Bisherige Erfahrungen mit Health Technology Assessment und gesundheitspolitische Überlegungen in der Schweiz Ökonomisierung der Medizin Symposium 2012 Bern, 5. Juli 2012 Sandra Schneider, lic. iur. RA stv. Leiterin des Direktionsbereichs Kranken- und Unfallversicherung, Bundesamt für Gesundheit 1
Bedeutungen von HTA Systematische Bewertung kurz- und langfristiger Konsequenzen medizinischer Prozesse und Verfahren Ausrichtung auf Entscheidungsfindung Multidisziplinärer, umfassender Ansatz Vorgegebener korrekter Prozess Systematische Recherche und Zusammenstellung der verfügbaren wissenschaftlichen Informationen Wirksamkeit und Kosten-Wirksamkeit einer Intervention Wissenschaftlicher nachvollziehbarer Report 2
Ausgangslage 3
Entscheidungskontext Kein nationales Gesundheitssystem geteilte Verantwortung Keine budgetären Eckwerte keine zentrale Ressourcenallokation 4
Gesundheitssystem Nationales, obligatorisches Versicherungssystem (KVG) Rückvergütung der Leistungen im Krankheitsfall umfassende zweckmässige medizinische Versorgung Kantonale Versorgungssysteme Solidarische Finanzierung Versicherer bzw. Prämienzahler Kantone: Ko-Finanzierung der Spitalbehandlungen Versicherte bzw. Patienten: Kostenbeteiligung Kantone und Bund: Prämienverbilligung 5
Krankenversicherungsgesetz Schliessung von Lücken im Leistungskatalog Solidarität wiederherstellen Kosteneindämmung 6
Definition Leistungskatalog I In allgemeiner Form durch den Gesetzgeber, z. B. Leistungen, die der Diagnose und Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen (Art. 25 KVG) Leistungen der medizinischen Prävention (Art. 26 KVG) Leistungen bei Mutterschaft (Art. 28 KVG) Im Detail durch den Verordnungsgeber (Bundesrat, Departement) oder das BAG (Art. 33 und 52 KVG) Einheitlicher Leistungskatalog für alle Versicherten 7
Definition Leistungskatalog II Offener Leistungskatalog für nicht umstrittene ärztliche und chiropraktische Leistungen Geschlossener Leistungskatalog (Positiv-/ Negativlisten) für alle angeordneten Leistungen Leistungen nichtärztlicher Therapeuten/innen und der Pflege Arzneimittel Analysen, Mittel und Gegenstände ärztliche Präventionsmassnahmen und Mutterschaftsleistungen für ärztlichen und chiropraktischen Leistungen nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen vergütet Formeller Entscheid nur über einen Teil der Leistungen 8
Definition Leistungskatalog III Rahmen durch KVG vorgegeben umfassende, zweckmässige medizinische Versorgung Antragssystem für die Aufnahme neuer Leistungen im gesetzlich vorgegebenen Rahmen Entscheidungsinstanzen stützen sich auf drei beratende Fachkommissionen massgebliche Kreise entweder als ständige Mitglieder oder auf Einladung vertreten Impuls zur Entwicklung erfolgt durch Basis Gesetzlich vorgegebener und breit abgestützter Prozess 9
Leistungsvoraussetzungen I Wirksamkeit (efficacy / effectiveness) Zweckmässigkeit (comparative effectiveness / benefit-risk-ratio) Wirtschaftlichkeit (price level / cost impact / costeffectiveness) WZW-Kriterien 10
Leistungsvoraussetzungen II Massgebend für: Bestimmung und Überprüfung einzelner Leistungen oder ganzer Leistungsbereiche (Art. 32 KVG) Beschränkungen der Menge und Indikationen sowie Festsetzung von Qualitätsanforderungen Einsatz der Mittel im Einzelfall (Art. 56 KVG) Angemessenheit Sicherstellung des zielgerichteten Mitteleinsatzes im solidarisch finanzierten Zwangsversicherungssystem 11
Weiterentwicklung Leistungskatalog Garantierter Zugang zu Innovationen wo für Behandlung einer Krankheit sinnvoll Ständiger Prozess der Ausgestaltung welche Leistungen sind zu finanzieren Umfassender Leistungskatalog Kritik gegen unangemessene Leistungen in Einzelfällen Erhöhung der Qualität und Angemessenheit der Leistungen ohne ungerechtfertigte Ausdünnung 12
Herausforderungen Bund / Fachkommissionen Überprüfung einzelner Leistungen oder ganzer Leistungsbereiche insbesondere auf Kosten-Wirksamkeit (HTA) Revision der Tarife (AL und ALT), Preise (SL) und Höchstvergütungsbeträge / HVB (MiGeL) Publikation von Assessment-Berichten und Practice Guidelines Leistungserbringer Entwicklung von Definitionen und Practice Guidelines Versicherer Weiterentwicklung der Wirtschaftlichkeitsprüfung Tarifpartner Weiterentwicklung der Tarifvereinbarungen Versicherte bzw. Patienten Information und Eigenverantwortung 13
Konkrete Anwendung 14
Zweistufiges Antragsverfahren Meldeformular Klärung, ob Antrag erforderlich Zuweisung zum optimalen Antragsprozess Festlegung, welche Module benötigt Antragsformular Raster und Anleitung Erstellung aller erforderlichen Informationen methodische Vorgaben für Informationssynthese Modularer Aufbau Teile sind für alle Arten von Leistungen identisch, andere spezifisch Komparativer Ansatz Darstellung von WZW im Vergleich zur heutigen Praxis ( Komparator ) 15
Antragsdokumentation Frühzeitige Einschätzung von Sicherheit, Wirksamkeit, Bedarf und Kosten-Wirksamkeit einer Innovation 16
Heutiges HTA-System Zusammenfassung und standardisierte Beurteilung durch BAG Internationale Netzwerke Euroscan, INAHTA, EUnetHTA, EuSANH Ev. externe Literaturreview SNHTA oder internationale Netzwerke Ev. externe ökonomische Review SNHTA oder internationale Netzwerke Bewertung durch beratende Fachkommission Standardisierter vorgegebener Entscheidungsprozess 17
Verfahrensablauf Assessment: Informationssynthese transparente, nachvollziehbare Beurteilung (Antrag + Review durch Einheit) Appraisal: Empfehlung Bewertung unter Berücksichtigung der regionalen / nationalen Rahmenbedingungen durch Fachkommission Decision: Entscheid Verordnungsanpassung durch Eidg. Departement des Innern (EDI) 18
Assessment-Raster Burden of disease Rechtliche, ethische und gesellschaftliche Aspekte Efficacy (Studien-Wirksamkeit) Effectiveness (Alltagswirksamkeit) Sicherheit, Risiken Fragen der Umsetzung Kosten der einzelnen Leistung, Mengengerüst, Kostenfolgen Cost-Effectiveness anhand der Literatur nur in Ausnahmefällen anhand von eigens verlangten Cost- Effectiveness-Studien 19
Aktuelle Entwicklungen 20
Review des HTA-Systems Inspektion «Bestimmung und Überprüfung ärztlicher Leistungen in der obligatorischen Krankenversicherung» Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle (PVK) vom 21. August 2008 Empfehlungen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) vom 26. Januar 2009 Stellungnahme des Bundesrates vom 24. Juni 2009 21
GPK-Empfehlungen Stärkung der Voraussetzungen des Vertrauensprinzips Umgang mit Innovationen flexibel und differenziert Beibehaltung des Antragsprinzips sachorientiert und vergleichsweise rasch 22
Umsetzung GPK-Empfehlungen Budgeteingaben Konzept zur Stärkung der Früherkennung Kriterien zur Priorisierung Lancierung eines HTA-Programms Externe Reviews Operationalisierung der WZW-Kriterien Erstellung eines Arbeitsdokuments, vorläufig intern und ohne zusätzliche Ressourcen Diskussion Bedeutung hinsichtlich der analogen Prozesse für Arzneimittel, Analysen sowie Mittel und Gegenstände 23
Nationale HTA-Landschaft I Verein Medical Board von GDK, FMH, SAMW Empfehlungen zuhanden von Entscheidungsträgern und Leistungserbringern Projekt SwissHTA von santésuisse und Interpharma Konsensuspapier zur Anwendung von HTA unter Einschluss gesundheitsökonomischer Evaluationen Umsetzung GPK-Empfehlungen durch Bund Koordination unter Federführung des Bundes 24
Nationale HTA-Landschaft II Zwei von Bundesrat und beiden Räten zur Annahme beantragte Motionen der ständerätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit der FDP-Liberalen Fraktion Schaffung einer nationalen HTA-Agentur 25
Qualität - Vision des Bundes Der Bund will - eine hohe Qualität in der ambulanten und der stationären Gesundheitsversorgung - zu angemessenen und für die ganze Bevölkerung tragbaren Kosten. Nationale Qualitätsstrategie 26
Umsetzung Qualitätstrategie Der Bund übernimmt in der Qualitätssicherung die führende Rolle und sorgt unter Beachtung der heutigen und möglicher neuer Aufgabenteilung für eine klare und eindeutige Rollenverteilung, welche die Zuständigkeiten, Verantwortungsbereiche und die Koordination zwischen den Akteuren (Bund Kantone Versicherer Leistungserbringer andere) regelt. Erarbeitung der rechtlichen Grundlagen 27
Nationale Qualitätsprogramme Zielsetzung Breite Verbesserung von Qualität und Patientensicherheit bei nachgewiesenen qualitätsrelevanten Problembereichen Methode Ansatz beim Leistungserbringungsprozess Sensibilisierung, Schulung, Prozessverbesserung basierend auf international vorhandenen Modellen Themen des nationalen Qualitätsprogramms 2012-2014 Reduktion der nosokomialen Infekte Verbesserung der Medikationssicherheit Erhöhung der Sicherheit von invasiven Interventionen 28