Eingliedern statt kündigen: Betriebliches Eingliederungsmanagement Eine kleine Handlungshilfe



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www.boeckler.de JOktober 2007 Copyright Hans-Böckler-Stiftung von Ulla Wittig-Goetz im Auftrag der Abteilung Mitbestimmungsförderung, Referat Betrieblicher Arbeits- und Umweltschutz Eingliedern statt kündigen: Betriebliches Eingliederungsmanagement Eine kleine Handlungshilfe Auf einen Blick Die Spirale von Krankheit, Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und Frühverrentung kann durch betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gestoppt werden. Als oberster Leitsatz für das BEM gilt: Rehabilitation und Eingliederung statt Entlassung. Im Vordergrund steht die Erhaltung, Stabilisierung und Förderung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten. Gutes Eingliederungsmanagement sollte als Bestandteil einer systematischen und umfassenden betrieblichen Gesundheitspolitik angelegt werden. Nach der gesetzlichen Vorschrift hat der Arbeitgeber mit der betrieblichen Interessenvertretung zu klären, wie das Eingliederungsmanagement durchzuführen ist. Der Betriebsrat kann auch selbst die Initiative ergreifen (Initiativrecht), wenn der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Mitarbeitergespräche, die im Zusammenhang mit BEM stattfinden, haben nichts mit den weit verbreiteten Krankenrückkehrgesprächen und ihrer disziplinarischen Funktion zu tun, sondern sie dienen der Hilfe und Unterstützung des Erkrankten. Dass genau diese Zielsetzung des Gesetzes verfolgt wird, erfordert die besondere Wachsamkeit der Interessenvertreter. Die neue Vorschrift macht es zudem schwieriger, ernsthaft Erkrankte zu entlassen. Ganz überwiegend vertreten Arbeitsrechtler die Auffassung, dass Arbeitsgerichte in Zukunft krankheitsbedingte Kündigungen für unverhältnismäßig und damit unwirksam erklären werden, wenn es der Arbeitgeber zuvor versäumt hat, das Instrument des Eingliederungsmanagements zu nutzen. 1

Inhaltverzeichnis: Das Gesetz und die Ziele im Überblick BEM als Teil der betrieblichen Gesundheitspolitik Gründe für die Einführung des Verfahrens Die Beteiligung der Betroffenen Was ist mit Kündigungen? Eingliedern statt verschleißen: Welche Maßnahmen kommen in Frage? Integration mit System Verfahrensweisen Hilfen für kleine Unternehmen Es hat nichts mit Krankenrückkehrgesprächen zu tun Die Mitbestimmung des Betriebsrates Handlungsschritte für die betriebliche Interessenvertretung Eckpunkte für eine Betriebsvereinbarung Vom BEM profitieren alle Beteiligten Wie wirtschaftlich ist BEM? Rund jede dritte Kündigung durch den Arbeitgeber ist krankheitsbedingt. Etwa eine halbe Million Menschen verlieren nach Schätzungen des DGB jährlich so ihren Job. Eine Kündigung wegen Krankheit ist jetzt deutlich schwieriger geworden. Der Gesetzgeber hat nämlich den Paragrafen 84 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches (SGB) IX novelliert. Damit wird der Arbeitgeber verpflichtet, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt krankheitsbedingt fehlt. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Vorschrift hängt ganz wesentlich vom Engagement der Betriebs- und Personalräte sowie der Schwerbehindertenvertretungen ab. Der gesetzliche Rahmen und die Ziele BEM stellt eine Aufgabe des Arbeitgebers dar auch in Kleinbetrieben. Er ist seit 1. Mai 2004 dazu verpflichtet im Einzelfall alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Arbeitsunfä- higkeit des Beschäftigten zu beenden, weiteren Erkrankungen vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten. Damit dies gelingt, braucht der Arbeitgeber Mitspieler. Dazu gehört in erster Linie der Betroffene selbst, denn nur mit seiner Zustimmung können in Frage kommende Maßnahmen umgesetzt werden. BEM ist zudem mitbestimmungspflichtig. Im Klartext: Nichts geht ohne Einbeziehung des Betriebsrates und, wenn es sich um schwerbehin- derte oder gleichgestellte Beschäftigte handelt, die Schwerbehindertenvertretung. Ein weite- rer wichtiger Akteur im Betrieb kann der Betriebsarzt sein. Auch von außen kommt Unterstützung: Partner außerhalb des Betriebes sind die Rehabilitationsträger (Krankenkassen, Unfall- und Rentenversicherung, Agentur für Arbeit) und bei schwerbehinderten Menschen die Integrationsämter. Diese externen Stellen sollen die Beteiligten im Betrieb bei der Umsetzung des BEM unterstützen, zum einen durch Leistungen, die im Einzelfall notwendig sind, zum anderen aber auch bei der generellen Einführung des BEM im Betrieb oder in der Dienststelle. 2

Die Buchstaben des Gesetzes 84 Abs. 2 SGB IX (2) Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Soweit erforderlich, wird der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Die betroffene Person oder ihr gesetzlicher Vertreter sind zuvor auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagement sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Kommen Leistungen zur Teilhabe oder begleitende Hilfen im Arbeitsleben in Betracht, werden vom Arbeitgeber die örtlichen gemeinsamen Servicestellen oder bei schwerbehinderten Beschäftigten das Integrationsamt hinzugezogen. Die zuständige Interessenvertretung, bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können die Klärung verlangen. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Indem das Eingliederungsmanagement darauf abzielt, Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und eine erneute Erkrankung zu vermeiden sollen vor allem auch chronische Erkrankungen und Behinderungen verhindert werden. Die Intentionen im Überblick kurzfristige Ziele: möglichst schnell die aktuelle Arbeitsunfähigkeit zu überwinden (Rehabilitation), künftigen Erkrankungen vorzubeugen (Prävention), keine krankheitsbedingten Kündigungen, mittel- und langfristige Ziele: Erhalt und Förderung der Gesundheit (bzw. der Arbeits- und Beschäftigungsfähig- BEM mit der betrieblichen Gesundheitspolitik keit), chronische Erkrankungen und Behinderungen abwenden, den Arbeitsplatz sichern und Frühverrentung einen Riegel vorschieben, verzahnen. Zwei Neuerungen sind gegenüber der früheren Regelung besonders hervorzuheben. Erstens: Es betrifft nicht nur behinderte Arbeitnehmer, sondern alle Beschäftigte. Zweitens: Damit präventive Maßnahmen auch greifen, sollen sie möglichst früh einsetzen. Im Kern geht es um den Erhalt und die Förderung der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit. BEM als Teil der betrieblichen Gesundheitspolitik Eingliederungsmanagement funktioniert am Besten, wenn es als Element einer umfassen- den betrieblichen Gesundheitspolitik angelegt wird (Arbeits- und Gesundheitsschutz, betrieb- liche Gesundheitsförderung) und gibt dieser auch wichtige Impulse, etwa der Gefährdungsbeurteilung. Weitere Informationen: Basiswissen: Gefährdungsbeurteilung das Instrument zum Belas- tungsabbau, Basiswissen: Die Organisation des Arbeitsschutzes im Betrieb. Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie Eingliederungsmanagement sollten als Querschnittsaufgaben in der betrieblichen Aufbau- und Ablauforganisation verstanden werden. 3

BEM geht zwar vom Einzelfall aus und stellt daher konkrete Einzelfallhilfe dar, aber die Um- setzung der Vorschrift sollte nicht beim einzelnen Betroffenen stehen bleiben. Wenn die Fehlzeiten eines Beschäftigten betriebliche Ursachen haben, können Arbeitsplatzanalysen und Arbeitsplatzbegehungen Rückschlüsse auf arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren zulas- sen, die auf notwendige Maßnahmen verweisen, die ganze Beschäftigtengruppen betreffen. Gründe für die Einführung von BEM Daten zum Krankheitsgeschehen verdeutlichen die Brisanz dieser Vorschrift: Langzeiter- von sechs Wochen und mehr machen fast die Hälfte aller Krankheitstage aus krankungen und sind das eigentliche Krankenstandsproblem. Im Vordergrund stehen die so genannten Volkskrankheiten, insbesondere chronische Erkrankungen, die sich über einen längeren Zeit- werden. Zu den Erkrankungen, die mit längeren Arbeitsunfähigkeitszeiten einhergehen und raum von fünf bis 15 Jahren entwickeln und häufig durch Arbeitsbedingungen (mit)verursacht über drei Viertel (78 %) aller krankheitsbedingten Ausfallzeiten der erwerbstätigen Pflichtmitglieder bedingen, zählen nach dem BKK-Gesundheitsreport 2006: Muskel- und Skeletterkrankungen (25,8 %) Krankheiten des Atmungssystems (17,7 %) Verletzungen und Vergiftungen (14,9 %) Psychische Störungen (8,5 %9 Krankheiten des Verdauungssystems (6,4 %) Krankheiten des Kreislaufsystems (4,5 %) Quelle: BKK Gesundheitsreport 2006, Essen 2006 Vgl. zu diesem Thema auch Basiswissen: Krank durch den Job Es handelt sich genau um die Erkrankungen, die auch bei den Renten wegen verminder- Erwerbsfähigkeit eine Rolle spielen. Zunehmende AU-Zeiten sind bei sorgsamer In- ter terpretation sozusagen ein Frühwarnsystem für die Entstehung chronischer Erkrankungen und Behinderungen. Bislang kümmerten sich die Betriebe allerdings in der Regel wenig um Langzeiterkrankte, wie Kündigungsschutzverfahren zeigen. Je länger jemand durch Krankheit ausfällt, desto schneller sieht er sich einer Ausgliederungskarriere aus- gesetzt. Diese Spirale von Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit und Frühverrentung kann durch betriebliches Eingliederungsmanagement gestoppt werden. Durch den Ausbau betrieblicher Prävention soll verhindert werden, dass chronische Erkrankungen und Behinderungen entstehen und sich verschlimmern und zum Verlust des Arbeitsplatzes führen. Deshalb gilt als oberster Leitsatz für das BEM: Rehabilitation und Eingliederung statt Entlassung. Im Vordergrund steht die Erhaltung, Stabilisierung und Förderung der Gesundheit und Arbeitsfähigkeit der Beschäftigten. Daraus ergeben sich drei Handlungsfelder: Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren Rehabilitation gesundheitlich beeinträchtigter Beschäftigter Reintegration von Beschäftigten, deren Leistungsfähigkeit krankheitsbedingt eingeschränkt ist. Motor demografische Entwicklung Der Bedarf für den Ausbau der Prävention und des Eingliederungsmanagement steigt auch aufgrund des demografischen Wandels. Belegschaften altern und mit dem Alter steigt das Risiko von gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Krankheiten sowie Behinderungen. Über 80 Prozent der Schwerbehinderungen werden durch Krankheiten verursacht, die sich im Laufe eines (Arbeits-)Lebens entwickeln. (Vgl. Datenreport 2004 der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2005). Wenn Betriebe zukünftig mit gealterten Belegschaften bei gleich bleibenden oder gar noch steigenden Arbeitsbelastungen und damit verbundenen Gesundheitsgefahren länger - auf 4

Grund des gestiegenen Renteneintrittsalters - arbeiten müssen, dann zeigt dies, wie zwingend hier Handlungsbedarf besteht. Die Beteiligung der Betroffenen Was ist mit Kündigungen? Ein zentraler Grundsatz für das BEM ist das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen ( 84 Abs. 2 SGB IX). Sie müssen in das Verfahren einwilligen und können dies jederzeit widerru- fen. Es gilt: Nichts ohne uns über uns! Daher muss die betroffene Person für ihre Zustimmung und aktive Beteiligung gewonnen und vom persönlichen Nutzen des Eingliederungsmanagement überzeugt werden. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber sie zunächst darüber informiert, warum er nach sechs Wochen Arbeitsunfähigkeit an sie herantritt, welches Ziel dies hat und was die Durchführung eines BEM bedeutet. Dazu gehört ebenso die Information über Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten (ebd.) Der Arbeitgeber hat allerdings kein Recht darauf, die Diagnose der Erkrankung zu erfahren. Wer BEM ablehnt, dem dürfen daraus auch keine Nachteile entstehen. Mittelbar kann diese Entscheidung jedoch Folgen haben. Hat der Arbeitgeber BEM angeboten und der betroffene Beschäftigte dies nicht akzeptiert, kann in einem etwaigen Prozess über die Zulässigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung sich das zu seinem Nachteil auswirken. Übrigens Beschäftigte haben auch dann einen Anspruch auf eine betriebliche Widereingliederung, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht betrieblich bedingt war. Grundsätzlich kann der Arbeitgeber kündigen, doch nach der Rechtssprechung müssen strenge Voraussetzungen vorliegen. Ganz überwiegend vertreten Arbeitsrechtler die Auffas- und damit unwirksam erklären werden, wenn es der Arbeitgeber zuvor versäumt hat, das sung, dass Arbeitsgerichte in Zukunft krankheitsbedingte Kündigungen für unverhältnismäßig Instrument des Eingliederungsmanagements zumindest versucht zu haben. (Vgl. Alfred Oppolzer: Gesundheitsmanagement im Betrieb, Hamburg 2006, S. 195 ff ). Das BEM erhöht die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers in Kündigungsschutzverfahren. Eingliedern statt verschleißen: Welche Maßnahmen kommen in Frage? Zur Überwindung der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit trägt vorrangig ein Verfahren bei, das die arbeitsbedingten Ursachen von Erkrankungen untersucht und diese beseitigt bzw. verringert. Daher ist BEM unmittelbar verknüpft mit einer Klärung der Arbeitsbedingungen sowie der Nutzung und Überprüfung der jeweiligen Gefährdungsbeurteilung, die für den konkreten Arbeitsplatz erstellt worden ist. Lauern Gesundheitsgefahren durch Über- oder Unterforderung, existieren physische oder psychische Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz, die krankmachende Beanspruchungsfolgen haben, gibt es Mängel in der Arbeitsorganisation oder der ergonomischen Gestaltung usw.? Diese Fragen zielen auf die Verhältnisprävention. Daneben kann im Rahmen von BEM auch ein Beratungsangebot für Beschäftigte über gesundheitsförderliche Verhaltensweisen erfolgen. Doch aufgepasst! Ein BEM-Verfahren verfehlt sein Ziel, wenn die Untersuchung der Be- und der Austausch von Arztberichten im Mittelpunkt stehen und die Besichtigung schäftigten des Arbeitsplatzes sowie die kritische Beurteilung der Arbeitsbedingungen unterbleiben. Die wichtigsten präventiven Maßnahmen bestehen in möglichen Änderungen im Arbeitsbereich. Das Verfahren vermittelt die Chance, z.b. die Vorgaben der Bildschirmarbeitsverordnung ernst zu nehmen, wonach Mischarbeit der reinen Bildschirmtätigkeit vorzuziehen ist oder die Bestimmungen der Lastenhandhabungsverordnung umzusetzen, indem Lastgewichte verrin- gert und Hebehilfen zur Verfügung gestellt werden. 5

Je nach den betrieblichen Gegebenheiten kommen folgende Lösungen in Betracht: ergonomische Optimierung des Arbeitsplatzes technische Lösungen am Arbeitsplatz, etwa Hebehilfen, Lärmschutzmaßnahmen Änderungen der Arbeitsorganisation durch eine Verringerung der Arbeitsverdich- tung, Mischarbeit oder Versetzung in einen anderen Arbeitsbereich menschen- und altersgerechte Arbeitsgestaltung stufenweise Wiedereingliederung in den Betrieb Teilzeitarbeit medizinische Rehabilitationsleistungen berufliche Qualifizierungen Für den Erhalt des Arbeitsplatzes können zusätzliche Maßnahmen notwenig sein. Dazu zählt z.b. die schrittweise Wiedereingliederung von Kranken in den Betrieb nach 28 SGB IX. Die vorübergehend verkürzte Arbeitszeit dient der Erprobung und dem Training der Leistungsfähigkeit des Arbeitsunfähigen. Es kann auch sinnvoll sein, den Teilzeitanspruch der Beschäftigten nach 81 Abs. 5 SGB IX zu nutzen und als flankierende Maßnahmen über Ansprüche auf Sozialleistungen zu informieren. Der Arbeitgeber kann im Rahmen von BEM auch außerbetriebliche Förderangebote für den Betroffenen organisieren wie medizinische Leistungen zur Rehabilitation oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben wie etwa berufliche Qualifizierungsmaßnahmen. In diesem Fall kommen Krankenkassen, Unfall- und Rentenver- sicherung, Integrationsämter oder die Agentur für Arbeit mit ins Boot. Integration mit System Für gesundheitlich beeinträchtigte Beschäftigte mit meist langer Betriebszugehörigkeit gibt es derzeit in zahlreichen Betrieben kaum noch Platz. Vielfach wurden Tätigkeiten, die weniger unter Stress setzen und auf die Knochen gehen ausgelagert. Gerade weil der Druck auf die Entgelte, Sozialstandards und Arbeitszeiten die Begleitmusik zur Einführung des Eingliederungsmanagement spielen, kommt es im Vorfeld von Vereinbarungen und der Einführung des BEM darauf an, gegenüber der Belegschaft den Beschäftigungssicherungsaspekt des Instrumentes zu verdeutlichen. Es grenzt sich damit auch deutlich von der weit verbreiteten Praxis der Krankenrückkehrgespräche ab. Im Allgemeinen hat Management mit Systematisierung, zielgerichteter Planung, Durchführung und Überprüfung zu tun. BEM erfordert, dass eine Systematik für die Vorgehensweise entwickelt wird. Um die Zielgruppe ausfindig zu machen, sind die Arbeitsunfähigkeitsdaten (sechs-wochen-frist!) regelmäßig auszuwerten. In einem ersten Schritt müssen Führungskräfte und Beschäftigte mit einem Rundschreiben oder auf einer Versammlung über die Ziele des Eingliederungsmanagements und das Verfahren informiert werden. Der Arbeitgeber ist zwar verpflichtet, die Initiative für das BEM zu ergreifen, doch er kann in größeren Betrieben ab etwa 200 Beschäftigten - einem so genannten Integrationsteam den Aufbau und die Durchführung des BEM übertragen. 6

Dafür kommen folgende betriebliche Akteure in Frage: Betriebs- bzw. Personalrat und Schwerbehindertenvertretung Betriebsarzt Sicherheitsfachkräfte betriebliche Sozialarbeiter Vertreter der Personalabteilung Dieser Kreis lässt sich durch externe VertreterInnen des Integrationsamtes, der örtlichen Servicest elle und der Rehabilitationsträger noch erweitern. Vertrauenswürdiger Ansprechpartner für Kranke Ein Mitglied des Integrationsteams sollte die Ansprechperson für die Beschäftigten sein. Wichtig ist, dass diese Person über entsprechende Qualifikationen und eine unabhängige Stellung gegenüber dem Arbeitgeber verfügt. Denn das Vertrauen des erkrankten Beschäf- tigten in das BEM entsteht nur dann, wenn er die zuständige Person als fürsorglichen und fachlich kompetenten Unterstützer wahrnimmt, der keine disziplinarischen Funktionen ihm gegenüber besitzt. Erste Stufe: Kontaktaufnahme Mit einem sorgfältig formulierten Anschreiben wird der Betroffene zu einem Gespräch einge- Bei diesem Erstkontakt sollten mögliche Hilfen durch ein BEM-Verfahren im Vorder- laden. grund stehen. Vielleicht ergeben sich daraus auch schon erste Hinweise, welcher Weg im Weiteren einzuschlagen ist. Quält sich bspw. jemand mit Rückenschmerzen an einem ergo- nomisch schlecht gestalteten Arbeitsplatz herum, können eine Arbeitsplatzbesichtigung und die Einsicht in die aktuelle Gefährdungsbeurteilung bereits die nächsten zu ergreifenden Schritte darstellen. Am Ende eines solchen Gesprächs könnte eine erste Zustimmung des Betroffenen stehen, an einem BEM teilzunehmen. Zweite Stufe: Zusammenwirken aller Akteure In der zweiten Stufe empfiehlt es sich, dass die betrieblichen Akteure an einem runden Tisch konkrete Maßnahmen von der Veränderung von Arbeitsbedingungen bis hin zur stu- denen Fähigkeiten und Stärken zu richten und nicht auf dessen Erkrankung. Informationen fenweisen Wiedereingliederung besprechen und Zuständigkeiten mit Terminfestlegungen festklopfen. Dabei ist auf zwei Dinge zu achten: Erstens müssen die Vorstellungen des Betroffenen einbezogen werden und zweitens ist das Hauptaugenmerk auf seine noch vorhan- über Diagnosen brauchen nicht Gegenstand der Erörterung im Integrationsteam zu sein. In bestimmten Situationen kann es förderlich sein, die externe Hilfe von Rehabilitationsträgern oder des Integrationsamtes zu nutzen. Deren Dachverbände haben sich in einer gemeinsamen Empfehlung zum Präventionsverfahren verpflichtet, Arbeitgeber, Schwerbehindertenvertretung sowie Betriebs- und Personalräte beim BEM zu unterstützen. Durch die Einbindung dieser Institutionen lassen sich auch Sozialleistungsansprüche und Unterstützungsmaßnahmen nach 33 ff. SGB IX klären. Ein professionell arbeitendes Integrations- team verfügt über Kontakte zu Fach- und Rehakliniken, Fachärzten, Servicestellen sowie Beratungseinrichtungen und kennt sich in den Förderleistungen der Rehabilitationsträger aus. Hilfen für kleine Unternehmen In kleinen Betrieben kann der Arbeitgeber eine Ansprechperson bspw. den Betriebsarzt mit der Durchführung des BEM beauftragen. Gerade dort ist es besonders sinnvoll, externen Rat hinzuzuziehen. Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und das Integrationsamt können Ansprechpartner benennen, die zu Fallbesprechungen vor Ort kommen. 7

Beispielsweise bietet die IKK in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern Schulun- über Möglichkeiten der Wiedereingliederung Erkrankter an und Kleinbetriebe, die ein gen komplettes Eingliederungsmanagement organisieren, erhalten von der IKK einen Beitragsbonus. Es sind keine Krankenrückkehrgespräche Mitarbeitergespräche im Rahmen des BEM dienen nicht der Disziplinierung der Beschäftig- sondern dazu, Kranke nicht sich selbst zu überlassen und von Arzt zu Arzt gereicht zu ten, werden. Arbeitnehmer haben erstmals die Möglichkeit, Hilfe und Unterstützung vom Betrieb abzufordern mit dem Ziel, ihre Arbeitsfähigkeit zu stabilisieren und den Arbeitsplatz zu erhal- ten. Ein professionelles Eingliederungsmanagement berät mit dem Betroffenen, welche Maßnahmen dazu sinnvoll sein können. Sehen also Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Neufassung des 84 Abs. 2 SGB IX die Chance, auf diesem Weg Kranke einzubestellen und zur Arbeitsaufnahme zu drängen, obwohl ihre Beschwerden fortbestehen, dann handeln sie gesetzeswidrig. Gespräche zum BEM sind keine Krankenrückkehrgespräche mit den bekannten Disziplinierungsmaßnahmen. Die Mitbestimmung des Betriebsrates Die Mitwirkung der betrieblichen Interessenvertretung bei der Durchführung des BEM wird vom Gesetzgeber ausdrücklich hervorgehoben. Denn nach 84 Abs. 2 SGB IX klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung, wie das Eingliederungsmanagement durchzuführen ist. Aufgaben des Betriebsrates und der Schwerbehindertenvertretung sind es ferner, darüber zu wachen, dass das Eingliederungsmanagement im Sinne des Gesetzes abläuft und auch die genauen Ziele dieser Vorschrift verfolgt werden. Sie wachen darüber, dass der Arbeitgeber die ihm nach dieser Vorschrift obliegenden Verpflichtungen erfüllt. Wenn das nicht geschieht, kann der Betriebsrat Klärung verlangen (ebd.). Er kann also die Initiative selbst ergreifen, damit der Paragraf im Betrieb angewandt wird. Dieses Initiativrecht wird ferner abgedeckt durch 93 SGB IX ( Aufgaben des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrechtes ), die Schwerbehindertenvertretung kann sich auf 95 SGB IX ( Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung ) berufen. Weitgehende Mitbestimmungsrechte der betrieblichen Interessenvertretung ergeben sich auch in Verbindung mit dem 87 Abs. 1 Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). (Siehe dazu Mitbestimmung sowie im Basiswissen: Zur Organisation des Arbeitsschutzes im Betrieb/ Grundlegende Rechte und Pflichten des Betriebsrats ). Nach der gesicherten Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes zählen zum betrieblichen Gesundheitsschutz alle verpflichtenden Vorschriften, die unmittelbar oder mittelbar dem Arbeitsschutz oder betriebli- chen Gesundheitsschutz dienen. Zumindest mittelbar trägt das BEM zum Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei. Zum anderen schreibt der Gesetzgeber kein bestimmtes Konzept für die Einführung des BEM vor. Es handelt sich demzufolge um eine Rahmenvorschrift, die durch konkrete betriebliche Regelungen ausgefüllt werden muss, damit sind sie mitbestimmungspflichtig. Wenn sich beide Seiten nicht einigen, kann der Betriebsrat seine Initiativ-, Kontroll- und Mitbestimmungsrechte auf dem Weg über die Einigungsstelle (nach 87 Abs. 2 in Verbindung mit 76 BetrVG) sowie arbeitsgerichtliche Verfahren durchsetzen. Auch der 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG lässt sich nutzen. Das Arbeitsgericht Dortmund hatte in einem Beschluss vom 20.6. 2005 über den Antrag eines Betriebsrates über die Einsetzung einer Einigungsstelle zum BEM zu entscheiden. Das Gericht gab dem Antrag der betrieblichen Interessenvertretung statt, da ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG (Ordnung des Betriebes) in Betracht komme. 8

Nach Auffassung des Gerichts ist es durchaus denkbar, dass der gesamte Ablauf des so genannten betrieblichen Eingliederungsmanagements, vom ersten Anschreiben, über das Informationsgespräch, die Datenerfassung und -auswertung bis hin zur späteren Umsetzung in einen einheitlichen Rahmen mit kollektiven Charakter gegossen werden kann und muss. (Zit. nach Ulrich Faber: Erste Rechtssprechung zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) Ein Überblick, in: gute Arbeit, Heft 8/9 2006, S. 37) Im Hinblick auf den Datenschutz greifen zudem Mitbestimmungsrechte nach 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Eine weitere wichtige Regelung für die Arbeit der Betriebsräte und Schwerbehindertenvertretungen: - 81 SGB IX: Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen hier geht es um Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung und -förderung wie Qualifizierung, Arbeitsgestaltung, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit usw. Handlungsschritte zur Einführung eines BEM Mögliche Aufgabenbereiche für die betriebliche Interessenvertretung Zunächst einmal muss sich der Betriebsrat mit dem Gesetz und den Zielen des BEM und den daraus resultierenden Arbeitsweisen vertraut machen. Dazu sollte auch externe Beratung und das Schulungsangebot der Gewerkschaften genutzt werden. Daten sind zu sichten. Es ist zu prüfen, welche sich dafür eignen, um auf dieser Basis ein Frühwarnsystem aufzubauen, also bspw. Daten über Arbeitsunfähigkeit (Krankenkassen), Daten aus der Gefährdungsbeurteilung, dem betrieblichen Gesundheits- bericht, aus der betriebsärztlichen Arbeit, Ergebnisse aus Gesundheitszirkeln, Mitarbeiterbefragungen usw. Die Zusammenarbeit mit externen Stellen ist ferner zu organisieren. Wer sind die jeweiligen Ansprechpartner, und wer bietet welche Unterstützung an? Es ist zu klären, welche Aufgaben das Integrationsteam zu erfüllen hat, also z.b. Planung, Durchführung und Überprüfung der Maßnahmen zum BEM, Einbeziehung der Betroffenen, Organisation, Abstimmung und Zusammenarbeit mit internen und externen Stellen. Im Hinblick auf die zu ergreifenden Maßnahmen muss sich der Betriebsrat eine eige- ne Position erarbeiten. Das Spektrum an Interventionsschritten sollte von Präventionsmaßnahmen (wie ergonomische Gestaltung, arbeitsorganisatorische Veränderungen) über Maßnahmen zur Gesundheitsförderung bis hin zur betrieblichen Wiedereingliederung, indem bspw. der Erkrankte schrittweise die Arbeit wieder aufnimmt, reichen. Es sind die Methoden festzulegen, wie im Einzelfall mit großer Sensibilität verfahren wird, denn das Fallmanagement stellt ein zentraler Bestandteil des BEM dar. Wer führt die Gespräche mit den Betroffenen, und was sind die nächsten Schritte (z.b. Fallkonferenz, Eingliederungsplan). 9

Beim Datenschutz hat äußerste Vorsicht den Vorrang. Es gilt, dass die Erhebung ausschließlich den Zweck verfolgt, krankmachende Fehlbeanspruchung, Leistungs- einschränkung und arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren aufzudecken, um zielgerichtet Maßnahmen zur Prävention, Gesundheitsförderung und betrieblichen Rehabili- tation entwickeln zu können. Informationen über ärztliche Diagnosen und den Gesundheitszustand der Betroffenen - sofern diese überhaupt in dem Verfahren eine Rolle spielen - haben keinesfalls etwas bei Vorgesetzten bzw. dem Arbeitgeber zu suchen. Erfahrungen und Ergebnisse müssen ausgewertet und dokumentiert sowie Schwachstellen kontinuierlich aufgedeckt und behoben werden. Das Thema Eingliederungsmanagement muss mit der Belegschaft kommuniziert werden. Dazu können Betriebsversammlungen/Versammlungen schwerbehinderter Beschäftigter, Informationen über das Intranet, Rundschreiben, Aushänge usw. sinnvoll sein. Vor allem sind auch die Führungskräfte für die Ziele des BEM zu sensibilisieren. Vorbereitungsphase Hinzuziehung externer Berater Nutzung von Schulungsangeboten Was soll verhandelt werden? Welche Ziele sollen umgesetzt werden? Welche Handlungsschritte ergeben sich daraus? Sammlung betrieblicher Daten und überbetrieblicher Vergleichsdaten Wurde über die oben genannten Punkte mit dem Arbeitsgeber eine Klärung erreicht, empfiehlt es sich, die Resultate in Form einer Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung festzuklopfen. Experten raten von dem Abschluss einer Integrationsvereinbarung nach 83 Abs. 2 a SGB IX ab, da diese nur für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Personen Gültigkeit besitzt, das BEM aber über diesen Personenkreis hinaus geht. Folgende Punkte sollten dabei berücksichtigt werden: 10

Eckpunkte für eine Betriebsvereinbarung 1. Ziel des Eingliederungsmanagement ist es, - Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, - erneuter Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen, - chronische Erkrankungen zu vermeiden und - Arbeitsplätze zu erhalten. 2. Geltungsbereich Das Angebot eines Eingliederungsmanagements gilt für alle Arbeitnehmer und Arbeit- nehmerinnen, die länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfä- hig waren. 3. Eingliederungsteam Das betriebliche Eingliederungsteam unterrichtet die Betroffenen über die Vorgehensweise des Eingliederungsmanagement und berät über Hilfen und Rechtsansprüche. 4. Gefährdungsbeurteilung Das Eingliederungsteam beurteilt auf Basis der Arbeitsunfähigkeitsdaten (AU-Daten) und der Daten aus der Gefährdungsdokumentation des jeweiligen Arbeitsplatzes gemeinsam mit den Betroffenen die gesundheitsbedingte Gefährdung. 5. Eingliederungsplanung Das Eingliederungsteam definiert Ziele und Qualität der individuellen Integrations-, Rehabilitations- und Präventionsmaßnahmen. Die Maßnahmen müssen erforderlich, bedarfsgerecht, durchführbar und freiwillig sein. 6. Maßnahmen Das Eingliederungsteam gewährleistet die Einleitung und die Begleitung der Maßnah- Vor der Wiedereingliederung ist eine Gefährdungsermittlung und beurteilung des jewei- men. Das Eingliederungsmanagement endet mit der vollständigen Wiedereingliederung. ligen Arbeitsplatzes durchzuführen. 7. Datenschutz Medizinische Daten unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht und den datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Die AU-Daten dürfen nicht zu einer negativen Prognose der künftigen Arbeitsfähigkeit verwendet werden. 8. Freiwilligkeit Die Teilnahme an Gesprächen und Maßnahmen des Eingliederungsmanagement ist freiwillig. Eine fehlende Bereitschaft oder Zustimmung darf nicht zu arbeitsrechtlichen Folgen führen. 9. Organisationsentwicklung Das Unternehmen verankert den Grundsatz einer Personalpolitik der aktiven Förderung von Prävention und Integration in seinen Unternehmensleitlinien. Es entwickelt Strukturen und Rahmenbedingungen zur Früherkennung von Beschäftigungsgefahren, zur Per- sonalentwicklung und zur Zusammenarbeit mit Beratungseinrichtungen und Rehabilitationsträgern. (Quelle: IG Metall: Keine Jagd auf Kranke. Eingliedern statt kündigen. Tipps für den Ar- beitsplatz Nr. 26) Vom betrieblichen Eingliederungsmanagement profitieren alle Beteiligten. 11

Vorteile für die Beschäftigten Das Thema Arbeit und Gesundheit wird aus der Tabuzone geholt. Im Rahmen des Eingliederungsmanagement können krankmachende Faktoren im Arbeitsbereich erkannt und abgebaut werden. Dies dient der Erhaltung der Gesundheit, kann die Lebensqualität verbessern sowie die Leistungsfähigkeit und Arbeitsmotivation erhöhen. Wenn betrieblichen Ursachen von Arbeitsunfähigkeit nachgegangen wird, kann einer möglicherweise drohenden Chronifizierung von Krankheit vorgebeugt werden. Das BEM soll den Arbeitsplatz sichern und Arbeitslosigkeit sowie ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verhindern. Vorteile für die Unternehmen Verringerung von Fehlzeiten, Reduzierung krankheitsbedingter Kosten, Stabilisierung der Arbeitsabläufe durch schnellere Rückkehr erkrankter Mitarbeiter, Profilierung als Arbeitgeber, der sich für die Gesundheit der Mitarbeiter stark macht, Verbesserung des Betriebsklimas und Imagegewinn nach außen. Bindung älterer Beschäftigter. In Zeiten alternder Belegschaften ist die Gesunderhaltung erfahrener Mitarbeiter wichtig, damit sie dem Unternehmen ü- berhaupt länger zur Verfügung stehen können. Wie wirtschaftlich ist BEM? Eine wissenschaftlich begleitete Studie bei BMW hat ergeben, dass im Rahmen des Eingliederungsmanagements mit jedem eingesetzten Euro 20 Euro gespart werden. Quelle: http://www.zbfs.bayern.de/imperia/md/content/blvf/integrationsamt/broschueren/ein gliederungsmanagement_bmw.pdf Durch ein gutes Eingliederungsmanagement können Unternehmen Kosten sparen. Beispielsweise reduzieren sich die Ausgaben für Aushilfen und Anlernzeiten sowie der damit verknüpfte Aufwand für Vorgesetzte und Personalabteilungen. Es wird Zeit gewonnen, weil Beschäftigte effektiver und schneller behandelt werden können. Sie werden systematisch wieder eingegliedert und die Betriebe nutzen Förde- rangebote externer Institutionen. Zum Lesen Siggy Britschgi: Krankheit und betriebliches Eingliederungsmanagement, Frankfurt/M. (Bund-Verlag) 2006. Marianne Giesert, Cornelia Wendt: Handlungsleitfaden für ein Betriebliches Eingliederungsmanagement, Düsseldorf (Hans-Böckler-Stiftung) Arbeitspapier 140, 2007. Weitere Literaturhinweise stehen in der Rubrik Service/Bücher & Broschüren. 12