SACHVERSTÄNDIGENRAT zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen Versorgung mit medizinischen Rehabilitationsleistungen Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Universität Bielefeld Symposium Bedarfsgerechte Versorgung 30. September 2014, Berlin
Gliederung 1. Rehabilitationsmarkt 2. Finanzierung und Honorierung 3. Evidenzbasierung 4. Innovative Versorgungskonzepte 5. Eigeneinrichtungen der Kostenträger 6. Fazit
Der Rehabilitationsmarkt in Deutschland Ausgaben (teil)stationäre Einrichtungen 2012 gesamt: 8,71 Mrd. Euro (2,9% der gesamten Gesundheitsausgaben) davon: 3,45 Mrd. Euro (39,6%) DRV 2,62 Mrd. Euro (30,0%) GKV 1,24 Mrd. Euro (14,2%) Öffentliche Haushalte 0,98 Mrd. Euro (11,3%) Arbeitgeber 0,41 Mrd. Euro (4,7%) Sonstige
Der Rehabilitationsmarkt in Deutschland Kapazitäts- und Leistungsentwicklung (teil)stationärer Einrichtungen 1995 bis 2012 Einrichtungen, Betten, Fälle, Verweildauer über die Jahre 1995 bis 2012 (Index: 1995). Quelle: Eigene Darstellung nach Daten des Statistischen Bundesamtes 2013a
Der Rehabilitationsmarkt in Deutschland Entwicklung von Anschlussrehabilitationen und ambulanten Rehabilitationen 2000 bis 2012 Rentenversicherung Krankenversicherung Prozent an Reha-Fällen insgesamt 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Prozent an Reha-Fällen insgesamt 100 90 80 70 60 50 40 30 20 10 0 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 Jahr Jahr Ambulante Reha Anschluss-Reha Ambulante Reha Anschluss-Reha * Mehrfachnennungen sind möglich, d.h. eine ambulante Reha kann auch als Anschlussrehabilitation erbracht werden. Quelle: Eigene Darstellung nach Daten der DRV Bund 2013c, GBE-Bund 2013
Der Rehabilitationsmarkt in Deutschland Behandeltes Krankheitsspektrum 2003 und 2012 Muskel-Skelett-System, Bindegewebe Kreislaufsystem Psychische und Verhaltensstörungen Neubildungen Verletzungen, Vergiftungen, andere äußere Ursachen Atmungssystem Nervensystem Endokrine, Ernährung, Stoffwechsel sonstige Diagnosen Diagnosedaten zur medizinischen Reha von Patienten in stationären Vorsorge-/Rehaeinrichtungen (>100 Betten). Quelle: Eigene Darstellung nach Daten des Statistischen Bundesamtes 2013b
Der Rehabilitationsmarkt in Deutschland Zwischenfazit: moderat wachsende Ausgaben für Rehabilitationsleistungen steigende Fallzahlen und Leistungsdichte in Reha-Einrichtungen weitere Ausbaumöglichkeiten für ambulante Reha-Leistungen Verschiebung des Krankheitsspektrums, deutlicher Anstieg psychischer Erkrankungen Aber: schlechte Datenlage, es fehlt an einer harmonisierten Statistik aller Reha-Träger
Gliederung 1. Rehabilitationsmarkt 2. Finanzierung und Honorierung 3. Evidenzbasierung 4. Innovative Versorgungskonzepte 5. Eigeneinrichtungen der Kostenträger 6. Fazit
Finanzierung und Honorierung Rehabilitationsbudget und Rehabilitationsbedarf in der gesetzlichen Rentenversicherung Reha-Bedarf vor steigenden Anforderungen Erhöhter Reha-Bedarf bei geburtenstarken Jahrgängen der 1950er/60er Jahre Verlängerung der Lebensarbeitszeit Veränderung des Morbiditätsspektrums (Multimorbidität, chronische Erkrankungen, psychische Erkrankungen) Mehr Rehabilitanden durch Einführung neuer Behandlungsmethoden Rehabilitation zunehmend in medizinischen Leitlinien empfohlen Reha-Budget bis heute 1997 Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz: Kopplung des Reha-Budgets an die Entwicklung der Bruttolöhne und -gehälter 2005-2012 Anstieg der Anträge auf medizinische Rehabilitation um 30,6% 2012 Reha-Budget 5,67 Mrd. Euro / Ausgaben 5,68 Mrd. Euro (100,2%) Steigender Reha-Bedarf einer älter werdenden Gesellschaft macht Anpassungen des Reha-Budgets erforderlich
Entwicklung des Reha-Budgets, tatsächliche Nettoaufwendungen* sowie Bewilligungsquote in der Rentenversicherung über die Jahre 2004 bis 2012 * Nettoaufwendung bedeutet, dass Einnahmen (wie Zuzahlungen der Versicherten) und Erstattungen für Rehabilitationsrechnungen hiervon bereits abgezogen wurden. Quelle: Eigene Darstellung nach Daten der DRV Bund 2013a und 2013b
Finanzierung und Honorierung Rehabilitationsbudget und Rehabilitationsbedarf in der gesetzlichen Rentenversicherung Ziel: Dynamische Anpassung des Reha-Budgets an den tatsächlichen Versorgungsbedarf Lösungswege: Anpassung des Reha-Budgets und Einführung einer Demografiekomponente ( 287b SGB VI Abs. 3, RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014) Einführung einer Morbiditätskomponente Ausschöpfung vorhandener Effizienzreserven (stärkere Evidenzbasierung, ambulante Reha-Formen)
Die neue Demographiekomponente Neuer 287 Abs. 3 SGB VI Faktor zusätzlich zur Bruttolohnentwicklung Faktoren bereits jetzt bis 2050 festgelegt Zunächst Anstieg um 100-200 Mill., dann Minderung (< 1) erst ab 2041 wieder demographiebedingte Steigerung
Finanzierung und Honorierung Fehlanreize zwischen GKV und Pflegeversicherung im Falle von drohender Pflegebedürftigkeit Drohende Pflegebedürftigkeit Rehabilitation: Kostenübernahme durch einzelne Krankenkasse im Wettbewerb Pflegebedürftigkeit: Kostenübernahme durch Pflegekasse kein Wettbewerb Rehabilitationsverantwortung und Rehabilitationsrisiko liegen bei unterschiedlichen Trägern
Finanzierung und Honorierung Fehlanreize zwischen GKV und Pflegeversicherung im Falle von drohender Pflegebedürftigkeit Lösungswege Aufnahme der Pflegekassen in den Kreis der Reha-Träger Gemeinsame Budgets der Krankenversicherung und Pflegeversicherung für die Rehabilitation Pflegebedürftiger Ausgleichszahlungen zwischen Krankenversicherungen und Pflegeversicherung Implementierung neuer Begutachtungs-Assessments zur Ermittlung des individuellen Reha-Bedarfs (MDK) Integration der Pflegeversicherung in die gesetzliche Krankenversicherung
Finanzierung und Honorierung Klassifikationsmodelle und Vergütungsformen 21 SGB IX Einzelverträge zwischen Reha-Trägern und Reha-Einrichtungen Selektivverträge in Bezug auf Vergütungen, kein Kontrahierungszwang, keine Bedarfsplanung i.d.r. Vergütung über einrichtungsspezifische, vollpauschalisierte Tagessätze (RV) oder Fallpauschalen (GKV) Lediglich grobe Differenzierung nach Abteilung/Indikation und Schweregrad Vergütungssteigerungen unterhalb der Wachstumsraten der Inputpreise Steigende Insolvenzgefährdung, aber kaum Marktbereinigung
Finanzierung und Honorierung Hauptdiskussionspunkte Leistungserbringer tragen das Risiko der Fallschwere Patienten üben Wunsch- und Wahlrecht nur eingeschränkt aus Mangelnde Transparenz der Versorgungsqualität Fehlanreize durch Risikoselektion bei stationären Einweisern Erschwertes Antragsverfahren aus der ambulanten Versorgung heraus
Finanzierung und Honorierung Klassifikationsmodelle und Vergütungsformen Lösungswege 1. Einführung neuer Patientenklassifikationsmodelle Rehabilitationsbehandlungsgruppen (RGB) kostenhomogen (in Analogie zu G-DRG) Fallgruppen von Patienten, die ähnliche Kosten auslösen oder Rehabilitanden-Management-Kategorien (RMK) medizinisch homogen Fallgruppen von Patienten mit gleichem Behandlungsbedarf und ähnlichem Leistungsumfang 2. Einführung leistungstransparenter Vergütungsformen Ergänzung einrichtungsspezifischer Basisfallwerte um einheitliche Relativgewichte Einführung ergebnisorientierter Vergütungselemente (z.b. Bonus-Malus-Systeme) 3. Bei Behandlung mit hohem Standardisierungsgrad auch Komplexpauschalen
Gliederung 1. Rehabilitationsmarkt 2. Finanzierung und Honorierung 3. Evidenzbasierung 4. Innovative Versorgungskonzepte 5. Eigeneinrichtungen der Kostenträger 6. Fazit
Evidenzbasierung Aus einem Abstract des International Journals of Rehabilitation Research (2011) Häufig einarmige Kohortenstudien mit eher kleinen Patientenzahlen Häufig Vorher-Nachher-Vergleiche Kaum Vergleiche mit Usual Care Kostenanalyse häufig nur bezüglich der Arbeitsunfähigkeitstage
Evidenzbasierung Übertragung bzw. Adaption der Maßstäbe evidenzbasierter Medizin auf die Rehabilitationsforschung: Randomisierung, angemessenen Vergleichstherapie, Kontrollgruppenbildung (notfalls auch mittels statistischer Verfahren künstlich erzeugt), langfristigen Nachbeobachtung mit möglichst mehreren Follow-Up-Untersuchungen und ausreichend große Zahl von Studienteilnehmern Bei Kosten-Nutzen-Analysen: Erfassung direkter und indirekter Kosten Erweiterung der Studienperspektive
Amortisationsmodell der medizinischen Rehabilitation (ohne sonstige Leistungen nach 31 SGB VI) Quelle: Eigene Darstellung nach Daten der DRV Bund 2013a
Evidenzbasierung Empfehlungen für künftige Evaluationen: Entwicklung von Standards für die Planung, Durchführung und Auswertung von evaluativen Rehabilitationsstudien Optimierung von Studiendesigns (z.b. Wartegruppendesign, Clusterrandomisierung) Forschungsförderung für Versorgungsforschungsprojekte (engere Kombination von Forschungsexpertise und Rehabilitationspraxis) Wissenstransfer in die Versorgungspraxis (z.b. S3-Leitlinien)
Gliederung 1. Rehabilitationsmarkt 2. Finanzierung und Honorierung 3. Evidenzbasierung 4. Innovative Versorgungskonzepte 5. Eigeneinrichtungen der Kostenträger 6. Fazit
Ambulante Rehabilitation Ambulante Rehabilitation Familiäres Umfeld Nähe zum Wohnort Nähe zum Arbeitsplatz Verkürzte Behandlungsdauer Wegfall von Unterbringungskosten Marktanteil bisher gering keine flächendeckenden Angebote nicht für schwer Erkrankte geeignet für allein Lebende bedingt geeignet Literaturübersicht SVR (n=21): Behandlungserfolge vergleichbar / Kosten vergleichbar oder geringer Abschließende Bewertung der Wirksamkeit und Effizienz nicht möglich Weitere Erprobung und Evaluation notwendig Ausbau der Kapazitäten sinnvoll
Eigeneinrichtungen 2012: 82 Eigeneinrichtungen der Rentenversicherung, je > 200 Betten 10% aller Rehakapazitäten (bezogen auf die Bettenzahl) Wettbewerbsverzerrungen (im Bereich der DRV) durch Zuweisungen und Vergütungen Bevorteilung eigener Einrichtungen Mangelnde Transparenz der Versorgungsqualität Zahlung von Betriebszuschüssen (2009: 27 Mio. Euro Fehlbeträge laut BRH) Lösungswege: Trennung von Kostenträger- und Leistungserbringerebene Privatisierung von Einrichtungen (z.b. Kommunalisierung) Auswahl von Vertragskliniken durch öffentliche Ausschreibungen
Fazit Rehabilitation als wichtiges Element der regionalen Versorgungslandschaft Offene Fragen vor allem bei der Anpassung des Budgets an den Versorgungsbedarf und einer angemessenen Honorierungsform Nachholbedarf bei Evidenzbasierung und Versorgungsforschung Harmonisierte Statistik aller Reha- Träger wünschenswert Pflegeversicherung sollte weiterer Reha-Träger mit eigener Finanzierungsverantwortung werden Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Prof. Dr. Wolfgang Greiner Universität Bielefeld Fakultät für Gesundheitswissenschaften Gesundheitsökonomie und Gesundheitsmanagement (AG5) Universität Bielefeld
Literatur DRV (Deutsche Rentenversicherung Bund) 2013a: Reha-Bericht 2013 Die medizinische und berufliche Rehabilitation der Rentenversicherung im Licht der Statistik, Berlin. DRV (Deutsche Rentenversicherung Bund) 2013b: Indikatoren zu Rehabiliationsleistungen im Zeitablauf, Berlin. DRV (Deutsche Rentenversicherung Bund) 2013c: Rentenversicherung in Zeitreihen 2013, DRV- Schriften, Band 22, Berlin. G-BE Bund 2013: Leistungsfälle und Leistungstage von Rehabilitationsmaßnahmen der GKV- Versicherten KG 5-Statistik;www.gbe-bund.de Statistisches Bundesamt 2013a: Grunddaten der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen 2012, Fachserie 12 Reihe 6.1.2, Wiesbaden. Statistisches Bundesamt 2013b: Diagnosedaten der Patienten und Patientinnen in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen 2012, Fachserie 12 Reihe 6.2.2, Wiesbaden.