Angststörungen im Kindes- und Jugendalter. Dr. A. Becker Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie & Psychotherapie Universitätsmedizin Göttingen
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- Monika Kruse
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1 Angststörungen im Kindes- und Jugendalter Dr. A. Becker Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie & Psychotherapie Universitätsmedizin Göttingen
2 Angststörungen im Kindesalter Angst ist eine lebensnotwendige Reaktion und Erfahrung; sie wird erlebt als ein unangenehmes Gefühl der Bedrohung. Sie ergreift grundsätzlich den gesamten Menschen, erstreckt sich auf Wahrnehmung, Vorstellung und Verhalten. Angst kann durchaus auch motivierenden, leistungssteigernden Charakter haben oder ein wesentliches Element der Problemlösung darstellen. Krankhafte Angst unterscheidet sich von normaler Angst durch Intensität, Dauer und Unangemessenheit zum situativen Kontext.
3 Angststörungen im Kindesalter Entwicklung und gegenseitige Verstärkung von Folgen der Angst 1) Angst führt zu 2) Erwartungsangst Angst vor der Angst 3) Vermeidungsverhalten 4) Sozialer Rückzug
4 Angststörungen im Kindesalter Klinisch relevante Ängste: Dieselben Angstthemen, die alterstypisch zu erwarten sind, jedoch: besonders stark, über mehrere Monate anhaltend, zu einer Beeinträchtigung der normalen Entwicklung des Kindes führend Symptomatisch: Persistieren in nicht mehr entwicklungstypische Phasen, besonders frühes Auftreten
5 Entwicklungsphasentypische Ängste Ängste im Kindesalter Teil der normalen Entwicklung sind i.d.r. mild, vorübergehend und altersspezifisch Alter Quelle entwicklungsphasenspezifischer Ängste beginnende Angststörung 0-6 Monate laute Geräusche, intensive sensorische Reize / 6-12 Monate fremde Menschen, Trennung / 2-4 Jahre Fantasiegestalten, Dunkelheit Trennungsangst, spezifische Phobie vor Dunkelheit, Monstern 5-7 Jahre Naturkatastrophen, Tiere spezifische Phobie vor Tieren, Blut 8-11 Jahre Schule Prüfungsangst Jahre Ablehnung durch Gleichaltrige soziale Phobie, Agoraphobie, Panikstörung
6 Angststörungen mit Beginn im Kindesalter Emotionale Störungen des Kindesalters (F93) - Emotionale Störung mit Trennungsangst (F93.0) - Phobische Störung des Kindesalters (F93.1) - Störung mit sozialer Überempfindlichkeit (F93.2)
7 Angststörungen aller Altersstufen Phobische Störungen (F 40) - Agoraphobie (F 40.0) - Soziale Phobie (F 40.1) - Spezifische Phobie (F40.2) Sonstige Angststörungen (F41) - Panikstörung (F41.0) - Generalisierte Angststörung (F41.1) - Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2) - Sonstige gemischt Angststörung (F41.3) Anpassungsstörungen, Angst und depressive Reaktion, gemischt (F43.22)
8 Epidemiologie Ungefähr 4-8% aller Kinder und Jugendlichen leiden unter klinisch signifikanten Angststörungen Zweithäufigste Gruppe kinderpsychiatrischer Störungen (an zweiter Stelle nach Verhaltensproblemen und häufiger als Hyperaktivität und depressive Störungen) Goodman, Scott, Rothenberger (2007) Die häufigsten Angststörungen: - Spezifische Phobien (2-6%) - Trennungsstörungen (1-5%) - Generalisierte Angststörungen ( 0,5-3,6%) - Soziale Ängste (1-4,6%) Steinhausen (2006)
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10 Phobie / Spezifische Phobie Symptomatik Angst vor im allg. ungefährlichen Situationen oder Objekten, welche außerhalb der betroffenen Person liegen müssen Vorstellung, dass die phobische Situation eintreten könnte erzeugt Erwartungsangst Phobische Situationen werden vermieden Spezifische Phobien: Angst vor ganz spezifischen Situationen oder Objekten Manche Befürchtungen zeigen deutliche Spezifität für bestimmte Entwicklungsphasen, aber das Ausmaß der Angst ist klinisch abnorm und diese ist nicht Teil einer generalisierten Störung
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12 Emotionale Störung mit Trennungsangst Symptomatik Angst vor Trennung von Personen, an die das Kind gebunden ist Unrealistische Besorgnis, der Bezugsperson könnte etwas zustoßen Befürchtung, ein Ereignis könnte das Kind von der Bezugsperson trennen Schulvermeidung aus Furcht vor Trennung Abneigung/Verweigerung, ins Bett zu gehen Furcht, alleine zu Hause zu sein Wiederholte Alpträume über Trennung Somatische Symptome in Trennungssituationen Unglücklichsein in Erwartung von, während oder unmittelbar nach der Trennung von einer Hauptbezugsperson Dauer mindestens ein Monat
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14 Unterscheidung bei Schulverweigerung Schulphobie Im Kern eine Angst vor Trennung Schulangst Schulbezogene Angst (angstauslösend das Verhalten von Lehrern oder Schülern, Leistungsängste und reaktive Lernstörungen) Ggfs. Teil einer umfassenderen Angststörung Schulschwänzen Unlust, Störung des Sozialverhaltens
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16 Soziale Angststörungen Symptomatik Anhaltende Angst in sozialen Situationen, in denen das Kind auf fremde Personen trifft Verlegenheit oder übertriebene Sorge über die Angemessenheit des Verhaltens Fremden gegenüber Deutliche Beeinträchtigung und Reduktion sozialer Beziehungen; Weinen Schweigen oder Rückzug in neuen oder erzwungenen sozialen Situationen Befriedigende soziale Beziehungen zu Familienmitgliedern und bekannten Gleichaltrigen
17 Komorbiditäten sind häufig Weitere Angststörungen (>30%) Depressive Störungen Störung des Sozialverhaltens Hyperkinetische Störungen Elektiver Mutismus Epidemiologie 6-Monats-Prävalenz: 10 % Lebenszeitprävalenz: % (Essau et al., 2004)
18 Ätiologie und Pathogenese Biologische Faktoren - Genetische Disposition Temperamentsfaktoren - Temperamentsbedingte Gehemmtheit - Gesteigerte Sensitivität im Sinne einer verzerrten Wahrnehmung von Lebensereignissen Familiäre Faktoren - Vorbildfunktion - Erziehungsverhalten - Bindung - Familiär psychische Störungen (Häufig ist ein Elternteil erkrankt) Belastende Lebensereignisse - Trennung/Verlust
19 Diagnostik Exploration von Kind und Bezugsperson - Symptomorientiert - Familienanamnestisch Fragebögen (CBCL, SPAIK, DISYPS-KJ, PHOKI ) Verhaltensbeobachtung (auch in der Schule) Erfassung der kognitiven Fähigkeiten Abklärung der körperlichen Begleitsymptome Identifizierung der entstehenden und aufrechterhaltenden Bedingungen (Belohnung, Vermeidung)
20 Differentialdiagnosen Körperliche Erkrankungen Depressive Störung Schizophrenie Zwangsstörung Hypochondrische Störung Reaktionen auf schwere Belastungen (PTBS) Tiefgreifende Entwicklungsstörungen (ASS)
21 Beratung und Behandlung Psychoedukation Frühe Intervention; kein unkritisches Krankschreiben Klärung des Settings der Intervention Psychotherapie des Kindes - Kognitive Verhaltenstherapie - graduierte Exposition und Reaktionsverhinderung Familientherapie ggfs. Einzeltherapie der Eltern Ggf. Psychopharmakotherapie (z.b. SSRI, ggf. BZD nur zur kurzfristigen Entlastung)
22 Symptom- und Verhaltensanalyse Berücksichtigung der Entwicklungsphasen des Kindes bei Entstehung und Manifestation der Ängste Bedeutung von Primärpersönlichkeit und Temperament Bindungserfahrungen und Lebensereignisse Auslösende Reize (Situationen, Objekte, Gedanken) Reaktionen (körperlich, kognitiv, affektiv, motorisch) Reaktion der Bezugspersonen und Modellverhalten Eltern-Kind-Beziehung
23 Therapie Psychoedukation (mit Kind und Eltern): Informierung über Erkrankung: Unterscheidung entwicklungsangemessene Angst und pathologische Angst; drei Komponenten der Angstreaktion (Körpersymptome, Gedanken, Verhalten) spezifische Angst des Kindes: Methode des geleiteten Entdeckens, um eigene Symptome der Angst sowie bisherige Bewältigungsstrategien zu benennen wesentliches Ziel: Kind soll vertrauter werden mit eigener Symptomatik, Symptome einordnen können; Bewältigungsstrategien benennen können
24 Therapie kognitive Verhaltenstherapie Gedanken und Verhalten in spezifischen Situationen verändern und somit Angstreduktion erzielen Elemente: Psychoedukation kognitive Techniken Graduierte Konfrontation in vivo Trainings sozialer Kompetenzen Entspannungstechniken Hausaufgaben Elterntraining Rückfallprophylaxe
25 Therapie kognitive Interventionen: Gedanken, die Angst verstärken identifizieren, überprüfen und verändern Zusammenhang Gedanken und Gefühle erkennen Gedanken korrigieren (ab ca. 12 Jahren): Wie sicher bin ich, dass meine Befürchtung (Autounfall) eintritt (0-100)? Was spricht dafür? Was spricht dagegen? Wie sicher bin ich jetzt? Gibt es Gedanken, die mir helfen würden, die befürchtete Situation besser zu meistern? Ziel: realistische Einschätzung der Situation
26 Therapie Graduierte Konfrontation in vivo: Schritte des Vorgehens: Angsthierarchie: ausführliche Situations- und Verhaltens- und Problemanalyse mit dem Ziel, die angstauslösenden Situationen in eine Rangreihe zu bringen Vorbereitung: Nutzung von Angstkurven; Verlassen der Situation nach Angstabfall; kein Vermeidungsverhalten Konfrontation: ausreichend Zeit; Verstärkung; Abstimmung auf Symptomatik Selbstkontrollphase und Generalisierung: für korrekte Durchführung ist Therapeut zunächst anwesend, dann können Kind und Eltern selbstständig fortfahren
27 Verlauf und Prognose Besonders ausgeprägte Chronifizierungstendenz bei komorbider Depressionsstörung Generell verschlechtert sich die Prognose mit ausgeprägtem Schweregrad sowie zunehmender Chronifizierung damit jedoch generell erhöhtes Risiko einer psychischen Störung im Erwachsenenalter sowie einer Substanzabhängigkeit (Crome und Bloor 2005, Goodwin et al. 2004, Huizink et al. 2006)
28 Take-home message Krankhafte Angst unterscheidet sich von normaler Angst durch Intensität, Dauer und Unangemessenheit zum situativen Kontext. Indikation für eine Therapie nur bei manifester Funktionsbeeinträchtigung bzw. Teilhabegefährdung Frühe therapeutische Intervention wichtig! Der Verlauf der meisten Ängste des Kindesalters ist eher günstig, nur 10% chronifizieren
29 und unter ökonomischen Gesichtspunkten: Prof. Gallaghers erfolgreiche Methode zur gleichzeitigen Expositionsbehandlung von Schlangen-, Höhenund Klaustrophobie Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
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