Making Regional News. Ökonomische und publizistische Bedeutung politischer Berichterstattung für regionale Medien. Making Regional News

Transkript

1 Welche Bedeutung hat politische Berichterstattung für Medien in lokalen und regionalen Rezipienten- und Werbemärkten? Ausgehend von der Logik des Structure-Conduct-Performance-Modells beschäftigt sich der Band mit dieser Leitfrage und fokussiert dabei Medienorganisationen und -akteure sowie deren Entscheidungs- und Handlungsprozesse. Reihe Medienökonomie Reihe Medienökonomie l 2 Matthias A. Gerth Making Regional News Ökonomische und publizistische Bedeutung politischer Berichterstattung für regionale Medien Gerth Making Regional News 2 ISBN BUC_Gerth_ indd :57

2 Medienökonomie hat zum Ziel, wirtschafts- und kommunikationswissenschaftliche Konzepte bzw. Theorien zur Analyse von Kommunikation und Medien anzuwenden. Sie ist Schnittstelle zwischen Disziplinen, wie Kommunikations-, Medien-, Volks- und Betriebswirtschaftslehre sowie partiell technischen, juristischen und politischen Disziplinen. Sie beschäftigt sich aus theoretischer und praktischer Perspektive mit aktuellen Fragen, die für die Medien relevant sind. Hierbei geht es sowohl um ökonomische Grundlagen, Managementstrategien und Organisationsformen von Medienunternehmen als auch die Analyse und Regulierung der Medien(teil)märkte. In der Reihe Medienökonomie werden Beiträge publiziert, die sich aus makro-, meso- und mikroökonomischer Perspektive mit Medien als ökonomischen Gütern bzw. Dienstleistungen beschäftigen, wobei die Rolle der Medien für Gesellschaft und Unternehmungen thematisiert wird. Die Reihe begleitet Medienwandel und -innovationen zeitnah sowie wissenschaftlich strukturiert. Mit dem breiten Ansatz wird eine Basis für medienökonomische Forschung geschaffen. Kontinuierlich erscheinen in der begutachteten Reihe u.a. die Tagungsbände der Fachgruppe Medienökonomie der DGPuK. Reihe Medienökonomie herausgegeben von Dr. BjØrn von Rimscha, Prof. Dr. Sven Pagel, Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow und Prof. Dr. Dr. Castulus Kolo Band 2

3 Matthias A. Gerth Making Regional News Ökonomische und publizistische Bedeutung politischer Berichterstattung für regionale Medien

4 Diese Arbeit ist in der Schweiz entstanden. Es wird daher den Regeln der Deutschen Recht schreibung in der Schweiz gefolgt. Bildnachweis Titel: istockphoto.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Zugl, Zürich, Univ., Diss., 2011 Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Herbstsemester 2011 auf Antrag von Prof. Dr. Gabriele Siegert und Prof. Dr. Josef Trappel als Dissertation angenommen. ISBN Auflage 2012 Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden Printed in Germany. Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

5 7 Inhalt Vorwort 5 1 Einleitung 13 2 Gegenstand und Relevanz 19 3 Lokale und regionale Medien Grundlagen Entwicklung regionaler und lokaler Medien Demokratische Funktion der Medien Funktionen regionaler und lokaler Medien Inhalte lokaler und regionaler Medien 49 4 Ökonomie der Regionalmedien Grundlagen Regionale Medienmärkte 60 5 Management regionaler Medienunternehmen Grundlagen Medienmarketing und Medienmarken Medienunternehmen Produktmanagement Journalistische Produktion unter ökonomischen Bedingungen Politische Nachrichtenberichterstattung über Kampagnen Grundlagen Politische Akteure und ihre strategischen Möglichkeiten Medien und ihre Kampagnenberichterstattung Bürger und Publikum als Adressaten politischer Berichterstattung Zum Verhältnis zwischen Politik und Journalismus Politische Werbung 178

6 8 Inhalt 8 Forschungsfragen Auswahl und Methode Einleitung Fallauswahl: Abstimmungstermine, Medientitel und Experten Quantitative und Qualitative Ansätze Experteninterviews Qualitative Inhaltsanalyse und Grounded Theory Quantitative Inhaltsanalyse: Erhebung und Auswertung Gütekriterien in quantitativer und qualitativer Forschung Resultate Positionierung im Wettbewerb Politische Positionierung und Kampagnenberichterstattung Politische Berichterstattung Kommerz und Journalismus Investitionen in regionale Berichterstattung Konklusion Literaturverzeichnis 361 Index 385

7 13 All politics is local Thomas Phillip Tip O'Neill, Jr. 1 Einleitung Regionale Medien? Wieso sollte man sich in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung mit so etwas beschäftigen? In der Tat, wenn man die Literatur näher betrachtet, ist regionale massenmediale Kommunikation ein isolierter Bereich, der von einigen wenigen Fans intensiv bearbeitet wird. Auch innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft wird man bisweilen als Aussenseiter 1 betrachtet, der nichts Besseres zu tun hat, als sich mit einem irrelevanten Gegenstand zu beschäftigen 2. Aber bereits das Zitat des US-Demokraten Thomas Phillip Tip O Neill Jr. deutet die Antwort an. In den 1970er und 1980er Jahren war O Neill einer der prominentesten Politiker in den USA, war Parteivorsitzender und Sprecher des US-Repräsentantenhauses. Er war also als nationaler Politiker qualifiziert, ein solches Urteil abzugeben. Die Aussage All politics is local hat er von seinem Vater als Handlungsmaxime übernommen, sich immer mit seiner Herkunft aus Massachusetts auseinandergesetzt und diesen Staat letztlich auch im Parlament vertreten. Er war sich stets bewusst, dass das Umfeld, in dem er gewählt wurde und wiedergewählt werden muss eben nicht die nationale Bühne ist, sondern die Provinz beziehungsweise regionale Wahlkreise, wo die Wähler überzeugt werden müssen. Und er wusste auch, dass diese Wähler etwas für ihr eigenes Wohl erwarten und nicht nur, dass sich ihr Vertreter in Washington für nationale Militärausgaben oder internationale Diplomatie einsetzt. All politics is local, dieses Prinzip gilt auch für die Schweiz. Auch die Schweiz hat ein sehr föderales politisches System, das aufgrund der 1 Der Einfachheit halber wird in der gesamten Arbeit die männliche Form beibehalten und geschlechtsneutral verwendet. 2 Weshalb die Relevanz politischer Kommunikation auf regionaler Ebene gegeben ist und sich damit auch eine wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Gegenstand förmlich aufdrängt, zeigt Kapitel 2.

8 14 1 Einleitung Kleinheit des Staates in vielen Bereichen sehr akzentuiert ist. Es entscheiden Gemeinden, es entscheiden Kantone und es entscheidet der Bund, drei politische Einheiten mit ganz unterschiedlichen Bedürfnissen und Erwartungen. Für gewisse Zuständigkeiten steht sogar noch eine Bezirksebene zwischen Gemeinde und Kanton. Auch in der Eidgenossenschaft werden die nationalen Politiker in regionalen Wahlkreisen oder Kantonen gewählt und nicht auf nationaler Ebene. Es gibt auch nicht eine Regierung, die national gewählt wird, sondern die Regierung wird vom regional gewählten Parlament bestimmt. Eine Besonderheit, die zeigt, weshalb politische Kommunikation und damit politische Medienberichterstattung in regionalem Kontext unverzichtbar ist, für Politiker, für demokratiefunktional ausgerichtete Medien und für Bürger, die aufgeklärte Entscheidungen treffen wollen und sich gesellschaftlich engagieren möchten. Interpersonale Kommunikation ist dabei ebenso wichtig wie massenmediale Kommunikation. Traditionelle Massenmedien spielen noch immer eine unverzichtbare Rolle für die politische Information. In der Schweiz ist dies besonders der Fall, da die Bürger rund viermal im Jahr an direktdemokratischen Abstimmungen teilnehmen. Die Berichterstattung über solche Sachkampagnen ist deshalb in der Schweiz ein besonders interessanter und relevanter Gegenstand auf nationaler und regionaler Ebene. Nur dort werden Ressourcen investiert, um Nachrichten in einen Kontext zu bringen oder um überhaupt regionale Themen, die von national oder global ausgerichteten Nachrichtenagenturen vernachlässigt werden, auf die öffentliche Agenda zu setzen, regionale politische Gremien zu beobachten, wo nötig zu kritisieren und eine Plattform zu bieten, auf der ein politischer Diskurs geführt werden kann. Kleine regionale Medienunternehmen stammen oft aus klassischer journalistischer Orientierung, haben den Journalismus perfektioniert und leisten in diesem Bereich unverzichtbare und im Schweizer Kontext zumeist qualitativ vergleichsweise gute Berichterstattung. Dies ist ein wichtiger Grund, weshalb diese Medienunternehmen umso mehr Mühe haben, wenn die ökonomische Basis aufgrund von geändertem Mediennutzungsverhalten oder aufgrund des Rückgangs von Werbeinnahmen dahinbröckelt. Besonders akzentuiert sich das in Zeitungsredaktionen, wo journalistisch ausgebildete Verantwortliche, die oft auch in der Verantwortung des Managements von Medienunternehmen stehen, schlicht überfordert sind. Sie sind zwar gute Journalisten, aber keine guten Manager, wie die vorliegende Arbeit zeigt. Globaltrends wie Digitalisierung,

9 15 Transnationalisierung oder Kommerzialisierung stellen für Medienunternehmen, die in regionalen Werbe- und Rezipientenmärkten ihre ökonomische Basis suchen und oft immer weniger finden, enorme Herausforderungen dar für Printmedien und für audiovisuelle Medien. Auch die Medienregulierung ist hier anzusprechen. Immer mehr wird die Forderung laut, genau das, was 2009/2010 für regionale Radio- und TV- Veranstalter in der Schweiz geschehen ist, nämlich der so genannte Gebührensplit, auch für Printmedien in der einen oder anderen Form einzuführen. Denn aufgrund hoher Fixkosten und der meritorischen Gütercharakteristika von Medieninhalten lassen sich für eine solche Forderung durchaus Gründe finden. Momentan sind es aber eher verschiedene Formen der Kooperation auf regionalen Rezipienten- und Werbemärkten, in welchen die Medienorganisationen einen Ausweg suchen. Seien dies nun Vermarktungskooperationen für Werbung oder medieninhaltliche Kooperationen beispielsweise zur Produktion von Kopfblättern. Auch eine gewisse Fokussierung auf die Kernkompetenz regionaler Medien, nämlich die regionale Identitätsstiftung, ist festzustellen. Dazu gehört die Bildung von Communities genauso wie die fokussierte politische Berichterstattung. Vor dem Hintergrund marketingtheoretischer Überlegungen macht dies viel Sinn. Man könnte sogar Gründe für eine politisch pointierte Positionierung finden, die aber bisweilen (noch) nicht stattfindet. Weiterhin herrschen traditionelle journalistische Normen vor. Viele Redaktionen bauen förmlich eine Mauer um ihren Alltag, die für Marketingüberlegungen oft gleichsam unüberwindbar ist. Durch Outsourcing von Rezipientenmarketing und Werbevermarktung in eigene Firmeneinheiten wird diese Trennung auch physisch spür- und sichtbar, manchmal sogar räumlich. Journalismusausbildung heisst in den Köpfen von Berufsleuten im Medienbereich noch immer ethisch korrekter Journalismus. Es ist gut, dass Dinge wie der Abhörskandal rund um die britische Boulevardzeitung News of the World im Juli 2011 kritisiert und politisch geahndet werden. Aber ein Hauch von Marketing würde gerade in kleinen regionalen Redaktionen, also selbst bei marketingunerfahrenen Journalisten gut tun. Dies wird künftig sogar zur Notwendigkeit werden, wollen klassische regionale Medientitel mehr oder weniger unabhängig bestehen bleiben. Es kann ökonomisch rational sein, in regionalen und lokalen Räumen über politische Themen zu berichten. Es braucht innovative Formen des Journalismus und des Marketings und letztlich Produktinnovation, um

10 Die Arbeit ist in eine theoretische Herleitung gegliedert, gefolgt von methodischen Erläuterungen zum Forschungsdesign, empirischen Resultaten und einem Schlussfazit. Kapitel 2 befasst sich zunächst mit der Relevanz der oben genannten Fragestellung für den gesellschaftlichen aber vor allem den wissenschaftlichen Kontext. Kapitel 3 erläutert das zentrale Konstrukt regionale und lokale Medien und ordnet dieses in einen Forschungskontext ein, bevor Kapitel 4 auf die ökonomischen Grundlagen regionaler Medien eingeht, wobei eine Beschäftigung mit allgemeinen Prinzipien der Medienökonomie und des Medienmanagements unumgänglich ist. In Kapitel 5 werden die zentralen Managementkonzepte für regionale Medien präsentiert, insbesondere Prinzipien des Markenmanagements. Kapitel 6 fügt dann gleichsam Kapitel 4 und 5 zusammen und präsentiert die relevanten Überlegungen zur journalistischen Produktion unter ökonomischen Bedingungen. In diesem Zuhttp:// Einleitung veränderten Nutzungsgewohnheiten und Gratiskultur durch Gratiszeitungen oder Internet zu begegnen. Die Basis der direkten Demokratie in der Schweiz ist und bleibt die politische Informiertheit der Bürger und die politische Beteiligung. Und diese ist am besten quantifizierbar bei Wahlen und Abstimmungen. Für regionale Medienberichterstattung sollten hier vor allem kommunale und kantonale politische Prozesse interessieren sowie regionale Aspekte von nationalen Wahlen und Abstimmungen dies ist aber oft nur in geringem Masse der Fall. Auf diesen Kontext geht die vorliegende Arbeit ausführlich ein. Es gibt Gründe dafür, die durchaus plausibel sind, zwingend hingegen sind sie kaum. Das Umfeld für journalistische Nachrichtenproduktion ist dynamisch. Ob und wie dynamisch regionale Medienunternehmen selbst in diesem Umfeld sind, bleibt zunächst offen. Die vorliegende Arbeit ist eine Forschungsarbeit, die der Logik des Structure-Conduct-Performance- Modells folgend kurz auf regionale Märkte und deren Systemumfeld eingeht, sich dann aber auf Medienorganisationen und Akteure in diesen Organisationen, deren Entscheidungs- und Handlungsprozesse fokussiert und sich mit dem Resultat der politischen Nachrichtenproduktion, nämlich Medieninhalt befasst. Die leitende Fragestellung für die vorliegende Arbeit, die sich aus diesen Überlegungen ergibt, ist die folgende: Welche Bedeutung hat politische Berichterstattung für Medien in lokalen und regionalen Rezipienten- und Werbemärkten?

11 17 sammenhang wird insbesondere auch auf die Problematik der Kommerzialisierung von Medienberichterstattung und deren Konsequenzen eingegangen. Kapitel 7 legt danach die Grundlagen für das zweite zentrale Konstrukt, nämlich die politische Berichterstattung. Auch hier werden grundlegende Überlegungen zur Funktionsweise politischer Kommunikation und politischer Prozesse in der Schweiz präsentiert, die auf den regionalen Kontext übertragen werden. Auch die Funktionsweise politischer Kampagnen in der Schweiz wird hier ausgeführt. Kapitel 8 ist die Synthese der gesamten Theorieüberlegungen, in die auch alle möglichen Formen bisheriger empirischer Ergebnisse eingeflossen sind. Danach werden die fünf relevanten Forschungsfragen präsentiert und dimensionalisiert. Kapitel 9 gibt einen Überblick über das Forschungsdesign und die verwendeten Methoden Experteninterview und Inhaltsanalyse. Da das Forschungsdesign relativ komplex und triangulativ ausgerichtet ist, wird dieser Bereich ausführlich dargestellt. Kapitel 10 schliesslich präsentiert die relevanten Ergebnisse der umfangreichen Datenerhebung. Dieses Kapitel wird anhand der fünf leitenden Forschungsfragen gegliedert. Bereits die Erhebungsmethoden deuten darauf hin, dass die Daten hier vor allem deskriptiv ausgewertet werden mussten, was aber der Relevanz keinen Abbruch leistet. Schliesslich fasst Kapitel 11 die Ergebnisse zusammen, bezieht sie auf mögliche Annahmen, die sich aus der Theorie erschlossen haben und gibt einige abschliessende Hinweise zur wissenschaftlichen, ökonomischen und gesellschaftlichen Bedeutung der Resultate. Bei der Darstellung vieler Kapitel wird versucht, dem Leser mit kurzen zusammenfassenden Schlussbetrachtungen eine Hilfestellung zu geben.