Behinderung und Alter: Kritische Übergänge. Universität Fribourg, Mittwoch, 5. Mai Workshop D) Praxis
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- Alexander Kerner
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1 Behinderung und Alter: Kritische Übergänge Universität Fribourg, Mittwoch, 5. Mai 2010 Workshop D) Praxis Kurt Marti, Leiter Regionales Alters- und Pflegeheim Sonnmatt, 9244 Niederuzwil SG Vorstellung: Ich arbeite seit über zwanzig Jahren als Leiter einer Alterspflegeinsitution. Längere Zeit habe ich mich in kantonalen Verbänden (VBP) sowie im Vorstand von Curaviva CH (Vorsitzender Fachkonferenz Alter) engagiert. Mein Motto lautet: MmMm. Die regionalen Alters- und Pflegeheime Niederuzwil sind eine öffentlich-rechtliche Institution (Zweckverband dreier Gemeinden, Einzugsgebiet von ca Einwohnern) und bieten 175 Heimplätze vorwiegend für Personen im AHV-Alter an, welche keinen eigenen Haushalt führen wollen oder auf Pflege und Betreuung angewiesen sind. Das Durchschnittsalter beträgt 87 Jahre und das Alter der Bewohnerinnen und Bewohner bewegt sich zwischen 58 und 102 Jahren. Wir beschäftigen 200 Mitarbeitende (90 % Frauen), welche sich auf 140 Vollzeitstellen aufteilen. 23 Personen befinden sich in einer Grundausbildung Sek II. Im Verlaufe der letzten Jahre waren wir verschiedentlich mit der Thematik von Menschen mit lebenslanger Behinderungserfahrung betroffen. Ich spreche zu Ihnen aus der Sicht des Praktikers, des Heimleiters einer Altersinstitution. Ich habe bewusst auf technische Hilfsmittel verzichtet. Sie haben am heutigen Morgen bereits genügend Präsentationen gesehen ;-) Wir gehen in unserem Heim von der Grundhaltung aus, dass die Personen bei uns (wir sprechen von Bewohnerinnen und Bewohnern) in erster Priorität wohnen wollen. Das Wohnen umfasst neben dem Bett und dem Zimmer alle dazugehörenden Dienste, wie Reinigung, Wäscheversorgung, Essen. In zweiter Priorität suchen die Bewohnerinnen soziale Kontakte und Sicherheit. Der Lichtruf steht zur Verfügung und wenn ich Hilfe benötige kann ich Personal rufen, das bereits im Hause ist. In dritter Priorität und erst in dritter Priorität wünscht, verlangt der Bewohner Hilfe und Pflege. Pflegebedürftigkeit ist wohl vielfach der Auslöser für einen Heimeintritt
2 und der Bereich Pflege ist auch der personell grösste Bereich. Der Bewohner will zuerst leben und erst nachher gepflegt werden. Er bringt bei seinem Eintritt auch 85 Jahre Erfahrung mit Essen mit und vielleicht einige Monate Pflegeerfahrung. Für unsere tägliche Arbeit ist auch noch wichtig, dass über 95 % unserer Bewohnerinnen und Bewohner nicht aus freien Stücken zu uns gekommen sind. Jedermann hofft, dass er die Dienste eines Pflegeheimes nicht in Anspruch nehmen möchte. Wir machen deshalb auch nicht aktive Werbung um Bewohnende. Die durchschnittliche Auslastung liegt bei 97 bis 100 %. Was noch zu erwähnen ist. Unsere Gebäude wurden in den Jahren 1959 (Renovation 1989), 1975 und 1987 gebaut. Bereits im Jahre 1848 führte die Gemeinde Uzwil auf unserem Gelände ein Armenhaus / Bürgerheim. Das Areal hiess damals noch Rotzenmatt. Das waren noch keine Senioren wie heute. Wir verfügen über 6 x 4-er, 24 x 2-er und er Zimmer. Wer von den Zuhörern kommt aus dem Altersbereich / wer aus dem Bereich Behinderte? Ich möchte Ihnen nun einige Erfahrungen aus der Praxis in Bezug auf die Aufnahme und Betreuung von Menschen mit lebenslanger Behinderungserfahrung (aber nicht nur) geben. Ich versuche damit auch aufzuzeigen, wie sich die Aufnahmen veränderten. Normalisierungsprinzip? Ursache für einen Heimeintritt war in jedem Falle alters- bzw. behinderungsbedingte Pflegebedürftigkeit. Ein Eintritt lediglich zum Wohnen war (bis jetzt) nie Thema. (1987) Ein erstes Mal waren wir mit der Thematik konfrontiert mit einem Mann von 26 Jahren mit Schädel-Hirn-Trauma. Fehlende Pflegeinstitutionen für jüngere Patienten führten zum Aufnahmegesuch der im Ort ansässigen Eltern. Nach Abklärung des Pflegebedarfes und unter dem Druck des Umfeldes inkl. Spital liessen wir uns zu einer Aufnahme drängen. Schon bald zeigte sich das ein solcher Patient das Pflegepersonal überforderte. Rasch bauten sich im Pflegeteam Spannungen auf und die hohen Erwartungen der Angehörigen konnten nicht erfüllt werden. Auf Grund von Verhaltensauffälligkeiten wurde der Patient von den betagten Mitbewohnern ausgegrenzt. Nach 8 Monaten musste eine neue Lösung gesucht werden.
3 (1995) Patient K. wurde im Alter von 41 Jahren im Heim aufgenommen, da seine Eltern mit der Pflege zunehmend überfordert waren. Der Patient war auf einen Rollstuhl angewiesen und konnte mit Begleitung von zwei Pflegemitarbeiterinnen einzelne Schritte gehen. Obwohl teilweise sehr laut wurde Herr K. von den Mitbewohnern akzeptiert. Sein Vater besuchte ihn täglich und konnte damit die Integration unterstützen. Etliche Mitbewohnerinnen äusserten immer wieder Mitleid. Zu diesem Zeitpunkt verfügten wir über keine Mitarbeitenden mit sozialpädagogischer Ausbildung. In Gesprächen mit dem Vater versuchten wir immer wieder aufzuzeigen, dass für Herrn K. eine spezialisierte Einrichtung bessere Betreuungs- und Förderungsmassnahmen durchführen könnte, als dies in unserer Institution für Senioren möglich war. Wie fühlt sich ein 45 Jähriger in einer Wohnumgebung mit 20 Personen (alle über 80 Jahre)? Da der Vater mit den Möglichkeiten unserer Pflege umfassend zufrieden war verblieb Herr K. bis zum Tod 2006 auf dieser Pflegestation. (2002) Patientin R. (Trisomie 21) kommt im Alter von 58 Jahren ins Heim. Der Heimeintritt erfolgt auf Grund der Tatsache, dass das bisherige Wohnheim die Betreuung während der Nacht nicht mehr gewährleisten konnte. Die liebenswürdige und ruhige Art von Frau R. findet rasch Anklang bei den Mitbewohnern. Unser Betrieb verfügt in der Zwischenzeit über eine ausgebaute Abteilung Aktivierungstherapie. Im Team arbeiten erstmals Sozialpädagogen. (2003) Herr T. (Trisomie 21) kommt im Alter von 57 Jahren aus einer Behindertenwerkstätte ins Heim. Er kann in den Werkstätten nicht mehr aktiv tätig sein und die Institution verfügt über keinen entsprechenden Wohnbereich mit Betreuungsmöglichkeiten. Die Angst vor der fehlenden Finanzierung beim Übergang ins Rentenalter ist Mitauslöser für einen Übertritt ins Alterspflegeheim. Unsere Institution wird gewählt, da die Geschwister in der näheren Umgebung wohnen. (2006) Schaffung einer geschützen Wohngruppe für Personen mit erhöhtem Betreuungsaufwand (Demenz teilweise). Aufnahme Mann Alter 63. Bisher in betreuter Wohngruppe. Die Tagesstrukturen kommen ihm entgegen und er wohnt
4 zufrieden in dieser Wohngruppe mit bis zu 16 Personen. Im Jahre 2008 trat eine Bewohnerin bei uns ein, deren Tochter in einem Behindertenheim wohnt. Regelmässig besuchte diese während den Wochenenden Ihre Mutter. Hier stand die Frage im Mittelpunkt, wo kann meine Tochter jeweils übernachten, wenn sie die Wochenende bei mir verbringt. Die Zimmer sind nicht alle so grosszügig, dass dies überall ohne Probleme möglich ist. Die regelmässige Reservation unseres Gäste/Ferienzimmers war nicht möglich. Die Bewohnerin kam erst zu uns, als wir ihr ein entsprechendes Zimmer anbieten konnten. Tochter hat ein sehr enges Verhältnis zur Mutter. Wir fragen uns, wie die Zukunft wohl aussehen wird, wenn die Mutter einmal gestorben ist. Seit diesem Zeitpunkt treten jährlich ein bis drei Menschen mit lebenslanger Behinderungserfahrung in unser Heim ein. Die Gründe für einen Eintritt sind: Kleinere Behindertenwohnheime können die Pflege während 24 Stunden nicht gewährleisten Pflegebedürftigkeit Eltern sind betagt und können die Betreuung deshalb nicht mehr gewährleisten Angehörige wohnen in der näheren Umgebung Einweisende Stellen (Vormundschaftsbehörden) suchen günstige Unterbringung
5 Wir pflegen einen regen Kontakt mit einer grossen Behinderteneinrichtung mit Schule, Wohnheim, Aussenwohngruppen und verschiedenen Werkstätten. Diese Institution hat in den letzten Jahren den Bereich Pflege massiv ausgebaut. Mit dieser Vielfalt ist ein wohnen bis zum Tod dort möglich geworden. Ich stosse immer wieder auf die Frage nach dem Normalisierungsprinzip. Ist ein Wohnheim für behinderte Menschen nicht mit einer allgemeinen Wohnung zu vergleichen? Der Senior wünscht auch in seiner angestammten Wohnumgebung zu bleiben, kann dies aber öfters wegen der Pflegebedürftigkeit nicht und muss in ein Pflegeheim umziehen. Weshalb sollte dies bei Menschen mit lebenslanger Behinderungserfahrung anders sein? Ich stelle fest, dass auf der einen Seite die Behinderteneinrichtungen auf Grund der zunehmenden betagten Bewohner das Pflegeangebot ausgebaut haben. Grössere Einrichtungen führen eigentliche Seniorengruppen. Auf der anderen Seite haben sich die Alterspflegeheime hin zu Dienstleistungszentren entwickelt mit verschiedensten Wohn- und Betreuungsformen. Kleinere Wohngruppen ermöglichen die Integration von Menschen mit lebenslanger Behinderungserfahrung. Der Alltagsgestaltung wird höhere Aufmerksamkeit geschenkt. Wir ermöglichen unseren Lernenden Fachfrau Betreuung ein Praktikum in einer Behinderteneinrichtung die Lernenden dieser Institution erhalten in dieser Zeit einen Einblick in die Alterspflege. In unseren interdisziplinären Teams arbeiten zunehmend sozialpädagogisch geschulte Mitarbeitende. In Zeiten hoher Platz-Auslastung besteht wenig Konkurrenzdruck. Der Druck kommt von Seiten Finanzierer. Um Beiträge aus der Grundversicherung für die Pflege zu erhalten muss die Institution auf der kantonalen Pflegeheimliste aufgeführt sein. Mit NFA und Neuer Pflegefinanzierung haben es die Kantone in der Hand, Lösungen zu etablieren, welche den Betroffenen und ihrem Umfeld entsprechen. Nicht die günstigste Variante muss das Ziel sein, sondern die optimalste /km
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