Der Anwalt im Sozialrecht Rechtsanwältin Katalin Hölzl Fachanwältin für Sozialrecht Kanzlei Dr. Wrede Gartenweg 8 83209 Prien am Chiemsee Tel.: 08051 / 69 49 11 Sozialrecht als exotisches Randgebiet der anwaltlichen Tätigkeit. Nur etwa jeder 80. Fachanwalt ist einer des Sozialrechts. 1. Was kostet mich der Anwalt in sozialen Angelegenheiten? Bis 01.07.04 galt die BRAGO (Bundesrechtsanwaltgebührenordnung), für Mandate seit dem 01.07.04 ist das RVG (Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) ausschlaggebend. BRAGO: außergerichtliche Tätigkeit (z.b. Widerspruchsverfahren): 116 1 analog - durchschnittlich (je nach Aufwand und Schwere) in etwa 250,00 zzgl. Auslagen und MwSt gerichtliche Tätigkeit: 116 vor dem Sozialgericht: 50,00 bis 660,00 - durchschnittlich 355,00 vor dem Landessozialgericht: 60,00 bis 780,00 - durchschnittlich 420,00 vor dem Bundessozialgericht: 90,00 bis 1.300,00 - durchschnittlich 695,00 RVG: außergerichtliche Tätigkeit: Teil 2 Abschnitt 5 des Vergütungsverzeichnisses - 40,00 bis 520,00 ; Gebühr über 240,00 aber nur, wenn Angelegenheit besonders umfangreich und schwierig, zzgl. Auslagen und MWSt. gerichtliche Tätigkeit: Teil 3 Abschnitt 1 Nr. 3102 und 3106 des VG - 40,00 bis 460,00 für die sog. Verfahrensgebühr - also durchschnittl. 250,00 20,00 bis 380,00 für die sog. Terminsgebühr- also durchschnittl. 200,00 zzgl. Auslagen und MwSt Rechtsschutzversicherungen zahlen nur die gerichtliche Tätigkeit! Bei finanzieller Notlage kann für die außergerichtliche Tätigkeit beim zuständigen Amtsgericht ein sog. Berechtigungsschein für Beratungshilfe eingeholt werden. Wird die Angelegenheit gerichtlich anhängig, so wird bei finanzieller Not des Betroffenen und ausreichenden Erfolgsaussichten Prozesskostenhilfe bewilligt, 73a SGG. In diesem Falle zahlt den eigenen Anwalt die Staatskasse. 2. Das Verfahren vor dem Sozialgericht Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz, 103 SGG. Das Gericht prüft also den Sachverhalt von Amts wegen und ist an Vorbringen und Beweisangebote der Parteien nicht gebunden. Vor dem Sozialgericht und dem Landessozialgericht (Berufung) besteht kein Anwaltszwang, erst im Falle der Revision zum Bundessozialgericht ist ein Vertretungszwang vorgesehen, 166 SGG. RA Katalin Hölzl: Script zum Vortrag Sozialrecht am Behandlungszentrum Aschau / Chiemgau, 13.07.2004, Seite 1 von 4
Dies muss aber nicht immer zwingend ein Anwalt sein, möglich ist auch eine Vertretung durch Gewerkschaft oder Arbeitgeberverbände. Das Verfahren ist grundsätzlich kostenfrei, 183 SGG. Wichtig ist dies besonders wegen etwaigen Gutachterkosten, die erfahrungsgemäß sehr hoch sein können. Verzögert ein Betroffener den Fortgang oder die Beendigung des Verfahrens mutwillig, so kann ihm das Gericht durch Urteil oder Beschluss die dadurch verursachten Kosten auferlegen (Verschuldenskosten, 92 SGG). Ist der Betroffene mit dem Ergebnis eines Gutachtens nicht einverstanden, so kann er beantragen, dass ein Arzt seiner Wahl gutachterlich angehört wird, 109 SGG. Hier kann das Gericht dann allerdings einen Vorschuss vom Betroffenen fordern. Die Sozialgerichte sind hoffnungslos überlastet, teilweise werden gegenwärtig noch Fälle aus dem Jahre 1999 bearbeitet. Daher kann das Verfahren vor Gericht sehr lange dauern. Hinzu kommt, dass bei den häufigsten Klagearten, nämlich Verpflichtungs- und Anfechtungsklage ein vorgeschaltetes Widerspruchsverfahren zwingend vorgeschrieben ist, 78 SGG. Fehlt es, ist die Klage nicht zulässig! Bleibt die Behörde einen beantragten, widerspruchsfähigen Bescheid schuldig, so kann hiergegen die Untätigkeitsklage erhoben werden, 88 I S. 1 SGG. Diese ist aber erst nach Ablauf von 6 Monaten ab Antragstellung auf Erlass eines Verwaltungsaktes zulässig. Die Verzögerungen sind also oft immens! Bei dringenden Fällen gibt es den einstweiligen Rechtsschutz, 86 b SGG, durch den einerseits Regelungen zur aufschiebenden Wirkung von Widersprüchen und Anfechtungsklagen getroffen werden können (Abs. 1), oder auch bestehende Zustände vorübergehend gesichert bzw. vorläufige Zustände geregelt werden können (Abs. 2). 3. Mögliche Anspruchsgrundlagen für behinderte Personen, insbesondere Kinder: a) SGB (= Sozialgesetzbuch) IX (vormals Schwerbehindertengesetz): Voraussetzung ist die Anerkennung einer Behinderung, 2 SGB IX, wobei zunächst jeder Grad der Behinderung (GdB) ausreicht. Schwerbehindert sind Personen nur, wenn bei ihnen eine Behinderung von mindestens 50% vorliegt. Gleichstellung möglich bei GdB ab 30% wenn zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes erforderlich. Folgende Leistungen sind u.a. vorgesehen: Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, 26 ff, insbesondere 26 II Nr. 2 i.v.m. 30: o Früherkennung und Frühförderung von behinderten und von Behinderung bedrohten Kindern o Abs. IIl: Hilfe zur Behinderungsverarbeitung o Aktivierung von Selbsthilfepotentialen o Information und Beratung von Angehörigen oder auch Vorgesetzten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, 33ff Unterhaltssichernde Leistungen, 44ff Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, 55ff, insbesondere: heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind. b) SGB VII, gesetzliche Unfallversicherung: Gilt nicht nur für Arbeitnehmer, sondern u.a. auch für folgende Personen, 2: RA Katalin Hölzl: Script zum Vortrag Sozialrecht am Behandlungszentrum Aschau / Chiemgau, 13.07.2004, Seite 2 von 4
o Auszubildende o behinderte Menschen, die in anerkannten Werkstätten oder für solche in Heimarbeit tätig sind. o Kinder während des Besuches von Tageseinrichtungen o Schiller während des Besuches von allgemein- oder berufsbildenden Schulen o Personen bei Hilfeleistung in Notfällen oder bei Verfolgung von Straftätern sowie Organspender Leistungen im wesentlichen sind Rehabilitationsmaßnahmen, Verletztengeld sowie Verletztenrente c) SGB V, gesetzl. Krankenversicherung, SGB XI, soziale Pflegeversicherung, Bundessozialhilfegesetz Für Kinder, die als behinderte Menschen außerstande sind, für ihren Lebensunterhalt selbst aufzukommen, besteht die Familienversicherung ohne Altersgrenze, 10SGB V. 4. Der Schwerbehindertenausweis und die Feststellung des GdB bei Kindern: Zuständig ist das jeweilige Amt für Versorgung und Familienförderung (Versorgungsamt), bei dem der Antrag auf dem dafür vorgesehenen Formblatt gestellt werden kann. Auf Antrag stellt das Versorgungsamt die Behinderung, den GdB sowie ggf. weitere gesundheitliche Merkmale fest. Je mehr Unterlagen und Informationen der Antragsteller vorlegt, desto eher wird das Amt in seinem Sinne entscheiden. Zunächst ausschlaggebend sind also die Stellungnahmen der bereits behandelnden Ärzte. Erst wenn diese nicht aussagekräftig genug sind, wird das Amt seinen medizinischen Dienst zur Begutachtung heranziehen. Bei der Feststellung des GdB wird zwischen Erwachsenen und Kindern grundsätzlich kein Unterschied gemacht, es gelten zunächst die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz. Dies sind sehr starre Schemata, von denen der Arzt jedoch nicht ohne Grund abweichen darf. Als regelwidrig anerkannt werden nur solche Zustände, die von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Bei mehreren Behinderungen können die Grade nicht einfach addiert werden, sondern es muss eine Gesamtschau erfolgen, ob und in welchem Umfang die einzelnen Beschwerden und Beeinträchtigungen überhaupt aufeinander Auswirkung haben und die Behinderung dadurch verschlimmern. Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen werden erst beim Merkzeichen H gemacht, welches für dauernde Hilflosigkeit steht und mit zahlreichen Nachteilsausgleichen verbunden ist. Hilflos ist derjenige, welcher infolge von Gesundheitsstörungen für eine Reihe von täglichen Tätigkeiten und Verrichtungen auf die Hilfe Dritter angewiesen ist. Bei Kindern und Jugendlichen sind zusätzlich der Zeitaufwand für die Anleitung zu diesen Verrichtungen, als auch die Förderung der geistigen und körperlichen Entwicklung für die Beurteilung der Hilflosigkeit zu berücksichtigen. Zu beachten ist aber nur derjenige Mehraufwand, der bei Gleichaltrigen sonst nicht auftritt. Im ersten Lebensjahr ist dies z.b. bei blinden oder hirngeschädigten Kindern der Fall. Bei geistiger Behinderung in aller Regel ist der Merkzeichen H erfüllt, nicht so jedoch bei lernbehinderten Kindern. Viele Erkrankungen, die bei einem Erwachsenen nicht zum Merkzeichen H führen, begründen bei Kindern die Hilflosigkeit hingegen sehr wohl, so z.b. bei Dialyse-Patienten, Diabetes-Kranken, Krebspatienten. Das Merkzeichen wird dann im Laufe der Zeit aberkannt werden, wenn sich der junge Patient bei seiner medizinischen Versorgung ausreichend selbst zu helfen weiß. RA Katalin Hölzl: Script zum Vortrag Sozialrecht am Behandlungszentrum Aschau / Chiemgau, 13.07.2004, Seite 3 von 4
Auch bei Kindern ist die Geltungsdauer des Ausweises grundsätzlich 5 Jahre, es sei denn, dass erhebliche Entwicklungen bereits absehbar sind, dann kann eine kürzere Befristung erfolgen 5. Änderungen der Heilmittel-Richtlinien zum 01.07.04 Eine der wichtigsten Änderungen ist die Aufnahme des Begriffes der längerfristigen Verordnung, welche es dem Arzt ermöglicht, die Verordnungsmenge pro Rezept selbst zu bestimmen. Der Arzt ist zwar an das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gebunden, bei tatsächlich vorhandenem Bedarf ist der Verschreibung jedoch durch die Richtlinie keine Grenze gesetzt. So erhalten z.b. Kinder mit schweren spastischen Lähmungen, Querschnitt oder geistiger Behinderung die notwendige Behandlung ohne Unterbrechung und ohne weiteren bürokratischen Aufwand. Damit es durch das Genehmigungsverfahren bei den Krankenkassen zu keiner Behandlungsunterbrechung kommt, ist die Kasse zunächst zur Zahlung verpflichtet, bis über die Kostenübernahme entschieden ist. Im Regelfall beträgt die maximale Verordnungsmenge pro Verordnung je Heilmittel 6 Einheiten für die physikalische Therapie 10 Einheiten für die Ergo- sowie Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie Wie gesagt kann der Arzt aber bei entsprechender Indikation von diesen Regelfällen abweichen, wenn er sie ausreichend begründet. Außerdem wurde die Altersgrenze für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit zentralen Bewegungsstörungen von 12 auf 18 Jahre angehoben. Die speziell auf Kinder ausgerichtete Krankengymnastik hat längere Richtwerte für die Regelbehandlungszeit. Therapeuten für Kinder müssen über eine höhere Qualifikation verfügen als Therapeuten, die entsprechende Krankengymnastik für Erwachsene anwenden. Heilmittel-Richtlinien sowie Heilmittelkatalog finden Sie im Internet unter (Stand: 12.08.2004): http://www.heilmittelkatalog.de/ RA Katalin Hölzl: Script zum Vortrag Sozialrecht am Behandlungszentrum Aschau / Chiemgau, 13.07.2004, Seite 4 von 4