Dortmund Nachrechnung mit dem Druckbogenmodell nach Stufe 4 am Beispiel der Gelbachtalbrücke Prof. Dr.-Ing. Reinhard Maurer Dr.-Ing. Agnieszka Kolodziejczyk Dipl.-Ing. Philipp Gleich 18. Februar 2016
1. Einleitung Das Fachwerkmodell nach Eurocode 2 berücksichtigt bei Spannbeton nicht alle wesentlichen Traganteile Mit dem Druckbogenmodell ist es möglich, den wesentlichen Betontraganteil aus der Neigung der Biegedruckkraft zu berücksichtigen Das Druckbogenmodell beschreibt das Querkrafttragverhalten auf Bauteilebene: Dadurch können gegenüber den üblichen Nachweisen auf Querschnittsebene zusätzliche Tragmechanismen aktiviert werden. 2
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Versuchsbalken aus Spannbeton Schubrissbild Bügelspannungen A B C ungerissener Bereich Schubrisse nur im Steg, die nicht aus Biegerissen entstehen Schubrisse, die aus Biegerissen entstehen Günstiger Einfluss einer Vorspannung 3
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Das Druckbogenmodell beschreibt das Querkrafttragverhalten eines Bauteils Druckbogen, Bestimmung der Neigung der Wirkungslinie der Betondruckkraft 4
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Darstellung gemäß DIN-Fachbericht 102 1 Wirkungslinie der Betondruckkraft 2 Nulllinie 3 Schwerachse der Spannglieder : V V V V V V V V Ed 0 Ed pd ccd Ed Ed 0 pd ccd Traganteile bei konstanter Querschnittshöhe und geneigter Spanngliedführung Alternative Darstellung nach Eurocode 2 durch Berücksichtigung auf der Widerstandsseite V Rd = V Rd,s + V ccd + V pd 5
2. Versuchsbalken aus Spannbeton Einfeldträger Versuchsträger TP 3 TP3 - F=1000 kn Verlauf der Bügelspannungen, Druckbogenform mit Rissbild und Zoneneinteilung Unter dieser Laststufe wird die gesamte Querkraft durch den Druckbogen abgetragen. Die gemessenen Bügelspannungen sind nahezu Null. 6
Versuchsträger TP 3 TP3 - F=1400 kn Verlauf der Bügelspannungen, Druckbogenform mit Rissbild und Zoneneinteilung Aktivierung der Fachwerkwirkung im Innenbereich Tragwirkung des Druckbogens an den Endauflagern 7
Versuchsträger TP 3 TP3 - F=1800 kn (F u =1865kN) Verlauf der Bügelspannungen, Druckbogenform mit Rissbild und Zoneneinteilung Bruchzustand. Der Einfluss aus der Tragwirkung des Druckbogens ist in den Bereichen der Endauflager deutlich an den abnehmenden Bügelspannungen zu erkennen. 8
Bereich der Endauflager vor Rissbildung: σ 1 < f ct nach Rissbildung: σ 1 > f ct Umlenkung des Druckspannungsfeldes durch Bügel Rechnerische Abgrenzung nach oben für F sw : max F sw = F/2 Spaltzugkraft der Resultierenden aus P und F/2 tatsächlich: F sw < F/2 9
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Einfluss der Spanngliedführung V Rd = V Rd,s + V ccd + V pd V Rd = V Rd,s + V ccd Traganteile (V ccd + V pd ) oberer Träger und Traganteil V ccd Träger unten etwa gleich groß 10
3. Versuchsbalken aus Spannbeton Durchlaufträger Leonhardt (1955) Druckgewölbe bei einem Durchlaufträger 11
DLT 1 TU Dortmund Geometrie des Versuchsträgers mit Spanngliedführung und Lasteinleitung Darstellung der Bewehrung 12
DLT 1 TU Dortmund Rissbild im Bruchzustand (Laststufe 1890 kn) und Rissneigung ausgewählter Schubrisse Unter der Laststufe 1743 kn wurde auf der schwächer bewehrten Seite eine Verstärkung eingebaut. 13
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Querkrafttragfähigkeit (Mittelwert V Rm ) nach Fachwerkmodell DIN EN 1992-2 Laststufe: 1743 kn (vor Einbau der Verstärkung) Tragfähigkeit: V Rm = V Rm,s + V pm (Mittelwerte der Festigkeiten f cm, f ym ohne Teilsicherheitsbeiwerte) Beanspruchung: V E Einwirkende Querkraft V E Traganteile V Rm,s + V pm Bügeltraganteil V Rm,s Spanngliedtraganteil V pm Gegenüberstellung der einwirkenden Querkraft V E und der Querkrafttraganteile V Rm = V Rm,s + V pm 14
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Laststufen unter Biegerissbildung Belastungsversuch 1, Laststufe 800 kn Darstellung von Rissbild, gemessenen Bügelspannungen, Druckbogenverlauf, Beanspruchung V E und summierten Traganteilen (V R = V R,s + V p + V cc ) 15
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Laststufen unter Schubrissbildung Druckbogenverlauf nach vereinfachter Berechnung (zug. M E und Ebenbleiben der Querschnitte) sowie Fächer der Druckstreben über der Innenstütze Numerisch berechneter Verlauf der Hauptdruckspannungstrajektorien Laststufe 1541 kn; Gegenüberstellung des vereinfacht ermittelten Druckbogens infolge M mit numerisch berechneten Hauptdruckspannungstrajektorien infolge M + V 16
Querkraft [kn] 2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Druckbogenverlauf nach numerischer Simulation (ABAQUS) ausgewertet für die Laststufe 1743kN Druckbogenverlauf Querkrafttraganteile (integriert) 1000 800 V Rm,s = ca.300kn 600 400 200 0-600 -500-400 -300-200 -100 0 100 200 300 400 500 600 Beanspruchung V E Betontraganteil Vcc Spanngliedtraganteil Vp summierte Traganteile Vcc + Vp Integrierte Schubspannung Druckbogentraganteil V ccm Summierte Traganteile V pm + V ccm Spanngliedtraganteil V pm aus [Gleich, P.: Dissertation in Vorbereitung. TU Dortmund] 17
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Analytischer Ansatz auf Grundlage des idealisierten Fachwerkmodells Die Erweiterung des Druckbogenmodells ist Gegenstand laufender Untersuchungen an der TU Dortmund Weitere Untersuchungen an Großversuchen in Kooperation mit RWTH Aachen, ZM-I, TU München 18
2,03 2,03 51 14 51 30 43 14 40 40 30 37,7 43 4. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Bauwerk Regelquerschnitte Feld Stützbereich 7,39 14,78 7,39 7,39 14,78 7,39 35 35 1,75 1,75 90 90 2,99 80 3,60 3,60 80 2,99 1,75 1,75 1,70 1,70 2,99 1,60 2,80 2,80 1,60 2,99 Ansicht und Grundriss Gesamtlänge : Spannweiten: 260 m 27,50 34 34 34 34 34 34 28,50 m 19
2. Anwendung des Druckbogenmodells am Beispiel der Gelbachtalbrücke Baujahr: 1970 Bauweise: Ortbeton auf Traggerüst Koppelfugen: x = 34,30 / 68,30 / 102,30 / 136,30 / 170,30 / 204,30 / 237,20 m Beton Überbau: B 450 nach DIN 4227:1953 C 30/37 Betonstahl: St IIIb mit f yk =420 N/mm² Vorspannung längs: HT 120 (Hochtief) 12 Ø 12 St140/160 ( St1373/1570) Vorspannung quer: HT 53 (Hochtief) 12 Ø 8 St140/160 ( St1373/1570) 20
Schubbewehrung a sw [cm²/m] Vorhandene Schubbewehrung, Mindestquerkraftbewehrung A 40 35 1 2 3 4 vorh a sw 30 25 20 15 10 5 min a sw DIN FB 102 0 0 20 40 60 80 100 120 140 Bereich I : Bü Ø16/15 (26,8 cm²/m) Bereich II: Bü Ø16/11,5 (34,9 cm²/) Länge [m] Die Mindestquerkraftbewehrung nach DIN-FB 102 ist über die gesamte Brückenlänge eingehalten. 21
Schäden an vorhandener Schubbewehrung Bereiche mit festgestellter Korrosion der Bügelbewehrung Betonabplatzungen und Hohlstellen im Bereich der Brückeneinläufe im Abstand von 2,2 m von den Auflagerachsen zum Teil starke Lochfraßkorrosion an der vorhandenen Bügelbewehrung bereichsweise Abrostungen der Bügelschenkel von mehr als 80% In diesen Bereichen wird für den Nachweis der Querkrafttragfähigkeit die vorhandenen Bügelbewehrung auf 22 cm²/m reduziert 22
Schubbewehrung a sw [cm²/m] Nachweise der Schubtragfähigkeit rechts der Achse 2 mit verminderter Querkraftbewehrung (Schnitt 6) Stelle 5 Stelle 6 Stelle 7 4 3a 3b 1b 1a 1c1d 2b 2a 27,5 34,0 34,0 34,0 34,0 34,0 34,0 28,50 A 1 2 3 4 5 6 7 B Nachweis der Querkrafttragfähigkeit nach Stufe 2 der Nachrechnungsrichtlinie 2 (x=61,5 m) 1 (x=27,5 m) a/2+d a/2+d (x=95,5 m) 40 vorh a sw 35 3 30 25 20 15 erf.a sw,q+t, Stufe 2 a sw,red erf.a sw,q+t, Stufe 2 10 5 0 min a sw DIN FB 102 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Länge [m] Ausnutzungsgrad im Schnitt 6 nach Stufe 2: 1, 40 erf a vorha sw,q T sw,red 23
Ermittlung der Schubtragfähigkeit mit dem Druckbogenmodell Ermittlung des Druckbogens und des Betontraganteils der geneigten Biegedruckkraft infolge der maßgebenden Laststellung für die maximale Querkraftbeanspruchung im Abstand a/2+d maßgebende Laststellung für den Nachweisschnitt 6 LF 202, 212 LF 242 LF 203, 213 LF 243 LF 205, 215 LF 245 LF 207, 217 LF 247 T M,neg TS LF425 UDL g k+gk2 a/2+d 27,5 34 34 34 34 34 34 28,5 A 1 2 3 4 5 6 7 B Nachweisschnitt 6 24
Höhe [m] Ermittlung des Druckbogenverlaufs Bestimmung der Dehnungsebenen im Zustand II längs des Trägers in diskreten Schnitten aus den zugehörigen Biegemomenten Druckzonenhöhe x Lage der resultierenden Druckkraft F cd Druckbogenverlauf ergibt sich durch die Verbindung der jeweiligen resultierenden Druckkraft F cd in den einzelnen Schnitten 2,0 1 (x=27,50 m) (x=61,50 m) 2 a/2+d Nachweisschnitt 6 (x=95,5 m) 3 1,5 1,0 0,5 0,0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Länge [m] Resultierende Biegedruckkraft Fcd Resultierender Spangliedstrang überdrückter Bereich zs Druckbogen stützt sich in der Auflagerachse 2 ab und übernimmt durch die Vertikalkomponente V ccd einen Teil der Querkraft. 25
y [ ] F cd [MN] Biegedruckkraft F cd 20 1 2 a/2+d Nachweisschnitt 6 3 15 16,07 10 5 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Länge [m] zugehöriger Neigungswinkel y 20 1 2 a/2+d Nachweisschnitt 6 3 15 10,46 10 5 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Länge [m] 26
Traganteil der geneigten Biegedruckkraft V ccd und Traganteil der Querkraftbewehrung V Rd,sy Traganteil des Druckbogens als Vertikalkomponente V ccd im betrachteten Schnitt 6a V F tan y 16, 07 tan 10, 46 2, 92MN ccd cd Bei der Ermittlung des Bügeltraganteils V Rd,sy wurde hier der Betontraganteil aus Rissreibung V Rd,cc auf der sicheren Seite liegend vernachlässigt. Die Neigung der Druckstrebe q wird dann dem Winkel der Rissneigung b r gleichgesetzt: V vorh a erf a f z cotq Rd,sy sw,red sw,t ywd 4 22 1, 8 10 420 115, 1, 50 1, 46 1, 61 MN mit cd cotq cot br 1, 20 1, 40 1, 46 f cd 27
V ccd [MN] V Rd,sy [MN] Traganteil der geneigten Biegedruckkraft V ccd und Traganteil der Querkraftbewehrung V Rd,sy 6 1 2 3 a/2+d Nachweisschnitt 6 5 4 3 V Rd,sy (cot b R,z) 2,92 2 V ccd 1 0 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Länge [m] 1,61 Aufnehmbare Querkraft infolge V Rd,sy und V ccd im GZT im Abstand a/2+d von der Auflagerachse : V V 1, 61 2, 92 4, 53MN Rd,sy ccd 28
IV Ed -V pd I [MN] ( V Rd,sy +V ccd ) [MN] Nachweis: V V V, V V Ed Rd Rd sy ccd pd Ausnutzungsgrad: VEd Vpd 3,18 0,70 1,0 V V 4,53 Rd, sy ccd 6 1 2 a/2+d Nachweisschnitt 6 3 5 4,53 4 IV Rd,sy (cot b R )+V ccd I 3 3,18 2 1 0 IV Ed -V pd I 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 65 Länge [m] 29
Bei Anwendung des Druckbogenmodells in der Nachweisstufe 4 konnte für alle kritischen Stellen eine ausreichende Schubtragfähigkeit nachgewiesen werden. Durch die Vertikalkomponente V ccd können hier rechnerisch zwischen 75-90% der einwirkenden Querkraft (IV Ed +V pd I) aufgenommen werden. Lediglich die verbleibende Differenz muss bei einer Schubrissbildung durch die vorhandene Bügelbewehrung (Fachwerkwirkung) aufgenommen werden. 30