Die ärztliche Aufklärungspflicht
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- Leopold Förstner
- vor 6 Jahren
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1 Die ärztliche Aufklärungspflicht 1. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten Gemäss Art. 55 der Spitalorganisationsverordnung sind Ärzte und Pflegepersonal verpflichtet, die persönliche Freiheit des Patienten zu wahren und seine Privatsphäre zu schützen, soweit es die Umstände zulassen. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist Ausfluss des Rechtes auf persönliche Freiheit. Zum Selbstbestimmungsrecht gehört die Freiheit eines jeden, ihn selbst betreffende Entscheidungen allein zu fällen und über das Rechtsgut der körperlichen Integrität allein zu verfügen. 2. Der medizinische Eingriff als Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechtes / Einwilligung Jeder medizinische Eingriff tangiert die körperliche Integrität. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist ein "lege artis" durchgeführter Heileingriff eine Körperverletzung, die eines Rechtfertigungsgrundes bedarf. Primärer Rechtfertigungsgrund ist die Einwilligung des Patienten; diese setzt eine umfassende Aufklärung voraus. Operationen bedürfen grundsätzlich der ausdrücklichen Einwilligung des urteilsfähigen Patienten oder des gesetzlichen Vertreters. Im Falle eines operativen Eingriffs ohne die klare Einwilligung des Patienten (z.b. beim Patienten, der infolge Bewusstlosigkeit urteils-unfähig ist), ist auf den hypothetischen Willen des Patienten über die Vornahme eines Eingriffs zu entscheiden. Sofern die Zeit zur Anhörung Angehöriger oder dem Patienten nahe verbundener Personen ausreicht, sind diese über die Präferenzen des Patienten zu befragen. Dabei ist zu beachten, dass die Angehörigen nicht etwa Einwilligungsträger sind, sondern nur Auskunftspersonen zur Erhellung des mutmasslichen Willens des Patienten. Ist die Ermittlung des hypothetischen Willens des Patienten z.b. durch Befragen von Angehörigen, aus zeitlichen Gründen nicht möglich, und sind auch sonst keine Indizien vorhanden, aus welchen auf denselben geschlossen werden könnte, so darf der Arzt darauf abstellen, was ein vernünftiger Mensch unter den konkreten Umständen gewollt hätte. Zu respektieren ist jedenfalls ein dem Arzt z.b. aufgrund einer Patientenverfügung bekannter Wille des Patienten. Seite 1 von 5
2 Einen weiteren Rechtfertigungsgrund formuliert Art. 57 der Spitalorganisationsverordnung: Untersuchung, Behandlung und Pflege gegen den erklärten Willen des urteilsfähigen Patienten oder des gesetzlichen Vertreters eines urteilsunfähigen Patienten sind nur zulässig, wenn eine unmittelbare Lebensgefahr nicht anders abgewendet werden kann. Vorbehalten bleibt auch die zwangsweise Untersuchung, Behandlung und Pflege von Patienten, die nach den Vorschriften über die fürsorgerische Freiheitsentziehung eingewiesen werden. Medizinische Eingriffe an Unmündigen bedürfen grundsätzlich der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Eine Einwilligung ist gemäss Art. 58 der Spitalorganisationsverordnung jedoch nicht erforderlich, wenn ihre Einholung für den Unmündigen unzumutbare Folgen hat, oder eine unmittelbare Lebensgefahr nicht anders abgewendet werden kann. 3. Rechtliche Grundlagen der Aufklärungspflicht Wie das Bundesgericht in zahlreichen Entscheiden festgehalten hat, gründet das Erfordernis der Einwilligung des Patienten und der damit verbundene Aufklärungsanspruch in dessen allgemeinen Persönlichkeitsrechten und dem Schutz der Willensfreiheit, dem Selbstbestimmungsrecht und dient der körperlichen Integrität des Patienten. Der Patient hat gemäss Art. 56 der Spitalorganisationsverordnung Anspruch auf Aufklärung über Diagnose, Behandlungsplan und Risiken. Die Aufklärung kann darnach verweigert werden, soweit sie geeignet ist, den Patienten übermässig zu belasten und in Notfällen, wenn eine Verzögerung der Behandlung den Patienten gefährdet. Privatrechtlich hat die Aufklärungspflicht ihre Grundlage in den Sorgfalts- und Treuepflichten, die in Art. 398 OR fixiert sind. Der Arzt hat seine diesbezüglichen Pflichten nur dann erfüllt, wenn er seinem Patienten all diejenigen Informationen zukommen lässt, die es ihm ermöglichen, sein Selbstbestimmungsrecht in angemessener Weise zu wahren. Daraus ergibt sich, dass der beauftragte Arzt die zur Entscheidung notwendigen Informationen von sich aus geben muss, d.h., dass er den Patienten unaufgefordert aufklären muss. 4. Arten und Ziele der Aufklärung a. Generelle Aufklärungspflicht Die Aufklärung dient der Vorbereitung einer Behandlung (Eingriffsaufklärung), der Bewusstbarmachung des Risikos (Risikoaufklärung), der Unterstützung einer Behandlung (therapeutische Aufklärung) und der Orientierung über die wirtschaftlichen Aspekte. Seite 2 von 5
3 b. Die Eingriffsaufklärung Dem Patienten soll mit der Aufklärung die Möglichkeit gegeben werden, sein Selbstbestimmungsrecht auszuüben. Beratung und Aufklärung des Patienten dürfen somit nicht dazu führen, dass ihm die Entscheidungsfreiheit praktisch abgenommen wird. Der Patient muss über Alternativen im weitesten Sinne informiert werden, damit ihm eine entsprechende Entscheidungsfreiheit ermöglicht wird. Mit der Diagnoseaufklärung erläutert der Arzt dem Patienten den Befund und dessen Bedeutung. Sie hat in einer Art und Weise zu erfolgen, die den intellektuellen Fähigkeiten des Patienten entspricht. Aus therapeutischen Gründen kann es angezeigt sein, mit belastenden Begriffen (Karzinom, Krebs) vorsichtig und zurückhaltend umzugehen. Verdachtsdiagnosen müssen im Rahmen der Eingriffsaufklärung nicht abgegeben werden, denn bevorstehende Eingriffe sollen ja gerade nicht auf einer unsicheren oder gar Verdachtsdiagnose beruhen, sondern Massnahmen sein, deren Notwendigkeit sich aufgrund einer gesicherten Diagnose ergibt. Nach Bekanntgabe der Diagnose hat der Arzt den Patienten über den Verlauf und die Auswirkungen des beabsichtigten Eingriffs zu orientieren. Dazu gehört vorerst die aus der Diagnose abgeleitete Prognose über die weitere Entwicklung, sofern kein Eingriff vorgenommen wird. In der Folge hat der Arzt den Ablauf des Eingriffs und seine Wirkung zu erläutern. Dabei kann er sich auf die Grundlagen und die wesentlichen Elemente beschränken, muss aber immer beachten, dass die Perspektive des Patienten eine andere ist als die des Arztes. Im Weiteren ist der Patient über die Eingriffsfolgen wie Operationsnarben, Funktionseinbussen, Unfruchtbarkeit infolge einer Gebärmutterentfernung, Haarausfall als Folge einer Chemotherapie, aber auch über Belastungen durch postoperative Nachbehandlungen zu informieren. c. Die Risikoaufklärung Komplikationen können bei der medizinischen Behandlung auftreten, obwohl der Arzt lege artis gehandelt hat. Erreichen sie eine bestimmte Häufigkeit, so spricht man von typischen Risiken eines Eingriffs. Typisch in diesem Sinne sind etwa Thrombosen, Embolien oder Blutungen nach Operationen. Derartige Komplikationen sind geläufig und vielfach auch einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Deshalb muss der Arzt darüber in der Regel nicht speziell aufklären. Zum anderen gibt es typische und statistisch höhere Risiken, die weithin unbekannt sind. Diesfalls hat der Patient Anspruch auf Risikoaufklärung, doch ist problematisch, wo die Grenze zu ziehen ist. Risikoprozente können dem Arzt als Beurteilungsfaktor dienen. Sie können zur Verdeutlichung herangezogen werden, gehören in der Regel jedoch nicht zum Inhalt der Aufklärung. Immerhin hat das Bundesgericht in einem neueren Entscheid festgehalten, dass der Patient in Fällen, in denen die Erfolgsaussichten mit einem enormen Risiko verbunden seien, Anspruch auf Angabe einer ungefähren prozentualen Erfolgschance habe. Seite 3 von 5
4 Massstab der Aufklärungspflicht ist das individuelle Informationsbedürfnis des jeweiligen Patienten. Nicht der "verständige Patient" kann als Massstab gelten, sondern der zu behandelnde individuelle Mensch in der konkreten Situation. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes ist der Arzt verpflichtet, den Patienten über Art und Risiken der in Aussicht genommenen Behandlungsmethoden aufzuklären, es sei denn, es handle sich um alltägliche Massnahmen, die keine besondere Gefahr und keine endgültige oder länger dauernde Beeinträchtigung der körperlichen Integrität mit sich bringen. Der Patient soll über den Eingriff und die Behandlung soweit unterrichtet sein, dass er seine Einwilligung in Kenntnis der Sachlage abgeben kann. Aus dem Zweck der Aufklärung ergibt sich die Notwendigkeit der Aufklärung über Alternativen zu dem vom Arzt vorgeschlagenen Eingriff. Um eine solche Entscheidung zu ermöglichen, müssen insbesondere die Risiken der verschiedenen Eingriffe, aber auch die ev. unterschiedlichen Erfolgsaussichten erläutert werden. Von der Entscheidung über alternative Behandlungsmethoden ist die Wahl der richtigen Behandlungsmethode zu unterscheiden. Sie steht als medizinische Fachfrage allein dem Arzt zu. Hält der Arzt eine Behandlungsmethode im konkreten Fall für ungeeignet, so kommt sie als Alternativmethode nicht mehr in Betracht, weshalb über diese Möglichkeit auch nicht aufgeklärt werden muss. Eine allzu extensive und detaillierte Information kann jedoch auch zur Überinformation und damit zur Desinformation werden, so dass der Aufklärungsbedarf überhaupt nicht befriedigt wird, weil der Informationsempfänger die Informationsflut gar nicht verarbeiten kann. Hieraus ist der allgemeine Grundsatz entwickelt worden, dass die Information so gestaltet und begrenzt werden muss, dass der Empfänger sie verarbeiten kann. Die Aufklärung darf, wie das Bundesgericht festhält, keinen für die Gesundheit des Patienten schädlichen Angstzustand hervorrufen. Wenn aufgrund der Konstitution des Patienten die Offenbarung einer deprimierenden Diagnose oder hoher Risiken dazu führt, dass die Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt oder gar ausgeschlossen ist, dann hat eine solche Aufklärung zu unterbleiben. Der Arzt kann und darf somit einer an sich bestehenden Aufklärungspflicht dann nicht nachkommen, wenn deren Erfüllung sich als kontraproduktiv erweisen würde. Die Schonungslosigkeit der Aufklärung findet deshalb dort ihre Grenze, wo sie nicht mehr dem Schutz des Selbstbestimmungsrechtes dient, sondern dazu führt, dass der Patient durch Angstzustände oder Resignation in den Entfaltungsmöglichkeiten seines Selbstbestimmungsrechtes eingeschränkt wird. d. Die therapeutische Aufklärung Unter therapeutischer Aufklärung versteht man die Gesamtheit aller Informationen, mit welchen der Patient zu einem dem Heilerfolg dienenden und allfälligen Nebenfolgen angepassten Verhalten veranlasst wird. Diese Aufklärung ist Teil der ärztlichen Heilbehandlung und erfolgt durch Mitteilung von Verhaltensregeln. Dazu gehört der Hinweis auf pünktliche und richtige Einnahme Seite 4 von 5
5 der Medikamente, der Rat zu schonender Lebensweise oder Einhaltung einer Diät usw. Von praktischer Bedeutung im Rahmen der Gefahrenabwehr ist der Hinweis auf mögliche Risiken, die die Benutzung eines Motorfahrzeuges im Anschluss an eine Behandlung oder bei der Einnahme von bestimmten Medikamenten mit sich bringen kann. Kommt der Arzt seiner Pflicht zur Sicherungsaufklärung nicht nach, liegt ein eigentlicher Behandlungsfehler vor. e. Die Aufklärung über die wirtschaftlichen Aspekte Wie das Bundesgericht in einem neueren Entscheid ausführt, hat der Arzt auch eine wirtschaftliche Aufklärungspflicht. Auszugehen ist dabei vom Grundsatz, dass sich der Patient zulasten der Krankenkasse behandeln lassen will. Es obliegt dem Arzt, den Patienten darauf aufmerksam zu machen, wenn er weiss, dass eine Behandlung, ein Eingriff oder sein Honorar von der Krankenkasse nicht gedeckt wird. Eine solche Aufklärungspflicht besteht schon, wenn der Arzt darüber im Zweifel ist oder, nach vorgängiger zumutbarer Orientierung, im Zweifel sein muss. Ist der Arzt nicht in der Lage, bezüglich der Kostentragung eine genaue Antwort zu geben, muss er seine Unkenntnis oder Zweifel dem Patienten zugeben und ihm raten, sich vor der Behandlung oder dem Eingriff bei der Krankenkasse zu informieren oder er muss direkt mit ihr Kontakt aufnehmen. Die Respektierung der wirtschaftlichen Aufklärungspflicht ist umso strenger zu beurteilen, je höher die Kosten sind. P. Bürki, Sekretär der Ärztegesellschaft des Kantons St.Gallen Seite 5 von 5
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