Positionspapier der weltweiten Fairhandelsbewegung im Hinblick auf die 6. Ministerkonferenz der WTO in Hongkong. Oktober 2005
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- Gisela Simen
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1 FAIR TRADE RULES! Positionspapier der weltweiten Fairhandelsbewegung im Hinblick auf die 6. Ministerkonferenz der WTO in Hongkong Oktober 2005 Wir, die Mitglieder der internationalen Fairhandelsbewegung 1, wissen aus Erfahrung, dass Handel Armut verringern und zu nachhaltiger Entwicklung beitragen kann. Wird dieser Handel jedoch nicht zu fairen und verantwortungsbewussten Bedingungen betrieben, so kann er Armut und Ungleichheiten noch verstärken. Um die Versprechungen der Doha- Entwicklungsrunde halten zu können und tatsächlich Entwicklung zu schaffen, müssen die Bedürfnisse der Kleinbauern und benachteiligten Produzenten in den Ländern des Südens sowie deren Umfeld den Dreh- und Angelpunkt der Verhandlungen bilden. Was ist Fairer Handel? Fairer Handel ist eine auf Dialog, Transparenz und Respekt basierende Handelspartnerschaft, die nach mehr Gleichheit im internationalen Handel strebt. Fairer Handel trägt durch verbesserte Handelsbedingungen und durch die Sicherung der Rechte benachteiligter Produzenten und Arbeiter besonders in den Ländern des Südens zu nachhaltiger Entwicklung bei. Die Organisationen im Fairen Handel, die von den Konsumenten getragen werden, unterstützen aktiv die Produzenten, fördern die Bewusstseinsbildung und setzen sich für einen Wandel der Regeln und Methoden im konventionellen internationalen Handel ein. Seit nunmehr über 40 Jahren wird im Fairen Handel überaus erfolgreich der Handel als Instrument für Entwicklungsförderung eingesetzt. In der Praxis berücksichtigt der Faire Handel soziale, ökonomische, kulturelle und ökologische Aspekte in einem strikten Regelwerk freiwilliger Standards. Mehr als Die Mitglieder der vier internationalen Fairhandelsverbände sind: FLO-I (Fair Trade Labelling Organizations International), IFAT (International Fair Trade Association), NEWS! (Network of European Worldshops) und EFTA (European Fair Trade Association).
2 Kleinbauern und benachteiligte Produzentengruppen sowie hunderttausende Plantagen- und Fabrikarbeiter in über 50 Entwicklungsländern nehmen am Fairen Handel teil. Über fünf Millionen Menschen in Afrika, Lateinamerika und Asien profitieren von den Fairhandelsbedingungen. Was passiert bei der WTO? Die von der WTO angestrebte Liberalisierung des Handels hindert Länder zunehmend daran, ihre Wirtschaftsstrukturen zu kontrollieren. Während einerseits einige, vorwiegend mächtigere und größere Akteure von diesem eine-größepasst-für-alle - Ansatz profitieren, wurde andererseits ein weltweiter Teufelskreis sozialen und ökologischen Dumpings ausgelöst. Viele Produzenten im Fairen Handel haben am eigenen Leib erfahren müssen, wie viel Schaden diese aufgezwungene Liberalisierung in ihrem Leben angerichtet hat. Die Geschichte hat gezeigt, dass noch kein Land seine Wirtschaft ausschließlich durch Handel entwickeln konnte. Kein Industrieland kam je zu wirtschaftlichem Reichtum ohne starke Binnenmärkte und weit verzweigte Verflechtungen zwischen inländischer industrieller Produktion und landwirtschaftlicher oder sonstiger Rohstoffproduktion. Diese Verflechtungen wurden unterstützt durch weit reichende Verteilungen von Landbesitz, staatliche Interventionen und eine Handelspolitik, die darauf abzielte, die Binnenproduktion und -märkte zu schützen. Es ist unbedingt notwendig, dass die Schwellenländer ihren aufstrebenden Industrien eine geschützte Umgebung bieten, in denen sie sich entwickeln können. Erst wenn diese sich stabilisiert haben, sollten kleinere Märkte mit der harten Konkurrenz internationaler Märkte konfrontiert werden und dann auch nur, wenn die Liberalisierung zu ihren nationalen Entwicklungsplänen passt. In diesem Zusammenhang sind kleine und mittelständische Unternehmen (KMUs) von entscheidender Bedeutung. In den meisten Entwicklungsländern bilden kleine Unternehmen das Rückgrat der Wirtschaft sie beschäftigen die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung. Es ist unbedingt notwendig, dass die internationale Handelspolitik das Wachstum der kleinen und mittelständischen Unternehmen in den Entwicklungsländern fördert und es nicht durch eine aufgezwungene Liberalisierung untergräbt. 2
3 Ein entscheidender Grundsatz in der Handelspolitik der zurzeit bei der WTO fehlt besteht darin, dass jedes Land das Recht hat, seine Nahrungsmittelzufuhr zu sichern und seine Ernährungssouveränität zu wahren sowie strategisch wichtige Bereiche seiner Wirtschaft zu schützen. Die Fairhandelsbewegung geht weiterhin davon aus, dass reiche Länder eine moralische Verpflichtung haben, jegliche verzerrende Art von Subventionen und Preisdumping auf den Märkten weltweit zu beenden, denn die Auswirkungen dieser Methoden auf die Ärmsten der Armen sind vernichtend. Die WTO-Mitglieder haben sich verpflichtet, aus den Doha-Gesprächen eine Entwicklungsrunde zu machen. Hierzu müssen die Gespräche der WTO einen Richtungswechsel einschlagen und die Bedürfnisse und Interessen der Kleinbauern und benachteiligten Produzenten in den Mittelpunkt der Verhandlungen stellen. Veränderungen sind nur dann möglich, wenn die WTO der Analyse der Anliegen der schwächsten Beteiligten genügend Platz einräumt, und wenn arme Länder das Recht behalten, strategisch wichtige Bereiche ihrer Wirtschaft so lange zu schützen, wie sie es für notwendig halten. Handelsabkommen und -bestimmungen sollten international festgelegtem politischem, ökologischem, kulturellem und sozialem Recht unterliegen. Wenn Handel zu nachhaltiger Entwicklung beitragen soll, dann müssen soziale und ökologische Produktionsbedingungen berücksichtigt werden. Landwirtschaft Landwirtschaft stellt weiterhin den größten Wirtschaftssektor in den Entwicklungsländern dar. Hier werden beinahe 75 % der Bevölkerung beschäftigt und rund die Hälfte des Bruttosozialproduktes erwirtschaftet. Und obwohl ein Großteil der Lebensmittelproduktion noch auf dem Binnenmarkt konsumiert wird, nehmen Liberalisierungsmaßnahmen zunehmend Oberhand gegenüber einheimischer agrarwirtschaftlicher Politik. So werden die Möglichkeiten der Regierungen beschränkt, eine Politik zu entwickeln, die die ländliche Entwicklung fördert und eine Ernährungssouveränität ermöglicht. Reiche Länder schützen und subventionieren weiterhin massiv ihre landwirtschaftlichen Sektoren und bringen ihre Überschüsse zu Dumpingpreisen auf die internationalen Märkte. Sie tragen so zu einem Überangebot und niedrigen Preisen bei, drängen Millionen von Kleinbauern und deren Familien in die Armut und unterwandern die Nahrungsmittelsicherung in einer Vielzahl armer Länder. 3
4 Wir glauben, dass die WTO-Bestimmungen zur Landwirtschaft das Recht jedes Landes auf Ernährungssouveränität durch angemessene lokale, nationale und internationale Maßnahmen anerkennen sollten. Daher mahnen wir die WTO-Mitglieder: sich auf einen konkreten Stichtag zu einigen, an dem alle Arten von Exportsubventionen auf Agrarprodukte abgeschafft werden; eine Entscheidung zu treffen, die der inländischen Unterstützung nachhaltiger landschaftlicher Familienbetriebe, ländlicher Entwicklung und von Kleinbauern eine neue Richtung verleiht; Entscheidungen zu treffen zu aussagekräftigen Vorgehensweisen für besondere Produkte sowie zu einem besonderen Schutzmechanismus für Entwicklungsländer zum Schutz vor einer Überflutung von Importgütern; sich dazu zu verpflichten, Mechanismen abzuschaffen, die die Eskalation von Importzöllen nach sich ziehen. Landwirtschaftliche Erzeugnisse Die Liberalisierung des Handels und strukturelle Anpassungsmaßnahmen haben zu einer Überproduktion der meisten landwirtschaftlichen Erzeugnisse beigetragen. Als Folge daraus erzielen die Produzenten für ihre Produkte immer geringere Preise und sehen sich häufig sogar gezwungen, ihre Ernten zu unter den Produktionskosten liegenden Preisen verkaufen zu müssen. Der Gemeinsame Fonds für Rohstoffe (Common Fund for Commodities CFC) schätzt, dass das Einkommen von einer bis 2,5 Milliarden Kleinbauern weltweit weitgehend vom Export von Agrarprodukten abhängig ist. Produkte wie Kaffee, Kakao und Rohrzucker werden typischerweise von Kleinbauern angebaut, die am Existenzminimum leben und so gut wie keine finanziellen Möglichkeiten haben, in den Anbau anderer Produkte zu investieren und so ihre Produktpalette zu erweitern. Häufig erzielen die Produzenten heute einen Bruchteil der Preise, die in den Siebziger Jahren erzielt werden konnten. Diese strukturelle Krise auf dem Agrarsektor stellt die Entwicklungsländer vor eine der größten Herausforderungen. Und dennoch wird dieses Thema bei den derzeitigen WTO-Verhandlungen nur gestreift. 4
5 Daher mahnen wir die WTO-Mitglieder: mit der UNCTAD und anderen internationalen Organisationen zusammenzuarbeiten, sich der Krise auf dem Agrarsektor anzunehmen und eine umfassende Lösung zu erarbeiten für die Kleinbauern und benachteiligten Produzenten in den Entwicklungsländern; den Bedarf einer globalen Steuerung von Produktströmen zu erkennen was in der Fairhandelsbewegung bereits erfolgreich praktiziert wird und den Abschluss internationaler Abkommen zwischen Produzenten- und Konsumentenländern zu unterstützen, die prioritär den Produzenten angemessene und stabile Preise sichern; die Einrichtung eines Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Diversifizierung zu unterstützen, um Kleinbauern dabei zu helfen, ihre Abhängigkeit von landwirtschaftlichen Erzeugnissen zu verringern. Nichtlandwirtschaftlicher Marktzugang Viele Entwicklungsländer verlangen erhöhte Einfuhrzölle, um ihre kleinen und jungen Industriezweige zu schützen. Diese wichtigen Schutzmaßnahmen sind durch die aggressive Liberalisierungspolitik bedroht, die derzeit von reichen Ländern während der Verhandlungen zu Nichtlandwirtschaftlichem Marktzugang (Non-Agricultural Market Access NAMA) vorgeschlagen wird. Weiterhin werden die aus den Verhandlungen resultierenden Zollsenkungen die Staatseinkünfte der Entwicklungsländer empfindlich reduzieren, wodurch wiederum ärmere Länder immer weniger in der Lage sind, öffentliche Leistungen finanzieren zu können. In dieser Hinsicht unterwandern die NAMA- Verhandlungen den laufenden Fortschritt zur Erreichung der Millenniums- Entwicklungsziele der Vereinten Nationen. Die Eskalation von Importzöllen (also niedrigere Importzölle für Rohstoffe und höhere Importzölle für Endprodukte) hindert Kleinbauern daran, zur inländischen Wertschöpfung beizutragen und stellt somit ein reales Hindernis für die nachhaltige Entwicklung dar. Mit der Erweiterung des Fairen Handels auf Bereiche mit höherer Wertschöpfung, wie z.b. Textil-, Leder-, Schuh- und Schmuckproduktion, wächst die Zahl der am Fairen Handel teilnehmenden Produzenten, die von den NAMA-Verhandlungen betroffen sind. 5
6 Daher mahnen wir die WTO-Mitglieder: für Entwicklungsländer das Prinzip der Nicht-Reziprozität zuzulassen; eine Vereinbarung zu schließen, die nicht die Fähigkeit der Entwicklungsländer einschränkt, ihre eigenen Zölle festzulegen; die Auswirkungen auf Entwicklungsländer zu untersuchen, die derzeit von Vereinbarungen wie dem Cotonou-Abkommen oder dem Africa Growth and Opportunity Act (AGOA) profitieren, bevor Änderungen an solch begünstigenden Systemen tatsächlich umgesetzt werden; sich dazu zu verpflichten, die Eskalation von Importzöllen auszuschalten. Sonder- und Vorzugsbehandlung Handelsabkommen müssen die besonderen Entwicklungsbedürfnisse eines jeden Landes berücksichtigen, was besonders durch die Sonder- und Vorzugsbehandlung (Special and Differential Treatment SDT) innerhalb der WTO bewerkstelligt werden soll. Die Sonder- und Vorzugsbehandlung spielt eine entscheidende Rolle darin, Entwicklungsländern genügend Mittel zur Verfügung zu stellen, um sich dem äußerst harten Konkurrenzkampf im internationalen Handel stellen zu können. Wir bedauern den fehlenden Fortschritt in den SDT- Verhandlungen. Im Vorlauf zur Ministerkonferenz in Hongkong sollte ein besonderes Augenmerk auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer gerichtet werden, um die bereits beschlossenen SDT-Maßnahmen zu überprüfen und entsprechend umzusetzen. Daher mahnen wir die WTO-Mitglieder: ihre Versprechungen aus der Doha-Entwicklungsrunde zu halten und den SDT-Verhandlungen höchste Priorität beizumessen; damit aufzuhören, Entwicklungsländer gegen ihren Willen in Unterkategorien zu unterteilen. KONTAKT Fair Trade Advocacy Office Rue de la Charité, 43 B-1210 Brüssel Belgien Tel : Fax: info@fairtrade-advocacy.org 6
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