eine konkordante Einheit. Nur wenige Jahre danach gab es jedoch erste Risse: Revoltierende Jugendliche, nationalistische Bewegungen, Erdöl-Krise markierten die Wende zu Diskonkordanzen. In genau dieser Zeit kommt auch der Begriff Röstigraben auf als Symbol der Spaltung. Popularisiert wurde er von den Massenmedien, die immer weniger im lokalen und kantonalen zuhause waren, sondern entlang der Sprachgrenzen zu funktionieren begannen. Sicher, es gibt auch den Polentagraben im Süden, den Bratwurstgraben im Osten und den Läckerligraben im Norden; doch keine dieser typisierten Trennlinien wurde so populär wie der Röstigraben. Denn dieser Graben ist grundlegend für das Zusammenleben im Mittelland. 2
3 Am 10. März 1919, nach dem ersten Weltkrieg, wurde auch die Romandie geboren. Maurice Porta, ein francophoner Journalist, schrieb den Begriff erstmals in einer Zeitung nieder. Gemeint war, dass die französischsprachige Schweiz eine Einheit werden sollte ein Gegenstück zur deutschsprachigen Schweiz, von der man sich entfremdet kulturell habe. Das baldige Entstehen der Tour de Romandie verkörperte die Haltung mustergültig, und auch die Entstehung von Radio und Fernsehen gaben dem Bewusstsein, jenseits der Saane eine Gemeinschaft zu sein, Auftrieb. Interessanterweise setzte sich der Begriff mehr in der deutschsprachigen Schweiz durch. "La Romandie" ist hier geläufig geworden. Die damit bezeichneten Compatriots ziehen es bis heute vor von der Suisse romande zu sprechen: ein Teil des gemeinsamen Staates, aber von einer anderen Kultur. Die Eigenständigkeit der Suisse romande zeigt sich besonders im Imaginären: dem Bildhaften, aber auch den Vorstellungswelten. Blüht der Comic in der Suisse romande seit langem, ist er in der deutschsprachigen Schweiz eher ein Teil der Subkultur geblieben. Auch Komiker in der französischsprachigen Schweiz werden nur selten im deutschsprachigen Landesteil gehört verstanden und umgekehrt. Und ich wette: In den Sprachregionen sind die Träume von anderer Qualität! Wenn es um politische Fragen geht, die von der politischen Kultur beeinflusst sind, zeigen sich Unterschiede zwischen den Sprachregionen mit grosser Regelmässigkeit. Den Anfang machte die erste Totalrevision der Bundesverfassung Sie hätte eine Zentralisierung im Bundesstaat bringen sollen. Der Freisinn, der sie vorantrieb, scheiterte mit der Reform grandios, denn zur alten Opposition aus den katholisch-konservativen Kantonen gesellten sich eine neue, föderalistisch inspiriert in den reformiert-liberalen Kantone. "Il nous faut les Welsches!", lautete das Motto der ersten Abstimmungsanalyse. Insbesondere die Waadtländer Föderalisten wurden mit einem Entgegenkommen bei der Wahrung kantonaler Souveränität überzeugt, sodass die zweite Abstimmung 1874 zu einer Mehrheit führte. Geboren waren damit der Rösti- Graben und seine Überwindung, auch wenn man den Begriff noch gar nicht kannte. Verallgemeinert man die Beispiele, bei denen sich eine Konfliktlinie zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz erhöht zeigt, muss man zuerst auf die Aussenpolitik verweisen. Wenn Themen zum Ausland, insbesondere zum europäischen, zur Debatte stehen, reagieren die Sprachregionen unterschiedlich. Dies können Beispiele aus der Sozialpolitik zeigen. Denn entsprechende Aufgaben werden in der Suisse romande von links bis rechts als staatliche Hoheiten definiert, derweil in der deutschsprachigen Schweiz schnell einmal ein markanter Links/Rechts-Gegensatz resultiert. Anders verhält es sich in Militärfragen, denn da ist der Konsens unter den Suisse romande, kritisch zu sein, während die deutschsprachige Schweiz meist armeefreundlicher ist. Last but 3
4 not least sind die Föderalismusverständnisse divergent. Zugespitzt könnte man sagen: In der Suisse romande stellt man sich den gemeinsamen Bund ohne gemeinsame Kultur vor, in der deutschsprachigen Schweiz wünscht man sich dagegen eine gemeinsame Kultur, möglichst ohne Staat. Gibt es, frage ich mich immer wieder, auch Gemeinsamkeiten dies- und jenseits der Sprachgrenzen? "Klar!", lautete dann meine optimistische Antwort. Den Anfang machte die Aussicht auf gemeinsamen Verdienst wurde Freiburg der erste Kanton der Eidgenossenschaft, der keinen alemanischen Hintergrund hatte fand er seine Rolle in der alten Eidgenossenschaft, denn in der Stadt Freiburg schlossen Eidgenossen und Franzosen den berühmten Staatsvertrag, ohne den es kein Absatzgebiet für Söldner am französischen Hof gegeben hätte, aber auch nicht regelmässige Lieferungen von Nahrungsmittel, auf die die Eidgenossen angewiesen waren. Der Soldvertrag bestand bis 1815, brachte zwar viel Leid in die Schweizer Familien, aber auch Erwerb, ohne den man auskommen konnte. Reformierte Kantone wie Zürich und Bern machten anfänglich nicht mit, konnten sich aber dem wichtigsten schweizerischen Erwerbszweig in der alten Eidgenossenschaft nicht dauerhaft entziehen. Verdienst vereint! Der zweite Grund, der die Schweiz dies- und jenseits von Sprachund Kulturgräben zusammenhält, ist die periphere Lage in Europa, wenn man es kulturell definiert. Die westschweizerischen Kantone wären in Frankreich staatlich schnell marginalisiert, ebenso das Tessin in Italien, Graubünden in Österreich und die deutschschweizerischen Stände in Deutschland. Mit dem Werden der Nationalstaaten begann sich die Eidgenossenschaft in der Neuzeit von den Umländern abzugrenzen. Dank eigener Religion expandierte die Eidgenossenschaft über die Sprachgrenze hinweg; später kamen Arrondierungen des Gebietes hinzu, die mit verschiedenen Konfessionen gerade auch in der französischsprachigen Eidgenossenschaft vertreten waren. Von 1712 bis 1891 entstand das Bewusstsein einer verspätet gebildeten Nation, die als Bundesstaat über den Glaubensgemeinschaften funktionieren sollte. Das wir "Randregiönler" zusammen gehören, zeigte sich nicht zuletzt, als der libysche Diktator Gaddafi in seinem Zorn meinte, man könne die Schweiz vierteilen und auf die Nachbarstaaten verteilen, ohne dass etwas passiere! Der dritte Grund, der die Schweiz bis heute zusammenhält, ist die Geschichte. Sie wird zwar überall ein wenig anders erzählt, sie schafft dadurch aber auch das Bewusstsein für die Einheit in der Vielfalt. Dass Sie, meine Damen und Herren, den Röstigraben zum Schweizer Traditionsgut erheben wollen, gehört genau hierzu. Ich kann dem Museum Vindonissa dazu nur gratulieren, dass es den Spuren des Röstigrabens bis in die Steinzeit nachspürt, um das unterschiedliche Werden von Kulturräumen im gemeinsamen Staat von heute nachzuzeichnen. Je mehr Sie es erzählen, desto mehr lebt die Schweiz! 4
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6 gfs.bern Hirschengraben 5 Postfach 6323 CH 3001 Bern Telefon Telefax info@gfsbern.ch Das Forschungsinstitut gfs.bern ist Mitglied des Verbands Schweizer Markt- und Sozialforschung und garantiert, dass keine Interviews mit offenen oder verdeckten Werbe-, Verkaufsoder Bestellabsichten durchgeführt werden. Mehr Infos unter
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