THÜRINGER VERFASSUNGSGERICHTSHOF VerfGH 27/05 Beschluss In dem Verfahren betreffend die Verfassungsbeschwerde von Frau H W, A, R - Beschwerdeführerin - gegen: a) den Beschluss des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 12. August 2005 (2 ZKO 741/05) b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 27. April 2005 (2 K 1352/04 Ge) hat der Thüringer Verfassungsgerichtshof durch den Präsidenten des Verfassungsgerichtshofs Dr. h.c. Bauer und die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Bayer, Becker, Ebeling, Goetze, Lothholz, Dr. Martin-Gehl, Morneweg und Schuler am 4. Oktober 2005 b e s c h l o s s e n : Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
2 Gründe I. Die Beschwerdeführerin hat im Verfahren 2 K 1352/04 Ge des Verwaltungsgerichts Gera die Wahl eines hauptamtlichen Bürgermeisters der Gemeinde R angefochten. Der Anfechtung vorausgegangen waren heftige Diskussionen innerhalb des Gemeindevertretungsorgans, ob die Gemeinde eines hauptamtlichen Bürgermeisters bedürfe oder ob die Amtsaufgaben des Bürgermeisters in R weiterhin ehrenamtlich erfüllt werden sollen. Nachdem das Landesverwaltungsamt Ende 2003 die Bestellung eines hauptamtlichen Bürgermeisters für R zugelassen hatte und zwei Versuche, die Hauptsatzung der Gemeinde demgemäß zu ändern, fehlgeschlagen waren, hat der Gemeinderat gegen den Widerstand der Beschwerdeführerin Anfang Februar 2004 für einen hauptamtlichen Bürgermeister votiert und die Hauptsatzung demgemäß geändert. Am 27. Juni 2004 ist für R ein hauptamtlicher Bürgermeister gewählt worden. Die Beschwerdeführerin war als Gegenkandidatin unterlegen. Die Beschwerdeführerin hat diese Wahl zunächst bei der Kommunalaufsicht des Landratsamtes Saalfeld-Rudolstadt angefochten. Dieser Antrag ist mit Bescheid vom 24. August 2004 zurückgewiesen worden. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin beim Verwaltungsgericht Gera Klage erhoben. Dabei hat sie weiterhin geltend gemacht, dass mangels wirksam geänderter Hauptsatzung für R ein hauptamtlicher Bürgermeister nicht hätte gewählt werden dürfen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 27. April 2005 zurückgewiesen. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichts hat die Beschwerdeführerin keine Wahlrechtsverletzungen dargelegt, welche von einigem Gewicht und geeignet seien, das Wahlergebnis wesentlich zu beeinflussen. Das Verwaltungsgericht hat die Berufung gegen sein Urteil nicht zugelassen. Dem Urteil ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt. Danach kann binnen eines Monats nach Zustellung des Urteils die Zulassung der Berufung beantragt werden.
3 Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht Gera zu stellen. Der Antrag binnen zwei Monate nach Zustellung des vorliegenden Urteils zu begründen. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Thüringer Oberverwaltungsgericht einzureichen. Es folgt eine Auflistung der Berufungszulassungsgründe gemäß 124 VwGO. Die Belehrung fährt sodann fort: Vor dem Oberverwaltungsgericht muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Die Beschwerdeführerin hat durch persönlichen Schriftsatz die Zulassung der Berufung zum Thüringer Oberverwaltungsgericht beantragt. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 21. Juni 2005 diesen Antrag verworfen, weil die Beschwerdeführerin entgegen 67 VwGO das Rechtsmittel selbst eingelegt habe, obwohl sie über das Erfordernis der anwaltlichen Vertretung ausreichend belehrt worden sei. In einem Wiedereinsetzungsantrag hat die Beschwerdeführerin - nunmehr anwaltlich vertreten - geltend gemacht, durch die Rechtsmittelbelehrung irregeführt worden zu sein. Sie sei davon ausgegangen, dass der Zulassungsantrag beim Verwaltungsgericht ohne die Vermittlung eines Anwalts bzw. Hochschullehrers eingereicht werden könne. Der 2. Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts hat mit Beschluss vom 12. August 2005 den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt. Nach Ansicht des Thüringer Oberverwaltungsgerichts war die Beschwerdeführerin vollständig und eindeutig über die formalen Erfordernisse eines Berufungszulassungsbegehrens belehrt worden. Die Rechtsmittelbelehrung zum verwaltungsgerichtlichen Urteil sei völlig unmissverständlich. Auch für eine juristisch nicht vorgebildete Person ergebe sich bei aufmerksamer Lektüre, wie der Berufungszulassungsantrag zu stellen sei. Auf die Frage, ob die Beschwerdeführerin aufgrund ihres beim Umgang mit Behörden und Gerichten gesammelten Erfahrungsschatzes prozessuale Kenntnisse hatte, komme es nicht an.
4 Gegen diesen Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 15. September 2005 Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt einen Verstoß gegen Art. 88 Abs. 1 Thüringer Verfassung (ThürVerf). Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hätte die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen bejahen und ihr - der Beschwerdeführerin - Zugang zum Rechtsmittel der Berufung verschaffen müssen. Indem dies unterblieben sei, sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör im Wahlanfechtungsverfahren verletzt worden. II. Die Verfassungsbeschwerde ist zurückzuweisen. 1. Der Thüringer Verfassungsgerichtshof ist in der diese Entscheidung fassenden Besetzung beschlussfähig ungeachtet dessen, dass die Amtszeit von acht seiner neun Mitglieder im September 2005 abgelaufen ist und dass der Thüringer Landtag am 15. September 2005 Nachfolger gewählt bzw. Wiederwahlen vorgenommen hat. Diese Wahlen bewirken nicht, dass zum Entscheidungszeitpunkt die Amtsbefugnisse der ausscheidenden Mitglieder beendet sind. Zwar bestimmt 3 Abs. 2 Satz 2 Thüringer Verfassungsgerichtshofsgesetz (ThürVerfGHG), dass die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofs nach Ablauf ihrer Amtszeit die Amtsgeschäfte bis zur Wahl des Nachfolgers fortführen. Damit meint 3 Abs. 2 Satz 2 ThürVerfGHG jedoch nicht lediglich den Wahlakt als solchen, sondern die volle Herstellung der Amtsgewalt in der Person des gewählten Nachfolgers. Diese tritt gemäß 5 ThürVerfGHG erst mit der Ernennung des gewählten Mitglieds ein. Die Ernennungen sind am 15. September 2005 im Anschluss an die Wahl nicht vorgenommen worden. Sie sollen erst am 7. Oktober 2005 stattfinden. Würde 3 Abs. 2 Satz 2 ThürVerfGHG dahin verstanden, dass bereits der Wahlakt als solcher die Kompetenzen des bisherigen Amtsträgers entfallen lässt, würde in den Fällen, in denen - wie im Jahr 2005 - die Zeitpunkte von Wahl und Ernennung nicht übereinstimmen, der Verfassungsgerichtshof handlungsunfähig sein. Dies war ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt. Der Gesetzgeber ist bei der Formulierung des 3 Abs. 2 Satz 2 ThürVerfGHG vielmehr davon ausgegangen, dass Wahlakt und Investitur der Gewählten zeitlich so nah beieinander liegen, dass die Handlungs-
5 und Entscheidungsbefugnisse des Verfassungsorgans Verfassungsgerichtshof nicht beeinträchtigt sind. Damit ist in 3 Abs. 2 Satz 2 ThürVerfGHG die Vorstellung eines einheitlichen Wahl- und Ernennungsgeschehens eingeflossen. Dies rechtfertigt, die Bestimmung dahin auszulegen, dass nach Ablauf der Amtszeit die Amtsbefugnisse eines Mitglieds des Verfassungsgerichtshofs erst mit Abschluss des Nachfolgebestimmungsvorgangs insgesamt, mithin von Wahl und Ernennung beendet sind. Mit diesem Verständnis ist 3 Abs. 2 Satz 2 ThürVerfGHG inhaltlich in Übereinstimmung gebracht mit den Regelungen beim Bund und in zahlreichen Bundesländern, wonach die kommissarische Weiterführung durch den Amtsvorgänger erst mit der Ernennung des Nachfolgers beendet ist. 2. Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Art. 88 Abs. 1 Thüringer Verfassung ist nicht berührt. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht hat nicht in einem den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzenden Verfahren der Beschwerdeführerin den Zugang zur Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 27. April 2005 versperrt. Der Berufungszulassungsantrag ist vielmehr deswegen nicht durchgedrungen, weil die Beschwerdeführerin, obwohl sie unmissverständlich über die formalen Voraussetzungen des Antrags auf Berufungszulassung nach 124, 67 VwGO belehrt war, diesen Erfordernissen nicht entsprochen hat. Das hat der Senat des Thüringer Oberverwaltungsgerichts in einer verfassungsrechtlich keinesfalls bedenklichen Weise festgestellt.
6 3. Diese Entscheidung ergeht gemäß 28 Abs. 1 ThürVerfGHG gerichtsgebührenfrei. Dr. h.c. Bauer Prof. Dr. Bayer Becker Ebeling Goetze Lothholz Dr. Martin-Gehl Morneweg Schuler