Alleinleben in der Schweiz Entwicklung, Verbreitung, Merkmale



Ähnliche Dokumente
Das große ElterngeldPlus 1x1. Alles über das ElterngeldPlus. Wer kann ElterngeldPlus beantragen? ElterngeldPlus verstehen ein paar einleitende Fakten

infach Geld FBV Ihr Weg zum finanzellen Erfolg Florian Mock

Lineargleichungssysteme: Additions-/ Subtraktionsverfahren

Multicheck Schülerumfrage 2013

Gutes Leben was ist das?

Private Vorsorge für den Pflegefall

allensbacher berichte

Pädagogik. Melanie Schewtschenko. Eingewöhnung und Übergang in die Kinderkrippe. Warum ist die Beteiligung der Eltern so wichtig?

Psychologie im Arbeitsschutz

Letzte Krankenkassen streichen Zusatzbeiträge

Erfolgreiche Webseiten: Zur Notwendigkeit die eigene(n) Zielgruppe(n) zu kennen und zu verstehen!

Umweltbewusstseinsstudie 2014 Fact Sheet

BMV Visionen Ergebnisbericht der Mitglieder Befragung

Verband der TÜV e. V. STUDIE ZUM IMAGE DER MPU

Sehr geehrte Damen und Herren

Berechnung der Erhöhung der Durchschnittsprämien

Das Persönliche Budget in verständlicher Sprache

Data Mining: Einige Grundlagen aus der Stochastik

Theorie qualitativen Denkens

Womit beschäftigt sich Soziologie? (1) Verschiedene Antworten:

Primzahlen und RSA-Verschlüsselung

Auszug aus der Auswertung der Befragung zur Ermittlung der IT-Basiskompetenz

Partnerschaft Eine Befragung von Ehepaaren

Auswertung qualitativer Interviews

für Gründungszuschuss-, Einstiegsgeld- und andere Existenzgründer (4., aktualisierte und überarbeitete Andreas Lutz Businessplan

«Eine Person ist funktional gesund, wenn sie möglichst kompetent mit einem möglichst gesunden Körper an möglichst normalisierten Lebensbereichen

Deutschland-Check Nr. 35

geben. Die Wahrscheinlichkeit von 100% ist hier demnach nur der Gehen wir einmal davon aus, dass die von uns angenommenen

Persönlichkeit und Persönlichkeitsunterschiede

2. Psychologische Fragen. Nicht genannt.

Das Vermögen der privaten Haushalte in Nordrhein-Westfalen ein Überblick auf der Basis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe

Studienkolleg Köthen. Name, Vorname: DSH-Aufnahmetest Sommersemester Studienkolleg Köthen. Name, Vorname: Lesen

Vertrauen in Medien und politische Kommunikation die Meinung der Bürger

Ergebnisse der NOVIBEL-Kundenzufriedenheitsanalyse 2002

Welche Staatsangehörigkeit(en) haben Sie?... Mutter geboren?...

Persönliche Zukunftsplanung mit Menschen, denen nicht zugetraut wird, dass sie für sich selbst sprechen können Von Susanne Göbel und Josef Ströbl

CITIES AGAINST RACISM RESPONSIBILITIES OF CITIES IN COUNTERACTING RACISM SUSTAINABILITY. Evaluation der Plakatkampagne der Stadt Graz gegen Rassismus

Meinungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und Berlin zu einer Bewerbung um die Austragung der Olympischen Spiele

Allensbach: Das Elterngeld im Urteil der jungen Eltern

Das Leitbild vom Verein WIR

Mobile Intranet in Unternehmen

Umgang mit Schaubildern am Beispiel Deutschland surft

Arbeitsmarkteffekte von Umschulungen im Bereich der Altenpflege

Integrierte Dienstleistungen regionaler Netzwerke für Lebenslanges Lernen zur Vertiefung des Programms. Lernende Regionen Förderung von Netzwerken

Vermögensbildung: Sparen und Wertsteigerung bei Immobilien liegen vorn

Anleitung. Empowerment-Fragebogen VrijBaan / AEIOU

Monatsbericht August 2011

Die große Wertestudie 2011

Schnelle Antwort, gute klare Beratung. Ich bin wirklich sehr zufrieden. Auswertung der Mandantenbefragung 2007

1 Mathematische Grundlagen

Lernerfolge sichern - Ein wichtiger Beitrag zu mehr Motivation

Die Quantitative und Qualitative Sozialforschung unterscheiden sich bei signifikanten Punkten wie das Forschungsverständnis, der Ausgangspunkt oder

Im Folgenden werden einige typische Fallkonstellationen beschrieben, in denen das Gesetz den Betroffenen in der GKV hilft:

Fachtagung Fachverband Zusatzleistungen Kanton Zürich 5. Juni 2014

TELEARBEIT IM DORNRÖSCHENSCHLAF AKZEPTIERT, ABER KAUM GENUTZT! 1/08

Vergleichsportal-Kompass 1.0 Repräsentative GfK-Umfrage im Auftrag von CHECK24.de zur Nutzung von Vergleichsportalen

Charakteristikum des Gutachtenstils: Es wird mit einer Frage begonnen, sodann werden die Voraussetzungen Schritt für Schritt aufgezeigt und erörtert.

Jede Zahl muss dabei einzeln umgerechnet werden. Beginnen wir also ganz am Anfang mit der Zahl,192.

Deutschland-Check Nr. 34

Die Post hat eine Umfrage gemacht

Meinungen zum Sterben Emnid-Umfrage 2001

Stellen Sie bitte den Cursor in die Spalte B2 und rufen die Funktion Sverweis auf. Es öffnet sich folgendes Dialogfenster

Private Senioren- Unfallversicherung

I N S T I T U T F Ü R D E M O S K O P I E A L L E N S B A C H

II. Zum Jugendbegleiter-Programm

Private Unfallversicherungen bei Selbstständigen - Ergebnisse einer repräsentativen Studie von Forsa - November 2009

Schritte 4. Lesetexte 13. Kosten für ein Girokonto vergleichen. 1. Was passt? Ordnen Sie zu.

Ohne den gewerkschaftlichen Rechtsschutz hätte ich meine Rechte nicht durchsetzen können.

8 Mediennutzung. 8.1 Medienausstattung

Meet the Germans. Lerntipp zur Schulung der Fertigkeit des Sprechens. Lerntipp und Redemittel zur Präsentation oder einen Vortrag halten

Deutsche Bank. Studie Erben und Vererben 2015

Leben im Alter im Erzbistum Köln Umfrage im Auftrag des Diözesan-Caritasverbandes für das Erzbistum Köln e.v.

Einstellungen der Deutschen gegenüber dem Beruf der Putzfrau

Diese Broschüre fasst die wichtigsten Informationen zusammen, damit Sie einen Entscheid treffen können.

Kreativ visualisieren

Erste Ergebnisse der Erhebung zu Familien und Generationen 2013

Die Bedeutung der Kinder für ihre alkoholabhängigen Mütter

Beispiel überschießendes Kindergeld:

Dieses erste Kreisdiagramm, bezieht sich auf das gesamte Testergebnis der kompletten 182 getesteten Personen. Ergebnis

1. Man schreibe die folgenden Aussagen jeweils in einen normalen Satz um. Zum Beispiel kann man die Aussage:

Methodische Vorbemerkungen

Rechtspflege. Stand: Statistisches Bundesamt

2 Aufbau der Arbeit und wissenschaftliche Problemstellung

Fakten zur geförderten Pflegezusatzversicherung.

Welchen Weg nimmt Ihr Vermögen. Unsere Leistung zu Ihrer Privaten Vermögensplanung. Wir machen aus Zahlen Werte

Erfahrungen mit Hartz IV- Empfängern

Ergebnisse der Befragung auf dem 11. Karrieretag Familienunternehmen

Statistische Materialien zu Existenzgründung und Selbstständigkeit der Wohnbevölkerung mit Migrationshintergrund

Eva Douma: Die Vorteile und Nachteile der Ökonomisierung in der Sozialen Arbeit

Mal mit, mal ohne Kinder in eingetragenen Lebenspartnerschaften und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften

Familien in Krisensituationen:

Es gilt das gesprochene Wort. Anrede

Zusammenfassung Analyse der Vorsorgesituation der bäuerlichen Familien in der Schweiz Ausgangslage

Ehescheidungsformular

Arbeitshilfen zur Auftragsdatenverarbeitung

Welches Übersetzungsbüro passt zu mir?

Das RSA-Verschlüsselungsverfahren 1 Christian Vollmer

ONLINE-AKADEMIE. "Diplomierter NLP Anwender für Schule und Unterricht" Ziele

Bundesversicherungsamt

Einführung KAPITEL 1 Welchen Nutzen hätte ein Unternehmen von der freiberuflichen Tätigkeit, und wie soll diese vergütet werden?...

Transkript:

Alleinleben in der Schweiz Entwicklung, Verbreitung, Merkmale Abhandlung zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich vorgelegt von Elisabeth Streuli von Zürich / ZH Angenommen auf Antrag von Herrn Prof. Dr. F. Höpflinger und Herrn PD Dr. B. Fux Basel, 2002

Aus: EVA Damenwahl 2002 Sewicky Verlag, Jaermann/Schaad, Winterthur. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 2

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis... 3 Dank... 5 Einleitung... 6 1 Alleinleben als Lebensform und Lebensphase... 9 1.1 Grundzüge einer Soziologie nicht konventioneller Lebensformen... 9 1.2 Begriffsklärung und Typologisierung... 16 1.2.1 Single-Definitionen und -typologien... 16 1.2.2 Zusammenfassende Überlegungen... 24 1.3 Datenquellen... 25 1.3.1 Eidgenössische Volkszählung (VZ)... 26 1.3.2 Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE)... 27 1.3.3 Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (SGB)... 27 1.3.4 Daten des Schweizer Haushaltspanels (SHP)... 28 2 Veränderungsaspekte familialer und nichtfamilialer Lebensformen... 30 2.1 Soziodemografische Veränderungen... 30 2.1.1 Veränderung der Haushaltsstrukturen... 30 2.2 Wandel familialer und nichtfamilialer Lebensformen... 32 2.2.1 1. Phase: Durchsetzung der bürgerlichen Lebensweise... 33 2.2.2 2. Phase: Partielle Neuorientierung... 38 3 Theoretische Erklärungsansätze zur Ausbreitung des Alleinlebens... 42 3.1 Einleitung... 42 3.2 Individualisierungstheorie... 44 3.3 Struktur-/Kultur-Paradigma... 46 3.4 Funktionale Differenzierung... 49 3.5 Theorie der subjektiven Modernisierung... 50 3.6 Rational Choice... 52 3.7 Theorievergleich und Kommentar... 56 4 Strukturelle Merkmale Alleinlebender... 61 4.1 Alter und Geschlecht... 64 4.2 Nationalität... 66 4.3 Haushaltsform und Zivilstand... 70 4.4 Räumliche Verteilung... 73 4.5 Alleinleben und Partnerschaft... 79 5 Sozialer Status... 81 5.1 Bildung... 81 5.2 Beruf... 84 5.2.1 Erwerbsumfang... 85 5.2.2 Berufliche Stellung... 87 5.3 Einkommen... 89 5.3.1 Erwerbseinkommen... 89 5.3.2 Äquivalenzeinkommen... 92 3

6 Gesundheit und Freizeit... 96 6.1 Gesundheit... 96 6.1.1 Vorbemerkungen... 96 6.1.2 Mortalität... 97 6.1.3 Gesundheit und Zivilstand: Selektion versus Protektion... 102 6.1.4 Gesundheitszustand und Wohlbefinden... 105 6.1.5 Gesundheitsverhalten... 109 6.1.6 Soziale Netzwerke... 110 6.1.7 Zusammenfassende Ergebnisse... 112 6.2 Freizeit... 113 7 Alleinleben im Lebenslauf... 120 7.1 Primäres und sekundäres Alleinleben... 121 7.2 Häufigkeit und Dauer des Alleinlebens... 123 7.3 Temporäres Alleinleben: Typische Phasen... 130 7.3.1 Die Formationsphase... 130 7.3.2 Die Umorientierungsphase... 136 7.3.3 Die Abrundungsphase... 143 8 Diskussion und Ausblick... 146 Literaturverzeichnis... 149 Abbildungsverzeichnis... 162 Tabellenverzeichnis... 163 Anhang... 164 Lebenslauf... 172 4

Dank Die vorliegende Arbeit wäre nicht entstanden ohne vielfältige Hilfestellungen durch zahlreiche Personen. Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt. Insbesondere danke ich Prof. Dr. François Höpflinger für die fachlichen und methodischen Anregungen und Denkanstösse sowie PD Dr. Beat Fux für wertvolle weiterführende Hinweise, ebenso Claudio Santarossa und Verena Streuli für die kulinarische, emotionale und EDV-technische Unterstützung sowie für die Entlastung von Hausarbeit und Kinderbetreuung. Ebenfalls danke ich Michel Kolly, Dominik Ullmann und Christian Vonlanthen vom Bundesamt für Statistik, Monica Budowski und Erwin Zimmermann vom Team des Schweizerischen Haushaltspanels für die freundliche Unterstützung bei der Datenanalyse sowie Tobias Bauer vom Büro für arbeits- und sozialpolitische Studien BASS für zahlreiche Hilfestellungen bei der Programmierung der SPSS- Syntax. Weiter danke ich allen, welche diese Arbeit aus der Nähe oder Ferne mit Interesse verfolgt haben und durch ihre wiederholten Nachfragen, ob diese Singles nicht allmählich erforscht sein sollten, ebenfalls zur Fertigstellung beigetragen haben. Ich widme die vorliegende Arbeit unserer kleinen Tochter Fiona - zum Vollkritzeln, Papierschiffe falten und später vielleicht einmal zum Lesen. This study has been realized using the data collected by the Swiss Household-Panel, a project financed by the Swiss National Science Foundation Program, SPP, Switzerland Towards the Future (Grant no. 5004-53205 / 5004-57894 / 5004-67304). Eine aktualisierte, bearbeitete und ergänzte Fassung erscheint voraussichtlich Anfang 2004 im Verlag Rüegger, Zürich. 5

Einleitung Kaum eine Lebensform wird so kontrovers diskutiert und thematisiert wie die der Alleinlebenden beziehungsweise der so genannten Singles : Singles gelten entweder als freiheitsliebend, unabhängig, erlebnisorientiert und konsumkräftig; sie sind die Grundfigur der durchgesetzten Moderne (Beck & Beck-Gernsheim 1994: 130), prototypisch für das Zeitalter des Individualismus. Der Marlboro- Mann, der ebenso wie der Single-Begriff aus den USA stammt, verkörpert seit Jahrzehnten den Typus des selbstbestimmten (männlichen) Individuums, das lieber der Sonne entgegen reitet als dass er sich mit den Alltäglichkeiten einer Zweierbeziehung herumschlägt. Anderseits stehen Singles im Verdacht asozial, bindungsunfähig, depressiv und selbstmordgefährdet zu sein. Sie sind die Wegbereiter für eine Gesellschaft von Einzelgängern, gar einer autistischen Gesellschaft (Hoffmann-Nowotny 1980b), unterhöhlen den Generationenvertrag und stellen den gesellschaftlichen Zusammenhalt grundlegend in Frage. Genährt wird der Singles-Diskurs durch die Sehnsucht nach mehr Gestaltungsfreiheit und gleichzeitig durch die Verurteilung derselben ( wo kämen wir denn hin, wenn alle machen würden, wie sie wollten... ). Belegt werden beide Argumentationsweisen durch die Zunahme an Einpersonenhaushalten von 14% auf 34.2% zwischen 1960 und 1990 (BFS 1993b). Dass sich das Alleinleben als Wohnform herausbilden konnte, hat eine Reihe von strukturellen und kulturellen Gründen, die als spezifisch modern angesehen werden können: Bis Ende des 19. Jahrhunderts bedeuteten die wiederkehrenden Hunger- und Kriegszustände eine existenzielle Gefahr für die Menschen, der sie als Alleinlebende hilflos ausgeliefert gewesen wären. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts setzte sich allmählich das Leitbild der bürgerlichen, emotionalisierten Kleinfamilie durch; andere Lebensformen galten als minderwertig und defizitär. Erst mit der sozialstaatlichen Absicherung, dem wachsenden Wohlstand und der Auslagerung familialer Funktionen einerseits und mit der zunehmenden Liberalisierung und Entdiskriminierung ausserehelicher Sexualität, begleitet von einem veränderten Selbstverständnis der Geschlechterrollen anderseits wurde das 6

goldene Zeitalter der Familie (Roussel 1980) seit den 1970er Jahren allmählich durch andere Lebensformen abgelöst. Inwiefern Alleinlebende generell als Singles bezeichnet werden können, ist allerdings umstritten; in der Literatur ist eine Fülle unterschiedlicher Merkmale oder Merkmalskombinationen aus Wohnform, Beziehungsform, Zivilstand, Alter, Dauer und Einstellung in Bezug auf die Lebensform belegt, welche den Single- Begriff konstituieren (Bachmann 1992). Die Gruppe der Alleinlebenden, um die es in der vorliegenden Arbeit geht, ist jedenfalls äusserst heterogen: SchulabgängerInnen in der ersten eigenen Wohnung fallen ebenso darunter wie Geschiedene mittleren Alters oder betagte Verwitwete. Eine Präzisierung und Differenzierung ist deshalb unumgänglich. Weiter stellt sich die Frage, ob es sich beim Alleinleben um eine Übergangsphase oder eine dauerhafte Lebensform handelt, ob diese Lebensform freiwillig gewählt wurde und wie die konkrete Ausgestaltung aussieht. Angesichts dieser Fülle von Möglichkeiten ist weiter zu untersuchen, ob überhaupt ein strukturelles oder kulturelles Muster von Alleinlebenden festgestellt werden kann oder ob das postmoderne anything goes nur noch Aussagen über Individuen, aber kaum mehr über Gruppen zulässt. In Deutschland befassen sich seit Ende der 1980er Jahre diverse theoretische (Kern 1998), qualitative (Bachmann 1992, Krüger 1990, Meyer & Schulze 1989 u.a.) und quantitative (Hradil 1995, Gräbe 1994, Grözinger 1994 u.a.) Untersuchungen mit dem Alleinleben. In der Schweiz existieren vereinzelte theoretische Ansätze (Hoffmann-Nowotny 1980a und 1989a), wenige qualitative Studien, die das Alleinleben beziehungsweise das Singletum ins Zentrum stellen (Bugari & Dupuis 1989, Gilbert 2001). In anderen Untersuchungen ist das Alleinleben mitthematisiert (Höpflinger 1989a, Höpflinger o.j, Fux & Baumgartner 1997 u.a.). Die vorliegende Arbeit versteht sich als Versuch der Systematisierung, Weiterführung und Ergänzung der bestehenden quantitativen Studien aus der Schweiz. Im ersten Kapitel wird der Untersuchungsgegenstand umrissen; diskutiert wird der theoretische Hintergrund nichtkonventioneller Lebensformen sowie verschiedene Begrifflichkeiten und Typologien von Alleinlebenden und Singles; abschliessend werden die verwendeten Datenquellen beschrieben. Das zweite Kapitel behandelt den gesellschaftlichen Hintergrund, insbesondere die Veränderungen von familialen und nichtfamilialen Lebensformen. Im dritten 7

Kapitel werden theoretische Erklärungsansätze zur Ausbreitung des Alleinlebens diskutiert, namentlich Individualisierungs-, Differenzierungs- und Rational Choice-Ansätze. Das vierte Kapitel behandelt Strukturmerkmale Alleinlebender im Überblick, darauf aufbauend behandelt das fünfte Kapitel die Soziale Lage und das sechste Kapitel das Gesundheits- und Freizeitverhalten. Im siebten Kapitel wird das Alleinleben in seinen unterschiedlichen Phasen diskutiert und Ergebnisse zum Selbstverständnis Alleinlebender aus qualitativen Forschungen zusammengefasst, welche zur Vertiefung und Ergänzung der quantitativ ausgerichteten Arbeit beitragen sollen. Das achte Kapitel fasst die Ergebnisse zusammen. 8

1 Alleinleben als Lebensform und Lebensphase 1.1 Grundzüge einer Soziologie nicht konventioneller Lebensformen Alleinleben ist eine moderne" und historisch neue Lebensform. Diese dokumentiert einen Aspekt des sozialen Wandels und ist nur vor dem Hintergrund des gesamtgesellschaftlichen Wandels zu verstehen, welcher in westlichen Industriegesellschaften als Modernisierungsprozess bezeichnet wird. Das Alleinleben kann als eine Möglichkeit unter vielen Lebensformen begriffen werden, welche dem Individuum im Zuge der Modernisierung und der damit einhergehenden, zumindest potenziellen Optionsvielfalt offen stehen. Lebensformen, verstanden als Formen des Zusammen- oder Alleinlebens, sind heute rein theoretisch unendlich vielfältig. Schränkten in vormodernen Gesellschaften strukturelle Restriktionen die Anzahl möglicher Lebensformen ein, sind diese Restriktionen durch die Prozesse des gesellschaftlichen Fortschreitens im Zug der Modernisierung weitgehend beseitigt. Zu nennen sind hier insbesondere staatliche und private Institutionen wie beispielsweise der Wohlfahrtsstaat, Spitäler, Versicherungen gegen Naturereignisse und andere mehr, welche die personellen Abhängigkeiten zunehmend zu Gunsten von institutionellen Abhängigkeiten verschoben. In Verbindung mit dem gestiegenen Einkommensniveau für breite Bevölkerungsschichten seit Ende des Zweiten Weltkriegs ist nun ein selbstbestimmtes Alleinleben möglich geworden; eine Lebensform, die früher nur sehr selten auftrat und wenn, war sie in der Regel ein Zeichen von Armut und Verwahrlosung. 1 Rein theoretisch existiert heute eine Fülle von Möglichkeiten im Zusammenleben mit Verwandten und Nichtverwandten: Gleichgeschlechtliche Paare oder Verwandte könnten sich mit Hilfe moderner Reproduktionstechnologien oder auch ausserhalb der Paarbeziehung fortpflanzen, neben dem Alleinleben wären gleich- und gemischtgeschlechtliche Zweier-, Dreier-, Vierer- usw. Beziehungen unter Erwachsenen, mit oder ohne Kind und Kegel möglich. Angesichts der theoretisch unendlichen Vielfalt wird nur eine verschwindend kleine Zahl möglicher Lebensformen tatsächlich realisiert: Alleinleben, kinderlose eheliche 1 Auch Ledige lebten früher mit andern Personen zusammen, sei es in der Herkunftsfamilie, in der Familie des Arbeitgebers, im Kloster oder mit einer Haushälterin, vgl. Kapitel 2. 9

oder nichteheliche Partnerschaft, Ein- oder Zweielternfamilie, Wohngemeinschaft, Kollektivhaushalt. Es sind somit in unserer heutigen modernen beziehungsweise postmodernen Gesellschaft nicht primär die strukturellen Rahmenbedingungen, sondern die kulturellen Standards, die sozialen Normen und gesellschaftlichen Konventionen, welche das Spektrum von theoretisch möglichen Lebensformen auf vergleichsweise wenige sozial akzeptierte Lebensformen einschränken. Am deutlichsten wird die soziale Diskreditierung einer Lebensform in der Gesetzgebung, welche die Formalisierung bestimmter Arten des Zusammenlebens rundweg verbietet. Verboten sind beispielsweise Lebensgemeinschaften mit mehreren PartnerInnen (Polyandrie, Polygynie), Eltern- oder Geschwisterehen oder gleichgeschlechtliche Ehen. Wie der Sozialhistoriker Arthur Imhof (1988: 33) bemerkt, würde beispielsweise die Legalisierung von Polyandrie und lesbischen Lebensgemeinschaften das Problem der betagten Witwen, die heute nach dem Wegsterben ihres Partners auf eine institutionelle Betreuung angewiesen sind, beträchtlich entschärfen. Der kulturelle Rahmen, der den Optionsraum an sozial akzeptierten Lebensformen in fortgeschrittenen Gesellschaften vorgibt, wird durch kollektive Definitionsprozesse milieuspezifisch präzisiert und differenziert. Über diese Bewertungs- und Definitionsprozesse findet eine Sortierung der Lebensformen in konventionelle und nichtkonventionelle statt (Schneider, Rosenkranz, Limmer 1996: 9f.). Diese Betrachtungsweise geht auf den symbolischen Interaktionismus nach Herbert Blumer zurück. Gemäss diesem Konzept handeln Menschen gegenüber Dingen (Gegenstände, Menschen, Situationen, Institutionen, usw.) aufgrund der Bedeutungen, welche diese Dinge für sie besitzen. Diese Bedeutungen konstituieren sich aus der Interaktion zwischen Menschen; sie werden in einem interpretativen Prozess in der Auseinandersetzung mit den Dingen benutzt und verändert (vgl. Treibel 1993: 114f.). Welche Lebensformen ( Dinge ) sich herausbilden und durchsetzen ist also nicht in erster Linie durch den Wandel der objektiven Lebensbedingungen determiniert, sondern hängt vor allem von der Wahrnehmung ( Bedeutung ) aufgrund von Interpretationen und Interaktionen ab. Es sind somit kollektive Definitionsprozesse, welche eine Lebensform als konventionell oder als nicht konventionell bezeichnen. Die Kriterien zur Bewertung sind vielschichtig und immer vor dem Hintergrund des kleinsten gemeinsamen Nenners in Form des kulturellen Standards zu verstehen. Bedeutsam für die Bewertung sind Strukturmerkmale wie Zivilstand, Elternschaft, 10

Haushaltskontext und Verwandtschaftsverhältnisse. Die Kernfamilie mit zwei gegengeschlechtlichen Elternteilen und etwa zwei leiblichen Kindern im selben Haushalt ist der Prototyp der konventionellen Lebensform. Die normative Bewertung hängt zum Teil von der statistischen Häufigkeit ab 2, ist aber mit dieser keinesfalls gleichzusetzen (vgl. auch Lüscher 1997a: 269). Es ist jedoch plausibel, dass sich eine lange andauernde statistische Normalität im Sinn einer dominanten Häufigkeit mit der Zeit auch als definierte Normalität niederschlägt; d.h. dass sich die normative Kraft des Faktischen (Habermas) mit einer zeitlichen Verzögerung allmählich durchsetzt. Diese zeitliche Verzögerung hat zur Folge, dass eine dominante Häufigkeit (noch) nicht als Normalität wahrgenommen wird. Entscheidend ist auch die Definitionsmacht von Sozialisationsagenturen wie Medien, Wissenschaft, Schule usw., welche die Familie als Keimzelle des Staates auch heute noch ideologisch stark überhöhen und belasten. Das Alleinleben wird zu den nichtkonventionellen Lebensformen gezählt. Als nichtkonventionell können alle Lebensformen bezeichnet werden, welche hinsichtlich ihrer Entstehung und ihrer gesellschaftlichen Bewertung historisch neuartig sind und sich nicht zum dominierenden Standardmodell entwickelten. Ob eine Lebensform als nichtkonventionell bewertet wird, kann u.a. daraus abgelesen werden, wie sie steuerlich, erbrechtlich, versicherungstechnisch usw. behandelt wird. Als nichtkonventionelle Lebensformen werden alle Formen des Zusammen- oder Alleinlebens ausserhalb der Normalfamilie bezeichnet: Partnerschaften in getrennten Haushalten, Nichteheliche Lebensgemeinschaften, kinderlose Ehepaare, Alleinerziehende, Wohngemeinschaften und Kollektivhaushalte. Bei nichtkonventionellen Lebensformen ist oftmals zu beobachten, dass Bewertungsprozesse der realen Entwicklung vorauseilen: Einzelnen Lebensformen wird von den Medien oder auch aufgrund einer Häufung wissenschaftlicher Untersuchungen eine Normalität unterstellt, die real nur auf einer statistischen Minderheit beruht. Gerade Singles erfahren eine mediale Aufmerksamkeit, welche weit über die empirisch beobachtbare Häufigkeitsentwicklung hinausgeht. Dies hängt eng mit den Versprechen der Individualisierung von Freiheit, 2 d.h. von objektiven Bedingungen; eine These, die natürlich in einer radikal-konstruktivistischen Betrachtungsweise nicht zulässig wäre. Eine Absage an eine objektive Grundlage gerät jedoch bald zur Tautologie: Konventionell ist, was als konventionell definiert wird. 11

Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zusammen, welche die Singles in prototypischer und oft nur vermeintlicher Weise verkörpern. Eine Lebensform, die als konventionell definiert ist, bedeutet nicht, dass ihre spezifische Realisierung auch sozial akzeptiert wird: Teenagerehen oder Elternschaft mit 60 Jahren sind beispielsweise weniger akzeptiert als das Alleinleben junger Lediger nach dem Auszug aus dem Elternhaus. Die biografische Plazierung einer Lebensform im Lebenslauf d.h. die Lebensphase - ist ein zentrales Bewertungskriterium. Für diesen Aspekt ist das chronologische Alter das strukturbestimmende Merkmal. Gerade die mediale Aufmerksamkeit gegenüber Singles richtet sich vornehmlich auf Menschen in einer bestimmten Lebensphase beziehungsweise einem bestimmten Lebensalter: Implizit sind mit Singles junge Leute (bis ungefähr 30 Jahre, Männer noch etwas länger) gemeint. Der kollektive Definitionsprozess von Alleinlebenden brachte entlang der Altersdimension zwei entgegengesetzte Bewertungen hervor: unabhängige, berufs- und konsumorientierte Trendsetter versus beziehungsunfähige, sitzengebliebene Eigenbrötler und Eigenbrötlerinnen. Ganz jungen Erwachsenen werden meist die erstgenannten Attribute zugeschrieben; mit zunehmendem Alter verschiebt sich die Zuordnung sukzessive auf die zweite Bedeutung. Die Verlagerung der Zuschreibung setzt bei den Männern später ein als bei den Frauen, was sowohl eine Ursache als auch eine Folge des höheren durchschnittlichen Heiratsalters von Männern ist. Alleinstehend, die deutsche Übersetzung von Singles, bezieht sich demgegenüber vor allem auf ältere Menschen. Hier überwiegt die Konnotation mit Isolation und Vereinsamung, wenngleich diese eindimensionale Charakterisierung nicht mit den neueren Ergebnissen der Altersforschung übereinstimmt (Höpflinger & Stuckelberger 1992: 54, vgl. Kapitel 7.3.3). Die Bewertung der Lebensform alleinlebend wird somit durch die Lebensphase entscheidend differenziert. Die Lebenslaufforschung untersucht soziale Prozesse, die sich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Wandels und der Sozialstruktur über das individuelle Leben oder einzelne Phasen erstrecken, hinsichtlich ihres zeitlichen Auftretens als Ereignis, ihrer Dauer und ihrer Reihenfolge. Die sozialen Prozesse sind in der Regel den Bereichen Ausbildung/Erwerbstätigkeit und Familie zugeordnet; relevant sind institutionell definierte Ereignisse wie der Auszug aus dem Elternhaus, der Beginn einer Ausbildung, die Eheschliessung, die Familiengründung, der Eintritt ins Rentenalter sowie die Verweildauer in 12

bestimmten Aktivitäten und Mitgliedschaften wie Partnerschaft, Ausbildung, Erwerb usw. (nach Mayer 1990a: 9f.). Das Alleinleben nimmt in der Lebenslaufforschung bislang eine untergeordnete Rolle ein, was wohl daran liegt, dass als bedeutend eingestufte Ereignisse wie Ehe oder Elternschaft nicht eintreten. Dies gilt jedoch nur für dauerhaftes Alleinleben. In den meisten Fällen ist das Alleinleben jedoch keine dauerhafte Lebensform, sondern eine Phase vor oder nach einer Partnerschaft beziehungsweise Familie. Diese Betrachtungsweise charakterisiert das Alleinleben als Übergangssituation, als Provisorium vor oder nach der Familienphase (welche in der Familienforschung implizit immer noch als die wichtigste betrachtet wird). Die Charakterisierung des Alleinlebens als ein defizitäres noch nicht oder nicht mehr wird denn auch vielfach kritisiert (Krüger 1990, Martiny & Voegeli 1996, Gilbert 2001) 3. Wird das Alleinleben in all seinen Varianten untersucht, müssen sowohl dauerhafte wie auch temporäre Formen des Alleinlebens berücksichtigt werden (Burkart 1992: 357). Als temporär kann eine Lebensform im Lebenslauf allerdings erst im nachhinein bezeichnet werden, d.h. nachdem sie durch eine andere Lebensform abgelöst wurde. Vielfach wird diese Lebensform auch von den Alleinlebenden selbst als Provisorium begriffen. Dauerhaftes Alleinleben wird von den wenigsten zum vornherein angestrebt (vgl. Kapitel 7.3) und wenn, dann wird dieser Vorsatz nicht in jedem Fall realisiert. Alleinleben bedeutet trivialerweise, dass aus welchen Gründen auch immer nicht in einer Partnerschaft oder Familie zusammengelebt wird. Die Lebensform des Alleinlebens muss somit immer auch im Kontext der Entwicklung von Partnerschaft und Familie untersucht werden. Die Herausforderung besteht darin, das Alleinleben auch nicht implizit mit dem Etikett des Defizitären zu behaften, selbst wenn viele Alleinlebenden ihre Situation so wahrnehmen. Nach der Haushaltsform und der Phase im Lebenslauf ist als drittes Element das Vorhandensein oder die Abwesenheit einer Partnerschaft zu berücksichtigen. Dabei ist Alleinleben keineswegs gleichbedeutend mit Partnerlosigkeit (Höpflinger 1989a: 47). Haushaltsformen sagen generell wenig über die sozialen Beziehungen aus. Neben der Haushaltsstruktur sind deshalb auch Überlegungen zu 3 Analog könnte das eheliche Familienleben als nicht mehr ledig, vorläufig noch nicht geschieden beziehungsweise noch nicht verwitwet oder als nicht mehr beziehungsweise noch nicht alleinlebend verstanden werden. 13

partnerschaftlichen und weiteren sozialen Beziehungsformen zu berücksichtigen (Höpflinger 1997d: 102). Auf der methodischen Ebene bedeuten die obigen Ausführungen, dass die Lebensform Alleinleben idealerweise und je nach Fragestellung mit unterschiedlichen Gewichtungen im Querschnitt unter dem Aspekt ihrer strukturellen und kulturellen Merkmale wie Soziallagen, Lebensstile, Einstellungen und Werthaltungen, im Längsschnitt hinsichtlich ihres Auftretens sowie der Dauer und Übergänge vor dem Hintergrund des sozialen Wandels, und schliesslich in Bezug auf die Verknüpfung von Haushalts- und Beziehungsform zu untersuchen ist. Die Herausbildung einer Lebensform ist nur vor dem Hintergrund sozialstruktureller und normativer Rahmenbedingungen und Veränderungen zu erklären. Trotzdem darf nicht vergessen werden, dass es sich bei den Alleinlebenden letztlich um Individuen handelt, welche unter den gegebenen Restriktionen diese Lebensform zwar meist nicht von langer Hand geplant, aber für den Moment gleichwohl aus den möglichen Alternativen selbst gewählt haben und nicht quasi zwangsläufig ins Alleinleben hineingespült worden sind. 14

Abbildung 1: Empirisches Modell zur Erforschung von Lebensformen Strukturelle Dimension kulturelle Dimension Bevölkerungsstruktur Religion Makro- Wissenschaft, Medizin Traditionen Ebene Wirtschaftliches Umfeld Bildungssystem Versicherungssystem Meso- Erwerbssystem Rechtssystem Ebene Gesundheitswesen Normen bzgl. Soziale Netzwerke Lebensführung Ökonomische Präferenzen Einstellungen Mikro- Ressourcen Restriktionen Werthaltungen Ebene Soziale Lage Lebensstil Alter, Geschlecht Quelle: Eigene Darstellung Lebensform Eine Analyse des Alleinlebens ist idealerweise unter einer makro-, einer meso- und einer mikrotheoretischen Perspektive vorzunehmen. Sie hat 1) die Herausbildung 15

der Lebensform unter den Bedingungen des sozialen Wandels zu untersuchen, 2) auf Mesoebene Erscheinungsformen und Wandel von Institutionen zu berücksichtigen, insbesondere die Institution Familie und soziale Netzwerke, 3) auf individueller Ebene den Lebenslauf zu untersuchen, der typischerweise durch verschiedene Lebensformen gekennzeichnet ist und aufzuzeigen, unter welchen sozialstrukturellen Bedingungen und normativen Rahmenbedingungen Individuen das Alleinleben präferieren und hat schliesslich die Alleinlebenden in Bezug auf typische Soziallagen und Lebensstile zu differenzieren. 1.2 Begriffsklärung und Typologisierung Lange Zeit wurden Personen, die nicht in einer Ehe oder Familie und somit ausserhalb einer bürgerlichen Norm lebten, in der wissenschaftlichen Diskussion wenig beachtet. Seit Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahre erfährt die Gruppe der Singles ausgehend vom anglo-amerikanischen Raum eine verstärkte Aufmerksamkeit. Im Sprachgebrauch werden Alleinlebende, Alleinstehende, Singles und Ledige oder Unverheiratete oft gleich gesetzt, und auch in der Literatur ist die Definition der Begriffe keineswegs eindeutig. Alleinlebende können einigermassen präzise definiert werden als Menschen, die in Einpersonenhaushalten leben. Auch statistisch ist diese Gruppe gut erfassbar, zumal die Haushaltsstruktur in allen grossen Befragungen erhoben wird. 4 Allerdings ist diese Gruppe zu heterogen, als dass sie als soziologische Einheit sinnvoll interpretiert werden kann: SchulabgängerInnen in der ersten eigenen Wohnung fallen ebenso darunter wie Geschiedene mittleren Alters (beispielsweise alleinlebende Väter mit Kindern ausserhalb des Haushalts) oder betagte Verwitwete. Deshalb ist eine weitere Präzisierung der Alleinlebenden, fallweise aufgrund von Alter, Zivilstand oder Beziehungsform, erforderlich. 1.2.1 Single-Definitionen und -typologien Je nach AutorIn wird als Untergruppe, als Synonym oder als Alternative zu alleinlebend der Begriff Singles verwendet. In der anglo-amerikanischen 4 Aus deutschen Studien (z.b. Burkart 1997:150) ist bekannt, dass die Zahl der Einpersonenhaushalte in der amtlichen Statistik überschätzt. Der Grund dafür ist, dass die Haushaltsdefinition des Statistischen Bundesamtes in Deutschland ein gemeinsames Wirtschaften voraussetzt. Aufgrund der unterschiedlichen Abgrenzung in der Eidg. Volkszählung kann diese Fehlerquelle für die Schweiz weitgehend ausgeschlossen werden (vgl. Kapitel 1.3). 16

Literatur sind Singles in der Regel ledige, kinderlose Alleinlebende ohne gegengeschlechtlichen Partner (Krüger 1990: 61), bisweilen auch never-marrieds (Ledige) oder non-marrieds (Unverheiratete). Neben dieser rein strukturellen Definition sind mit diesem Begriff häufig Vorstellungen über eine bestimmte Lebensweise verbunden ( swinging singles, lonely wolves, Power-Singles usw.). Zur Abgrenzung der Singles von andern Lebensformen ist der Zivilstand, die Wohnform oder die Beziehungsform ausschlaggebend. In der deutschsprachigen Single-Literatur ist die Wohnform das wichtigste Kriterium: Der Begriff Single ist darauf und daran, zum Synonym für den statistischen Begriff Einpersonenhaushalt zu geraten. (Hradil 1995: 6) Analog dazu lautet eine Überschrift im Statistischen Jahrbuch der Schweiz 2002: Singles in den Städten, Familien auf dem Land (BFS 2002: 40). Hier wird mit Singles ebenfalls der Einpersonenhaushalt bezeichnet, unabhängig von Zivilstand, Alter, Partnerschaft, Kindern ausserhalb des Haushalts usw. In einigen Studien ist Partnerlosigkeit ein konstituierendes Merkmal für den Single -Begriff: Alleinleben in einer paarorientierten Gesellschaft (Krüger 1990); Singles - Allein leben, besser als zu zweit? (Schreiber 1978), ebenso bei Bachmann (1992), Burkart (1997), Naumann (1997) u.a.; bisweilen ist es der Zivilstand: Warum noch ledig? Warum nicht Ehe? (Sander 1997) oder die eigene Identitätsdefinition: Singles - Biographische Konstruktionen abseits der Intim- Diade (Kern 1998). Neben der Kombination von strukturellen Merkmalen und kulturellen Zuschreibungen werden häufig auch das Alter oder die Einstellung zum Alleinleben als Abgrenzungskriterien für Singles verwendet (vgl. Tabelle 1). 17

Tabelle 1: Ausgewählte Single-Definitionen in der Literatur Zivilstand Haushaltsform Partnerschaft Alter Weitere Merkmale AutorInnen EPH - nein 25-54 freiwillig+ Hradil 1995 dauerhaft EPH - nein 30-40 - Bachmann 1992 EPH - nein 30-40 freiwillig + Burkart 1997 entschieden EPH - nein kinderlos Droth 1983 EPH unverheiratet - - - Höpflinger 1987 EPH unverheiratet nein - - Meyer & Schulze 1989 EPH unverheiratet nein - Familienlosigkeit Bien&Bender 1995* Nicht in 2P- unverheiratet - - - Bugari&Dupuis 1989 Gemeinschaft - ledig - - - Kain 1984 unverheiratet - - - Pohl 1994 - - - - Selbstdefinition als Single Kern 1998 *Kombination aus den vier Merkmalen, wobei mindestens ein Merkmal zutreffen muss, um die Single- Definition zu erfüllen Quelle: eigene Darstellung, ergänzt nach Bachmann 1992: 238f Exemplarisch für die obige Vielfalt werden nachfolgend einige Single-Definitionen genauer erläutert. 1.2.1.1 Singles als Untergruppe der Alleinlebenden 1.2.1.1.1 Singles im weiteren und im engeren Sinn: 4-Kreise-Modell Hradil (1995: 6f.) entwickelt ein 4-Kreisemodell, mit dem er einen weiten und einen engen Single-Begriff unterscheidet. Die vier konzentrischen Kreise sind von aussen nach innen 1. durch die Wohnform (Einpersonenhaushalt), 2. durch das Alter (25-54 Jahre), 3. durch die Lebensform (Fehlen einer festen Partnerschaft) und 4. durch die Einstellung und die Zeit (freiwillig und auf Dauer) charakterisiert. Singles im weiteren Sinn werden durch die beiden äusseren Kreise, d.h. Wohnform und Alter definiert, als Singles im engeren Sinn gelten nur jene, welche alle vier Bedingungen erfüllen, d.h. im innersten Kreis angesiedelt sind. 18

Abbildung 2: Singles im weiteren und engeren Sinn EPH 25-54 Jahre (Singles im weiteren Sinn) freiwillig und auf Dauer (Singles im engeren Sinn) partnerlos Quelle: eigene Darstellung, nach Hradil 1995: 7 Zur Wohnform: Jede/r Single ist nach dieser Definition alleinlebend. Partnerlose Mitglieder einer Wohngemeinschaft oder in der Herkunftsfamilie wohnende erwachsene Kinder fallen nicht darunter. Auch Alleinerziehende bei anderen AutorInnen ebenfalls zu den Singles gezählt (Bugari & Dupuis 1989, Kern 1998) fallen nicht darunter. Zum Alter: Für den Begriff Singles im engeren Sinn fallen unter 25-jährige und über 54-jährige ausser Betracht, um die Gruppe homogener zu halten und die spezifische Situation von Leuten in Ausbildung sowie Betagte aussen vor zu lassen. Bezüglich Zivilstand können Singles ledig, geschieden oder auch verwitwet sein, die Gruppe unterscheidet sich somit von den never marrieds im angelsächsischen Diskurs. Zur Lebensform: Partnerlosigkeit ist das konstitutive Merkmal des dritten Kreises. Ob eigene Kinder ausserhalb des Haushalts vorhanden sind spielt dabei keine Rolle. Zur Einstellung und Zeit: Innerhalb der partnerlos Alleinlebenden unterscheidet Hradil nach den Dimensionen der Einstellung sowie der Zeit. Die je dichotome Gliederung von freiwillig versus erzwungen und zeitweilig versus dauerhaft ergibt eine Typologie von vier unterschiedlichen Gruppen: 19

Tabelle 2: Einstellung und Zeitdauer freiwillig erzwungen zeitweilig I Die Ambivalenten II Die Hoffenden dauerhaft III Die Überzeugten IV Die Resignierenden Quelle: Shostak 1987: 358, zit. in Hradil 1995: 10 und Grözinger 1994: 8 Singles im engeren Sinn sind gemäss Hradil nur Angehörige der dritten Gruppe; andere Autoren zählen alle vier Typen zu den Singles (Shostak 1987, zit. in Hradil 1995: 10). Bei Hradil ist die Merkmalskombination freiwillig+dauerhaft ein Definitionskriterium, bei Shostak eine Ausprägung innerhalb der Single- Typologie. Mit der Definition von Singles im engen Sinn versucht Hradil eine möglichst homogene Personengruppe herauszudestillieren, welche ihre Wohn- und Lebensform aus freien Stücken und nicht mangels Alternativen gewählt hat und mitten im Leben steht; es handelt sich hier somit um jene Gruppe, die freigesetzt aus Traditionen und Bindungen als Wegbereiterin zur Durchsetzung der Imperative der Moderne gelten könnte. Allerdings lädt sich der Autor damit, wie er selbst bemerkt, die empirischen Erfassungsprobleme auf, die mit den Definitionskriterien der Partnerlosigkeit, Freiwilligkeit und Längerfristigkeit einhergehen. (Hradil 1995: 9) 1.2.1.1.2 Singles als partnerlos Alleinlebende im mittleren Lebensalter Weiter als Hradil bezüglich Einstellung und enger bezüglich Alter fasst Bachmann (1992) den Begriff, in dem er unter einem Single eine allein haushaltende Person, welche auf eine von ihr als exklusiv und dauerhaft verstandene Partnerbeziehung verzichtet versteht (1992: 34), und dies in einer Lebensphase, in der man im Normalfall in einer Partnerschaft oder Familie zusammenlebt, d.h. im mittleren Lebensalter zwischen ca. 30 und 40 Jahren. Irrelevant ist gemäss diesem Autor, ob dieser Verzicht freiwillig ist, während Burkart (1997: 148) dieselbe strukturelle Abgrenzung verwendet, aber freiwillig und mit Entschiedenheit zu einem notwendigen Definitionsmerkmal erhebt. Die Eingrenzung nach Alter erfolgt vor dem Hintergrund, dass sich das Alleinleben mit oder ohne dauerhafte Partnerschaft im jüngeren Alter als 20

eigenständige Lebensphase durchgesetzt hat und kaum mehr als Spezialfall betrachtet werden kann. Ähnliches gilt für betagte Alleinlebende, die meist verwitwet sind und sich für eine Untersuchung gesellschaftlicher Individualisierungstendenzen vermeintlich weniger eignen. Hingegen steht die Lebensform bei partnerlos Alleinlebenden im mittleren Lebensalter quer zur Normalität und ist deshalb bezüglich Motivation, Einstellung und sozialer Lage für die Singleforschung von besonderem Interesse. 1.2.1.1.3 Singles als partnerlos alleinlebende Unverheiratete In dieser Abgrenzung ist das Alter nicht relevant, hingegen der Zivilstand: Alleinstehend ist gleichbedeutend mit unverheiratet, die Alleinlebenden bilden eine Untergruppe davon, welche wiederum in Singles und Living-apart-together- Gemeinschaften unterteilt wird. Abbildung 3: Alleinstehende, Alleinlebende, Singles Alleinstehend alleinlebend zusammenlebend ohne PartnerIn mit PartnerIn WG Alleiner- NELG (Single) (LAT) ziehend Quelle: Meyer & Schulze 1988: 2, zit. in Gräbe 1994:8. 1.2.1.1.4 Single-Typologie nach Beziehungsform und Intention Gemäss Fux & Baumgartner (1997: 54) sind Singles ebenfalls partnerlos Alleinlebende, die Perspektive im Lebenslauf ist jedoch kein Definitionskriterium, sondern ein Unterteilungsmerkmal. 21

Tabelle 3: Alleinlebende nach Beziehungsform und Intention Gliederungsprinzip Lebenslaufperspektive Bezeichnung (Beispiel) Mit Partner/in - Living apart together (LAT) Ohne Partner/in vorübergehend Temporäre Singles (z.b. während der Ausbildung; zwischen Elternhaus und Partnerschaft) Bewusst und auf Dauer Committed Singles Mangels Alternativen Singles aus Notwendigkeit (z.b. im Alter) Quelle: Eigene Darstellung nach Fux & Baumgartner 1997: 54 Die committed Singles entsprechen den Singles im engeren Sinn, allerdings ohne Einschränkung nach Alter. Auch hier kann die Zuordnung erst im nachhinein, d.h. aufgrund von Befragungen vorgenommen werden. 1.2.1.1.5 Gliederung der Einpersonenhaushalte nach Zivilstand Ausgehend von der Überlegung, dass das Alleinleben je nach biografischer Phase eine unterschiedliche Bedeutung hat, welche sich im Zivilstand niederschlägt, unterscheidet Höpflinger (1987: 13) zwischen ledigen Alleinlebenden (temporäre oder permanente Singles) und geschiedenen oder verwitweten Alleinlebenden (sekundäre Singles). Tabelle 4: Alleinlebende nach Zivilstand Zivilstand ledig verheiratet geschieden verwitwet Eigene Darstellung nach Höpflinger 1987: 13 Bezeichnung Temporäre oder permanente Singles Getrennt lebendes Ehepaar Sekundäre Singles Aus einer netzwerktheoretischen Perspektive kann davon ausgegangen werden, dass der Zivilstand eine zentrale Bedeutung für die Art der Lebensführung hat, weil geschiedene und verwitwete Alleinlebende oft Kinder haben, Ledige dagegen meist kinderlos sind. Mit dem Zivilstand ist auch ein Alterseffekt verbunden: Alleinlebende im jüngeren Alter sind meist ledig, im mittleren Alter oft geschieden und im höheren und hohen Alter in der Regel verwitwet (vgl. Kapitel 4.2); in einer Typologisierung über den Zivilstand sind somit alters- und lebenszyklusspezifische Aspekte mitberücksichtigt. Weiter hat die Unterteilung nach Zivilstand den Vorteil, dass die einzelnen Typen empirisch problemlos untersucht werden 22

können, da Angaben zu Haushaltsform und Zivilstand zu den Standardmerkmalen einer Umfrage gehören. 1.2.1.2 Alleinleben als nicht notwendige Bedingung 1.2.1.2.1 Singles als Komplementärmenge der Zusammenlebenden Nach Bugari & Dupuis (1989) sind Singles alle unverheirateten erwachsenen Personen, welche nicht in einer Lebensgemeinschaft zu zweit oder als Familie zusammenleben. Darunter fallen kinderlose Alleinlebende, Alleinerziehende, in getrennten Haushalten Zusammenlebende (LAT), mit oder ohne Partner in Wohngemeinschaften oder in der Herkunftsfamilie wohnende. Verheiratete Alleinlebende sind demgegenüber keine Singles (wobei diese Gruppe nur einen kleinen Anteil der Verheirateten ausmacht). Singles bilden hier somit keine Teilmenge der Alleinlebenden, sondern haben lediglich eine gemeinsame Schnittmenge. Die so gewählte Single-Definition umfasst eine Vielzahl verschiedener Lebensformen, deren einzige Gemeinsamkeit es ist, dass sie sich von der Normalfolie des partnerschaftlichen Zusammenlebens abheben. Ansonsten ist diese Gruppe jedoch so heterogen, dass sich mögliche Aussagen über das Singledasein wohl eher allgemein auf nichtkonventionelle Lebensformen beziehen. 1.2.1.2.2 Gliederung nach Merkmalskonfiguration Bien & Bender (1995: 68) gliedern Singles einmal nach ihrer Single-Konfiguration und einmal nach der Single-Ausprägung. Zu diesem Zweck definieren sie vier Hauptkriterien: Familienlosigkeit; Partnerlosigkeit; Einpersonenhaushalt; unverheiratet sein. Die binäre Codierung jedes dieser Merkmale (0=trifft zu, 1=trifft nicht zu) ergibt insgesamt 16 verschiedene Kombinationsmöglichkeiten, welche als Kontinuum von Single-Zuständen zwischen den Polen mit Sicherheit Single (0000: alle Merkmale treffen zu) bis zu mit Sicherheit nicht Single (1111: keines der Merkmale trifft zu) dargestellt werden kann. Insgesamt bleiben 15 Single-Konfigurationen, die mindestens eines der oben genannten Merkmale erfüllen. 23

Alternierend dazu werden die 16 nominal skalierten Konfigurationen in eine Ordinalskala umgewandelt, indem die Anzahl der zutreffenden Merkmale berechnet wird. Damit ergeben sich Werte von 0 (Single) bis 4 (nicht Single), dazwischen Singleausprägungen von 1 (hohe Single-Ausprägung) bis 3 (niedrige Single-Ausprägung). Die an sich originelle und sinnvolle Unterteilung nach Single-Konfigurationen stösst bei mehreren Konfigurationen an die Grenze einer weiter unterteilbaren Stichprobenhäufigkeit. Die Single-Ausprägung anderseits fasst unterschiedliche Kategorien zusammen, beispielsweise hat ein Mitglied einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ohne Kinder die gleiche Single-Ausprägung wie eine alleinerziehende Mutter oder wie der geschiedene Vater, der allein lebt und wieder eine Lebenspartnerin hat oder wie die junge Erwachsene, die noch bei ihren Eltern wohnt und einen Freund hat (in jeder Konfiguration sind jeweils genau zwei Merkmale erfüllt). Trotz einer ausgeklügelten Differenzierung werden schliesslich doch wieder sehr heterogene Lebensformen zusammengefasst. 1.2.1.2.3 Gliederung nach Selbstdeutung Bisher lag allen Single-Definitionen mindestens ein objektives Merkmal zugrunde, welches diese Lebensform konstituierte. Einen andern Weg geht die Definition von Kern (1998: 42), welche eine konstruktivistische Zuordnung vornimmt - Single ist, wer sich als Single fühlt: Singles werden über ihre Selbstdeutung im Sinne einer Identität als Single erfasst. Das von der Autorin untersuchte Sample umfasst Unverheiratete mit und ohne Kinder im gleichen Haushalt. Zunächst erstaunt es, dass Alleinerziehende und Alleinlebende unter denselben Begriff subsumiert werden, da sich diese beiden Lebensformen etwa in Bezug auf die beruflichen Möglichkeiten, Kaufkraft, Freizeitgestaltung, verfügbare Zeit usw. erheblich unterscheiden. Steht jedoch die emotionale Bedeutung einer (nicht vorhandenen) Partnerschaft und die Identitätssicherung jenseits einer partnerschaftlichen Beziehung im Mittelpunkt der Fragestellung, macht diese konstruktivistische Deutung durchaus Sinn. 1.2.2 Zusammenfassende Überlegungen Den obigen Definitionen, Typologien und Modellen gemeinsam ist die Erkenntnis, dass die Lebensform alleinlebend eine zu heterogene Kategorie ist, 24

als dass sie zu einer Gruppe zusammengefasst und sinnvolle Aussagen daraus abgeleitet werden können. Wie nun diese Gruppe weiter unterteilt und wie die Untergruppen genau definiert werden, hängt letztlich vom Erkenntnisinteresse und von der Datenverfügbarkeit ab. Die vorliegende Arbeit hat sich zum Ziel gesetzt, das Alleinleben in der Schweiz zu beschreiben und theoretisch zu begründen, dies einerseits vor dem Hintergrund des familialen Wandels, anderseits aus der Perspektive des individuellen Lebensverlaufs. Bei dieser weit gefassten Fragestellung kann es nicht darum gehen, die Gruppe auf richtige Alleinlebende beispielsweise freiwillig, dauerhaft und aus Überzeugung partner- und kinderlose Ledige im mittleren Lebensalter zu beschränken. Hingegen muss die differenzielle Bedeutung von Partnerschaft, Kindern ausserhalb des Haushalts, Zivilstand, Dauer und Einstellung zum Alleinleben mitbedacht werden. Insbesondere sind Alter und Geschlecht als zwei der wichtigsten strukturprägenden Merkmale des Lebenslaufs hervorzuheben: Als nicht erwerbbare Eigenschaften widerspiegeln sie die biografischen Erfahrungen, die soziale Stellung und die Chancen und Möglichkeiten in den zentralen Lebensbereichen wie Beruf, Ausbildung, Elternschaft, Gesundheit usw. Alter und Geschlecht bilden in der vorliegenden Arbeit die wichtigsten Gliederungsmerkmale der Alleinlebenden, die entsprechend der jeweiligen Fragestellung durch zusätzliche Kriterien weiter zu differenzieren sind. Insbesondere die Unterscheidung nach Zivilstand beziehungsweise in primäre (d.h. ledige) und sekundäre (d.h. geschiedene oder verwitwete) Alleinlebende, modifiziert nach Höpflinger (vgl. Tabelle 4) trägt den lebensphasenspezifischen Besonderheiten und den unterschiedlichen biografischen Erfahrungen Rechnung. 5 1.3 Datenquellen Für eine empirische Untersuchung der Lebensform Alleinleben stehen mehrere Datenquellen der amtlichen und nichtamtlichen Statistik zur Verfügung. Von Interesse sind insbesondere jene Quellen, welche einen Vergleich über die Zeit erlauben und jene, mit welchen die Lebensform in einem weiteren Kontext der 5 Einschränkend ist hier zu bemerken, dass Alleinlebende nach einer langjährigen Nichtehelichen Lebensgemeinschaft gemäss dieser Einteilung zu den primären Singles gezählt werden, obwohl sie unter Umständen mehr Affinität zu Geschiedenen, d.h. sekundären Singles haben. Im Mass wie die langjährige nichteheliche Lebensgemeinschaft zahlenmässig an Bedeutung gewinnt, muss die Einteilung neu überdacht werden. 25

Sozialen Lage analysiert werden kann. In der vorliegenden Untersuchung werden Daten der Eidgenössischen Volkszählung (VZ), der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE), der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (SGB) sowie des Schweizerischen Haushaltspanel (SHP) ausgewertet. Die eigenen Sekundärauswertungen werden durch eine Diskussion der Ergebnisse aus dem Mikrozensus Familien 1994/95 (Gabadinho 1998 und 1999, Fux & Baumgartner 1997), der Sterbetafeln für die Schweiz 1988/1993 (Wanner 1996) sowie weiteren Auswertungen des Bundesamts für Statistik (BFS 1993a; Priester 1996; Reichle 2001 und weitere) ergänzt. 1.3.1 Eidgenössische Volkszählung (VZ) Die Daten der Eidgenössischen Volkszählung basieren auf einer Erhebung bei der gesamten Bevölkerung, die alle 10 Jahre stattfindet und deren Teilnahme obligatorisch ist. Dies hat den Vorteil einer enorm hohen Ausschöpfungsquote von nahezu 100%; fehlende Angaben können zum grossen Teil über die Gemeinderegister ergänzt werden. Damit treten keine Probleme bezüglich Bias (bestimmte Bevölkerungsgruppen sind systematisch unterrepräsentiert) auf. Die Haushaltstypen werden in einem aufwendigen Abgleich mit dem Gebäude- und Wohnungsregister plausibilisiert und verifiziert. Die Zugehörigkeit zu einem Haushalt wird aufgrund des gemeinsamen Hauptwohnsitzes vorgenommen, andere Merkmale, wie beispielsweise gemeinsames Wirtschaften, sind nicht relevant. Für die Analyse der Zählungen 1970, 1980 und 1990 stellt das Bundesamt für Statistik BFS eine 5%-Stichprobe zur Verfügung (Public Use Sample PUS). Das PUS enthält u.a. Angaben zu Demografie, Bildung, Beruf, sozialer Stellung, Haushaltsstruktur und Wohnort der Befragten und weiteren Haushaltsmitgliedern (BFS 2001c). Aufgrund der Anonymisierung ist eine Längsschnittbetrachtung nicht möglich. Die Volkszählungsdaten werden in der vorliegenden Arbeit hinsichtlich der strukturellen Merkmale und der Mobilität Alleinlebender (Kapitel 4) sowie in Bezug auf die Entwicklung dieser Lebensform (Kapitel 7.1) ausgewertet. Durch die Vollerhebung und die Plausibilisierungsverfahren sind die Volkszählungsdaten die wichtigste und zuverlässigste Quelle; ein Nachteil besteht darin, dass gerade diese 26

Verfahren, die eine hohe Qualität garantieren, sehr zeitaufwendig sind und dass die Daten des Jahres 2000 zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit (Oktober 2002) leider noch nicht zur Verfügung stehen. 1.3.2 Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (SAKE) Die SAKE ist eine vom Bundesamt für Statistik BFS seit 1991 jährlich vorgenommene Befragung von rund 17'000 Personen. Sie basiert auf einer dem Telefonbuch entnommenen Zufallsstichprobe der SchweizerInnen und niedergelassenen AusländerInnen (so genannte ständige Wohnbevölkerung) ab 15 Jahren. Ihre Resultate können repräsentativ auf die gesamte ständige Wohnbevölkerung der Schweiz und deren wichtigsten soziodemografischen Gruppen hochgerechnet werden. Die SAKE hat insbesondere zum Ziel, die Entwicklung in der Erwerbsstruktur und im Erwerbsverhalten zu ermitteln. Dazu erfasst sie detaillierte Angaben zu den sozioökonomischen Charakteristiken und insbesondere dem Arbeitsmarktverhalten der befragten Referenzperson sowie eine sozioökonomischen Kurzcharakterisierung der übrigen Personen im Haushalt, in welcher die Referenzperson lebt. Die SAKE ist als rotierendes Panel angelegt: Rund ein Fünftel der Befragungen wird jeweils im Folgejahr ausgewechselt, die restlichen vier Fünftel verbleiben in der Stichprobe. Die gleiche Person kann also maximal während fünf aufeinanderfolgenden Jahren befragt werden. Somit können für dieselbe Person während mehreren Jahren wiederholte Beobachtungen (Paneldaten) ausgewertet werden (aus Streuli & Bauer 2002: 40). Ab 2002 wird die Stichprobe auf zirka 40'000 Zielpersonen erhöht. In der vorliegenden Untersuchung werden Alleinlebende anhand der SAKE 2000 bezüglich der klassischen Schichtindikatoren Bildung, Beruf und Einkommen untersucht (Kapitel 5). Im weiteren werden die SAKE-Daten von 1991 bis 2000 in Bezug auf die Übergänge von Haushaltsform und Zivilstand, typische Phasen sowie die Dauer des Alleinlebens ausgewertet (Kapitel 7). 1.3.3 Daten der Schweizerischen Gesundheitsbefragung (SGB) Die Schweizerische Gesundheitsbefragung (SGB) wurde 1997 zum zweiten Mal nach 1992/93 als Querschnittsuntersuchung durchgeführt und soll künftig alle fünf Jahre wiederholt werden. Die SGB basiert auf rund 15'000 Interviews, die 27

telefonisch und bei Befragten ab 75 Jahren face-to-face durchgeführt wurden, ergänzt durch eine schriftliche Befragung. Sie ist repräsentativ für die ständige Schweizer Wohnbevölkerung ab 15 Jahren in Privathaushaltungen. Enthalten sind Daten zu Gesundheitszustand, Gesundheitsverhalten, Gesundheitsbedürfnissen, Freizeit und weiteren Themen im Sinn des Gesundheitsbegriffs der WHO (Calmonte, Herren, Spuhler und Koller 1998). In der vorliegenden Arbeit werden die Daten der SGB für eine Untersuchung der Alleinlebenden bezüglich körperlicher Gesundheit, Wohlbefinden, sozialen Netzwerken und Freizeitaktivitäten analysiert (Kapitel 6). 6 1.3.4 Daten des Schweizer Haushaltspanels (SHP) Das Schweizer Haushaltspanel (SHP) ist eine Längsschnitt-Untersuchung zum Leben in der Schweiz. Die Panelstudie wurde 1999 mit einer Repräsentativstichprobe von rund 5000 Privathaushalten gestartet. 7 Die Daten werden mittels Telefoninterview sowohl auf Haushaltsebene (Haushaltsmitglieder, Wohnform, Haushaltseinkommen) als auch auf Individualebene (Bildung, Einstellungen, Erwerb usw.) erhoben. 8 Anders als bei den vorwiegend auf sozioökonomische Bedingungen (Arbeitsmarkt und Einkommen) ausgerichteten ausländischen Panels deckt das SHP ein breites Spektrum von sozialwissenschaftlichen Fragestellungen ab (BFS 2001b). Der Vorteil gegenüber anderen schweizerischen Datenquellen liegt im Panel- Design 9, in der Vielfalt von Fragen und Themen, die in anderen Datenquellen nicht erhoben wurden, insbesondere jene, die über rein strukturelle Merkmale 6 Das Schweizerische Haushaltspanel SHP enthält zum Teil ähnliche Fragestellungen. Die SGB ist zwei Jahre älter als die erste Welle des SHP; für eine Querschnittsuntersuchung bietet sie jedoch den Vorteil der grösseren Stichprobe. 7 Genau: 5'074 Haushalte 8 Die Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen Haushalt ist erst dann erfüllt, wenn die Mitglieder mindestens ein bewohnbares Zimmer teilen, eine Gemeinschaftskasse haben, wöchentlich mindestens eine Mahlzeit gemeinsam einnehmen, das Wohnverhältnis auf Stabilität und Dauer angelegt ist und es sich um den Hauptwohnsitz der Haushaltsmitglieder handelt (BFS 2001b: 12). Mit dieser Definition unterscheidet sich das SHP von der Definition der Eidg. Volkszählung, die nur das Teilen einer Wohneinheit als Kriterium definiert. Aufgrund dieser Kriterien steigt die Wahrscheinlichkeit eines Haushalts, als Einpersonenhaushalt zu gelten (d.h. die Zusammenlebenden ohne Gemeinschaftskasse, geteilte Mahlzeit u.a. sind je als Einpersonenhaushalte zu zählen). Dieser Umstand ist für die vorliegende Untersuchung nicht relevant, da aus dem SHP Fragen keine absoluten Haushaltshäufigkeiten errechnet werden. 9 Die SAKE als rotierendes Panel bietet diesen Vorteil ebenfalls. Hier werden jedoch 20% der Befragten jährlich ausgewechselt, d.h. jede befragte Person nimmt maximal während 5 aufeinanderfolgenden Jahren teil. 28