1 Zusammenfassung Ausgangspunkt für die Diagnose einer Harnwegsinfektion Die mikrobiologische Urindiagnostik
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- Marcus Keller
- vor 6 Jahren
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1 1 1 Zusammenfassung Etwa 3% aller Patienten in der allgemeinärztlichen Praxis zeigen Symptome einer Harnwegsinfektion. Im Krankenhaus beträgt der Anteil der Harnwegsinfektionen an den nosokomialen Infektionen 30 40%. Bis zu 50% aller Bakteriämien sind auf Harnwegsinfektionen zurückzuführen. Ausgangspunkt für die Diagnose einer Harnwegsinfektion ist die klinische Beurteilung. Diagnostische Eckpfeiler sind 1. die Anamnese, 2. die Erhebung klinischer Symptome und Befunde, 3. das Feststellen einer Leukozyturie und 4. die mikrobiologische Urinuntersuchung mit dem Nachweis einer Bakteriurie. Der Urin ist das wichtigste Material für die mikrobiologische Sicherung einer Harnwegsinfektion. Die mikrobiologische Urindiagnostik hat in den Untersuchungen von Kass [39] ihre wissenschaftlich begründete Bedeutung erlangt. Wegen der stark gestiegenen Prävalenz hochresistenter Erreger, insbesondere bei nosokomialen, aber auch bei ambulant erworbenen Harnwegsinfektionen (z.b. hohe Cotrimoxazol- und zunehmende Chinolon-Resistenzen bei E. coli) ist diese gestiegen. Daher bestehen auch bei akuten Harnwegsinfektionen klar definierte Indikationen zur Anwendung dieser Diagnostik (s ; Tab. 7). Sie ist zusammen mit der Erregeridentifikation und Empfindlichkeitsprüfung insbesondere bei komplizierten und rezidivierenden Infektionen eine unentbehrliche Voraussetzung für eine gezielte und letztlich erfolgreiche Therapie. Ein Urin-Screening bei klinisch unauffälligen Patienten ist dagegen nicht gerechtfertigt (Ausnahmen: z. B. Schwangerschaft, vor interventionellen Eingriffen an den Harnwegen). Dem häufig ungezielten Einsatz von Antibiotika, eine der Hauptursachen für die Resistenzzunahme harnwegsinfektionsassoziierter Bakterien und der damit verbundenen unvermeidlich zunehmenden Rate an Therapieversagern, kann u. a. durch eine schnellere, gleichzeitig gründlichere Erregerdiagnose und Resistenztestung entgegengewirkt werden. Eine orientierende Erregerdiagnostik bzw. Identifizierung ist bei kurzen Lagerungs- und Transportzeiten bereits nach 12 Stunden möglich und kann dann zeitnah in die Therapieentscheidung einfließen. Statt einer sog. kalkulierten kann damit häufiger eine gezielte Antibiotikatherapie zum Einsatz kommen. Fehlbefunde entstehen am häufigsten im Bereich der Präanalytik 6 aufgrund ungezielter Indikationsstellungen bzw. mangelhafter klinischer Angaben, die eine Weiterbearbeitung des Materials in eine falsche Richtung lenken oder un-
2 2 Harnwegsinfektionen nötig ausdehnen. Deshalb muss der behandelnde Arzt immer wieder aufgefordert werden, Untersuchungsaufträge mit einer klaren Fragestellung an den Mikrobiologen zu geben, 6 durch mangelhafte Einweisung des Patienten in die Urinprobengewinnung, 6 durch eine zu lange Lagerung des Urins und Nichtbeachtung der DIN-ISO-Normen (DIN-ISO 15189), wonach für das Eintragen der genauen Entnahmezeiten der Patientenprobe auf dem Begleitschein der anordnende Arzt und das Pflegepersonal verantwortlich sind, 6 durch die Verwendung von Transportmedien, die lange Lagerungszeiten überbrücken sollen, aber in vielen Fällen die Ergebnisse unkontrolliert verfälschen, 6 durch eine unzureichende Gesamtbeurteilung dieser Faktoren durch Ärzte in Labor und Klinik. Infektion oder Kontamination/Kolonisation. Unter der Voraussetzung, dass ein klinischer Verdacht auf eine Harnwegsinfektion besteht, d. h. klinische Symptome und Entzündungszeichen vorliegen, z. B. eine Leukozyturie, eine Leukozytose, eine Erhöhung des C-reaktiven Proteins oder einem Anstieg der Blutsenkungsgeschwindigkeit, stellt das Hauptproblem für die mikrobiologisch- infektiologische Diagnostik die Abgrenzung einer Kontamination oder Besiedlung von einer tatsächlichen Infektion der Harnwege dar. Deshalb müssen folgende Parameter für die Urinuntersuchung in den Abgrenzungsprozess einbezogen werden: (1) Keimzahlen. Vorbedingung für die Interpretation von Kulturbefunden aus Urin ist unbestritten ein quantitatives Kulturverfahren. Als deutlicher Hinweis für eine Harnwegsinfektion vor einer Antibiotikatherapie (!) gilt beim überwiegenden Anteil der Patienten mit Symptomen einer Harnwegsinfektion der simultane Nachweis von Leukozyten im Urin und von einer bis maximal zwei unterschiedlichen Keimarten, die typischerweise uropathogen sind, in einer Konzentration von 10 5 /ml Mittelstrahlurin (sog. signifikante Bakteriurie). Entsprechend wird in der Regel der Nachweis von Bakterien mehrerer Arten unterhalb einer Menge von 10 4 /ml als Kontamination interpretiert. Bei weiter bestehendem klinischen Verdacht sollte in diesen Fällen die nochmalige Untersuchung einer unter optimalen Bedingungen gewonnenen Urinprobe erfolgen (s. Punkt 6). Ausnahmen: Bei zahlreichen Indikationen können jedoch Werte von 10 4 Bakterien/ ml und niedriger ebenso relevant sein. Dies gilt z.b. für Reinkulturen potentiell uropathogener Keime (s. Tab. 2) in Verbindung mit einer signifikanten Leukozyturie, für durch Katheterisierung oder Blasenpunktion gewonnene Urinproben und für spezielle Patientengruppen, wie geschlechtsaktive Frauen mit den typischen klinischen Symptomen (Dysurie, imperativer Harndrang, Pollakisurie) einer akuten unkomplizierten Zystitis, Männer mit Symptomen einer Harnwegsinfektion, Kinder sowie Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen oder speziellen urologischen Erkrankungen und schließlich für Patienten unter oder nach einer Antibiotikatherapie und anhaltenden Symptomen einer Harnwegsinfektion (ausführlich, s. Kap. 8, Bewertung der Untersuchungsergebnisse und Abb. 3 und 4).
3 Zusammenfassung 3 Deswegen ist es für die Qualität der Diagnostik vorteilhaft Methoden einzusetzen, mit denen auch niedrige Keimzahlen nachgewiesen werden können, wie z. B. 10 µl Ösen und das Ausstreichen des Urins auf mindestens einer ganzen Nährmedienplatte pro Untersuchungsgut. Eine Bewertung der Keimzahl muss daher unter Würdigung der Gesamtsituation, insbesondere der klinischen Befunde und der sonstigen Laborparameter erfolgen, wobei dem Leukozytennachweis im Urin eine besondere Bedeutung zukommt: (2) Leukozyten (s. 6.3). Der Nachweis erhöhter Leukozytenzahlen weist bei gleichzeitig signifikanter Bakteriurie mit potentiell uropathogenen Keimen mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Infektion hin. Ein wiederholt positiver Leukozytennachweis deutet bei Mehrfachisolation desselben Keims auch in niedrigeren als den oben angegebenen Keimzahlen ebenfalls auf eine Infektion. Ein negativer Leukozytennachweis mittels Teststreifen schließt eine Harnwegsinfektion zwar nicht aus, diese ist aber insbesondere bei wiederholt negativem Ausfall wenig wahrscheinlich (Ausnahmen: Leukozytopenien, Vitamin-C-Überdosierung, Lagerung des Urins in Borsäure und gleichzeitiger Teststreifenfehlanwendung). Ein wiederholter Nachweis erhöhter Leukozytenzahlen ohne kulturellen Nachweis eines potentiell uropathogenen Keims ist Anlass zu differentialdiagnostischen Überlegungen: die Gegenwart anderer, nicht oder nicht einfach anzüchtbarer Erreger wie z.b. Mykoplasmen, Ureaplasmen, Chlamydia trachomatis, Mykobakterien oder Anaerobier; oder z.b. nicht-infektiöse Nierenerkrankungen, s (3) Lagerungs- und Transportzeiten. Wesentlich für die Vermeidung von Fehlinterpretationen der Untersuchungsergebnisse beim Vorliegen einer Kontamination sind kurze Lagerungs- und Transportzeiten. Der gewonnene Urin sollte so rasch wie möglich, d.h. in der Regel innerhalb von 2 Stunden nach Probennahme im Labor verarbeitet werden. Dabei ist auf die Kühlung des Urins während der gesamten Zeit zwischen Entnahme und Verarbeitung zu achten (Ausnahmen, s. 4.1), weil sich bereits bei Zimmertemperatur die Keimzahl innerhalb kurzer Zeit verändert. Auch Objektträgerkulturen sollten so rasch wie möglich ins Labor gebracht werden. Diese sollten jedoch ebenso wie borsäurehaltige Probengefäße wegen zahlreicher Nachteile nur ausnahmsweise und nur unter der Voraussetzung einer sehr korrekten und kontrollierten Handhabung verwendet werden. So sind z. B. bei konfluierendem Bakterienwachstum auf den Objektträgerkulturen, d.h. bei den für die Diagnose entscheidend hohen Bakerienmengen im Urin, Verzögerungen der Diagnostik um 1 2 Tage bis zum Vorliegen der Ergebnisse der Empfindlichkeitstestung unvermeidlich. Ebenso wie bei der Lagerung von Urinproben über das Wochenende, z. B. in Borsäureröhrchen (Borsäure als Konservierungsmittel), verlängert sich damit die Zeit bis zum Vorliegen der Ergebnisse der Empfindlichkeitsprüfung auf etwa 3 5 Tage. Dies ist weder für den Patienten akzeptabel noch bei komplizierten, in der Klinik behandelten oder nosokomialen Infektionen im Rahmen der DRG-Finanzierung wirtschaftlich tragbar.
4 4 Harnwegsinfektionen (4) Die Anzucht von Bakterien, die zur Normalflora der vorderen Harnröhre gehören, weist in der Regel auf eine Kontamination hin (s. Tab. 1). (5) Instruktion der Patienten Entnahmetechniken. Die Qualität der Uringewinnung ist von entscheidender Bedeutung für die Vermeidung von Kontaminationen. Die Gewinnung von Mittelstrahlurin gilt für Kinder mit Harnblasenkontrolle und Erwachsene als Methode der Wahl. Zur Verringerung der ansonsten häufig vorkommenden relevanten Kontaminationen ist es notwendig, die Patienten durch geschultes Personal vor der Probennahme über die richtige Entnahmetechnik und geeignete Reinigungsmaßnahmen aufzuklären (Anleitungen für Pflegekräfte s. 3.2) Dabei sollten dem Patienten sowohl mündlich als auch schriftliche Anleitungen zur Probennahme angeboten werden (s.a. praktische Anleitung für die Uringewinnung bei der Frau und beim Mann, Kap. 16. Anhang). (6) Urinentnahme unter speziellen Bedingungen. Eine Möglichkeit, Kontaminationen zu vermeiden, ist die Katheterisierung (s. 3.3). Diese muss durch geschultes Personal durchgeführt werden und darf wegen der Gefahr einer sekundären Infektion nur angewendet werden, wenn eine einwandfreie Gewinnung von Mittelstrahlurin nicht möglich ist und eine Blasenpunktion nicht in Betracht kommt. Zur Vermeidung einer Kontamination bei liegenden Dauerkathetern sind spezielle Entnahmetechniken zu beachten (s. 3.4). Dies gilt ebenso für die Entnahme des Urins mittels Einmalplastikbeuteln bei Säuglingen (s. 3.6) und die Urinentnahme aus Konduit oder Darmersatzblase (s. 3.7). Beim Nachweis von antibakteriellen Hemmstoffen im Urin sind die Grenzwerte für eine signifikante Bakteriurie nicht mehr gültig. (s und 8.5). Für eine Harnwegsinfektion sprechen im Regelfall unter der Voraussetzung, dass klinische Symptome vorhanden sind 6 eine Leukozyturie 6 Keimzahlen, die die Grenzwerte überschreiten (s. Abb. 3 und 4, Ausnahmen wie beschrieben), bei Mittelstrahlurin z.b Bakterien/ml Urin einer Spezies 6 Nachweis von typischerweise uropathogenen Art entsprechend Tabelle 2 6 Monokulturen uropathogener Erreger 6 Nachweis desselben Keimes in mehreren Urinproben gegen eine Infektion und für eine Kontamination bzw. Kolonisation sprechen 6 eine wiederholt fehlende Leukozyturie 6 niedrige Keimzahlen (s. Grenzwerte) 6 Mischkulturen von mehr als 2 Keimen, Ausnahmen, s. z. B. Katheterinfektionen Nachweis nicht uropathogener Bakterien, s. Tabelle 1 verschiedene Spezies in mehreren konsekutiven Proben.
5 Zusammenfassung 5 Die Befundmitteilung muss zeitnah erfolgen. Daher ist auch die telefonische oder schriftliche Mitteilung eines Vorbefundes nach ersten Ergebnissen einer mikroskopischen Untersuchung und/oder kulturellen Anzucht spätestens 24 Stunden nach Probeneingang indiziert [28, S. 911].
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