Musterlösung Prüfung Medizinrecht FS 18 (22. Juni 2017)

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Transkript:

Musterlösung Prüfung Medizinrecht FS 18 (22. Juni 2017) Aufgabe 1 (60%) 30 Punkte Aufgabe 1 Zu prüfen ist, ob Lisa die Impfung verweigern kann, oder ob ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin entscheiden darf. Punkte 0 Anwendbares Recht 1 Grundsatz, dass auf eine medizinische Fragestellung dasjenige Recht Anwendung findet, dem auch der Leistungserbringer untersteht. Mangels Angaben im Sachverhalt ist davon auszugehen, dass es sich beim Gynäkologen um einen niedergelassenen Arzt handelt. Diese unterstehen dem Privatrecht. Es kommt folglich Privatrecht zur Anwendung. Hinweis: Beim Vertretungsrecht nach Art. 304 ZGB handelt es sich nicht um öffentliches Recht. Die entsprechende Regelung findet aber auch bei öffentlich-rechtlichen Behandlungsverhältnissen Anwendung. Schutz der Persönlichkeit 3 Auf privatrechtliche Behandlungsverhältnisse kommen die Regelungen des Persönlichkeitsschutzes (Art. 27 ff. ZGB) zur Anwendung. Persönlichkeitsrechte sind absolute Rechte, gelten also gegenüber jedermann. Beim Begriff der Persönlichkeit handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von Lehre und Rechtsprechung durch Bildung von Fallgruppen laufend konkretisiert wird. Die Persönlichkeit umfasst u.a. die körperliche und geistige Integrität sowie das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Das Selbstbestimmungsrecht soll dem Patienten ermöglichen, nach eigenem, autonom gebildetem und unbeeinflusstem Willen zu handeln. Impfung als Eingriff in die Persönlichkeit 5.5 Jeder Eingriff in die körperliche Integrität stellt grundsätzlich eine widerrechtliche Persönlichkeitsverletzung dar (Art. 28 Abs. 1 ZGB), auch wenn dieser durch einen Arzt zu Heilungs- oder Präventionszwecken erfolgt. Mögliche Rechtfertigungsgründe (Art. 28 Abs. 2 ZGB) sind: Gesetz, überwiegendes öffentliches oder privates Interesse, Einwilligung des Verletzten. Bei einer Impfung wird eine Nadel in den menschlichen Körper eingeführt und eine kleine Menge des Krankheitserregers gespritzt, wodurch das körpereigene Immunsystem Abwehrzellen und Antikörper bilden soll. Dies ist ein widerrechtlicher Eingriff in die körperliche Integrität von Lisa. Gibt es Rechtfertigungsgründe? Gesetz: Impfempfehlung durch BAG und Kommission für Impffragen? Nein, es handelt sich lediglich um eine behördliche Empfehlung und kein

formelles Gesetz. In der Schweiz gibt es zudem keinen Impfzwang. Das Epidemiengesetz (Art. 22 EpG) sieht lediglich ein Obligatorium ohne Sanktionsmöglichkeiten vor. Privates oder öffentliches Interesse: Nicht ersichtlich. Es kommt also nur die Einwilligung des Verletzten in Frage. Selbstbestimmungsrecht als höchstpersönliches Recht 6 Das Selbstbestimmungsrecht als Teil der Persönlichkeitsrechte stellt ein höchstpersönliches Recht i.s.v. Art. 19c Abs. 1 ZGB dar. Relativ höchstpersönliche Rechte können auch von einem gesetzlichen Vertreter ausgeübt werden (Art. 19c Abs. 2 ZGB). Absolut höchstpersönliche Rechte sind so eng mit der Persönlichkeit verbunden, dass sie vertretungsfeindlich sind (Art. 19c Abs. 2 ZGB), auch wenn die betroffene Person urteilsunfähig ist. Nach der h.l. und Rechtsprechung ist das Recht, in eine medizinisch indizierte Behandlung einzuwilligen, die zu Heil-, Diagnostik- oder Präventionszwecken erfolgt ein relativ höchstpersönliches Recht. Ein absolut höchstpersönliches Recht liegt bei der Einwilligung in eine nicht medizinisch indizierte oder aufschiebbare Behandlung vor (Bspw. geschlechtsanpassende oder rein ästhetische Operation). Wichtiges Kriterium zur Unterscheidung zwischen absolut und relativ höchstpersönlichen Rechten ist demnach die medizinische Indikation. Medizinisch indiziert ist alles, was im gesundheitlichen Interesse einer Person liegt. Der Begriff des gesundheitlichen Interesses wird weit verstanden (nicht nur Heilbehandlungen, sondern auch allgemeine Aspekte von Gesundheit und Wohlbefinden). Für einen wirksamen Schutz gegen die Viren ist eine Impfung vor dem 15. Geburtstag und vor dem ersten Geschlechtsverkehr nötig. Lisa ist 13 und hat seit kurzem einen Freund. Auch wenn noch etwas Zeit verbleibt und sie als 13- jährige mit ihrem neuen Freund allenfalls nicht sofort Geschlechtsverkehr haben wird, ist die Impfung indiziert. Zudem wird die Impfung als Basisimpfung bis zum 14. Altersjahr empfohlen, welches Lisa bald erreicht. Die Zustimmung zu oder Ablehnung der HPV-Impfung ist somit ein relativ höchstpersönliches Recht und kann auch durch die Mutter von Lisa als gesetzliche Vertreterin vorgenommen werden, sollte Lisa urteilsunfähig sein. Eine andere Auffassung ist zwar ebenfalls vertretbar. Zu beachten ist dann aber folgendes: Das Kriterium der Aufschiebbarkeit hilft vorliegend nicht weiter, da präventive Massnahmen definitionsgemäss nicht zeitlich dringlich sind. Die Indikation einer präventiven Impfung kann folglich nicht am Kriterium der Aufschiebbarkeit scheitern, da andernfalls präventive Massnahmen nie medizinisch indiziert wären. Seite 2/6

Voraussetzungen einer gültigen Zustimmung 11.5 Eine rechtsgültige Einwilligung setzt zunächst eine umfassende Aufklärung durch den Arzt voraus. Zum Zeitpunkt der Aufklärung und der Einwilligung muss die betroffene Person urteilsfähig sein. Urteilsfähigkeit (Art. 16 ZGB): Umfasst eine intellektuelle Komponente (Willensbildungsfähigkeit; eine bestimmte Situation verstehen und darüber einen Willen bilden zu können) und eine voluntative Komponente (Willensumsetzungsfähigkeit; sich nach seinem Willen auch entgegen fremder Einflussnahme verhalten zu können). Bei Kindern wird grundsätzlich Urteilsunfähigkeit vermutet. Die Urteilsfähigkeit ist sachlich und zeitlich relativ und muss im Hinblick auf eine bestimmte Person, ein konkretes Rechtsgeschäft und zu einem bestimmten Zeitpunkt beurteilt werden. Es gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip: In Bezug auf ein bestimmtes Rechtsgeschäft ist man entweder voll urteilsfähig oder gänzlich urteilsunfähig. Bei der Beurteilung der Urteilsfähigkeit bestehen keine fixen Altersgrenzen. Aufgrund einer objektiv beziehungsweise in medizinischer Hinsicht unvernünftigen Entscheidung darf nicht ohne weiteres auf Urteilsunfähigkeit geschlossen werden. Die Beurteilung der Urteilsfähigkeit obliegt dem Arzt. Um selbstbestimmt einwilligen zu können, muss der Patient insbesondere in der Lage sein die Nebenwirkungen, Konsequenzen eines Behandlungsverzichts, Behandlungsalternativen und wirtschaftlichen Folgen eines Eingriffs zu verstehen und sich diesbezüglich einen eigenen Willen zu bilden. Deshalb muss der Arzt über diese Aspekte (Nebenwirkungen, Konsequenzen eines Behandlungsverzichts, Behandlungsalternativen, wirtschaftliche Folgen) umfassend aufklären. Hinweis: Entsprechende Ausführungen wurden nur einmal bepunktet, entweder im Rahmen der Erörterungen zur Urteilsfähigkeit oder der Aufklärungspflicht des Arztes. Zudem muss dem Patienten eine angemessene Bedenkzeit belassen werden, weshalb die Aufklärung eine gewisse Zeit vor dem Eingriff erfolgen soll. Die Einwilligung ist formlos möglich. Bei leichten Eingriffen kann gar konkludent eingewilligt werden. Andernfalls hat die Einwilligung ausdrücklich zu erfolgen. Schriftlichkeit wird nur bei spezialgesetzlicher Grundlage verlangt. Lisa ist 13-jährig womit grundsätzlich ihre Urteilsunfähigkeit vermutet wird. Es muss allerdings geprüft werden, ob sie in Bezug auf die Einwilligung in die HPV-Impfung urteilsfähig ist und somit alleine entscheiden kann. Der Gynäkologe muss eine Einzelfallprüfung vornehmen. Seite 3/6

Fraglich ist vorliegend, ob Lisa die Willensbildungsfähigkeit besitzt, die Vorund Nachteile der Impfung (z.b. Ansteckungsgefahr, Gefahr an Krebs zu erkranken, Risiken der Impfung) voll zu verstehen, und ob sich ihre Ablehnung daraus ergibt. Oder ob sie sich z.b. durch eine Angst vor Spritzen oder die Meinung einer Freundin beeinflussen lässt, oder gar aus einer Trotzhaltung gegenüber der Mutter handelt (Willensumsetzungsfähigkeit). Es kommt stark auf Lisa als Person und ihre Reife an. Grds. sind heute 13-jährige wohl besser aufgeklärt und i.d.r. reifer als früher. Das generelle Konzept einer Impfung, dass diese aber auch Risiken mitbringen und die grosse Gefahr, die von Krebserkrankungen ausgehen kann, dürften für eine 13-jährige wohl verständlich sein. Allerdings ist doch fraglich, ob eine 13-jährige alle Konsequenzen der Impfung/Nicht-Impfung verstehen kann; insbesondere Wahrscheinlichkeitsangaben über Risiken-Nutzen sind selbst für Erwachsene schwierig zu verstehen. Hinweis: Die Urteilsfähigkeit von Lisa kann sowohl bejaht als auch verneint werden. Von den Studierenden wurde erwartet, dass sie die Problematik der Urteilsfähigkeit erkennen und anhand theoretischer Ausführungen sowie der Angaben im Sachverhalt die Rechtslage im konkreten Fall aufzeigen und eine eigene Meinung darlegen. Vorliegend muss der Gynäkologe insbesondere aufklären über: den Vorgang der Impfung selber; dass die Schutzwirkung am grössten ist, wenn vor dem 15. Geburtstag und vor dem ersten Geschlechtsverkehr geimpft wird; die möglichen Risiken und Nebenwirkungen; die Tatsache, dass auch mit der Impfung kein absoluter Schutz besteht (Impfung schützt nicht vor allen HPV Typen); über die Gefahr des Gebärmutterhalskrebses im Fall einer Nichtimpfung; darüber, dass die Kosten von der Grundversicherung übernommen werden. Variante 1 (Lisa ist urteilsfähig.) Alleinentscheidungskompetenz von Lisa 3 Der Patient darf innerhalb der Schranken der Einwilligung auch objektiv unvernünftige Entscheidungen treffen. Schranken der Einwilligung bilden etwa Art. 20 OR und Art. 27 ZGB. Die Einwilligung in die eigene Tötung oder eine schwere Körperverletzung ohne objektiv positiven Zweck sind nicht erlaubt. Handelt der Arzt gegen den Willen des urteilsfähigen Patienten, kann er möglicherweise haftungs- und strafrechtlich belangt werden, selbst wenn er lege artis handelt. Entscheidet der Gynäkologe, dass Lisa urteilsfähig ist, hat er ihrer Meinung zu folgen. Die Meinung der Mutter muss unbeachtet bleiben. Seite 4/6

Variante 2 (Lisa ist urteilsunfähig.) Vertretungsberechtigung der Mutter 3 Entscheidet der Gynäkologe gegen die Urteilsfähigkeit von Lisa, ist ihre Mutter verpflichtet und berechtigt, Lisa zu vertreten (Art. 304 Abs. 1 ZGB). Hinweis: Das Erwachsenenschutzrecht (insb. Art. 378 Abs. 1 Ziff. 6 ZGB) findet auf den vorliegenden Fall offensichtlich keine Anwendung, da es um die Vertretung einer Minderjährigen geht. Sie ist dabei an das Kindeswohl (Art. 301 Abs. 1 ZGB) gebunden. Hinweis: Ausführungen zum Begriff und Inhalt des Kindeswohls wurden nicht bewertet. Urteilsunfähige Patienten haben aber immerhin ein Anhörungs- und Mitspracherecht und sind soweit möglich in die Entscheidfindung miteinzubeziehen (Art. 301 Abs. 2 ZGB, Art. 6 Abs. 2 Biomedizinkonvention, Art. 12 KRK). Hinweis: Das Erwachsenenschutzrecht (insb. Art. 378 Abs. 3 ZGB) findet auf den vorliegenden Fall offensichtlich keine Anwendung. Dem Willen des Kindes kommt mit zunehmendem Alter und zunehmender Reife ein immer grösseres Gewicht zu. Die Punkte können alternativ vergeben werden. Insgesamt können für Ausführungen darüber, wer den Entscheid treffen kann, max. 3 Punkte vergeben werden. Eine vom BAG empfohlene Impfung liegt ohne weiteres im Kindeswohl und die Mutter kann die Impfung verlangen: Die Mutter kann in die Impfung rechtsgültig einwilligen und diese anordnen. Eine Durchführung der Impfung mittels Zwang kommt allerdings nicht in Betracht. Bei kontinuierlicher Verweigerung der Impfung könnte ein klärendes, vermittelndes Gespräch mit Lisa gesucht werden. Als 13-jährige hat Lisa ein Mitspracherecht, welchem bereits ein erhebliches Gewicht zukommen sollte. Inwieweit der Arzt diesen Willen berücksichtigt, hängt wiederum von seiner persönlichen Einschätzung über Lisa ab und liegt in seiner Entscheidung. Total Punkte Aufgabe 1 30 Für weitere gute Ausführungen wurden max. 2 Zusatzpunkte verteilt. + 2 ZP Seite 5/6

Aufgabe 2 (40%) 20 Punkte Aufgabe 2 Diskussion um das Kommerzialisierungsverbot in der Transplantations- und Fortpflanzungsmedizin Punkte Die Frage war in Form eines Essays zu beantworten. Eine Musterlösung wurde daher nicht erstellt, zumal von den Studierenden verlangt wurde, auch eigene Gedanken und Meinungen über das Kommerzialisierungsverbot darzulegen. Es konnten insgesamt 20 Punkte erzielt werden, dabei wurden die Nennung der einschlägigen gesetzlichen Grundlagen und die Diskussion um Hintergründe, Inhalt, Grenzen, Sinn und Unsinn des Verbots berücksichtigt. Neben den inhaltlichen Aussagen wurden auch Aufbau und Eigenleistung der Ausführungen beachtet. Total Punkte Aufgabe 2 20 Punkteverteilung Aufgabe 1 30 Aufgabe 2 20 max. Zusatzpunkte Aufgabe 1 2 Total 52 Seite 6/6