Chancengleichheit als Ziel Gute Praxis im Fallmanagement unter Berücksichtigung der Zielgruppe der Alleinerziehenden im SGB II Bad Hamm, 28. Oktober 2009 Prof. Dr. Claus Reis, FH Frankfurt, Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Gliederung Problemaufriss: Alleinerziehende im SGB II Was ist Fallmanagement? Netzwerkmanagement als Voraussetzung und Bestandteil von Fallmanagement Was ist gutes Fallmanagement?
1. Problemaufriss: Alleinerziehende im SGB II Prof. Dr. Claus Reis, FH Frankfurt, Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Überwiegender Lebensunterhalt von Alleinerziehenden und Müttern in Paarhaushalten
Schlaglichter auf Ergebnisse empirischer Untersuchungen Alleinerziehende sind nicht per se "problembeladene" Personen - aber: paradoxes Nebeneinander von "Normalität" und "Prekarität" Der Anteil der alleinerziehenden Frauen, die erwerbtätig sind, ist vergleichbar mit der Vergleichsgruppe der Mütter, die in Paarbeziehungen leben Alleinerziehende Frauen arbeiten weit häufiger Vollzeit als Mütter in Paarhaushalten - aber: starke Abhängigkeit der Erwerbsbeteiligung vom Alter der Kinder und den Möglichkeiten der Kinderbetreuung Alleinerziehende haben einen hohen Drang nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit, gleichwohl spüren sie die Belastungen der Vereinbarkeit
Alleinerziehende im SGB II - eine heterogene Gruppe "Aufstockerinnen", d.h. Frauen, die wegen eines geringen Erwerbseinkommens ALG II beziehen. Nicht-Erwerbstätige, die ohne eigenes Erwerbseinkommen AlG II-Leistungen beziehen.
Charakteristika der Alleinerziehendengruppen mit ALG-II-Bezug
Bedarfslagen Alleinerziehender Arbeit Berufs(wieder)einstieg Existenzsichernde Arbeit Vereinbarkeit von Beruf und Familie Qualifikation Berufsvorbereitung Ausbildung Weiterbildung Vereinbarkeit Bildung/Familie Sicherung der Existenzgrundlage Gesundheit Physische Gesundheit Psychische Gesundheit Suchtprävention, Suchtbearbeitung Soziale Integration Materielle Sicherung Entschuldung Haushaltsführung Bearbeitung sozialer Isolation Spracherwerb Kinder(betreuung) Flexibilität Qualität (Standards) Kostengestaltung Absicherung kritischer Ereignisse Unterstützung bei der Erziehung
Lebens- und Arbeitssituation von AE sehr heterogene Zielgruppe komplexe Bedarfslage Interventionsperspektiven müssen über arbeitsmarktpolitische Perspektive hinausgehen und Lebenswelt fokussieren, um arbeitsmarktpolitisch wirksam zu werden wesentliche Bereiche sind neben Beschäftigung und Qualifizierung Kinderbetreuung, Erziehung, Gesundheit, Schuldenberatung u.a. auf lokaler Ebene sind vielfältige Angebote notwendig, um diesen Lebenssituationen gerecht zu werden Analysen zeigen: lokal teilweise kein Mangel an einzelnen Angeboten, vielmehr sind diese zu wenig koordiniert
Ein Qualitätssprung bei den Angeboten und Maßnahmen für AE im SGB II entsteht, wenn - die gesamte Lebenssituation im Blick ist, - die Angebote transparent und übersichtlich sind, - aufeinander abgestimmt sind, - miteinander inhaltlich und zeitlich koordiniert sind - verbindlich sind.
2. Was ist Fallmanagement? Historisches: Die Programmatik der Aktivierung und Case Management Prof. Dr. Claus Reis, FH Frankfurt, Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Die sieben Kriterien des CM Over time Across services Ganzheitliche Sichtweise Dynamischer Prozess Integriertes Hilfesystem Zielorientierung Qualitätsentwicklung und -sicherung
Vom Case Management zum Fallmanagement Seit Ende der 90er Jahre Adaption des Konzepts in der Sozialhilfe (vgl. Stadt Offenbach: 1997 Fallmanagement ) Systematisierung im Rahmen von Modellprogrammen des Landes NRW: Integrierte Hilfe zur Arbeit und Sozialagenturen Parallel: Bertelsmann-Stiftung (u. a. Modellcurriculum) 2002: Fallmanagement wird im Kommissionsbericht Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt skizziert, findet später aber keinen direkten Eingang ins SGB II 2004 Erste Empfehlungen des Deutschen Vereins 2009 erneute Empfehlungen des Deutschen Vereins
Definition Case Management Case Management ist ein kooperativer Prozess, in dem Versorgungsangebote und Dienstleistungen erhoben, geplant, implementiert, koordiniert, überwacht und evaluiert werden, um so den individuellen Versorgungsbedarf eines Kunden mittels Kommunikation und verfügbarer Ressourcen abzudecken (Case Management Society of America) FH Frankfurt - Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Systematisches: Was ist Case Management/ Fallmanagement? Prof. Dr. Claus Reis, FH Frankfurt, Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Der Ablauf des Case Managements Herstellen eines Arbeitsbündnisses (= Erstberatung, Intaking ) Zielorientiertes Erkennen von Problemlagen und Ressourcen (=Assessment) Mitwirkung bei der Steuerung des Leistungsangebotes (= Angebotssteuerung) Steuerung der Leistungserbringung (= Linking ) Erarbeitung von Zielvereinbarungen und Hilfeplänen (= Service Planung ) FH Frankfurt - Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Die vier systematischen Ebenen des Case/ Fallmanagements 1 Die Koordinationsmethodologie, die einzelne Prozessschritte systematisch aufeinander bezieht. Die auf den Einzelfall bezogene faktische Koordinationsleistung, die über einen gewissen Zeitraum hinweg ein bestehendes Angebot an Dienstleistungen zusammenfasst und steuert. Die Interaktion mit den Leistungsadressatinnen und adressaten, die notwendig ist, um Bedarfe erkennen zu können, Ziele zu vereinbaren und Hilfepläne entwerfen zu können (= Beratung). Die einzelfallübergreifende Angebotssteuerung, die erforderlich ist, damit die im Einzelfall benötigten Leistungen auch verfügbar sind, wenn sie benötigt werden (=Netzwerksteuerung).
Angebotssteuerung Die vier systematischen Ebenen des Case/ Fallmanagements 2 Beratung Intensität ist arbeitsfeldspezifisch Koordinationsleistung Koordinationsmethodologie
Bedarfsanalyse Bestandsanalyse Politischer Kontext Organisationaler Kontext Setzung strategischer Ziele Beratung Assessment Wirkungsanalyse/Controlling Angebotssteuerung Angebotsentwicklung Zielvereinbarung Hilfeplanung Leistungssteuerung Monitoring Vollständiger Prozess des Case Managements
3. Netzwerkmanagement als Voraussetzung von Fallmanagement Prof. Dr. Claus Reis, FH Frankfurt, Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Netzwerktypen (nach Funktionen) Informationsnetzwerke Produktionsnetzwerke = Verknüpfung der Dienstleistungen einzelner Akteure zu einer potenziellen Leistungskette Fallbezogene oder Projektbezogene Netzwerke = Kooperation einzelner Akteure im Rahmen einer zeitlich befristeten gemeinsamen Aufgabe
Beispiel für ein Produktionsnetzwerk IHK Mehrgenerationenhaus Bildungsträger Schuldnerberatung Jugendamt SGB II- Einrichtung Beschäftigungsträger Kindertagesstätte Suchtberatung Institut für Stadt- und Regionalforschung Fachhochschule Frankfurt am Main Hebammen Ärzte
Beispiel für fallbezogene Netzwerke IHK Mehrgenerationenhaus Bildungsträger Schuldnerberatung Jugendamt SGB II- Einrichtung Beschäftigungsträger Kindertagesstätte Suchtberatung Institut für Stadt- und Regionalforschung Fachhochschule Frankfurt am Main Hebammen Ärzte
Zusammenspiel von Produktionsnetzwerk und fallbezogenen Netzwerken IHK Mehrgenerationenhaus Bildungsträger Schuldnerberatung Jugendamt SGB II- Einrichtung Beschäftigungsträger Kindertagesstätte Suchtberatung Institut für Stadt- und Regionalforschung Fachhochschule Frankfurt am Main Hebammen Ärzte
Was ist Steuerung? Durch Steuerung soll eine autonome Dynamik... gezielt verändert werden, sei es, dass eine bestimmte Struktur entgegen bestehender Veränderungstendenzen bewahrt, ein spontaner Wandlungsprozess umgelenkt oder auch eine aus sich heraus stabile Struktur verändert werden soll (Mayntz 1987: 94).
Bereiche der Netzwerksteuerung Verbindliche Regeln, wie in einem Netzwerk gehandelt werden soll; Kommunikationswege, d.h. Strukturen, die beachtet werden müssen, damit eine Entscheidung als Netzwerkentscheidung gelten kann; Personal, d.h. der Einsatz eines in bestimmter Weise qualifizierten und kompetenten Personals; Reziprozität, d. h. gegenseitiges Geben und Nehmen als Basis für Verlässlichkeit.
4. Was ist gutes Fallmanagement? Das (vielerorts) praktische Ungenügen des Fallmanagements im SGB II als eindringliche Warnung Prof. Dr. Claus Reis, FH Frankfurt, Institut für Stadt- und Regionalentwicklung
Bewertung des persönlichen Arbeitsumfeldes durch die Fachkräfte Angaben in Prozent, Mehrfachnennungen möglich trifft voll zu trifft überwiegend zu Abbildung C.1.3-9: zkt Vergleichs-ARGEn Getrennte Aufgabenwahrnehmung Stadt-ARGEn Kreis-ARGEn Es gibt Hilfe und Unterstützung im direkten Arbeitsumfeld 72 25 65 30 60 35 61 33 60 32 Sehr hohe Flexibilität/Engagement der Mitarbeiter/-innen 51 43 40 49 41 49 34 48 39 47 Sehr hohes fachliches Wissen der Mitarbeiter/-innen 33 59 20 64 15 64 16 60 18 61 Fachliches Wissen reicht für effektive/ fehlerfreie Arbeit voll und ganz aus 16 73 12 72 23 62 11 68 11 65 Reibungslose/r Zusammenarbeit/ Informationsaustausch zwischen Bereichen/Abteilungen 28 58 17 62 18 55 8 56 17 55 Information bzgl. eigener Tätigkeit erfolgt schnell und umfassend 18 58 16 59 20 58 12 54 12 52 Zeitnahe erforderliche Schulungen/Fortbildungen 14 48 8 42 8 44 6 36 6 37 Ausreichend Instrumente für optimale Betreuung 7 51 6 49 9 48 4 44 5 47 Eigenes Einkommen ist Aufgaben angemessen 6 38 7 36 6 32 7 35 6 32 Dokumentation von Kundendaten nimmt zu viel Zeit in Anspruch 32 28 28 30 25 31 28 31 31 28 Zeit für individuelle Betreuung fehlt 17 34 24 33 19 39 26 34 26 32 0% 100% 0% 100% 0% 100% 0% 100% 0% 100% Datenbasis: Schriftliche Befragung von n=5.889 Fachkräften im SGB II-Bereich, Frühsommer 2007, Fallzahl in Standorten: zkt=1.902, Vergleichs-Argen=1.931, getrennte Aufgabenwahrnehmung=211, Stadt-ARGEn=1.261, Kreis-ARGEn=584. Evaluation der Experimentierklausel nach 6c Untersuchungsfeld 2: Implementations- und Governanceanalyse; Abschlussbericht Mai 2008
Bewertung der Verfügbarkeit flankierender Leistungen (Fachkräfte) Angaben in Prozent voll und ganz ausreichend eher ausreichend zkt Vergleichs-ARGEn Getrennte Aufgabenwahrnehmung Stadt-ARGEn Kreis-ARGEn Suchtberatung 39 37 33 37 35 30 28 36 27 36 Schuldnerberatung 42 32 35 29 38 21 29 30 31 32 Psychosoziale Betreuung 23 35 19 32 18 27 16 31 15 30 Kinderbetreuung 18 32 11 29 417 13 25 11 19 0% 100% 0% 100% 0% 100% 0% 100% 0% 100% Datenbasis: Schriftliche Befragung von n=5.889 Fachkräften im SGB II-Bereich, Frühsommer 2007, ausgewiesene Werte für n=2.397 Fachkräfte, die als FM/AV mit der Aktivierung/ Vermittlung von ehbs betraut sind, Fallzahl in Standorten: zkt=848, Vergleichs-Argen=771, getrennte Aufgabenwahrnehmung=77, Stadt-ARGEn=486, Kreis-ARGEn=215. Evaluation der Experimentierklausel nach 6c Untersuchungsfeld 2: Implementations- und Governanceanalyse; Abschlussbericht Mai 2008
Die Rolle flankierender Leistungen in der Praxis des SGB II Hauptthemen im Erstgespräch (Minuten, n=178) Angaben in Minuten (absolut) Gesamt (n=178) 11,8 6,9 0,4 8,4 3,7 1,7 zkt (n=85) 15,3 6,5 0,4 8,1 3,0 1,5 ARGE (n=73) 8,9 6,8 0,1 8,4 3,2 1,8 gaw (n=20) 7,4 9,2 0,4 10,0 8,8 2,5 Aktivierung&Vermittlung (n=87) 9,3 6,8 0,3 10,3 4,4 1,5 spez. Fallmanagement (n=11) 11,6 4,4 0,0 3,8 0,6 1,5 Aktivierung (n=50) 14,9 6,6 0,6 4,2 4,3 2,1 Vermittlung (n=17) 15,6 12,5 0,2 14,0 2,9 0,9 "aus einer Hand" (n=13) 11,9 3,9 0,0 9,0 0,8 2,9 0,0 5,0 10,0 15,0 20,0 25,0 30,0 35,0 40,0 45,0 50,0 Minuten Profiling Maßnahmen flank. Leistungen Stellensuche Eingliederungsvereinbarung Materielle Leistungen Datenbasis: Fallbeobachtungen bei 20 ausgewählten SGB II-Einrichtungen im Sommer 2007 (codierte Erstgespräche) Evaluation der Experimentierklausel nach 6c SGB II - Untersuchungsfeld 2: Implementations- und Governanceanalyse; Abschlussbericht Mai 2008
Die Rolle flankierender Leistungen in der Praxis des SGB II 3500 3000 2500 2000 1500 1000 500 0 3428 Befragte mit psychischen oder Suchtproblemen 586 Thematisierung dieser Probleme 297 Einleitung von Maßnahmen
Leistungskette Alleinerziehende: Systemebene Erwerbsarbeit Ausbildung Grundsicherung Reaktion der Mutter Institut für Stadt- und Regionalforschung Fachhochschule Frankfurt am Main Assess ment Psychosoz. Beratung Kita BvB Berufsausbildung Ernährungsbe ratung Hilfeplanung Arbeitsvermittlung Suchtberatung Tagesmutter Schuldnerberatung Erziehungsbe ratung Schule AGH Elterntreff SGB II Psychosoz. Hilfen Kinderbetreuung Qualifikation Elternbildung
Leistungskette Alleinerziehende: Fallebene Erwerbsarbeit Ausbildung Grundsicherung Reaktion der Mutter Institut für Stadt- und Regionalforschung Fachhochschule Frankfurt am Main Assess ment Psychosoz. Beratung Kita BvB Berufsausbildung Ernährungsbe ratung Hilfeplanung Arbeitsvermittlung Suchtberatung Tagesmutter Schuldnerberatung Erziehungsbe ratung Schule AGH Elterntreff SGB II Psychosoz. Hilfen Kinderbetreuung Qualifikation Elternbildung
Leistungskette Alleinerziehende: operative Ebene Erwerbsarbeit Ausbildung Grundsicherung Reaktion der Mutter Institut für Stadt- und Regionalforschung Fachhochschule Frankfurt am Main Assess ment Psychosoz. Beratung Teilprozess Einzelprozess Kita BvB AGH Berufsausbildung Ernährungsbe ratung Hilfeplanung Arbeitsvermittlung Suchtberatung Tagesmutter Schuldnerberatung Erziehungsbe ratung Wirtsch. Jugendhilfe Elterntreff SGB II Psychosoz. Hilfen Gesamtprozess Kinderbetreuung Qualifikation Elternbildung