1 Molekulardynamische Simulation eines Argon-Fluids



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Transkript:

1 Molekulardynamische Simulation eines Argon-Fluids Aufgabenstellung Wir simulieren ein Argon-Fluid auf Basis eines Lennard-Jones Modells für Argon mit den Modellparametern Ar =0.34 nm und " Ar /k B = 120 K mit Hilfe der Methode der Molekulardynamischen Simulation. Für zwei Temperaturen und bei kleiner Dichte (Gasphasen-Dichte) werden die Trajektorien eines Systems bestehend aus 32 Teilchen unter Anwendung periodischer Randbedingungen berechnet. Es werden ausgewählte Trajektorien stoßender Teilchen visualisiert und graphisch dargestellt. Die mittlere freie Weglänge zwischen den Stößen wird anhand der Zahl der Stöße und des zurückgelegten Weges berechnet und mit den theoretischen Werten verglichen. Anhand der mittleren quadratischen Verschiebung der Teilchen soll der Selbstdiffusionskoeffizient berechnet werden. Systeme von 256 Argon-Teilchen werden für vorgegebene Temperaturen und Dichten, variierend über einen großen Dichtebereich, simuliert. Es sollen die Geschwindigkeitsverteilungen und radiale Verteilungsfunktionen für jeden dieser (T, ) Zustandspunkte berechnet und graphisch dargestellt werden. Anhand des berechneten Drucks und des berechneten chemischen Potentials entlang einer Isotherme eines aus 256 Argon-Teilchen bestehenden Systems ist die Lage des Phasenübergangs flüssig/gas zu ermitteln. Grundlagen Allgemeines Durch die hohe Rechengeschwindigkeit moderner Computer ist es möglich geworden, das Verhalten physikalischer und chemischer Systeme durch Computerexperimente nachzuvollziehen. Mittlerweile sind Computersimulationen zu einem neuen und wichtigen Werkzeug zur Untersuchung der Eigenschaften molekularer Systeme, insbesondere von Flüssigkeiten, geworden. In den Computerexperimenten wird das Verhalten einer begrenzten Zahl von Teilchen unter vorgegebenen Bedingungen simuliert. Dabei unterscheidet man zwei Methoden: Die statische MONTE- CARLO-Methode (MC), bei der eine große Zahl von zufällig erzeugten (daher der Name) Konfigurationen ausgewertet werden, und die Molekulardynamik-Simulation (molecular dynamics, MD), bei der das dynamische Verhalten (die zeitliche Entwicklung) eines Ensembles von Teilchen entsprechend der Newton schen Bewegungsgesetze berechnet wird. Beide Methoden behandeln das Verhalten statistisch-thermodynamischer Ensembles und es können daher die thermodynamischen 1

1 Computersimulation und physikalischen Eigenschaften der simulierten Systeme als Ensemble-Mittelwerte bestimmt werden. Für die Molekulardynamische Simulation benötigt man ein Computerprogramm, das, ausgehend von gegebenen Anfangsbedingungen (Orte und Geschwindigkeiten der Teilchen), die Bewegung (Flugbahnen = Trajektorien) einer Anzahl von Teilchen unter Berücksichtigung der Kräfte zwischen den Teilchen berechnet. Während der Simulation werden bestimmte Eigenschaften des Systems (Temperatur, Druck, Geschwindigkeiten und Energien) ermittelt. Von Interesse ist auch die radiale Verteilungsfunktion, die Einblicke in die Struktur des Systems erlaubt. Der Diffusionskoeffizient der Moleküle lässt sich aus der mittleren quadratischen Verschiebung der Teilchen bestimmen. Aus der Berechnung des chemischen Potentials lässt sich schließlich die Lage von Phasenübergängen (hier: flüssig/gasförmig) ermitteln. Eine wesentliche Voraussetzung für die Simulationen ist die Kenntnis der Potentialfunktion, d.h. einer Funktion, welche die Wechselwirkungsenergie eines Systems von Teilchen als Funktion ihrer Ortskoordinaten beschreibt. Für die Beschreibung der Molekularen Wechselwirkung der Argon- Teilchen verwenden wir ein sogenanntes effektives LENNARD-JONES-12-6-Potentialmodell, dessen Parameter an den Verlauf der Flüssig/Gas-Koexistenzlinie angepasst worden sind. Das Adjektiv effektiv deutet hierbei an, dass der Effekt von Mehrkörperwechselwirkungen durch die gewählten Parameter des Zweikörper-Lennard-Jones Modells Berücksichtigung findet. Wechselwirkungspotential und Kräfte Zur Beschreibung der Potentialfunktion verwenden wir einen Paarpotentialansatz, d.h. die Gesamtwechselwirkungsenergie des Systems ergibt sich aus der Summe aller Paarwechselwirkungen. Jede Paarwechselwirkung wird hierbei durch eine Lennard-Jones-Funktion (LJ) definiert, welche in guter Näherung die Wechselwirkung zwischen zwei nichtpolaren Teilchen als Funktion ihres Abstands r beschreibt: " 12 # 6 U(r) =4" (1.1) r r Der Potentialverlauf wird durch zwei charakteristische Größen definiert: " gibt den Betrag der Tiefe des Potentialminimums an der Stelle r " an und beschreibt den Stoßdurchmesser, d.h. den Abstand, bei dem das Potential gerade Null ist. Es gilt: d U(r) d r r " =0 r " =2 1/6 U(r " )= " U( )=0 (1.2) In Gleichung 1.1 repräsentiert der negative r 6 -Term weitreichende anziehende Wechselwirkungen (sogenannte Dispersionswechselwirkungen). Kurzfristige Fluktuationen der Elektronendichte bewirken das Auftreten von zeitweiligen Dipolmomenten in einem Molekül, welches dann seinerseits in einem zweiten Molekül ein induziertes Dipolmoment erzeugt, woraus im Mittel eine elektrostatische Anziehung erfolgt. Bei größerer Annäherung der Teilchen kommt es zur Abstoßung, die in diesem Fall durch den r 12 -Term ausgedrückt wird. In Abbildung 1.1 ist das effektive LJ-12-6-Potential für Argon dargestellt. 2

U(r) k B -1 / K 80 40 0-40 -80-120 σ ~r -12 2 1/6 σ ~r -6 σ = 0.34 nm ε/k B = 120 K 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 r / nm Abbildung 1.1: Effektives Lennard-Jones Wechselwirkungspotential U(r) für Argon. Die Parameter des verwendeten Lennard-Jones-Modells lauten: Ar = 0.34 nm und " Ar /k B = 120 K [Rahman, A]. Für die MD-Simulation werden neben den Wechselwirkungsenergien insbesondere auch die Kräfte benötigt. Die Kraft ~ F ij, die auf das Teilchen i durch das Teilchen j ausgeübt wird, ergibt sich aus der Ableitung des Potentials nach dem Abstand der Teilchen, multipliziert mit dem normierten Abstandsvektor (um die Richtung der Kraftwirkung zu berücksichtigen): ~F ij = r i U(r ij )= d U(r ij) d r ij ~r ij r ij mit r ij = ~r ij = ~r i ~r j (1.3) Die Gesamtkraft, die auf ein Teilchen i wirkt, ergibt sich dann als Summe über alle Kräfte, die auf das Teilchen i durch die umgebenden Teilchen j ausgeübt werden: ~F i = X j ~F ij (1.4) Berechnung der Teilchenbewegungen Wir betrachten ein System aus N Teilchen. Zu einem Zeitpunkt t kennen wir für dieses System sämtliche Orte ~r i (t) der Teilchen, ihre Geschwindigkeiten ~v i (t) und die auf die Teilchen wirkenden Kräfte F ~ i (t). Zur Berechnung der Orte und der Geschwindigkeiten zu einem kurz darauf folgende Zeitpunkt t + t wird nun der Velocity-Verlet -Algorithmus verwendet: entsprechend ~r i (t + t)=~r i (t)+~v i (t) t + 1 2 ~a i(t) t 2 (1.5) ~v i (t + t)=~v i (t)+ 1 2 [~a i(t)+~a i (t + t)] t Die Beschleunigung des Teilchens i ergibt sich aus der auf das Teilchen wirkenden Kraft gemäß ~a i (t) = ~ F i (t)/m i. Das diskrete Zeitintervall t muss sehr klein sein, da sich die intermolekularen Kräfte sehr schnell ändern können. Üblicherweise wählt man Intervalle im Bereich von 10 15 bis 3

1 Computersimulation Abbildung 1.2: Schematische Illustration zu den periodischen Randbedingungen. Die Basiszelle (mitte, stark umrandet) ist umgeben von ihren virtuellen Abbildern. Aus Gründen der Übersichtlichkeit sind hier nur die direkt benachbarten Zellen dargestellt. 10 14 s. Für die Simulationen der Argon-Systeme verwenden wir hier t =5fs. Die Berechnung der gesamten Teilchenflugbahnen über ein längeres Zeitintervall erfolgt nun durch iterative Wiederholung der Rechenschritte in Gleichung 1.5. Das Computerexperiment läuft insgesamt nach folgendem Schema ab: Zunächst werden den beteiligten Teilchen Startpositionen (z.b. auf einem Kristallgitter) und Anfangsgeschwindigkeiten zugewiesen. Letztere sind in der Regel Zufallsgrößen, die allerdings so gewählt sind, dass der Impuls des Schwerpunktes des Systems Null ist und die Geschwindigkeitsverteilung einer Maxwell-Boltzmann-Verteilung bei einer vorzugebenden Temperatur entspricht. Die Flugbahnen (Trajektorien) der Teilchen werden dann entsprechend Gleichung 1.5 schrittweise berechnet. Die Geschwindigkeiten der Teilchen werden dabei allerdings zunächst so skaliert, das eine vorgegebene Temperatur eingestellt wird. Für die hier untersuchten Systeme ist es ausreichend, insgesamt etwa 10 4 10 6 Zeitschritte zu betrachten. Typischerweise teilt man die Simulation auf in einen Equilibrierungslauf, bei welchem das System zunächst von einer beliebigen Startkonfiguration in das thermodynamische Gleichgewicht gebracht wird. Daran schließt sich der eigentliche Produktionslauf an, für welchen die letzte Konfiguration (Orte und Geschwindigkeiten) des Equilibrierungslaufs als Startkonfiguration verwendet wird. Sämtliche Simulationen und Auswertungen werden mit Hilfe MD-Simulationspakets MOSCITO [MOSCITO] durchgeführt. Die Basiszelle Eine wesentliche Beschränkung jeder Computersimulation ist die Anzahl der Teilchen, die man einbeziehen kann. Bekanntlich enthält 1 Mol 6.02214 10 23 Partikel. Um für ein solches System auch nur einen einzigen Zeitschritt zu berechnen, würde man selbst mit den heute schnellsten Computern noch Jahrhunderte brauchen. Anstelle der Simulation einer makroskopischen Anzahl von Teilchen reicht es jedoch in den meisten Fällen aus, einen Ausschnitt aus der Flüssigkeit zu betrachten und diesen, analog zu einer Elementarzelle in einem Kristall, unendlich oft in alle Raumrichtungen zu duplizieren. In Abhängigkeit vom betrachteten physikalischen Problem werden moleküldynamische Rechnungen (MD) mit etwa 10 2 bis 10 7 Teilchen pro Volumeneinheit 4

2000 D=1.6 10-6 m 2 s -1 < r(0)-r(t) 2 > / (nm) 2 1500 1000 500 parabolisch linear 0 0 50 100 150 200 250 t / ps Abbildung 1.3: Mittlere quadratische Verschiebung der Argon-Teilchen bei einer Temperatur von T = 150 K und einer Dichte von 0.008 g cm 3. (Zelle oder Box) durchgeführt. In unserem Fall sind es 32 bzw. 256 Teilchen. Das Verfahren, die Zelle oder Box mit den Teilchen nach allen Seiten unendlich oft fortzusetzen, beruht auf periodischen Randbedingungen. Das ist in Abbildung 1.2 für den zweidimensionalen Fall demonstriert. Verlässt ein Teilchen die Box auf der einen Seite, so tritt auf der gegenüberliegenden Seite das virtuelle Abbild des Teilchen aus der benachbarten Box mit gleicher Geschwindigkeit ein. Für die Berechnung der Wechselwirkung eines Teilchens mit seiner Umgebung wird jeweils immer der Abstand zu dem am nächsten befindlichen Abbild der Teilchen betrachtet (siehe gestrichelte Linien in Abbildung 1.2). Diffusionskoeffizient Die Bewegung von Teilchen in der Gasphase und in Flüssigkeiten ist diffusiv. Die Ursache hierfür ist, dass die Trajektorien der Teilchen durch Stöße mit umgebenden Teilchen abgelenkt werden und die Bewegungsrichtung nach der Kollision quasi zufällig verteilt ist. Die Trajektorie eines Argon-Teilchens entspricht daher schon nach einem sehr kurzen Zeitintervall dem Verhalten eines sogenannten dreidimensionalen random walkers. Für diffundierende Teilchen gilt die Einstein-Beziehung, nach welcher sich die mittlere quadratische Verschiebung der Teilchen proportional zur Zeit verhält: D ~r i (0) ~r i (t) 2E =6D t (1.6) D bezeichnet hierbei den Selbstdiffusionskoeffizienten der Moleküle. Im Zeitbereich unterhalb des mittleren Kollisionsintervalls weist die mittlere quadratische Verschiebung einen parabelförmigen Verlauf auf, da sich die Teilchen zwischen den Stößen mit konstanter Geschwindigkeit bewegen (sog. ballistischer Bereich). Im angegebenen Beispiel in Abbildung 1.3 geht der ballistische Bereich etwa ab 120 ps in den linearen, diffusiven Bereich über. Aus der Steigung der Geraden (für t>120 ps) lässt sich entsprechend Gleichung 1.6 der Selbstdiffusionskoeffizient des Argons bei der gegebenen Temperatur und Dichte ermitteln. 5

1 Computersimulation 4 3 4 ρ=0.05 g cm -3 ρ=1.0 g cm -3 T=90 K 3 T=90 K g(r) 2 g(r) 2 1 exp(-u LJ (r)/k B T) 1 0 0.4 0.6 0.8 1 1.2 r / nm 0 0.4 0.6 0.8 1 1.2 r / nm Abbildung 1.4: Simulierte radiale Verteilungsfunktionen für Argon bei T = 90 K. Im Falle der Gasphasendichte (links) wird die radiale Verteilungsfunktion im wesentlichen durch den Verlauf der Zweiteilchen-(LJ)-Potentialfunktion bestimmt. Im Falle der Flüssigkeitsdichte (rechts) sind mehrere Maxima erkennbar, die auf eine packungsinduzierte Schalenstruktur in der Flüssigkeit hinweisen. Radiale Verteilungsfunktion Auch Gase und Flüssigkeiten besitzen eine Ordnung. Im Gegensatz zu Festkörpern existiert in diesen Phasen allerdings keine Fernordnung, sondern nur eine lokale Nahordnung. Gase und Flüssigkeiten sind zudem isotrop, d.h., die Nahordnung ist unabhängig davon, welche Raumrichtung betrachtet wird. Die Nahordnung in Gasen und Flüssigkeiten besteht daher in der Korrelation von Teilchenabständen. Die radiale Verteilungsfunktion oder Paarverteilungsfunktion g(r) beschreibt diese Teilchenkorrelationen. Sie ist ein Maß für die Dichte, die wir um ein zentrales Teilchen herum im Abstand r finden, bezogen auf die mittlere Dichte des Fluids. Dazu bestimmt man die Zahl der Teilchen in einer Kugelschale der Dicke r mit dem Volumen V =4 r 2 r im Abstand zwischen r und r + r relativ zu einem Referenzteilchen und normiert durch die mittlere Teilchenzahldichte = N/V : g(r) = (r) = 1 1 4 r 2 h n(r)i (1.7) r Der Wert der Paarverteilungsfunktion strebt für kleine Abstände gegen Null, da sich am Ort r =0 das Referenzteilchen befindet: lim r!0 g(r) =0.Für große Abstände konvergiert die Dichte (r) gegen die mittlere Teilchenzahldichte und die Paarverteilungsfunktion strebt entsprechend gegen Eins: lim r!1 g(r) =1. Für Flüssigkeiten weist g(r) einen relativ steilen Peak etwa bei r " auf, der sich, schwächer werdend, periodisch wiederholt. Je größer r wird, desto breiter werden die Peaks. Letztlich nähert sich g(r) dem Wert 1. Die Ursache für die alternierenden Maxima und Minima ist die schalenförmige Anordnung von Teilchen um ein zentrales Teilchen herum, wenn die Dichte hinreichend groß ist. Aber auch in der Gasphase finden wir eine Paarverteilungsfunktion mit einem ausgeprägten ersten Peak (siehe Abbildung 1.4). Dieser rührt daher, dass in der Gasphase die Verteilung der Teilchenabstände durch das Boltzmann-gewichtete Paarpotential bestimmt wird. 6

µ / kj mol -1-11.8-12 -12.2-12.4-12.6 µ eq = -12.19±0.05 kj mol -1 Gasphase Fluessigkeit p eq = 19.8±1.2 bar µ / kj mol -1-11.6-12 -12.4-12.8 ρ g = 0.100±0.009 g cm -3 µ eq =-12.19 kj mol -1 ρ l = 1.108±0.013 g cm -3-12.8-20 0 20 40 60 80 p / bar 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.2 ρ / g cm -3 Abbildung 1.5: Links: Berechnetes chemisches Potential µ als Funktion des Drucks entlang einer Isotherme. Aus dem Schnittpunkt von Gasphasen-Ast und Flüssigkeits-Ast können der Druck und das chemische Potential am Gleichgewichtspunkt abgelesen werden. Rechts: Chemisches Potential als Funktion der Dichte. Aus den Schnittpunkten mit dem chemischen Potential des Gleichgewichtszustandes lässt sich die Dichte der Gasphase und der Flüssigkeit ermitteln. Abstände in der Nähe von r " werden demnach bevorzugt und es gilt g(r) exp[! 0. U(r)/k B T ] für Chemisches Potential und Flüssig/Gas-Phasenübergang Die Bestimmung von Phasenübergängen mit der Computersimulation ist mit Hilfe des chemischen Potentials möglich. Am Siedepunkt beispielsweise sind der Druck und das chemische Potential in der flüssigen Phase und der Gasphase gleich. Dies wollen wir ausnutzen, um den Phasenübergang zwischen der flüssigen Phase und der Gasphase entlang einer Isotherme zu lokalisieren. Das chemische Potential µ besteht formal aus einem Anteil µ id für das ideale Gas, der analytisch berechnet werden kann, und einem wechselwirkungsbasierten Anteil µ res, der numerisch ermittelt werden muss: µ = µ id + µ res (1.8) Für den Anteil des idealen Gases gilt hierbei: µ id = k B T ln V 3 N. (1.9) Dabei bezeichnet = p h 2 /(2 mk B T ) die thermische de Broglie Wellenlänge. Man kann formal beweisen, dass sich der wechselwirkungsbasierte Anteil des chemischen Potentials µ res als ein Ensemble-Mittelwert entsprechend µ res = k B T ln hexp[ /(k B T )]i (1.10) berechnen lässt. ist hierbei die Energie eines in die N-Teilchen-Simulation zusätzlich eingefügten (N + 1)-ten Teilchens gemäß = U N+1 U N. Die Positionen des zusätzlich eingefügten Teilchens werden nach dem Zufallsprinzip ermittelt und sind über das Volumen der Box 7

1 Computersimulation völlig gleichverteilt. Das (N + 1)-te Teilchen beeinflusst dabei die Trajektorie des N-Teilchen- Systems nicht, weshalb man auch von einem Testteilchen spricht. Durch eine Auftragung des chemischen Potentials µ gegen den Druck p lässt sich der Phasenübergang durch den Schnittpunkt von µ g (p g ) des Gasphasen-Astes und µ l (p l ) des Flüssigkeits- Astes ermitteln (siehe Abbildung 1.5). Am Schnittpunkt gilt jeweils p l = p g und µ l = µ g. Versuchsapparatur Die Rechnungen erfolgen auf einem Linux/Unix-PC, der Ihnen vom Assistenten zugewiesen wird. Es findet eine Einweisung in die benötigten Unix-Kommandos durch den Assistenten statt. Versuchsdurchführung Zu Beginn des Versuches bekommen Sie die genaue Aufgabenstellung für die Rechnungen vom Assistenten mitgeteilt. Hinweis: Das Simulationsprogramm erzeugt zahlreiche unterschiedliche Ausgabedateien. Um Probleme durch gleich lautende Dateinamen zu vermeiden, legen Sie für jede Simulation am besten ein separates Unterverzeichnis an und starten die Simulation dort. Simulation mit 32 Teilchen Kommandos: Aufbau der Simulation (Startkonfiguration): MD Simulation bei Temperatur: Visualisierung der Systemtrajektorie mittels VMD Visualisierung einzelner Trajektorien Zurückgelegte Wegstrecke pro Atom (nm) buildlj32.pl -rho mdsimlj32.pl -T T argonview.pl xmgrace sample 01.xy sample 01.xz tralen.pl Dateien: Trajektorien (xy-projektion, in nm) sample 00.xy... sample 09.xy Trajektorien (xz-projektion, in nm) sample 00.xz... sample 09.xz Systemtrajektorie (binär) sim.xtc Geschwindigkeiten (binär) sim.vel Simulationsprotokoll sim.log Mittlere quadratische Verschiebung (ps, nm 2 ) msd.dat Mittlere quadratische Verschiebung (ps, nm 2 ) msd.csv 8

Simulation mit 256 Teilchen Kommandos: Aufbau der Simulation (Startkonfiguration): MD Simulation bei Temperatur: Visualisierung der Systemtrajektorie mittels VMD Dateien: Paarverteilungsfunktion Geschwindigkeitsverteilung Systemtrajektorie (binär) Geschwindigkeiten (binär) Simulationsprotokoll buildlj256.pl -rho mdsimlj256.pl -T T argonview.pl gofr Ar Ar.dat, gofr Ar Ar.csv v histogram.dat, v histogram.csv sim.xtc sim.vel sim.log Isotherme Kommandos: Berechnung der Isotherme (Dauer: ca. 1 h) Aufbereitung der Daten Dateien: Thermodynamische Daten (Klartext) Thermodynamische Daten (Excel) Thermodynamische Daten Protokoll run isotherm.pl -T T format data Isotherm.txt Isotherm.csv Isotherm.pdf Versuchsauswertung 1. TRAJEKTORIEN Analysieren Sie mit Hilfe des Visualisierungsprogrammes VMD (argonview.pl) die Trajektorien einzelner Argon-Teilchen. Erzeugen Sie zwei Abbildungen, die jeweils charakteristisch einen direkten Stoß als auch einen streifenden Stoß abbilden. Als Letzteren verstehen wir hierbei eine Richtungsänderung, die wesentlich durch die attraktive Wechselwirkung zweier Teilchen bestimmt ist. 2. MITTLERE FREIE WEGLÄNGE Die Trajektorien der Teilchen im verdünnten Gas werden genutzt, um die mittlere freie Weglänge l zu berechnen. Bestimmen Sie dazu zunächst mit dem Programm tralen.pl die Länge des zurückgelegten Weges der Argon-Partikel. Anschließend plotten Sie die Projektionen der Trajektorien einzelner Teilchen in die xz- und xy-ebene mit Hilfe des Programmes xmgrace: z.b. xmgrace sample 01.xy sample 01.xz Drucken Sie die Trajektorien aus und ermitteln Sie anhand der markierten Richtungsänderungen die Zahl der erfolgten Stöße. Berechnen Sie so die mittlere freie Weglänge für fünf ausgewählte Argon-Teilchen und bestimmen Sie den Mittelwert. Vergleichen Sie den so erhaltenen Wert mit dem Resultat nach der kinetischen Gastheorie: l = 1/(2 1/2 2 ). Erläutern Sie, warum die erhaltene mittlere freie Weglänge typischerweise kleiner ist als von der kinetischen Gastheorie vorhergesagt, wenn als Stoßdurchmesser der Lennard-Jones- Parameter verwendet wird. 9

1 Computersimulation 3. DIFFUSIONSKOEFFIZIENTEN Die über alle Teilchen gemittelte mittlere quadratische Verschiebung ist in den Dateien msd.dat bzw. msd.csv enthalten. Die erste Spalte beschreibt die Zeit in ps, die zweite Spalte bezeichnet die mittlere quadratische Verschiebung in (nm) 2. Aus der Steigung des linearen Bereichs kann der Diffusionskoeffizient ermittelt werden. Aus dem Diffusionskoeffizienten kann dann mittels des Zusammenhangs D =1/3 hvi l gemäß der kinetischen Gastheorie ebenfalls die mittlere freie Weglänge l berechnet werden. 4. GESCHWINDIGKEITSVERTEILUNG Die berechneten Geschwindigkeitsverteilungen der Teilchen sind in den Dateien v histogram.dat bzw. v histogram.csv abgelegt. Die erste Spalte beschreibt die Geschwindigkeit (in m s 1 ), die zweite Spalte die entsprechende Wahrscheinlichkeitsdichte (in (ms 1 ) 1 ). Vergleichen Sie die so erhalte Geschwindigkeitsverteilung mit der Maxwell-Boltzmann-Geschwindigkeitsverteilung gemäß 5. RADIALE VERTEILUNGSFUNKTION M 3/2 P (v) =4 v 2 exp[ Mv 2 /(2RT )] (1.11) 2 RT Die Daten für die radiale Verteilungsfunktion g(r) sind in den Dateien gofr Ar Ar.dat bzw. gofr Ar Ar.csv abgespeichert. Die erste Spalte beschreibt den Abstand r (in nm) und die zweite Spalte enthält g(r) (dimensionslos). Zeichnen Sie die radiale Verteilungsfunktion zunächst bei gleichen Temperaturen T für unterschiedliche Dichten in ein Diagramm. Entsprechend werden dann Diagramme bei konstantem für verschiedene T erstellt. Wie liegt das erste Maximum verglichen zu r " =2 1/6? 6. FLÜSSIG/GAS-PHASENÜBERGANG In den Ausgabedateien Isotherm.txt bzw. Isotherm.csv werden die errechneten Daten für T [K], [g cm 3 ], V m [m 3 mol 1 ], p [bar], µ id. [kj mol 1 ], µ res. [kj mol 1 ] und µ [kj mol 1 ] abgespeichert. Ein vollständiges Protokoll der Isothermen- Berechnung finden Sie weiterhin in der Datei Isotherm.pdf Die csv-dateien können zur Auswertung problemlos in ein Tabellenkalkulationsprogramm importiert werden. Zunächst ist nun für die Isotherme µ als Funktion von p in einem Diagramm darzustellen. Hier erhalten Sie für die unterkritischen Isothermen zwei Äste, zwischen denen das für die Betrachtung unbrauchbare metastabile Zwei-Phasen-Gebiet liegt. Um den eigentlichen Phasenübergang zu erfassen, ermitteln Sie den Schnittpunkt der Äste und bestimmen den Gleichgewichtsdruck p eq (Dampfdruck) und das chemische Potential µ eq im Gleichgewicht. 10

Literatur Erstellen Sie nun ein Diagramm von µ als Funktion von und tragen Sie µ eq ein. An den Schnittpunkten von µ eq mit der Funktion µ( ) lassen sich die Gasphasendichte und die Flüssigkeitsdichte am flüssig/gas-koexistenzpunkt ablesen. Rahman, A. A. Rahman, Correlations in the Motions of Liquid Argon, Physical Review 136, A405-A411 (1964). MOSCITO MD-Simulationsprogramm: http://www.moscitomd.org 11