Verschuldung der privaten Haushalte in der Krise nicht erhöht
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- Nicole Hase
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1 Verschuldung der privaten Haushalte in der Krise nicht erhöht Marlene Karl und Dorothea Schäfer Das Verschuldungsverhalten der privaten Haushalte in Deutschland hat sich durch die jüngste Finanz- und Wirtschaftskrise nicht wesentlich geändert. Der Anteil von Haushalten mit Konsumenten- oder n war 29 niedriger als während der Dotcom-Krise um die Jahrtausendwende, und auch die monatliche Belastung mit Zins- und Tilgungszahlungen lag deutlich unter dem damaligen Niveau. Dies zeigt eine Untersuchung des DIW Berlin auf der Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP). Knapp 4 Prozent der im Jahr 29 befragten verschuldeten Haushalte empfanden den Schuldendienst als schwere Belastung, für 6 Prozent war dies nur ein geringes oder gar kein Problem. Diese Relationen sind in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Im Durchschnitt zeigen sich die privaten Haushalte damit als finanziell recht widerstandsfähig. Eine Konsumbremse stellt die private Verschuldung in Deutschland nicht dar. Dauer und Ausmaß der Finanzkrise sowie der tiefe Wachstumseinbruch im Jahr 29 haben die Menschen in Deutschland nach eigenem Bekunden stark verunsichert 1. Hat sich dadurch das Verschuldungsverhalten der deutschen Privathaushalten wesentlich verändert? Die Antwort auf diese Frage ist auch von Interesse für die Abschätzung der längerfristigen ökonomischen Auswirkungen der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise. Nicht zu unrecht führen viele Ökonomen die relativ geringen Fortschritte der USA, Englands und Irlands bei der endgültigen Überwindung der Krisenfolgen auf das hohe Niveau der privaten Verschuldung in diesen Ländern zurück. 2 Wie private Haushalte auf eine Finanz- und Wirtschaftskrise einen ökonomischen Schock reagieren, ist aus theoretischer Sicht nicht klar. Ein negativer Schock kann das Bedürfnis der Haushalte steigen lassen, gegenüber Risiken wie Arbeitslosigkeit und Einkommensausfall besser abgesichert zu sein. In diesem Fall ist davon auszugehen, dass sich die Haushalte mit dem Eintritt der Krise verstärkt um Entschuldung bemühen und die Neuaufnahme von Krediten in die fernere Zukunft verschieben. Haushalte könnten aber auch durch eine Krise zur gegenteiligen Reaktion veranlasst werden. So kann es zu einer Ausweitung der Verschuldung kommen, wenn die Krise finanzielle Engpässe, zum Beispiel durch Einkommenseinbußen infolge von Arbeitslosigkeit, mit sich bringt. Auch eine krisenbedingt lockere Geldpolitik, wie sie zurzeit zu beobachten ist, kann zu verstärkter Verschuldung führen. Die dann niedrigen Zinsen können bewirken, dass mehr Anschaffungen sofort und auf Kredit getätigt werden. Schließlich können auch Förderanreize wie die Abwrackprämie im Jahr 29 Haus- 1 GfK: Pressemitteilung vom 8. Mai 29: Wirtschaftskrise bestimmt Sorgen der Europäer. 2 Siehe zum Beispiel Meyer, H. (29): Großbritannien zwischen globaler Wirtschaftskrise und New Labour 2.. DIW Wochenbericht Nr
2 Abbildung 1 Entwicklung von Bruttoinlandsprodukt und DAX Veränderung des Bruttoinlandsprodukts In Prozent, preisbereinigt, verkettet Verlauf des DAX Quellen: Statistisches Bundesamt; Yahoo finance. Seit 1997 gab es zwei tiefe wirtschaftliche Einbrüche. DIW Berlin 211 halte in größerem Umfang veranlassen, unzureichend vorhandene Eigenmittel mittels Kredit auf das notwendige Volumen aufzustocken. Die Frage, ob und wie Haushalte ihr Verschuldungsverhalten in einer Krise ändern, lässt sich also nur empirisch beantworten. Neben den allgemeinen Rahmenbedingungen 3 und der eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit dürften für die Reaktion auf Krisen auch Faktoren wie das Belastungsempfinden, die Risikoeinstellung, die Expertise im Schuldenumgang und das Schuldenmilieu eine wesentliche Rolle spielen. 4 Die vorliegende Untersuchung beruht auf den Daten des sozio-oekonomischen Haushaltspanels (SOEP) für den Zeitraum 1997 bis 29 (Kasten 1) bis 21: Zwei Finanzmarktkrisen Der Juni 27 markiert den Beginn der jüngsten Finanzmarktkrise. Zu diesem Zeitpunkt musste der deutsche Staat die Industrie- und Kreditbank (IKB) wegen Fehlinvestitionen in Wertpapiere US-amerikanischen Ursprungs auffangen. Im Januar 28 begab sich der Aktienindex DAX auf Talfahrt (Abbildung 1). Die Insolvenz von Lehman Brothers im September 28 verwandelte die ohnehin begonnene konjunkturelle Abschwächung in eine scharfe Rezession. 5 Bei weiter anhaltenden Kursverlusten an den Aktienmärkten musste die deutsche Wirtschaft im Jahr 29 mit minus 4,7 Prozent den größten Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Leistung in der Nachkriegsgeschichte hinnehmen. Die Krise ist vermutlich Ende 28/Anfang 29 voll in das Bewusstsein der Privatpersonen in Deutschland vorgedrungen. Bis zum Herbst 28 zeigte sich die Realwirtschaft gegenüber den Krisensignalen aus dem Finanzsektor erstaunlich widerstandsfähig. Erst nach der Insolvenz von Lehman Brothers und den diversen Rettungsschirmen stellten sich sämtliche Prognoseampeln auf Rot. Die Befragungen im SOEP beziehen sich jeweils auf die erste Hälfte des entsprechenden Jahres. Antworten unter dem vollen Eindruck der Krise dürfte es somit erst im Jahr 29 gegeben haben. Um zu prüfen, ob es ein typisches krisenbedingtes Verschuldungsverhalten gibt, vergleichen wir die jüngste Entwicklung mit derjenigen während der Dotcom- Blase zwischen 1997 und 2. Im Jahr 2 begannen die Aktienmärkte in Deutschland eine rasante Talfahrt. Der DAX stürzte von seinem Höchststand von Punkte im März 2 auf unter 3 Punkte im Oktober 22 ab, und das Wirtschaftswachstum ging von 3,2 Prozent im Jahr 2 auf minus,2 Prozent 23 zurück. 3 Diese Rahmenbedingungen bezeichnet man auch als Risiken im Hintergrund. Bei deren Erhöhung werden Personen gegenüber einem bestimmten Risiko (zum Beispiel Verschuldung) plötzlich risikoaverser, obwohl sich objektiv (an der Verschuldung) nichts geändert hat. Vgl. Guiso, L., Paiella, M. (28): Risk Aversion, Wealth, and Background Risk, Journal of the European Economic Association, 6 (6), Eine wachsende Anzahl von Studien beschäftigt sich mit den Einflüssen der Umgebung auf das Finanzverhalten von Haushalten. So wird davon ausgegangen, dass sich Haushalte leichter verschulden, wenn es in der Nachbarschaft allgemein üblich ist, Anschaffungen und Investitionen mit Krediten zu finanzieren, vgl. zum Beispiel Capuano, A., Ramsay, I. (211): What Causes Suboptimal Financial Behaviour? An Exploration of Financial Literacy, Social Influences and Behavioural Economics. University of Melbourne. 5 Schäfer D. (28): Agenda für eine neue Finanzmarktarchitektur. Wochenbericht des DIW Berlin Nr /28, DIW Wochenbericht Nr
3 Kasten 1 Datengrundlage: Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) Das SOEP 1 liefert neben den sozioökonomischen Merkmalen des Haushalts auch eine Reihe von Angaben zur Verschuldung der Haushalte. So sind Informationen zu Hypotheken- und n, zum monatlichen Aufwand für Tilgung und Zinsen für beide Kreditarten und zur gefühlten Belastung durch Verschuldung aus n verfügbar. Aus den vorhandenen Daten lässt sich auch das Jahr ermitteln, in dem ein Haushalt entweder zum ersten Mal oder nach einer schuldenfreien Periode erneut einen Kredit aufnimmt. Als neuverschuldeter Haushalt wird ein Haushalt gezählt, der im Befragungsjahr angibt, finanzielle Belastungen durch Kredite zu haben, im Vorjahr aber keine solchen Belastungen hatte. und werden getrennt betrachtet. Dabei werden im SOEP-Fragebogen als Kredite, die für größere Anschaffungen oder sonstige Ausgaben aufgenommen werden, bezeichnet. 1 Das SOEP ist eine seit 1984 laufende Wiederholungsbefragung von zurzeit rund 23 Personen in über 12 Privathaushalten in Deutschland. Die Erhebung wird vom DIW Berlin in Zusammenarbeit mit TNS Infratest Sozialforschung durchgeführt. Vgl. Gert G. Wagner, Jan Göbel, Peter Krause, Rainer Pischner, Ingo Sieber. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) (28): Multidisziplinäres Haushaltspanel und Kohortenstudie für Deutschland Eine Einführung (für neue Datennutzer) mit einem Ausblick (für erfahrene Anwender). AStA Wirtschafts- und Sozialstatistisches Archiv, 2 (4), Die objektive Verschuldungssituation wird in der vorliegenden Studie durch den Anteil der verschuldeten Haushalte an der Gesamtheit aller Haushalte und durch die Höhe der durchschnittlichen Belastung pro Monat für verschuldete Haushalte gemessen. Das Verhältnis der monatlichen Belastung für Zins und Tilgung zum monatlichen Pro-Kopf-Haushaltsnettoeinkommen ergibt die errechnete (tatsächliche) Belastung durch Schulden. Beim Anteil der Haushalte mit Konsumenten- und n (Abbildung 2) liegen die Fallzahlen in beiden Kreditarten zwischen mehr als 1 3 und weit über 2 Haushalten pro Jahr. Die Fallzahlen für neue Immobilien und (Abbildung 3) bewegen sich pro Jahr zwischen mehr als 2 beziehungsweise mehr als 5 Haushalten. Tabelle 1 zur gefühlten Belastung beruht auf 4 bis zu über 8 antwortenden Haushalten pro Kategorie und Jahr. Zwischen 1999 auf 2 ist die Anzahl von SOEP-Haushalten um rund 6 Haushalte angewachsen. Wenn Haushalte im Vorjahr nicht in der Stichprobe vorkamen, ist die Neukreditaufnahme nicht identifizierbar. Die hinzugekommenen Haushalte werden daher im ersten Jahr nicht mitgezählt. Kaum Veränderung beim Schuldenstand Die Verschuldung der privaten Haushalte hat in der Krise 28/9 nicht zugenommen. Der Anteil der Haushalte mit n war 29 ähnlich hoch wie vor der Krise, und bei n setzte sich der schon lange anhaltende rückläufige Trend bis zuletzt fort (Abbildung 2). 6 Die geringe Bewegung mag auch an der meist langfristigen Natur von Kreditbeziehungen liegen, die eine unmittelbare Reaktion der Haushalte auf einen ökonomischen Schock kaum zulassen. Auch im Vergleich zum Tiefpunkt der Dotcom-Krise waren im Rezessionsjahr 29 weniger Haushalte verschuldet. Im Jahr 23 hielten gut 2 Prozent aller Haushalte einen Konsumentenkredit und etwas weniger als 2 Prozent einen Immobilienkredit. Im Jahr 29 lagen diese Anteile bei 18 Prozent. Der Anteil der Haushalte mit Schulden ist allerdings nur ein grober Indikator für private Verschuldung. Einen tieferen Einblick bieten Informationen zur Belastung der Haushalte durch Zins und Tilgung. Die durchschnittliche monatliche Belastung durch ist von 36 Euro im Jahr 24 auf rund 28 Euro im Jahr 29 gesunken. Lediglich 27 stieg die Belastung kurzfristig an. Ebenso deutlich ist der Rückgang bei den n. und der Neuverschuldung Eine gegebene Verschuldung lässt sich oft nicht kurzfristig verändern. Mehr Flexibilität ist jedoch bei der Entscheidung für oder gegen die Neuaufnahme eines Kredits zu erwarten. Tendenziell ist daher die Neuverschuldung ein besserer Indikator für die Reaktion der Haushalte auf Krisen als die Belastung durch die Bestandsschulden. 6 Knapp fünf Prozent der Haushalte haben sowohl Immobilien- als auch aufgenommen. Summiert man beide Kreditarten, bleiben die hier gezeigten Entwicklungen ähnlich. Im Jahr 1999 lag der Anteil der Haushalte, die sich neu mit n verschuldet haben, auf dem Rekordniveau von knapp zehn Prozent (Abbildung 3). DIW Wochenbericht Nr
4 Abbildung 2 Bestand an Konsumenten- und n Anteil der Haushalte mit Konsumenten- und n In Prozent aller Haushalte Belastung der verschuldeten Haushalte durch Konsumenten- und In Euro pro Monat Haushalte können sowohl Konsumenten- als auch aufgenommen haben, vgl. Fußnote 6. Die Werte zur Belastung der Haushalte durch Zins- und Tilgungszahlungen sind inflationsbereinigt (Preisbasis 25). Quellen: SOEP; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 211 Die monatliche Belastung durch Zins- und Tilgungszahlungen geht tendenziell zurück. Möglicherweise haben auf dem Höhepunkt des Dotcom- Booms viele Anleger auch Konsumkredite für Aktienspekulationen genutzt. In den Jahren danach pendelte sich dieser Anteil zunächst auf die Spannweite von sechs bis acht Prozent ein, und im Jahr 25 fiel er auf das neue Niveau von fünf bis sechs Prozent. Die Belastung aus neuen n war inflationsbereinigt im Rezessionsjahr 29 um etwa 8 Euro geringer als 27 und um etwa 1 Euro geringer als im Spitzenjahr Vergleicht man die jeweiligen Jahre des beginnenden Abschwungs an den Kapitalmärkten, dann fällt auf, dass der Anteil der Haushalte mit Neukreditaufnahme von 1999 bis 2 deutlich abgenommen hat, wäh- rend der Rückgang von 28 auf 29 kaum ins Gewicht fällt. Die Tatsache, dass der Anteil der Haushalte mit neuen n 29 zurückgegangen ist, die Belastung aus diesen Krediten aber leicht zugenommen hat, deutet darauf hin, dass Haushalte, die sich 29 an eine Neuverschuldung durch gewagt haben, offenbar größere Kreditbeträge gewählt haben als im Vorjahr. Dieser Befund passt zu den Ergebnissen des Kredit-Kompasses 21. Auch hier wird eine Ausweitung der für 29 festgestellt. 7 Gründe für diese Entwicklung könnten staatlich gesetzte Konsumanreize wie die Abwrackprämie, die unerwartet stabile Lage auf dem Arbeitsmarkt oder der Rückgang der Zinsen gewesen sein (Abbildung 4). Der Anteil der Haushalte, die einen Immobilienkredit aufgenommen haben, setzte in den Jahren 27 bis 29 den seit 22 fallenden Trend fort. Die monatliche Belastung der Neuverschuldeten lag im Rezessionsjahr 29 um knapp 3 Euro unter der des Krisenjahres 23 und um mehr als 16 Euro unter der Rekordmarke von Bei den n zeigt sich im direkten Vergleich der beiden Jahre des beginnenden Kapitalmarktabschwungs ebenfalls ein deutlicher Unterschied. Während im Jahr 2 die monatliche Belastung aus neuen n stark zurückging, nahm sie 28 zu. Im Rezessionsjahr 29 war die Belastung durch neue etwa so hoch wie vor der Krise. Dagegen lag die monatliche Belastung im Dotcom-Rezessionsjahr 23 deutlich unter dem Niveau des letzten Vorkrisenjahres Insgesamt zeigt sich, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise 28/9 die Verschuldungssituation der Privathaushalte nicht wesentlich verändert hat. Dies gilt für den Anteil der verschuldeten Haushalte wie auch für die monatliche Belastung durch Zins und Tilgung. Gefühlte und tatsächliche Belastung durch Verschuldung Wenn auch objektiv keine besonderen Ausschläge beim Verschuldungsverhalten der deutschen Haushalte feststellbar sind, so könnte die Finanz- und Wirtschaftskrise doch das subjektive Belastungsempfinden der Haushalte verändert haben. Im Folgenden wird deshalb zwischen gefühlter und tatsächlicher Belastung unterschieden. Dabei können indes nur Konsumentenkredi- 7 SCHUFA Holding AG (Hrsg.): SCHUFA Kredit-Kompass DIW Wochenbericht Nr
5 te einbezogen werden, und dies auch nur für den Zeitraum von 25 bis 29. Die gefühlte Belastung wird im SOEP direkt abgebildet. Die Haushalte, die halten, werden jährlich befragt, ob Aufwendungen für Zinsen und Tilgung für sie eine schwere Belastung, eine geringe Belastung oder kein Problem darstellen. Der gefühlten Belastung wird die errechnete (tatsächliche) Belastung gegenübergestellt. Sie ergibt sich aus dem Verhältnis von Schuldendienst zu Haushaltsnettoeinkommen. Anhand der Angaben zu Einkommen und Aufwendungen für Zins und Tilgung werden die Haushalte dabei in drei objektive Belastungsgruppen eingeteilt. In Jahr 29 gaben knapp 4 Prozent der Haushalte mit n an, dass die Rückzahlung für sie eine schwere Belastung darstellt, für etwas mehr als 4 Prozent war sie eine geringe Belastung und für etwa 2 Prozent war der Schuldendienst kein Problem. Damit hat sich die gefühlte Belastung der privaten Haushalte im Vergleich zu den Vorjahren kaum verändert (Tabelle). Bei der Einteilung nach dem Kriterium tatsächliche Belastung werden Haushalte zunächst nach der Höhe des Verhältnisses von Schuldendienst zum monatichen Pro- Kopf-Haushaltsnettoeinkommen gereiht. Um Vergleichbarkeit mit den Gruppen der subjektiven Belastung herzustellen, wird die Gruppenaufteilung analog vorgenommen. Die unteren 2 Prozent der Verteilung gelten als Gruppe mit keinem Problem, die mittleren 4 Prozent als diejenigen mit geringer Belastung und die oberen 4 Prozent als Gruppe mit einem schweren Problem. In der Gruppe mit objektiv keinem Problem sind Männer und Frauen annähernd gleich verteilt. Hingegen sind Männer in der Kategorie kein Problem bei der gefühlten Belastung deutlich überrepräsentiert. Fast 65 Prozent der männlichen und nur 35 Prozent der weiblichen Befragten gaben an, kein Problem mit dem Schuldendienst zu haben. Diese ungleiche Wahrnehmung findet sich auch bei den Haushalten mit schwerer Belastung wieder. Die hohe gefühlte Belastung der Frauen und die niedrige der Männer spiegelt vermutlich eine im Durchschnitt höhere Risikoaversion der Frauen und eine im Durchschnitt höhere Neigung zur Selbstüberschätzung bei Männern wider. 8 8 Barber, B. M., Odean, T. (21): Boys Will Be Boys: Gender, Overconfidence, And Common Stock Investment. The Quarterly Journal of Economics, 116 (1), Badunenko, O, Barasinska, N., Schäfer, D. (21): Is gender a good predictor of financial risk taking? Evidence from national surveys of household finance. JIBS Working Papers 21-5, Jönköping International Business School, Department of Accounting and Finance. Abbildung 3 Neue Konsumenten- und Anteil der Haushalte mit neuen Konsumenten- und n In Prozent aller Haushalte Belastung der verschuldeten Haushalte durch neue Konsumenten- und In Euro pro Monat Haushalte können sowohl Konsumenten- als auch aufgenommen haben. Die Werte zur Belastung der Haushalte durch Zins- und Tilgungszahlungen sind inflationsbereinigt (Preisbasis 25). Mehrfachnennungen möglich. Quellen: SOEP; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 211 Bei der Neuaufnahme von Krediten ist kein konjunkturelles Muster zu erkennen. Tabelle Anteile der Haushalte, die ihre Verschuldung als schwere, geringe oder gar keine Belastung empfinden In Prozent Jahr Schwere Belastung Geringe Belastung Kein Problem Quellen: SOEP; Berechnungen des DIW Berlin. DIW Berlin 211 Die gefühlte Belastung durch Verschuldung hat sich nicht geändert. DIW Wochenbericht Nr
6 Kasten 2 Schätzung zum Einfluss der Krisenjahre auf die gefühlte Belastung durch Verschuldung In einem Probit-Modell wird der Einfluss von verschiedenen erklärenden Variablen auf eine binäre abhängige Variable hier die gefühlte Belastung durch Schulden getestet. Alle Haushalte, die Schulden als geringe Belastung oder kein Problem wahrnehmen, werden zu einer Gruppe zusammengefasst. Damit ergeben sich zwei Kategorien: Haushalte mit einer hohen wahrgenommenen Belastung und Haushalte, die ihre Verschuldung nicht als hohe Belastung empfinden. Die Schätzung prüft, wie die erklärenden Variablen (zum Beispiel sozioökonomische Charakteristika des Haushaltsvorstands) die Wahrscheinlichkeit des einzelnen Haushalts beeinflussen, die Schulden als hohe Last wahrzunehmen. Im Grundmodell sind das Geschlecht, das Alter, das quadrierte Alter, das logarithmierte Haushaltsnettoeinkommen, die logarithmierte Höhe der Belastung durch Zins und Tilgung und die jeweiligen Jahre der Befragung die erklärenden Variablen. Alle sozioökonomische Merkmale erweisen sich als statistisch signifikant. 1 Im Gegensatz dazu leisten die Jahre keinen signifikanten Erklärungsbeitrag. Als Test für die Robustheit der Ergebnisse wurden dem Grundmodell dann jeweils eine weitere erklärende Variable hinzugefügt. Als mögliche Einflussgrößen wurden getestet: Standort in den Neuen/Alten Bundesländern Arbeitslosigkeit* Zufriedenheit mit dem eigenen Einkommen* die Neigung, sich Sorgen zu machen* Risikobereitschaft bei Geldanlagen* Vertrauen zu anderen Menschen höchster Schulabschluss* Die mit * versehenen Variablen sind auf dem Ein-Prozent- Niveau signifikant. Testest man die Krisenjahre gegen die guten Jahre 25 27, findet sich kein statistisch signifikanter Effekt der Krise auf die Neigung, die Verschuldung als hohe Last zu empfinden. Auch wenn das Einkommen nicht als erklärende Variable verwendet wird (da dieses auch durch die Krise beeinträchtigt sein könnte) gibt es keinen Kriseneffekt. 1 Die sozioökonomischen Merkmale sind diejenigen des jeweiligen Haushaltsvorstandes. Abbildung 4 Entwicklung der Zinsen für neue Immobilienund 1 Geprüft wurde auch die Belastung nach Altergruppen und nach Wohnsitz in den neuen und alten Bundesländern. Hier zeigten sich kaum Unterschiede zwischen der Verteilung nach gefühlten und der Verteilung nach objektiver Belastung. 8 6 Schätzung zeigt keinen Einfluss der Finanz- und Wirtschaftskrise Die MFI-Zinsstatistik ersetzt seit 23 die frühere Statistik der Zinssätze im Kundengeschäft der Banken. Neue und alte Zinssätze sind nicht direkt vergleichbar. Daher wurde darauf verzichtet frühere Werte wiederzugeben. Quelle: MFI-Zinsstatistik; EZB. DIW Berlin 211 Die Zinsen waren 29 deutlich niedriger als im Rezessionsjahr 23. Eine Regressionsanalyse kann genaueren Aufschluss darüber geben, ob die Krise die gefühlte Belastung durch Verschuldung verändert hat. Anhand einer Probit-Schätzung haben wir untersucht, wie die Wahrscheinlichkeit, Schulden als hohe Belastung wahrzunehmen, durch bestimmte Merkmale der Haushalte beeinflusst wird (Kasten 2). Die Jahre der Befragung werden dabei als erklärende Variablen einbezogen. Statistische Signifikanz der Jahre 28 und 29 in der Schätzung ließe sich als signifikanter Einfluss der Finanz- und Wirtschaftskrise auf die gefühlte Belastung der Privathaushalte interpretieren. Daneben werden das Alter und Geschlecht des Haushaltsvorstandes sowie die tatsächliche Belastung und das Haushaltsnettoeinkommen als Kontrollvariablen berücksichtigt. 8 DIW Wochenbericht Nr
7 Die Wahrscheinlichkeit, die eigene Schuldenlast als schwere Belastung zu empfinden, steigt mit höheren Aufwendungen für Zins und Tilgung und mit dem Alter. Zudem fühlen sich Haushalte mit einem weiblichen Vorstand eher belastet als diejenigen mit einem männlichen Vorstand. Höheres Einkommen senkt hingegen die Wahrscheinlichkeit einer als schwer wahrgenommenen Belastung. Das Jahr der Befragung hat dagegen keinen signifikanten Einfluss auf die wahrgenommene Schuldenlast. Die Insignifikanz der Krisenjahre bleibt erhalten, auch wenn weitere erklärende Variablen wie Arbeitslosigkeit oder der höchste Schulabschluss in das Modell eingespeist werden. Marlene Karl ist Doktorandin im Graduate Center am DIW Berlin Prof. Dr. Dorothea Schäfer ist Forschungsdirektorin Finanzmärkte, Abteilung Innovation, Industrie, Dienstleistung am DIW Berlin JEL: D14, G1, G2 Keywords: Financial crisis, indebtedness, household finance DIW Wochenbericht Nr
8 Impressum DIW Wochenbericht nr. 22/211 vom 1. JUNI 211 DIW Berlin Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung e. V. Mohrenstraße 58, 1117 Berlin T F Jahrgang Herausgeber Prof. Dr. Pio Baake Prof. Dr. Tilman Brück Prof. Dr. Christian Dreger Dr. Ferdinand Fichtner PD Dr. Joachim R. Frick Prof. Dr. Martin Gornig Prof. Dr. Peter Haan Prof. Dr. Claudia Kemfert Karsten Neuhoff, Ph.D. Prof. Dr. Jürgen Schupp Prof Dr. C. Katharina Spieß Prof. Dr. Gert G. Wagner Prof. Georg Weizsäcker, Ph.D. Chefredaktion Dr. Kurt Geppert Carel Mohn Redaktion Renate Bogdanovic Sabine Fiedler PD Dr. Elke Holst Lektorat Nataliya Barasinska Dr. Markus M. Grabka Prof. Dr. Mechthild Schrooten Pressestelle Renate Bogdanovic Tel diw.de Vertrieb DIW Berlin Leserservice Postfach Offenburg diw.de Tel , 14 Cent /min. Reklamationen können nur innerhalb von vier Wochen nach Erscheinen des Wochenberichts angenommen werden; danach wird der Heftpreis berechnet. Gestaltung Edenspiekermann Satz escriptum GmbH & Co KG, Berlin Druck USE ggmbh, Berlin Nachdruck und sonstige Verbreitung auch auszugsweise nur mit Quellenangabe und unter Zusendung eines Belegexemplars an die Stabs abteilung Kommunikation des DIW Berlin (kundenservice@diw.de) zulässig. Gedruckt auf 1 % Recyclingpapier.
Vermögensverteilung. Vermögensverteilung. Zehntel mit dem höchsten Vermögen. Prozent 61,1 57,9 19,9 19,0 11,8 11,1 5 0,0 0,0 1,3 2,8 7,0 2,8 6,0
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