Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium Prof. Dr. Roland Rixecker. Fallbesprechung: Eine teure Burgruine
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1 Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium Prof. Dr. Roland Rixecker Fallbesprechung: Eine teure Burgruine Polizeirecht, Verwaltungsrecht UNI-NII.049 (WS 13/14) Sachverhalt Z ist Eigentümer eines wirtschaftlich wertlosen Berggrundstücks, auf dem eine seit Jahrhunderten der Familie von Z gehörende Burgruine steht. Unterhalb des Berges liegen verschiedene Wohnhäuser, deren Gärten unmittelbar an eine zum Berg gehörende Steinwand anschließen. Auch die Wohngrundstücke befanden sich ehemals im Eigentum von Z, sind aber vor mehr als einem Jahrhundert in andere Hände gelangt. Nachdem sich zunehmend Felsbrocken von der Wand gelöst hatten und der komplette Einsturz der Steilwand drohte, erklärte Z dem zuständigen Grundbuchamt gegenüber, er gebe das Eigentum an dem betroffenen Grundstück auf. Das wurde auch im Grundbuch eingetragen. Dennoch wies ihn die Oberbürgermeisterin der saarländischen Stadt S, in der das Grundstück liegt, als Ortspolizeibehörde am schriftlich und mit der erforderlichen Rechtsbehelfsbelehrung an, das zur Sicherung der Felswand Erforderliche zu unternehmen. Erkundigungen von Z ergaben, dass verschiedene Maßnahmen (Komplett- oder Teilabtragung der Felswand, Festigung durch Einspritzen von Beton oder Anbringen von Holzbohlen, Aufspannen von Stahlnetzen) in Betracht kommen. Die Kosten wurden auf 1,5 bis 7,5 Millionen Euro veranschlagt. Am legte Z gegen die Anordnung Widerspruch ein. Wegen unmittelbar bevorstehender starker Regenfälle und der dadurch bedingten akuten Felssturzgefahr erwog die Verwaltungsbehörde, die sofortige Vollziehung anzuordnen, verwarf das aber, weil sie unsicher geworden war, ob Z der richtige Adressat sei. Sie entschloss sich, dies nachrangig und später zu klären, und beauftragte noch am ein Unternehmen mit Sicherungsmaßnahmen. Dafür entstanden ihr Kosten von 2,5 Millionen Euro. Erst am erging dann ein Bescheid, der den Widerspruch zurückwies. Nun hielt die Oberbürgermeisterin von S als Ortspolizeibehörde die Frage, wer kostenpflichtig sei, für geklärt und verlangte von dem durchaus wohlhabenden Z mit Bescheid vom die Kosten. Auch dieser Bescheid war mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Am legte Z, der die Sache inzwischen als erledigt angesehen hatte, Widerspruch gegen den Kostenbescheid ein, der wenige Tage später zurückgewiesen wurde. Daraufhin erhob Z am beim zuständigen Verwaltungsgericht des Saarlandes Klage gegen die Oberbürgermeisterin von S als Ortspolizeibehörde. 1
2 Seiner Klageschrift ist zu entnehmen, dass er sich sowohl gegen die Anordnung vom als auch gegen den Bescheid vom wenden will. Darüber hinaus begehrt er gegen den Bescheid vom einstweiligen Rechtsschutz. Zur Begründung führt er aus, für die Begleichung der Kosten müsse er sein Unternehmen verkaufen oder einen äußerst teuren Kredit aufnehmen. Das würde zu seinem Ruin führen. Die Verwaltungsbehörde habe ihm außerdem mitgeteilt, er werde von ihr auch in Zukunft zur Durchführung von Felssicherungsmaßnahmen angewiesen werden. Das widerstreite dem Umstand, dass er längst nicht mehr Eigentümer des Berggrundstücks sei. Wird er mit seinen Klagen und seinem Antrag Aussicht auf Erfolg haben? 2
3 Staats- und Verwaltungsrecht Repetitorium Prof. Dr. Roland Rixecker Gliederungsvorschlag und Skizzen zu einer Lösung Eine teure Burgruine UNI-NII.049 (WS 13/14) Probleme des Falles: Erledigung eines Verwaltungsaktes Zulässigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage Bestimmtheit einer Polizeiverfügung 8 Abs. 1 SPolG 5 Abs. 1 SPolG Grenzen der Inanspruchnahme eines Zustandsverantwortlichen Voraussetzungen des Sofortvollzuges nach 44 Abs. 2 SPolG Einstweiliger Rechtsschutz gegen Kostenbescheide Zu lesen: BVerwG NVwZ 2000, 64; BVerwGE 102,1. Aufgabe 1: Erfolgsaussichten der Klage gegen den Bescheid vom A. Zulässigkeit der Klage I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges Da es sich um eine Klage gegen eine Polizeiverfügung handelt, liegt eine öffentlichrechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Natur, die nicht anderweitig zugewiesen ist, vor ( 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). II. Statthafte Klageart In Betracht kommt eine Anfechtungsklage gemäß 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO. Das setzt voraus, dass sich der ursprüngliche Bescheid vom noch nicht erledigt hat. Von der Erledigung eines Verwaltungsaktes ( 43 Abs. 2 VwVfG) ist auszugehen, wenn die mit ihm verbundene rechtliche oder sachliche Beschwer entfallen, seine Aufhebung also sinnlos ist. Dafür könnte sprechen, dass die Verwaltungsbehörde die mit dem VA verlangten Felssicherungsmaßnahmen selbst durchgeführt hat. Ist darin eine Ersatzvornahme i.s. von 46 Abs. 1 SPolG zu sehen, ist der Grundverwaltungsakt für deren Rechtmäßigkeit weiterhin maßgeblich. Er hätte sich also nicht erledigt. Die Oberbürgermeisterin von S als Ortspolizeibehörde hat aber gerade zu erkennen gegeben, dass sie auf die Durchsetzung des Grundverwaltungsaktes im Hinblick auf ihre 3
4 eigenen Zweifel zunächst verzichtet hat. Sie hat damit den Weg des sofortigen Vollzuges nach 44 Abs. 2 SPolG gewählt. Daher hat sich der VA, der keine rechtliche Bedeutung mehr für Z hat, erledigt. In Betracht kommt folglich eine Fortsetzungsfeststellungsklage. (Die Bearbeitung muss sich damit auseinandersetzen, ob eine Fortsetzungsfeststellungsklage noch statthaft ist, oder ob eine Feststellungsklage als richtige Klageart in Betracht kommt. Sie sollte daher die Entscheidung BVerwG NVwZ 2000, 64 kennen. Im Hinblick auf die Darstellungsmöglichkeiten in einer Klausurlösung erscheint es sinnvoll, zu der von der Rechtsprechung noch immer weit überwiegend angenommenen Statthaftigkeit einer Fortsetzungsfeststellungsklage zu gelangen. Zur Begründung kann sich die Bearbeitung darauf berufen, es liege eine Regelungslücke vor, die aus Gründen der Rechtsähnlichkeit in entsprechender Anwendung des 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu schließen ist. Dafür spricht, dass es der Sache nach um die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines VA geht, die aber erkennbar nicht Gegenstand einer Feststellungsklage nach 43 VwVGO sein soll. Auch lässt sich anführen, dass es sich bei der Fortsetzungsfeststellungsklage lediglich um eine Art verlängerte Anfechtungsklage handelt.) III. Klagebefugnis ( 42 Abs. 2 VwGO analog) Die Klagebefugnis ergibt sich daraus, dass Z durch den erledigten VA belastet worden ist und damit in seinen Rechten beeinträchtigt sein kann. IV. Fortsetzungsfeststellungsinteresse Es ergibt sich hier schon aus der Absicht der Verwaltungsbehörde, in vergleichbaren Sachlagen dem Z erneut Felssicherungsmaßnahmen aufzugeben. V. Durchführung eines Widerspruchsverfahrens Die Bearbeitung muss das Problem der Notwendigkeit eines Widerspruchsverfahrens bei der Fortsetzungsfeststellungsklage nicht erörtern, weil Z Widerspruch eingelegt hat und dieser beschieden worden ist. VI. Klagefrist Da der Widerspruchsbescheid erst am ergangen ist, Z aber Mitte August 2012 Klage erhoben hat, ist die Klagefrist nach 74 Abs. 1 VwGO in jedem Fall gewahrt. Die Bearbeitung muss daher auch nicht darauf eingehen, ob es überhaupt der Wahrung einer Klagefrist bedarf. Die Bearbeitung kann muss aber nicht darauf hinweisen, dass Z angesichts der verstrichenen Zeit nach Einlegung des Widerspruchs nach 75 Satz 1 VwGO Klage hätte erheben können. Die Möglichkeiten des 75 Satz 1 VwGO stellen aber eine bloße Option dar. 4
5 VII. Passive Prozessführungsbefugnis Sie ergibt sich aus 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.v.m. 19 Abs. 2 AGVwGO. Aus 61 Nr. 3 VwGO i.v.m. 19 Abs. 1 AGVwGO ergibt sich auch die Beteiligtenfähigkeit der Oberbürgermeisterin von S als Ortspolizeibehörde. B. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt hat ( 113 Abs. 1 VwGO analog). I. Rechtsgrundlage des Bescheids vom In Betracht kommt allein 8 Abs. 1 SPolG. II. Formelle Rechtmäßigkeit Z ist nicht erkennbar angehört worden ( 28 VwVfG). Angesichts der Umstände ist jedoch davon auszugehen, dass es einer Anhörung wegen Gefahr im Verzug nicht bedurfte ( 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG). Dann bedurfte es auch keiner Nachholung. III. Bestimmtheit der Polizeiverfügung Der Bescheid vom ist nicht bestimmt genug im Sinne von 37 Abs. 1 VwVfG, da das zur Sicherung der Felswand Erforderliche eine Vielfalt möglicher Maßnahmen denkbar erscheinen lässt. Schon daraus folgt seine Rechtswidrigkeit. IV. Materielle Rechtmäßigkeit Unabhängig von der Frage der fehlenden Bestimmtheit erscheint es im Rahmen der Klausurlösung notwendig, auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom in materieller Hinsicht einzugehen. Verf. sollten erläutern, was unter dem polizeilichen Schutzgut der öffentlichen Sicherheit zu verstehen ist und wann eine konkrete Gefahr dafür vorliegt. Die Subsumtion liegt auf der Hand. Fraglich ist allerdings, ob Z auch Störer ist. Handlungsstörer ( 4 SPolG) ist er nicht. Er ist auch nicht kraft Eigentums Zustandsstörer ( 5 Abs. 2 Satz 1 SPolG). Jedoch ergibt sich die Störereigenschaft trotz der Dereliktion aus 5 Abs. 3 SPolG. Fraglich ist allerdings, ob der Bescheid ermessensfehlerfrei ergangen ist ( 3 Abs. 1 SPolG). Maßgeblich ist nach 40 VwVfG, ob S ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens eingehalten hat. Zu den gesetzlichen Grenzen des Ermessens kann Art. 14 Abs. 1 GG zählen. Fraglich ist also, ob der Bescheid vom , der zweifellos keine Enteignung darstellt, als Inhalts- und Schrankenbestimmung verfassungsmäßig ist. Die Bearbeitung muss sich in 5
6 diesem Zusammenhang mit der Rechtsprechung (BVerwGE 102, 1) zur Opfergrenze der Inanspruchnahme eines Zustandsstörers äußern. Ihre Überschreitung liegt hier deshalb nahe, weil die zu erwartenden Kosten von Felssicherungsmaßnahmen den Verkehrswert des Bergstücks bei weitem überschritten haben. Das gilt unabhängig davon, dass Z vermögend ist. Denn das Vermögen steht in keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem sanierungsbedürftigen Grundstück. Der Bescheid ist folglich (auch deshalb) rechtswidrig. Aufgabe 2: Erfolgsaussichten der Klage gegen den Kostenbescheid vom Die Bearbeitung kann die Zulässigkeitsprüfung so knapp wie irgend möglich halten. Rechtliche Probleme bestehen insoweit nicht. Die Anfechtungsklage ist begründet, wenn der angefochtene Kostenbescheid rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt ( 113 Abs. 1 VwGO). I. Rechtsgrundlage Die Bearbeitung muss noch einmal erwähnen, aus welchen Gründen sie sich gegen eine Ersatzvornahme entscheidet. Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid ist folglich 90 Abs. 1 SPolG i.v.m. 46 Abs. 1 Satz 2 SPolG, 44 Abs. 2 SPolG. Die Anwendung von Verwaltungszwang ohne vorausgehenden VA setzt gemäß 44 Abs. 2 SPolG voraus, dass das Handeln der Behörde zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist, insbesondere, weil Maßnahmen gegen Verantwortliche nach den 4 6 SPolG nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen und die Polizei hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Der Sofortvollzug ist daher nur dann rechtmäßig erfolgt, wenn die Voraussetzungen für den Erlass einer (fiktiven) Grundverfügung und die besonderen Voraussetzungen der Eilbedürftigkeit vorliegen und der Sofortvollzug als solcher ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Da die Voraussetzungen für den Erlass einer Grundverfügung wegen Unzumutbarkeit einer Inanspruchnahme des Z nicht vorliegen, ist auch der Kostenbescheid rechtswidrig. Aufgabe 3: Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Kostenbescheid In Betracht kommt ein Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß 80 Abs. 5 VwGO (womit nach 123 Abs. 5 VwGO ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ausscheidet). 6
7 Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Antrags kommt es entscheidend darauf an, ob überhaupt ein Rechtsschutzbedürfnis für einen einstweiligen Rechtsschutz besteht. Das ist nicht der Fall, wenn die von Z erhobene Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung hat. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage tritt nicht ein, wenn es sich um die Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten i.s. von 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelt und auch nicht, wenn es sich um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung i.s. von 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO handelt. Das wird zum Teil angenommen, weil es sich bei Kostenbescheiden der hier vorliegenden Art um einen fiskalischen Ersatzanspruch für verauslagte Aufwendungen handelt und weil es nicht mehr um die Beugung des Willens des Störers geht. Das ist allerdings umstritten (OVG Koblenz, DVBl 1999, 116; OVG Berlin NVwZ-RR 199, 156). 3 PolKoVo erfasst die Gebühr nach 1 Nr. 4 PolKoVo, also die für die Ausführung der Ersatzvornahme zu erhebende Gebühr, nicht die der Polizeibehörde entstandenen besonderen Auslagen. Dazu zählen insbesondere Beiträge, die anderen Personen für ihre Tätigkeit zu zahlen sind. Hier geht es gerade um Kosten, die durch die Beauftragung eines Unternehmens mit der Durchführung von Sicherungsmaßnahmen entstanden sind. Also geht es nicht um die Erhebung von Gebühren und damit auch nicht um öffentliche Abgaben im Sinne von 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Auch geht es nicht um eine Maßnahme in der Verwaltungsvollstreckung ( 20 AGVwGO). Der Antrag ist folglich nicht zulässig. Die Bearbeitung, die die Auffassung vertritt, es handele sich um einen Fall des 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO, muss die Unzulässigkeit des Antrags aus 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO herleiten. 7
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