Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin, den 03.09.2007 GesUmV I G 2 (9028 1680) (rosemarie.kiener@senguv.verwaltberlin.de) An den Vorsitzenden des Hauptausschusses über den Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin 0416 über Senatskanzlei G Sen Sachstandsbericht zu den Auswirkungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie bei der Charité und Vivantes rote Nummern: Keine Vorgang: Sitzung des Hauptausschusses vom 20. Juni 2007 Der Hauptausschuss hat in seiner oben bezeichneten Sitzung Folgendes beschlossen: SenGesUmV wird gebeten, dem Hauptausschuss zur 1. Lesung des Einzelplans 11 Hh 08/09 am 19.9.07 einen Sachstandsbericht zu den Auswirkungen der EU- Arbeitszeitrichtlinie bei der Charité und Vivantes vorzulegen. Hierzu wird berichtet: 1. Rechtslage Der EuGH hat am 09. September 2003 entschieden, dass Bereitschaftsdienst, den ein Arzt im Krankenhaus in Form persönlicher Anwesenheit leistet, in vollem Umfang Arbeitszeit im Sinne der EG-Arbeitszeitrichtlinie ist, und zwar auch insoweit, als es ihm in Zeiten der Nichtinanspruchnahme erlaubt ist, zu schlafen. Mit der Entscheidung wurde gleichzeitig deutlich, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie nur unzureichend in deutsches Recht umgesetzt worden war. Es war daher erforderlich, sowohl das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) als auch die Tarifverträge zeitnah an die neue Rechtslage anzupassen. Das neue Arbeitszeitgesetz vom 24. Dezember 2003 ist am 01. Januar 2004 mit folgenden Änderungen in Kraft getreten: Die bisherigen von der EU-Richtlinie abweichenden Regelungen für den Bereitschaftsdienst wurden gestrichen. Die Ermächtigungen für die Tarifvertragsparteien zur Vereinbarung abweichender Regelungen wurden entsprechend der EU-Arbeitszeitrichtlinie erweitert.
Da die sofortige Umsetzung Personalprobleme in vielen Bereichen hervorgerufen hätte, wurde mit 25 eine Übergangsregelung zur Weitergeltung von Tarifverträgen bis zum 31.12.2005 in das ArbZG aufgenommen. Damit hatten insbesondere die Krankenhäuser Zeit gewonnen, um ihre Arbeitszeitorganisation den gesetzlichen Forderungen anzupassen und mit den Tarifvertragsparteien neue Verträge auszuhandeln. Ende 2005 wurde deutlich, dass die zweijährige Übergangszeit für den flächendeckenden Abschluss von Tarifverträgen nicht ausgereicht hat. Daher wurde durch Änderung des Arbeitszeitgesetzes diese Übergangsfrist des 25 um ein weiteres Jahr bis 31.12. 2006 verlängert. Nach der Entscheidung des EuGH hat die Europäische Kommission auf Betreiben der Mitgliedstaaten 2004 einen Vorschlag zur Änderung der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgelegt. Ein wesentlicher Punkt war die Einfügung einer Definition von Bereitschaftsdienst und seiner Splittung in aktive und inaktive Zeit sowie die Beibehaltung der Opt-out-Regelung 1. Trotz zahlreicher Verhandlungen konnten die Mitgliedstaaten insbesondere zur Frage der Weitergeltung der Opt-out-Regelung keine Einigung erzielen. Letztmalig wurde unter der finnischen Ratspräsidentschaft ein erfolgloser Einigungsversuch unternommen. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wurde das Thema nicht behandelt. Auf Grund dieser Entwicklung kann mit einer kurzfristigen Änderung der EU- Arbeitszeitrichtlinie nicht gerechnet werden. Die Personalplanung der Krankenhäuser muss daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt - ebenso wie die in allen anderen Branchen - auf der Basis des Arbeitszeitgesetzes und damit unter Berücksichtigung der Vorschrift, dass Bereitschaftsdienst Arbeitszeit ist bzw. auf der Basis geänderter Tarifverträge - erfolgen. Der Auftrag des Hauptausschusses, die finanziellen und personellen Auswirkungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie bei der Charité - Universitätsmedizin Berlin und Vivantes in einem Sachstandsbericht darzulegen, kann nur durch diese Institutionen erfüllt werden. Die Senatsverwaltungen verfügen bei den nachgefragten Sachverhalten nicht über eigene Kenntnisse. Die Finanzierung des Personals in den Krankenhäusern bzw. im Bereich der Krankenversorgung der Charité - Universitätsmedizin Berlin erfolgt nicht über den Haushalt des Landes Berlin. Sie ist Teil des Budgets bzw. der Pflegesätze eines Krankenhauses, in dem die Personalkosten einen bis zu 70 % igen Anteil ausmachen. Die Budgets bzw. die Pflegesätze sind das Ergebnis von Vereinbarungen zwischen den Krankenkassen und den jeweiligen Krankenhäusern und finanzieren sich im Rahmen der Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung. Das Land Berlin ist dabei kein Verhandlungspartner mehr, sondern lediglich Genehmigungsbehörde. 1 ArbZG 7 (2a) In einem Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann abweichend von den 3, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 zugelassen werden, die werktägliche Arbeitszeit auch ohne Ausgleich über acht Stunden zu verlängern, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt und durch besondere Regelungen sichergestellt wird, dass die Gesundheit der Arbeitnehmer nicht gefährdet wird. ArbZG 7 (7) Auf Grund einer Regelung nach Absatz 2a oder den Absätzen 3 bis 5 jeweils in Verbindung mit Absatz 2a darf die Arbeitszeit nur verlängert werden, wenn der Arbeitnehmer schriftlich eingewilligt hat. Der Arbeitnehmer kann die Einwilligung mit einer Frist von sechs Monaten schriftlich widerrufen. Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer nicht benachteiligen, weil dieser die Einwilligung zur Verlängerung der Arbeitszeit nicht erklärt oder die Einwilligung widerrufen hat.
Nachfolgend werden daher die Antworten der Charité- Universitätsmedizin Berlin und Vivantes, die uns auf Nachfrage übermittelt wurden, aufgeführt. 2. Berichte der befragten Einrichtungen 2.1 Charité - Universitätsmedizin Berlin Die am 31.12.2006 auslaufenden Übergangsregelungen aus 25 des Arbeitszeitgesetzes mussten bis zu diesem Zeitpunkt durch tarifvertragliche Neuregelungen zur Arbeitszeit ersetzt werden. Die in der Charité geltenden Tarifvereinbarungen konkretisieren den Gestaltungsspielraum von Arbeitszeitregelungen. Neuregelungen zur Arbeitszeit auf tarifvertraglicher Grundlage Der zwischen der Charité und Marburger Bund vereinbarte Tarifvertrag beschreibt seit dem 01. Mai 2006 die tarifvertraglichen Neuregelungen zur Arbeitszeit der Ärzte. Die Arbeitszeitregelungen werden mit dem Anschlusstarifvertrag ab dem 01.Juli 2007 fortgesetzt. Vor dem Hintergrund der ersten Tarifeinigung hat die Charité mit den Anpassungsvorbereitungen zur Umsetzung der EuGH- Rechtsprechung zum Bereitschaftsdienst im Kalenderjahr 2006 begonnen. Die flächendeckende Umstellung der ärztlichen Arbeitszeiten und die tarifvertraglich vorgesehene Arbeitszeiterfassung in der Charité sind seit dem 01.01.2007 sichergestellt. Gleichzeitig wurde auch das tarifvertraglich vereinbarte Jahresarbeitszeitkonto mit festgelegten Arbeitszeit Höchst- und Mindestgrenzen, im Rahmen einer EDV- gestützten Personaleinsatzplanung realisiert. Für die Mitarbeiter/innen, die nicht unter den tarifvertraglichen Geltungsbereich des Marburger Bundes fallen, wurde zwischen der Charité und den Gewerkschaften ver.di und dbb-tarifunion ein Charité-spezifischer Tarifvertrag (Besonderer Teil Charité BT-C) mit Wirkung vom 1. Januar 2007 vereinbart. Die hier vereinbarten Arbeitszeitregelungen wurden mit Beginn der Tarifeinigung flächendeckend angepasst. Die Dokumentation der Arbeitszeiten erfolgt auch hier flächendeckend 2 durch die EDV- gestützte Personaleinsatzplanung. Arbeitszeitprojekt und Umstellungsprozess Die Charité hält eine Projektstruktur zur Umstellung der Arbeitszeitsysteme vor. Im Kalenderjahr 2006 wurde ein beteiligungsorientierter Beratungsprozess zur Entwicklung der neuen Arbeitszeitsysteme mit allen Kliniken durchgeführt. Auf Grundlage einer Ist- Analyse und ausführlichen Informationen zu den arbeitszeitrechtlichen Gestaltungsspielräumen erhielt jede Klinik ein über mehrere Sitzungen verdichtetes schriftliches Arbeitszeitkonzept. Die Umstellung der Arbeitszeiten erfolgte unter Berücksichtigung einer unabdingbaren Kooperation der Beteiligten in fachbezogenen, hierarchie- und campusübergreifenden Arbeitsgruppen. Das Ziel einer rechtskonformen Anpassung der Arbeitszeiten - mit dem Schwerpunkt ärztlicher Arbeitszeitgestaltung konnte hiermit ab dem 01.01.2007 flächendeckend sichergestellt werden. Personelle und finanzielle Auswirkungen der EU-Arbeitszeitrichtlinie unter Berücksichtigung der gültigen Tarifverträge 2 Pflegedienst seit mehreren Jahren zu 100%
Auch unter Berücksichtigung der jüngsten Tarifeinigung vom 01. Juli 2007 mit dem Marburger Bund verfügt die Charité über einen weitgehenden Spielraum zur Arbeitszeitgestaltung. Die auf durchschnittlich 48 Wochenstunden begrenzte Höchstarbeitszeit kann aufgrund der gültigen Tarifbestimmungen auf bis zu 60 Wochenstunden ausgedehnt werden. Vorrausetzung hierfür ist, dass die Mitarbeiter im erheblichen Umfang Bereitschaftsdienst leisten und eine freiwillige persönliche Erklärung zur Verlängerung der Arbeitszeit, auf bis zu 60 Wochenstunden, abgeben. Die Mitarbeiter in der Charité haben diese Möglichkeit, die auch unter dem Begriff opt-out bekannt ist, umfangreich genutzt. Der ursprünglich von der Charité erwartete, erhebliche Personalaufbau im ärztlichen Bereich zur Gewährleistung der rechtskonformen Umsetzung der EU-Richtlinien, konnte hierdurch weitestgehend vermieden werden. Die personelle Anpassung lässt sich mit 37 Vollkräften (VK) Ärztlicher Dienst sowie 6 VK Funktionspflegedienst qualifizieren. Das entspricht einem Gesamtaufwand von jährlich 2.670.000 zur Verbesserung der Arbeitszeitbedingungen. Gesamtprozess zur rechtkonformen Anpassung der Arbeitszeiten Auch unter Berücksichtigung der gegebenen Tarifpluralität zur Arbeitszeit und der sich hieraus ergebenden unterschiedlichen Gestaltungsspielräume zur Arbeitszeitgestaltung konnte der Gesamtprozess zur rechtskonformen Anpassung aller Arbeitszeiten im ersten Schritt abgeschlossen werden. Die weiteren Schritte der Charité sind nachfolgend dargestellt: Evaluation der umgestellten Arbeitszeitsysteme nach einem Erprobungszeitraum von 6 Monaten. Im Ergebnis der Evaluationen werden methodische Ansätze zur Arbeitszeitgestaltung und Personaleinsatzplanung verdichtet und mit den Kliniken gemeinsam festgelegt. Monatliches Controlling der Jahresarbeitszeitkonten unter Berücksichtigung der tarifvertraglichen und arbeitszeitgesetzlichen Arbeitszeithöchstgrenzen. Anlässlich tarifrechtlicher Vorgaben, Einführung von Belastungsanalysen gemäß 5 Arbeitsschutzgesetz. Hierzu werden die Inanspruchnahmen während des Bereitschaftsdienstes durch Aufzeichnungen dargelegt. In den Fällen, in denen die Datenanalyse eine Überlastung aufweist, sind erneute Arbeitszeitanpassungen vorzunehmen. Anlässlich der gegebenen Kooperation aller an dem Prozess Beteiligten konnte die Charité somit die rechtskonforme Umstellung der Arbeitszeiten erfolgreich umsetzen. Große Aufmerksamkeit widmet sie weiterhin der EU- arbeitszeitrechtlichen Entwicklung, denn Veränderungen dieser Rahmenbedingungen müssten zwangsläufig zu einem erneuten Anpassungsprozess führen. Eine Annäherung der Arbeitszeitverordnung für Beamte an die tarifvertraglichen Arbeitszeitentwicklungen würde die Charité, aufgrund der großen Praxisrelevanz für die Personaleinsatzplanung im klinischen Bereich, begrüßen. 2.2 Vivantes
Vivantes hat bereits im Dezember 2005 mit den Vorbereitungen zur Umsetzung der Richtlinie begonnen und dazu ein unternehmensinternes Projekt unter Federführung des Personalbereiches initiiert. Nach einer detaillierten Analysephase zum Arbeitszeitverbrauch, Inanspruchnahme im Rufdienst und Länge und Lage des Bereitschaftsdienstes, wurden pro Klinik Arbeitszeitmodelle entwickelt. Die Grundlage dafür bot ein Tarifvertrag zum Bereitschaftsdienst und eine diesen ausgestaltende Betriebsvereinbarung. Der gesamte ärztliche Dienst, das OP-Personal und der Funktionsdienst wurden entsprechend beraten. Parallel wurde einmalig zentral und jeweils zweimal dezentral über die Veränderungen in Veranstaltungen informiert. Jede einzelne Klinik wurde bezogen auf ihre Abläufe beraten. Die Minderung der Bereitschaftsdienstkosten wurde kalkuliert und der Mehrbedarf an Personal ermittelt. Vivantes hat etwa 70 Stellen für die Umsetzung der arbeitszeitrechtlichen Bedingungen eingestellt. Die Umstellung auf die neuen Modelle erfolgte in den meisten Abteilungen zum 01.07.2005. In einzelnen Disziplinen wurden erst verzögert die erforderlichen Stellen besetzt, so dass sich die Umsetzung in den Herbst verlagerte. Im Dezember 2006 haben sich die Ärztegewerkschaft Marburger Bund (MB) und Vivantes auf Eckpunkte eines arztspezifischen Tarifvertrags zur Umsetzung des deutschen Arbeitszeitgesetzes geeinigt. Dabei wurde sowohl auf die wirtschaftliche Situation von Vivantes als auch auf die Interessen der Ärztinnen und Ärzte Rücksicht genommen. Die Anpassungen auf den (Vorschalt-) Tarifvertrag mit dem Marburger Bund sind nunmehr ebenfalls abgeschlossen und fließen voraussichtlich in die abschließenden Tarifverhandlungen ein. Für das OP-Personal und der Funktionsdienst wurde der Tarifvertrag mit ver.di aus 2006 einmalig verlängert. Tarifverhandlungen mit ver.di stehen unmittelbar bevor. Ich bitte, den Beschluss damit als erledigt zu betrachten Berlin, den 3. September 2007 Katrin Lompscher Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz