Die Stellung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Finanzverteilung zwischen alten und neuen Ländern

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Transkript:

LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN 13. WAHLPERIODE INFORMATION 13/1275 Die Stellung des Landes Nordrhein-Westfalen in der Finanzverteilung zwischen alten und neuen Ländern Diese Studie wurde im Auftrag des Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienstes erstellt vom: Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstitut an der Universität Köln, Prof. Dr. Wolfgang Kitterer (Direktor) und Sven Heilmann Betreuung: Claudia Engelhardt Veröffentlichung: 18. Mai 2005

Mit dieser Ausarbeitung wurde der Parlamentarische Beratungs- und Gutachterdienst von Herrn Helmut Stahl, MdL, Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Fraktion, beauftragt. Die Gutachten des Parlamentarischen Beratungs- und Gutachterdienstes des Landtags Nordrhein-Westfalen sind urheberrechtlich geschützt. Die weitere Verarbeitung, Verbreitung oder Veröffentlichung - auch auszugsweise - ist nur unter Angabe der Quelle zulässig. Jede Form der kommerziellen Nutzung ist untersagt.

Inhalt 1. Die Problemlage...1 2. Die Haushaltslage Nordrhein-Westfalens im Vergleich...5 Anhang 2-I: Erläuterungen zu den Daten...12 3. Umverteilungselemente der primären Steuerverteilung...15 4. Umverteilung durch Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer...26 5. Umverteilungswirkungen im horizontalen Länderfinanzausgleich...33 6. Bundesergänzungszuweisungen...37 7. Verteilungswirkungen der Mischfinanzierung...42 7.1. Zur Rolle der Mischfinanzierung eine kurze Bewertung...43 7.2. Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG:...50 7.3. Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91b GG...60 7.4. Finanzhilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG...63 7.5. Geldleistungsgesetze nach Art. 104a Abs. 3 GG...73 7.6. Fazit...80 8. Ergänzende Indikatoren...83 9. Zusammenfassung der Ergebnisse...90 9.1. Primäre Steuerverteilung...91 9.2. Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer...92 9.3. Horizontaler Länderfinanzausgleich...93 9.4. Bundesergänzungszuweisungen...95 9.5. Mischfinanzierung...96 9.6. Ergänzende Indikatoren...98 9.7. Gesamtbewertung...100 Literatur...103

Abbildungsverzeichnis Abb. 2-1: Ausgaben je Einwohner...7 Abb. 2-2: Ausgaben je Einwohner (Flächenländer = 100)...7 Abb. 2-3: Einnahmen je Einwohner...7 Abb. 2-4: Einnahmen je Einwohner (Flächenländer = 100)...7 Abb. 2-5: Defizitquote...8 Abb. 2-6: Schuldenstand je Einwohner...8 Abb. 2-7: Zins-Ausgaben-Quote...8 Abb. 2-8: Zins-Einnahmen-Quote...8 Abb. 8-1: Entwicklung der Einwohner (1992 = 100)...84 Abb. 8-2: Anteil der Erwerbstätigen an den Einwohnern...84 Abb. 8-3: Bruttoinlandsprodukt je Einwohner...84 Abb. 8-4: Bruttoinlandsprodukt je Erwerbstätigen...84 Abb. 8-5: Steuereinnahmen (1992 = 100)...85 Abb. 8-6: Personalausgaben (Anteil an ber. Ausgaben)...85 Abb. 8-7: Investitionsausgaben (Anteil an ber. Ausgaben)...85 Abb. 8-8: Sozialhilfeausgaben (Anteil an ber. Ausgaben)...85

Tabellenverzeichnis Tabelle 2-1: Bereinigte Ausgaben 1997/98...13 Tabelle 2-2: Bereinigte Einnahmen 1997/98...13 Tabelle 3-1: Lohnsteuerzerlegung 2003...18 Tabelle 3-2: Privater Verbrauch je Einwohner in den Bundesländern, 1992 und 2002 21 Tabelle 3-3: Verteilung der Umsatzsteuer der Länder nach Konsum 2002...24 Tabelle 4-1: Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer nach Ländergruppen...28 Tabelle 4-2: Umverteilung durch Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer...31 Tabelle 5-1: Länderfinanzausgleich (einschließlich Fonds Deutsche Einheit )...35 Tabelle 6-1: Formen von Bundesergänzungszuweisungen...39 Tabelle 6-2: Verteilung der Bundesergänzungszuweisungen 1992 2003...41 Tabelle 7-1: Zahlungen des Bundes für Gemeinschaftsaufgaben nach Art 91a GG...51 Tabelle 7-2: Zahlungen des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe Ausbau und Neubau von Hochschulen...54 Tabelle 7-3: Zahlungen des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur...56 Tabelle 7-4: Zahlungen des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz...59 Tabelle 7-5: Zahlungen des Bundes für die Gemeinschaftsaufgabe Bildungsplanung und Forschungsförderung (Art. 91b GG)...62 Tabelle 7-6: Zahlungen des Bundes für Finanzhilfen nach Art. 104a Abs. 4 GG...65 Tabelle 7-7: Finanzhilfen für die soziale Wohnraumförderung...67 Tabelle 7-8: Zahlungen des Bundes für Finanzhilfen für den Städtebau...69 Tabelle 7-9: Zahlungen des Bundes für Finanzhilfen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden...71 Tabelle 7-10: Zahlungen des Bundes für die Finanzhilfe Investitionsförderung Ost...72 Tabelle 7-11: Zahlungen des Bundes für Geldleistungen nach Art. 104a Abs. 3 GG...74 Tabelle 7-12: Zahlungen des Bundes für die Geldleistung Wohngeld...75 Tabelle 7-13: Zahlungen des Bundes für die Geldleistung Ausbildungsförderung..77 Tabelle 7-14: Zahlungen des Bundes für die Geldleistung Unterhaltsvorschuss...78 Tabelle 7-15: Zahlungen des Bundes für sonstige Geldleistungen...80 Tabelle 7-16: Zahlungen des Bundes für Mischfinanzierungstatbestände...81 Tabelle 8-1: Steuereinnahmen je Einwohner 1992 und 2002...87

Tabelle 8-2: Arbeitslosenquote und Langzeitarbeitslose...89 Tabelle 9-1: Finanzausgleich 2002 im Überblick...94 Tabelle 9-2: Ausgewählte Indikatoren 2003...99

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 1 1. Die Problemlage Zu Beginn der neunziger Jahre hatte man den Fonds Deutsche Einheit, die Treuhandanstalt und den Kreditabwicklungsfonds als Übergangsinstrumente geschaffen, um für die alten Länder die finanziellen Belastungen, die sich aus der deutschen Einheit ergaben, in Grenzen zu halten. Das 1993 beschlossene Föderale Konsolidierungsprogramm (Solidarpakt I) beendete diesen Interimszustand. Ein gesamtdeutscher Finanzausgleich wurde eingeführt und durch hohe Transferzahlungen ergänzt, mit deren Hilfe insbesondere der infrastrukturelle Nachholbedarf in den neuen Ländern finanziert werden sollte. Da der Aufholprozess zögerlicher verlief als zunächst vermutet, wurde mit dem Solidarpakt II beschlossen, den neuen Ländern (einschließlich Berlin) ab 2005 über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren insgesamt 105 Mrd. Euro als Sonderbedarfs-Bundesergänzungszuweisungen zum Abbau teilungsbedingter Sonderlasten (Infrastrukturlücke, unterproportionale Finanzkraft) zur Verfügung zu stellen. Neben diesem so genannten Korb I hat sich der Bund verpflichtet, überproportionale Leistungen von insgesamt 51 Mrd. Euro für die ostdeutschen Länder zu gewährleisten. Angesichts der beachtlichen Transferprogramme für die neuen Länder, die das ohnehin hohe Ausgleichsniveau im System des Länderfinanzausgleichs (einschließlich Bundesergänzungszuweisungen) noch ergänzen, ergibt sich die Frage, auf welchen Wegen, durch welche Instrumente und in welcher Höhe zugunsten der neuen Länder und zulasten der alten Bundesländer Ausgleichsmaßnahmen zwischen den Ländern erfolgen und in welchem Umfang das Land Nordrhein-Westfalen daran beteiligt ist. Diese Frage stellt sich dabei nicht nur im Ost-West-Verhältnis. Die Stellung Nordrhein- Westfalens im Verhältnis zu den anderen alten Ländern ist von ebenso großem Interesse. Die Untersuchung konzentriert sich auf haushaltswirksame Einnahmen und Ausgaben, die den Ausgleich zwischen den alten und den neuen Ländern, sowie den Ausgleich innerhalb der alten Länder betreffen. Durch diese Abgrenzung werden von vornherein wesentliche Teile der Ausgleichs- oder Fördermaßnahmen, die den neuen Ländern zugute kommen, ausgeklammert. Darunter fallen alle Programme der

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 2 Wirtschaftsförderung für die neuen Länder, die der Bund zur direkten Unterstützung der Unternehmen in Ostdeutschland zur Verfügung stellt, wie z.b. die Investitionszulagen und die FuE-Förderung Ost. Auch allgemeine und speziell für die neuen Länder vorgesehene Steuervergünstigungen werden nicht erfasst. Diese sind zwar haushaltswirksam, weil sie das Steueraufkommen vermindern. Sie können in einzelnen Ländern bei unterschiedlichen Voraussetzungen und unterschiedlicher Inanspruchnahme differierende Steuerausfälle erzeugen. Sofern diese die Finanzkraft eines Landes schmälern, werden sie durch das nachgelagerte Finanzausgleichssystem teilweise kompensiert und beeinflussen insoweit die haushaltswirksamen Ausgleichzahlungen. Es liegen jedoch keine systematischen Schätzungen über die Höhe der Steuerausfälle für einzelne Länder vor. Zu den haushaltswirksamen Ausgleichsmaßnahmen im weiteren Sinne, die in dieser Untersuchung erfasst werden, zählen Umverteilungselemente, die bereits in der primären Steuerverteilung angelegt sind, wie z.b. die Verteilung der Umsatzsteuer nach Einwohnern; Ausgleichsmaßnahmen des horizontalen Länderfinanzausgleichs, einschließlich des vorgelagerten Ausgleichs durch die Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer; Ausgleichswirkungen der Bundesergänzungszuweisungen; Zahlungen des Bundes an die Länder im Rahmen der Gemeinschaftsaufgaben der Art. 91a und 91b GG; Zahlungen des Bundes an die Länder im Rahmen der Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 3 und 4 GG; Die summarische Ermittlung der Stellung eines Landes innerhalb dieses Finanzverteilungssystems stellt zunächst ein Informationsproblem dar, weil weder die öffentlichen Haushalte noch die Finanzstatistiken einen zusammenfassenden Nachweis der empfangenen und geleisteten Transferzahlungen und der in bestimmten Maßnahmen angelegten impliziten Umverteilung enthalten. Ein Bedarf an Informationen und mehr Transparenz ist aber aus verschiedenen Gründen vorhanden. Einerseits müssen die öffentlichen Haushalte konsolidiert werden, um den Anforderungen an die Zukunft gewachsen zu sein. Andererseits muss auch der Föderalismus grundlegend reformiert

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 3 werden, Änderungen in der Finanzverfassung eingeschlossen, um der Politikverflechtungsfalle zu entkommen und um Entscheidungsblockaden aufzubrechen. 1 Gerade zu diesem Zweck müssen die Handlungsspielräume für die landesspezifische Haushaltspolitik und Bindungswirkungen des bestehenden Umverteilungssystems offen gelegt werden. Die Konzentration auf die Ausgleichssysteme zwischen Gebietskörperschaften klammert allerdings die Handlungsspielräume in anderen Bereichen, z.b. den Abbau von Subventionen für den privaten Bereich in Form von Steuervergünstigungen und Finanzhilfen, aus. Über den reinen zahlenmäßigen Informationsbedarf hinaus stellt sich auch die Frage nach der Vergleichbarkeit von Belastungen und Begünstigungen zwischen einzelnen Ländern oder Ländergruppen. Die zu betrachtenden Umverteilungsmechanismen in horizontaler Richtung (zwischen den Ländern) und in vertikaler Richtung (zwischen Bund und Ländern) mit horizontaler Wirkung folgen ihren jeweils eigenen Bedarfs- und Zuteilungskriterien, die einerseits sachlich abgeleitet sind, andererseits aber auch mitunter die Zwänge der föderalen Kompromissfindung widerspiegeln. Ein aus empfangenen und geleisteten Transferzahlungen gebildeter Gesamtsaldo gibt daher zwar einen Eindruck von dem Nettoergebnis bestimmter Ausgleichsmaßnahmen, ist aber über den rein fiskalischen Nachweis hinaus nur begrenzt aussagefähig. Eine zusammenfassende Beurteilung verlangt dennoch nach übergeordneten Vergleichskriterien. Ein häufig angewandter Maßstab, der die Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Ländern und Ländergruppen gewährleisten soll, bezieht die empfangenen und geleisteten Transfers auf die Anzahl der Einwohner. Dies ist jedoch nur eine erste behelfsmäßig Annäherung, die unterschiedliche Ausgangssituationen in einzelnen Ländern nicht berücksichtigt. Daher sind weitere indikatorgestützte Sachverhalte (hinsichtlich der Finanzkraft, des Finanzbedarfs und der Wirtschaftskraft) in die Betrachtung einzubeziehen Ein Vergleich von einzelnen Ländern oder Ländergruppen mit der Gesamtheit der übrigen Länder ist nur sinnvoll, wenn die Gemeindeebene einbezogen wird. Dies rührt daher, dass einerseits bei Stadtstaaten eine Trennung von Landesebene und kommunaler Ebene nicht möglich ist, und dass andererseits der Kommunalisierungsgrad in einzelnen 1 Jahresgutachten 2003/04, Ziffer 391. Vgl. auch ebenda, Ziffern 510-517.

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 4 Ländern sehr unterschiedlich ist. Es empfiehlt sich daher, die finanziellen Wirkungen des Transfersystems auf die Länder einschließlich ihrer Gemeinden zu beziehen. In Anlehnung an den Sprachgebrauch des Statistischen Bundesamtes werden in dieser Untersuchung die Ländergruppen folgendermaßen bezeichnet: Alte Länder: die westdeutschen Flächenländer des früheren Bundesgebietes (ohne Stadtstaaten); Neue Länder: die ostdeutschen Flächenländer; Flächenländer: die Gesamtheit der alten und neuen Flächenländer; Stadtstaaten: Berlin (einschließlich Berlin-Ost); Bremen und Hamburg Länder gesamt: Gesamtheit der Flächenländer und Stadtstaaten Um die Ausgangslage der Ländergruppen zu beurteilen, die am bundesdeutschen Ausgleichssystem beteiligt sind, soll in einem ersten Schritt die Entwicklung der allgemeinen Haushaltslage dargestellt und bewertet werden. In diesem Zusammenhang werden die Einnahmen, Ausgaben und Haushaltssalden sowie der Schuldenstand je Einwohner analysiert. Anschließend werden die Umverteilungswirkungen des Finanzausgleichssystems untersucht, insbesondere die implizite Umverteilung in der primären Steuerverteilung (Abschnitt 3), die Umverteilung durch die Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer (Abschnitt 4) und der horizontale Länderfinanzausgleich einschließlich Bundesergänzungszuweisungen (Abschnitte 5 und 6). Der 7. Abschnitt dient der Darstellung der Verteilungswirkungen des Mischfinanzierungssystems. Dazu zählen die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a und 91b GG sowie die Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 3 und 4 GG. Ergänzende haushalts- und wirtschaftskraftbezogene Indikatoren sollen im 8. Abschnitt zur Bewertung der Ausgleichsergebnisse herangezogen werden. Abschnitt 9 fasst die Ergebnisse zusammen.

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 5 2. Die Haushaltslage Nordrhein-Westfalens im Vergleich Wenn Nordrhein-Westfalen mit der Gruppe der alten und der neuen Länder verglichen wird, sind zwei Besonderheiten zu berücksichtigen. Nordrhein-Westfalen ist ein Flächenland. Bei einem Vergleich seiner Haushaltslage mit der anderer Ländern oder einer Gruppe von Ländern bietet es sich an, ausschließlich Flächenländer in die Betrachtung einzubeziehen. Dies erleichtert auch den Vergleich mit der Gruppe der neuen Länder (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen), bei denen es sich ebenfalls um Flächenländer handelt Eine Einbeziehung der Stadtstaaten (Berlin, Bremen, Hamburg) in die Betrachtung würde nur die Besonderheiten der Stadtstaaten gegenüber den Flächenländern zur Geltung bringen. Wegen der zum Teil weit überdurchschnittlichen Einnahmen, Ausgaben und Schuldenniveaus der Stadtstaaten würde ihre Einbeziehung in die Vergleichsbasis (Ländergesamtheit) den Durchschnitt erhöhen und die Unterschiede zwischen den alten und den neuen Flächenländern verzerren. Infolgedessen werden in diesem Abschnitt die Flächenländer als Vergleichsbasis verwendet. Eine zweite Besonderheit muss bei dem Vergleich berücksichtigt werden. Die neuen Länder haben von Natur aus eine gegenüber den alten Ländern deutlich zu unterscheidende Haushaltssituation. Im Solidarpakt I von 1993 und auch noch im Solidarpakt II von 2001 war anerkannt worden, dass die neuen Länder trotz wesentlich geringerer eigener Einnahmen ein höheres Ausgabenniveau als die westdeutschen Länder realisieren können sollten, damit sich die Lebensverhältnisse und die Wirtschaftsstrukturen an das westliche Niveau anpassen konnten. Wegen dieses Strukturunterschiedes ist Nordrhein-Westfalen besser mit westlichen Flächenländern vergleichbar. Aus der Gegenüberstellung mit den östlichen Flächenländer wird daher der immer noch bestehende strukturelle Unterschied zwischen beiden Ländergruppen deutlich erkennbar. Ausgaben und Einnahmen In den Abbildungen 2-1 bis 2-4 (S. 7) ist die Entwicklung der bereinigten Ausgaben und Einnahmen der alten und neuen Länder sowie des Landes Nordrhein-Westfalen für die

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 6 Jahre 1992 bis 2003 dargestellt. 2 Die bereinigten Ausgaben Nordrhein-Westfalen sind in dem angegebenen Zeitraum von 3.870 Euro je Einwohner auf 4.254 Euro je Einwohner gestiegen. 3 Wie die Abbildungen 2-1 und 2-2 (S. 7) zeigen, folgte damit das Land Nordrhein-Westfalen ziemlich eng der Entwicklung der bereinigten Ausgaben der alten Flächenländer. Das Ausgabenniveau der neuen Länder liegt jedoch wesentlichen höher. Bereits 1992 betrugen die bereinigten Ausgaben dort 4.335 Euro je Einwohner. Bis 2003 stiegen sie auf 4.729 Euro je Einwohner an und waren damit um 475 Euro je Einwohner höher als in Nordrheinwestfalen bzw. um 557 Euro je Einwohner höher als im Durchschnitt der alten Länder. Insbesondere bei den neuen Ländern fällt auf, dass die Ausgabenentwicklung nicht kontinuierlich aufwärts verlief. Ein starker Ausgabenanstieg ist in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zu verzeichnen. Dagegen ergibt sich in der Jahren 1998 bis 2001 ein leichter Ausgabenrückgang, der erst in den letzten beiden Jahren wieder in einen moderaten Ausgabenzuwachs übergeht. Weniger ausgeprägt, aber ähnlich, verläuft die Ausgabenentwicklung in den alten Ländern. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre ist der Ausgabenanstieg etwas kräftiger; das Ausgabenniveau stagniert um die Mitte der neunziger Jahre und setzt sich seit 1998 gemäßigter als in der ersten Hälfte der neunziger Jahre wieder fort. Wie bereits erwähnt liegt das Ausgabenniveau der neuen Länder wegen des Nachholbedarfs über dem der alten Länder. Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums im Rahmen des Solidarpaktes I sollten die neuen Länder die Möglichkeit haben, mit Hilfe der Transferleistungen ein Ausgabenniveau von 105 Prozent des Niveaus in den alten Ländern zu realisieren. 4 Abb. 2-2 zeigt jedoch, dass dieses Niveau in den letzten zehn Jahren weit übertroffen worden ist. Von 1993 bis 2003 erreichten die neuen Länder stets ein Ausgabenniveau je Einwohner von mehr als 10 Prozent über dem Niveau der gesamten Flächenländer. Spitzenwerte wurden in den Jahren 1996 und 1997 realisiert, in denen die Ausgaben je Einwohner der neuen Länder das Niveau der alten Länder um 18 Prozent überschritten. Inzwischen sind die Ausgaben auf etwa 12 Prozent über dem Durchschnitt zurückgegangen. 2 Erläuterungen und Quellenangaben zu den Daten sind in Anhang I enthalten. 3 Der Anstieg der Ausgaben zwischen 1992 und 2003 ist insgesamt unterzeichnet, weil die Absenkung der Ausgaben in 1998 gegenüber 1997 durch eine methodische Bereinigung der Rechnungsstatistik erzeugt wurde. Vgl. dazu die genaueren Erläuterungen in Anhang I. 4 Vgl. Finanzbericht 1994, S. 11.

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 7 Abb. 2-1: Ausgaben je Einwohner Abb. 2-3: Einnahmen je Einwohner 5.400 4.800 5.100 4.500 Euro je Einwohner 4.800 4.500 4.200 3.900 Euro je Einwohner 4.200 3.900 3.600 3.600 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 3.300 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen Abb. 2-2: Ausgaben je Einwohner (Flächenländer = 100) Abb. 2-4: Einnahmen je Einwohner (Flächenländer = 100) 120 120 115 115 110 110 105 105 100 100 95 95 90 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 90 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen im System der deutschen Finanzverteilung 8 Abb. 2-5: Defizitquote Abb. 2-7: Zins-Ausgaben-Quote 18 10 in % der bereinigten Ausgaben 16 14 12 10 8 6 4 2 0 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 in % der bereinigten Ausgaben 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen Abb. 2-6: Schuldenstand je Einwohner Abb. 2-8: Zins-Einnahmen-Quote 8.000 10 Euro je Einwohner 7.000 6.000 5.000 4.000 3.000 2.000 1.000 in % der bereinigten Einnahmen 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 0 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 Schulden- Länder alte Länder neue Länder Nordrhein-Westfalen Alte Länder Neue Länder Nordrhein-Westfalen

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 9 Auf der Einnahmenseite gelten ähnliche Verhältnisse wie auf der Ausgabenseite. Die bereinigten Einnahmen des Landes Nordrhein-Westfalen lagen insbesondere in der ersten Hälfte der neunziger Jahre nur wenig unterhalb des durchschnittlichen Niveaus der alten Flächenländer und sind inzwischen noch näher an diesen Durchschnitt herangerückt (vgl. Abb. 2-3 und 2-4, S. 7). Mit 3.718 Euro je Einwohner hatte Nordrhein-Westfalen in 2003 nur um 42 Euro je Einwohner geringere Einnahmen als der Durchschnitt der alten Flächenländer. Auch das Einnahmenniveau der neuen Länder ist wesentlich höher als das der alten Länder. In den neunziger Jahren ist das Niveau der Einnahmen je Einwohner in den neuen Ländern rasch auf 4.718 Euro (1997) angestiegen; das waren knapp 15 Prozent mehr als dem Durchschnitt der Flächenländer zur Verfügung stand. 2003 hatten die neuen Länder Einnahmen von 4.292 Euro je Einwohner. Sie lagen damit immer noch um 13 Prozent über dem Durchschnitt aller Flächenländer. Seit 1995 stand damit den neuen Ländern (mit Ausnahme des Jahres 2002) immer mehr als 110 Prozent der durchschnittlichen Einnahmen je Einwohner der gesamten Flächenländer zur Verfügung. Defizite, Schulden und Zinslasten Die Haushaltsfehlbeträge der deutschen Flächenländer haben sich in der ersten Phase der letzten zwölf Jahre zunächst auf hohem Niveau bewegt. Die alten Länder finanzierten etwa fünf bis sechs Prozent ihrer Ausgaben über Defizite (vgl. Abb.2-5, S. 8), bevor sie in den Jahren 1998 bis 2000 durch Konsolidierung fast einen ausgeglichenen Haushalt erreichten. Die Steuerreform und die wirtschaftliche Stagnation der letzten drei Jahre haben dann aber dazu geführt, dass die Defizite der alten Flächenländer wieder sprunghaft anstiegen. In 2003 erreichten sie ein Spitzenniveau von gut 10 Prozent der bereinigten Ausgaben. Dem dargestellten Zyklus folgte auch das Land Nordrhein-Westfalen, jedoch auf einem durchgängig höheren Niveau. Die Defizitquote lag in den Jahren 1993 bis 1997 grob zwischen sechs und sieben Prozent. In der Konsolidierungsphase 1998 bis 2000 wurden die Haushaltsdefizite lediglich auf 2,7 Prozent der bereinigten Ausgaben zurückgeführt. Bei dem anschließenden sprunghaften Anstieg der Finanzierungsdefizite erreicht Nordrhein- Westfalen einen Spitzenwert seiner Defizitquote von 12,6 Prozent.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 10 Den hohen Defiziten folgte ein entsprechender Anstieg des Schuldenstandes, wenn sich auch der Schuldenzuwachs in einer kurzen Phase um 1998 bis 2000 abschwächte (vgl. Abb. 2-6, S. 8). 1992 betrug der Schuldenstand in den alten Flächenländern 4.047 Euro je Einwohner. Er stieg bis Ende 2003 auf 5.585 Euro je Einwohner an. Noch stärker als im Durchschnitt erhöhte sich in dem angegebenen Zeitraum trotz des bereits höheren Ausgangsniveaus der Schuldenstand Nordrhein-Westfalens. 1992 entfielen dort auf jeden Einwohner 4.712 Euro Schulden, die bis Ende 2003 auf 6.846 Euro je Einwohner zunahmen. Damit war der Schuldenstand Nordrhein-Westfalens Ende des vergangenen Jahres um 1.261 Euro je Einwohner höher als im Durchschnitt der alten Flächenländer. Der überdurchschnittliche Schuldenstand Nordrhein-Westfalens schlug sich auch in entsprechenden Zinslastquoten nieder (vgl. Abb. 2-7 und 2-8, S. 8). In den letzten zwölf Jahren machten die Zinsausgaben jeweils etwa 8 Prozent der bereinigten Ausgaben und 8 bis 9 Prozent der bereinigten Einnahmen aus. Die Zinslastquoten der alten Flächenländer lagen dagegen im Durchschnitt um ein bis eineinhalb Prozentpunkte niedriger. Dass die Zinslastquoten dem steigenden Trend des Schuldenstandes nicht gefolgt sind, hängt einmal daran, dass auch die Einnahmen und Ausgaben insgesamt zugenommen haben und zum anderen daran, dass das Zinsniveau im Trend der letzten zwölf Jahre rückläufig war und sich in den letzten drei Jahren auf relativ niedrigem Niveau stabilisiert hat. Die Defizite, der Schuldenstand und die Zinslasten haben in den neuen Ländern naturgemäß eine andere Entwicklung genommen als in den alten Flächenländern. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass Schuldenstand und Zinslasten zunächst gering waren. Durch die sehr hohen Defizite sind jedoch die Schulden der neuen Länder so stark angestiegen, dass sie innerhalb von nicht einmal einer Dekade ein Niveau erreicht haben, das die alten Flächenländer in mehr als vierzig Jahren aufgebaut haben. In den neunziger Jahren lag die Defizitquote der neuen Länder weit über der der alten Flächenländer (vgl. Abb. 2-5, S.8). 1992 bis 1994 wurden zwischen 16 und 17 Prozent der bereinigten Ausgaben durch Defizite finanziert. Zwar ging die Defizitquote danach in einem Zeitraum von sechs Jahren auf 4 Prozent zurück, in den letzten beiden Jahren ist sie aber wieder auf 10,4 (2002) bzw. 9,2 Prozent (2003) angestiegen. Der Schuldenstand der neuen Länder, der 1992 noch 1.183 Euro je Einwohner betragen

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 11 hatte, ist mit 6.090 Euro je Einwohner (2003) inzwischen um 505 Euro je Einwohner höher als in den alten Flächenländern. Wegen der hohen Verschuldung haben sich auch die Zinslastquoten an die westdeutschen Verhältnisse angenähert. Dass die durch die Quoten ausgewiesene Zinsbelastung der neuen Länder trotz der höheren Pro-Kopf- Verschuldung nicht höher ist als die der alten Länder, liegt daran, dass die neuen Länder immer noch ein höheres Einnahmen- und Ausgabenniveau realisieren als die alten Länder. Zusammenfassung Anhand der für den Zeitraum 1992 bis 2003 dargestellten Haushaltsindikatoren lässt sich die Stellung Nordrhein-Westfalens im Vergleich zu den alten und neuen Flächenländern folgendermaßen zusammenfassend kennzeichnen: Die bereinigten Ausgaben und Einnahmen des Landes (je Einwohner) bewegen sich in der Nähe des durchschnittlichen Niveaus der alten Flächenländer. Dabei lagen die Einnahmen je Einwohner in den letzten Jahren leicht unterhalb, die Ausgaben leicht oberhalb des Durchschnitts der alten Flächenländer. Einnahmen und Ausgaben waren aber deutlich niedriger als die Einnahmen und Ausgaben (je Einwohner) der neuen Flächenländer. Bei der Verschuldung und den Zinslasten ist Nordrhein-Westfalen dagegen überdurchschnittlich. Seine Haushaltsdefizite waren in der Regel höher als in den alten Flächenländern. Daher war auch sein Schuldenstand im betrachteten Zeitraum entsprechend überdurchschnittlich. Im Jahr 2003 war die Verschuldung in Nordrhein- Westfalen mit 6.846 Euro je Einwohner um 1.261 Euro je Einwohner höher als im Durchschnitt der alten Flächenländer und um 756 Euro je Einwohner höher als im Durchschnitt der neuen Flächenländer. 8 Prozent der Ausgaben Nordrhein-Westfalens bestanden daher aus Zinszahlungen, während es bei den alten Flächenländern im Durchschnitt nur 6,7 Prozent und bei den neuen Ländern 6,5 Prozent waren.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 12 Anhang 2-I: Erläuterungen zu den Daten Alle Daten der Abbildungen und Tabellen im Text und im Anhang stammen, soweit nicht anderweitig belegt, aus der Finanzstatistik des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 14). Für die Daten bis 2001 wurden die Rechnungsergebnisse (Reihe 3.1) verwendet, für die Daten der Jahre 2002 und 2003 die Kassenergebnisse (Reihe 2). Für die Schuldenstände wurden die Ergebnisse aus der Reihe 5 entnommen: Statistisches Bundesamt, Fachserie 14: Finanzen und Steuern, Reihe 2: Vierteljährliche Kassenergebnisse der öffentlichen Haushalte, Bundes- und Länderergebnisse, Wiesbaden, lfd. Jahrgänge. Statistisches Bundesamt, Fachserie 14: Finanzen und Steuern, Reihe 3.1: Rechnungsergebnisse des öffentlichen Gesamthaushalts, Bundes- und Länderergebnisse, Wiesbaden, lfd. Jahrgänge. Statistisches Bundesamt, Fachserie 14: Finanzen und Steuern, Reihe 5: Schulden der öffentlichen Haushalte, Bundes- und Länderergebnisse, Wiesbaden, lfd. Jahrgänge. Der jeweils angegebene Schuldenstand enthält die Kreditmarktschulden im weiteren Sinne einschließlich der Schulden bei öffentlichen Haushalten. Um die Vergleichbarkeit der Stadtstaaten mit den Flächenländern zu gewährleisten, umfassen alle Statistiken der Länder auch deren Gemeinden. Unter Einnahmen und Ausgaben sind die bereinigten Einnahmen und Ausgaben im Sinne der Finanzstatistik zu verstehen. Die Zinsausgaben umfassen auch die Zinsausgaben auf Schulden bei öffentlichen Haushalten. Die Zins- Einnahmen-Quote stellt den Anteil der Zinsausgaben an den bereinigten Einnahmen dar. Die Defizitquote ist der Anteil des Finanzierungsdefizits an den bereinigten Ausgaben. Die wirtschaftsstatistischen Daten (Einwohnerzahl und Bruttoinlandsprodukt) wurden den Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder entnommen: VGR Länder (2004), Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Hrsg.), Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen der Länder, Reihe 1: Länderergebnisse, Bd. 5, Entstehung, Verteilung und Verwendung des Bruttoinlandsprodukts in den Ländern und Ost-West-Großraumregionen Deutschlands 1991 bis 2003, Stuttgart 2004.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 13 Die Anteile an den Einnahmen und Ausgaben sowie die wirtschaftskraft- und einwohnerbezogenen Quoten stellen eigene Berechnungen auf der Basis der angegebenen statistischen Quellen dar. Das sprunghafte Absinken der Ausgaben und Einnahmen im Jahr 1998 (vgl. Abb. 2-1 und 2-3) ist auf die Anpassung der deutschen Finanzstatistik an das Europäische System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen 1995 (ESVG95) zurückzuführen. Im Rechnungsjahr 1998 wurden die Zusatzversorgungskassen sowie die Krankenhäuser und Hochschulkliniken mit kaufmännischem Rechnungswesen nicht mehr den öffentlichen Haushalten, sondern den öffentlichen Unternehmen zugeordnet. Durch diese Bereinigung sinkt das Niveau der Einnahmen und Ausgaben. Tabelle 2-1: Bereinigte Ausgaben 1997/98 1997 1998 Zuwachs 98/97 vor nach vor nach Korrektur Differenz Korrektur Mio. Euro % Mio. Euro % Länder 255.389 243.020 12.369 4,8 244.789-4,2 0,7 Gemeinden 165.661 143.685 21.976 13,3 142.508-14,0-0,8 Zweckverbände 6.654 5.437 1.217 18,3 5.187-22,0-4,6 Summe 427.704 392.142 35.562 8,3 392.484-8,2 0,1 Tabelle 2-2: Bereinigte Einnahmen 1997/98 1997 1998 Zuwachs 98/97 vor nach vor nach Korrektur Differenz Korrektur Mio. Euro % Mio. Euro % Länder 235.607 223.495 12.112 5,1 230.486-2,2 3,1 Gemeinden 162.521 140.848 21.673 13,3 144.658-11,0 2,7 Zweckverbände 6.587 5.248 1.339 20,3 5.115-22,3-2,5 Summe 404.715 369.591 35.124 8,7 380.259-6,0 2,9 Um die Auswirkungen der methodischen Änderungen auf die Daten kenntlich zu machen, hat das Statistische Bundesamt die bereinigten Einnahmen und Ausgaben (nur)

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 14 für das Jahr 1997 sowohl vor Korrektur (d.h. einschließlich Krankenhäuser und Hochschulkliniken mit kaufmännischem Rechnungswesen und einschließlich Zusatzversorgungskassen der Sozialversicherung) als auch nach Korrektur (ohne die angegebenen Institutionen) ausgewiesen. Die tabellarische Übersicht zeigt die dadurch eintretenden Veränderungen. Wären die Daten bereits 1997 nach Korrektur (d.h. ohne die angegebenen Institutionen) dargestellt worden, hätte sich 1998 gegenüber 1997 ein Zuwachs der Ausgaben um 0,1 % und der Einnahmen um 2,9 % ergeben. Tatsächlich wird jedoch in den Zahlenreihen der Länder (einschließlich Gemeinden und deren Zweckverbände) eine Abnahme der Ausgaben um 8,2 % und der Einnahmen um 6,0 % ausgewiesen. 5 Das Statistische Bundesamt konnte allerdings auf telefonische Nachfrage keine Angaben machen, inwieweit sich die methodische Änderung auf die übrigen Jahre auswirkt. Die Daten bis und nach 1997 sind daher nicht mehr vollständig vergleichbar. Für die Wachstumsraten von Einnahmen und Ausgaben ist dies weniger relevant, soweit man davon ausgehen kann, dass sich die Einnahmen und Ausgaben der bereinigten Institutionen im Wesentlichen mit ähnlichen Wachstumsraten wie die übrigen Einnahmen und Ausgaben entwickeln. Der Bruch wird in diesem Fall nur in dem Jahr sichtbar, in dem die Bereinigung vorgenommen wurde. Dies ist hier das Jahr 1998. 5 Bei dieser Darstellung stimmen allerdings die Summen der bereinigte Ausgaben und Einnahmen der Länder (einschließlich der Gemeinden und ihrer Zweckverbände) nicht mit den sonst für die Länder ausgewiesenen bereinigten Einnahmen und Ausgaben überein, weil die Summen hier nicht um die Zahlungen zwischen den Gebietskörperschaften bereinigt werden konnten.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 15 3. Umverteilungselemente der primären Steuerverteilung Im weitesten Sinne umfasst der Finanzausgleich die Verteilung der Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen auf die einzelnen Gebietskörperschaften. Die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern ist in der Verfassung festgelegt. Würden die einzelnen Gebietskörperschaften die ihnen obliegenden Aufgaben ausschließlich selbst finanzieren, wäre nur noch die Frage offen, welche Einnahmen den einzelnen Ländern zustehen und ob diese angemessen auf die Gebietskörperschaften verteilt sind. Der Bund beteiligt sich jedoch in umfänglichem Maße an der Finanzierung von Länderaufgaben. Diesen Tatbestand bezeichnet man als Mischfinanzierung. Sie trifft die einzelnen Länder unterschiedlich. Die auf diese Weise entstehende Verteilung von finanziellen Mitteln auf einzelne Länder wird in einem späteren Abschnitt untersucht. Das System der Einnahmenverteilung in Deutschland wird durch zwei Charakteristika dominiert. Der größte Teil des Steueraufkommens (etwa zwei Drittel) entsteht aus Gemeinschaftssteuern (Einkommen-, Körperschaft- und Umsatzsteuer), deren Erträge nach bestimmten Prinzipien vertikal, d.h. zwischen Bund und Ländern, bzw. horizontal, d.h. zwischen den Ländern, aufgeteilt werden. Die primäre Verteilung des Steueraufkommens wird außerdem durch eine umfangreiche Umverteilung ergänzt, an der sich sowohl der Bund als auch die Länder selbst beteiligen. Im System der Einnahmenverteilung sind daher vier Stufen zu beachten: 1. der primäre vertikale Finanzausgleich, d.h. die Verteilung der Steuererträge auf den Bund und die Ländergesamtheit; 2. der primäre horizontale Finanzausgleich, d.h. die Verteilung der den Ländern zugewiesenen Steuern auf die einzelnen Bundesländer; 3. der sekundäre horizontale Finanzausgleich, d.h. die Umverteilung von Steuererträgen zwischen den Bundesländern, die als Länderfinanzausgleich bezeichnet wird und 4. der sekundäre vertikale Finanzausgleich, d.h. die Umverteilung von ursprünglich dem Bund zugewiesenen Steuererträgen auf die Ländergesamtheit bzw. auf einzelne Bundesländer (z.b. Bundesergänzungszuweisungen).

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 16 Für die Bestimmung der Stellung des Landes Nordrhein-Westfalen oder von Ländergruppen (alte und neue Länder) in diesem Finanzverteilungssystem ist zunächst die zweite Stufe der primären Steuerverteilung von Interesse. Sie enthält nämlich bereits bestimmte explizite und implizite Umverteilungselemente, die insbesondere finanzschwache Länder begünstigt und die finanzstärkeren Länder belastet. Die primäre horizontale Verteilung der Gemeinschaftsteuern auf die einzelnen Länder soll im Prinzip jedem Land das Steueraufkommen zuordnen, das sich im Prinzip aus der Wirtschaftskraft des jeweiligen Landes ableiten lässt. 6 An der Primärverteilung des Steueraufkommens setzt die Umverteilung der Mittel über den sekundären horizontalen Länderfinanzausgleich an, also das, was die leistungsstärkeren Länder aus ihrem eigenen Steueraufkommen abgeben müssen und was die leistungsschwächeren Länder von der Solidargemeinschaft empfangen. 7 Die Primärverteilung bestimmt also, wer leistungsstärker und wer leistungsschwächer ist. Die Verfassung enthält in Art. 107 Abs. 1 GG verschiedene Kriterien für die horizontale Steuerverteilung zwischen den Ländern: Für den Länderanteil am Aufkommen der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer gilt die Verteilung nach dem örtlichen Aufkommen. Den einzelnen Ländern steht also das Steueraufkommen "insoweit zu, als die Steuern von den Finanzbehörden in ihrem Gebiet vereinnahmt werden." Der Länderanteil an der Umsatzsteuer wird dagegen nach der Einwohnerzahl auf die einzelnen Länder verteilt. Maximal ein Viertel der Länderanteils an der Umsatzsteuer wird nicht nach Einwohnern, sondern nach Bedarf verteilt, und zwar als so genannte Ergänzungsanteile. Nach den derzeitigen Regelungen werden mit den Ergänzungsanteilen die Einnahmen der finanzschwachen Länder auf 92 % des Länderdurchschnitts angehoben. 8 6 Vgl. zum Folgenden auch ausführlicher Kitterer (2000). 7 In seinem Urteil von 1986 hat das Bundesverfassungsgericht den horizontalen Länderfinanzausgleich als "eine Abgabe der leistungsstärkeren Ländern aus Eigenem" bezeichnet. BVerfGE 72, 330 II, S. 386. 8 Maßstab für die Zuweisung der Ergänzungsanteile sind die Einnahmen der Länder aus der

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 17 Die Bestimmung dessen, was bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer als örtliches Aufkommen gelten soll, ist nicht unbedingt einfach. Steuerzahlungen werden zuweilen durch steuertechnische Besonderheiten beeinflusst, die der wirtschaftlichen Bestimmung des örtlichen Aufkommens zuwiderlaufen. So führen beispielsweise Unternehmen mit mehreren Betriebsstätten die Körperschaftsteuer am Geschäftssitz ab, obwohl ihre Betriebsstätten, in denen das Steueraufkommen erwirtschaftet wird, weit verstreut sind. Ähnliche Effekte treten auf, wenn Großunternehmen mit vielen Filialen zentrale Lohnabrechnungen vornehmen und die Lohnsteuer lediglich an das Finanzamt des Hauptsitzes abführen. Lohnsteuer Das Zerlegungsgesetz korrigiert das von den Finanzämtern vereinnahmte Steueraufkommen durch zwei Prinzipien: 9 Die Körperschaftsteuer wird nach dem Betriebstättenprinzip zerlegt, während die Lohnsteuer nach dem Wohnsitzprinzip zerlegt wird. Letzteres hat prinzipiell zur Folge, dass die Lohnsteuer, die von dem jeweiligen Arbeitgeber am Ort der Betriebsstätte an das zuständige Finanzamt abgeführt werden muss, an die Finanzämter der Orte überwiesen werden muss, in denen die Arbeitnehmer wohnen. Diese Regelung benachteiligt insbesondere diejenigen Orte bzw. Länder, die einen hohen Einpendlersaldo haben. In Tab. 3-1 sind die Zerlegungssalden der Länder für die Lohnsteuer des Jahres 2003 angegeben. Die Stadtstaaten Hamburg und Bremen sind wegen ihrer hohen Einpendlersalden am stärksten von der Zerlegung nach dem Wohnsitzprinzip betroffen. Hamburg verliert 34,5 Prozent Bremen 22,3 Prozent seines örtlichen Lohnsteueraufkommens. Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg müssen per Saldo fast fünf Prozent ihres örtlichen Lohnsteueraufkommens an die umliegenden Flächenländer abgeben. Von den alten Ländern erhalten insbesondere Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz einen relativ hohen Anteil ihrer Lohnsteuern aus der Zerlegung. Ähnliches gilt auch für Einkommensteuer, der Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuerumlage sowie aus den Landessteuern. Vgl. dazu Abschnitt 4. 9 Vgl. dazu ZerlKraftStÄndG (1998).

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 18 die neuen Länder, denen mit Ausnahme Sachsens mehr als ein Viertel ihres Lohnsteueraufkommens aus der Zerlegung zufließt. Tabelle 3-1: Lohnsteuerzerlegung 2003 Einwohner Zerlegungssaldo Tsd. Mio. Euro Anteil an der Lohnsteuer (%) I. Länder mit negativem Zerlegungssaldo Nordrhein-Westfalen 18.073-1.973-4,9 Baden - Württemberg 10.680-1.199-4,7 Hessen 6.089-1.505-8,6 Hamburg 1.732-2.446-34,5 Bremen 663-352 - 22,3 II. Länder mit positivem Zerlegungssaldo Bayern 12.397 57 0,2 Niedersachsen 7.989 1.811 14,8 Rheinland - Pfalz 4.056 1.448 23,5 Schleswig - Holstein 2.817 1.093 28,8 Saarland 1.063 32 1,8 Berlin 3.391 147 2,5 Sachsen 4.334 708 18,7 Sachsen - Anhalt 2.536 563 28,3 Thüringen 2.383 512 25,2 Brandenburg 2.576 738 31,6 Mecklenburg-Vorpommern 1.738 365 26,6 Insgesamt 82.518 7.474 4,6 Quelle: Bundesministerium der Finanzen, Vorläufige Abrechnung des Finanzausgleichs unter den Ländern für die Zeit vom 01.01.2003 31.12.2003; eigene Berechnungen. Das zwischen den einzelnen Ländern fließende Lohnsteueraufkommen aus den Zerlegungssalden betrug 2003 insgesamt 7,5 Mrd. Euro bzw. 4,6 Prozent des gesamten Lohnsteueraufkommens dieses Jahres. Diese Ausgleichszahlungen dürfen nicht als Umverteilung werden. Sie führen den Ländern lediglich jenes Steueraufkommen zu, das ihnen nach dem Wohnsitzprinzips zusteht.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 19 Das Wohnsitzprinzip ist jedoch umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits in seinem Urteil von 1986 zugestanden, dass das örtliche Aufkommen sowohl dem Wohnsitz des steuerzahlenden Bürgers als auch dem Ort der wirtschaftlichen Wertschöpfung zugeordnet werden kann. Da das Wohnsitzprinzip die Einkommensentstehung am Arbeitsort gegenüber der Einkommensverwendung am Wohnort benachteiligt, wird in der finanzwissenschaftlichen Literatur häufiger dafür plädiert, für die Lohnsteuerzerlegung nicht ausschließlich das Wohnsitzprinzip anzuwenden, sondern die Lohnsteuer zumindest zu einem Teil nach dem Betriebsstättenprinzip zu zerlegen. 10 In dem Maße, in dem das Betriebsstättenprinzip als das angemessene Prinzip für die primäre Lohnsteuerverteilung angesehen wird, stellt die reine Anwendung des Wohnsitzprinzips eine Umverteilung zulasten der Länder dar, die den einpendelnden Arbeitnehmer den Arbeitsplatz zur Verfügung stellen. Da aber strittig ist, welches der beiden Prinzipien zur Konkretisierung des örtlichen Aufkommens in welchem Umfang anzuwenden ist, soll der Hinweis auf die Problematik hier genügen. Umsatzsteuer Anders liegt der Fall bei der Umsatzsteuer. Hier ist die Belastungskonzeption, die der Verteilung nach Einwohnern zugrunde liegt, weitgehend anerkannt. Die Umsatzsteuer wird zwar bei den Unternehmen erhoben. Es wird aber angenommen, dass sie auf den privaten Verbrauch überwälzt wird. Die Verteilung des örtlichen Aufkommens der Umsatzsteuer entspricht folglich der regionalen Verteilung der Konsumausgaben. Vereinfachend wird die Einwohnerzahl als Indikator für die Höhe der Konsumausgaben in einem Land verwendet. Sie stellt einen typisierenden Maßstab für die regionale Konsumkraft dar. 11 Die Verwendung der Einwohnerzahl als Indikator für die regionale Konsumkraft setzt jedoch voraus, dass der Konsum je Einwohner in den einzelnen Ländern ungefähr gleich hoch ist, jedenfalls nicht zu stark voneinander abweicht. Wegen des relativ hohen 10 Vgl. z.b. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen (1992), S. 72f.; Henke/Schuppert (1993), S. 94-108; Kitterer (1994), S. 5-14; Reformkommission Soziale Marktwirtschaft (1998), S. 16; Jahresgutachten 2001/02, S. 326. 11 Vgl. Kirchhof (1982), S. 7; Peffekoven (1987), S. 190.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 20 Einkommensgefälles zwischen den alten und den neuen Ländern sowie zwischen den Stadtstaaten und den Flächenländern trifft dies jedoch nicht zu. Es gibt in den einzelnen Ländern erhebliche Abweichungen im Pro-Kopf-Konsum. Den Ländern mit einem überdurchschnittlichen Konsum je Einwohner müsste daher auch ein entsprechend höherer Anteil der Umsatzsteuer zugeteilt werden. Eine bloße Verteilung der Umsatzsteuer nach Einwohnern enthält dagegen eine implizite Umverteilung der Umsatzsteuer zugunsten der Länder mit relativ niedrigem Pro-Kopf-Konsum und zulasten der Länder mit überdurchschnittlich hohem Pro-Kopf-Konsum. Tabelle 3-2 (S. 21) enthält den privaten Verbrauch je Einwohner in den Bundesländern in den Jahren 1992 und 2002. In diesem Zeitraum sind die regionalen Divergenzen des Pro-Kopf-Konsums zwischen den Ländern zwar zum Teil deutlich geringer geworden. Sie sind aber immer noch beträchtlich. 1992 betrug der private Verbrauch je Einwohner im Länderdurchschnitt 11.344 Euro. Die neuen Ländern verbrauchten dagegen 7.830 Euro je Einwohner und lagen damit nur bei 69 Prozent des Länderdurchschnitts. In 2002 hatten sie sich dagegen bis auf 87 Prozent an den Länderdurchschnitt angenähert. In entgegengesetzter Richtung verlief die Entwicklung bei den Stadtstaaten. Dort lag der private Pro-Kopf-Konsum 1992 noch um 9 Prozent über dem Länderdurchschnitt. In 2002 wich er jedoch mit 15.042 Euro je Einwohner kaum noch vom durchschnittlichen Verbrauch je Einwohner ab. Auch die Flächenländer haben sich in dem angegebenen Zeitraum an den Länderdurchschnitt angenähert. Der Unterschied im Pro-Kopf-Verbrauch zwischen den alten Ländern (15.422 Euro je Einwohner) und den neuen Ländern (12.982 Euro je Einwohner) ist also immer noch beachtlich. Aber auch innerhalb der Gruppe der alten Länder und der Stadtstaaten herrschen deutliche Divergenzen. Den höchsten privaten Verbrauch hat Bremen (17.743 Euro je Einwohner). Demgegenüber liegt Berlin mit 13.498 Euro je Einwohner weit zurück. In etwas geringerem Maße gilt dies für das Rheinland-Pfalz, das mit 14.594 Euro den niedrigsten Pro-Kopf-Konsum der alten Flächenländer hat. Gegenüber Baden- Württemberg, dem Flächenland mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch (15.889 Euro) hat das Land Rheinland-Pfalz immerhin einen Abstand von 1.295 Euro je Einwohner.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 21 Tab. 3-2: Privater Verbrauch je Einwohner in den Bundesländern, 1992 und 2002 1992 2002 1992 2002 Euro je Einwohner Länder gesamt = 100 Baden-Württemberg 12.521 15.889 110 106 Bayern 12.130 15.523 107 104 Hessen 11.708 15.029 103 100 Niedersachsen 11.659 14.718 103 98 Nordrhein-Westfalen 12.354 15.868 109 106 Rheinland-Pfalz 11.479 14.594 101 97 Saarland 10.840 14.678 96 98 Schleswig-Holstein 11.985 14.670 106 98 Brandenburg 8.289 13.008 73 87 Mecklenburg-Vorpommern 7.579 12.615 67 84 Sachsen 7.835 13.178 69 88 Sachsen-Anhalt 7.646 12.820 67 86 Thüringen 7.752 13.037 68 87 Berlin 11.101 13.498 98 90 Bremen 14.514 17.743 128 118 Hamburg 14.000 17.041 123 114 alte Flächenländer 12.090 15.422 107 103 neue Flächenländer 7.830 12.982 69 87 Stadtstaaten 12.339 15.042 109 100 Flächenländer gesamt 11.267 14.987 99 100 Länder gesamt 11.344 14.991 100 100 Quelle: VGR (2004), Tabellen 1.2 und 6.5; eigene Berechnungen. Unter der Annahme, dass die Umsatzsteuer auf den privaten Verbrauch überwälzt wird, folgt aus der dargestellten regionalen Divergenzen im privaten Verbrauch je Einwohner eine entsprechende Streuung des Umsatzsteueraufkommens. Die Verteilung der Umsatzsteuer nach Einwohnern nimmt die einwohnerbezogene Streuung des Konsums aber nicht zur Kenntnis. Sie unterstellt (zumindest ungefähr) gleiche Konsumausgaben je Einwohner und begünstigt daher jene Länder, in denen die Einwohner einen relativ geringen Pro-Kopf-Konsum haben. Besonders begünstigt sind die neuen Länder, besonders benachteiligt die Stadtstaaten Bremen und Hamburg sowie die Flächenländer Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Bayern, deren Konsumausgaben je Einwohner über dem Durchschnitt liegen. Das Ausmaß der Umverteilung zugunsten der konsumschwachen Länder wird aus dem ersten Teil von Tabelle 3-3 (S. 24) ersichtlich. Die Verteilung der Umsatzsteuer nach den Konsumanteilen in den einzelnen Ländern

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 22 hätte zur Folge, dass gegenüber der Primärverteilung nach dem geltenden Recht ein Volumen von insgesamt 1,6 Mrd. Euro (2,5 Prozent des den Ländern zustehenden Anteils an der Umsatzsteuer) in anderer Weise als örtliches Aufkommen zugerechnet werden müsste. Vor allem die neuen Länder würden Umsatzsteueranteile verlieren. Ihr örtliches Aufkommen an Umsatzsteuer würde sich um 1,2 Mrd. Euro vermindern. Das entspricht 6,6 Prozent des Umsatzsteueraufkommens, das ihnen nach dem geltenden Recht zusteht. Auf jeden Einwohner der neuen Länder würden also 88 Euro weniger Umsatzsteuer entfallen. Gewinner dieser Verteilung der Umsatzsteuer nach dem Konsum wären in der Hauptsache die alten Flächenländer. Ihr örtliches Aufkommen an Umsatzsteuer würde sich um knapp 1,2 Mrd. Euro (2,8 Prozent ihres Umsatzsteueraufkommens nach dem geltenden Recht bzw. 19 Euro je Einwohner) erhöhen. Das Umsatzsteueraufkommen der Stadtstaaten würde kaum berührt. Es würde sich lediglich um 14 Mio. Euro (0,3 Prozent) erhöhen. Bei der Betrachtung einzelner Länder entsteht allerdings ein sehr viel differenzierteres Bild. Die Tatsache, dass die Verteilung der Umsatzsteuer nach Konsum die Stadtstaaten kaum trifft, liegt ausschließlich an den schwachen Konsumausgaben in Berlin. Dem Land würden 220 Mio. Euro, d.h. 8,5 Prozent seines Umsatzsteueraufkommens verloren gehen, während die beiden übrigen Stadtstaaten deutliche Gewinner wären. Hamburg hätte nach dem Konsumkonzept gegenüber dem geltenden Recht ein um 13,8 Prozent, Bremen sogar ein um 18,2 Prozent höheres Umsatzsteueraufkommen. Auch unter den alten Flächenländern gäbe es Gewinner und Verlierer. Die Anwendung des Konsumkonzeptes als örtliches Aufkommen würde in den Ländern Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein Aufkommensverluste in Höhe von 1,2 bis 2,5 Prozent verursachen und käme insbesondere den konsumkräftigen Ländern Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen zugute. Gegenüber der Verteilung nach geltendem Recht würde sich das Umsatzsteueraufkommen des Landes Nordrhein-Westfalen sich um 691 Mio. Euro (fast 6 Prozent) erhöhen. Der erste Teil von Tabelle 3-3 (S. 24) beinhaltet die Aussage, dass die derzeitige Primärverteilung der Umsatzsteuer nach Einwohnern mit einer impliziten Umverteilung zugunsten konsumschwacher Länder im Jahr 2002 in Höhe von insgesamt 1,6 Mrd.

Nordrhein-Westfalen im System der Finanzverteilung 23 Euro verbunden sei. Bei der Bewertung dieses Ergebnisses muss man beachten, dass jede Änderung der primären Steuerverteilung im komplexen System der föderalen Einnahmenverteilung weitere Wirkungen entfaltet. Die Steuereinnahmen gehen nämlich in die Bemessungsgrundlage der auf den nächsten Stufen folgenden Umverteilung ein und lösen dort positive oder negative Ausgleichsleistungen aus. Wegen des hohen Ausgleichsniveaus des horizontalen Länderfinanzausgleichs muss man damit rechnen, dass jede Änderung in der primären Steuerverteilung durch das nachfolgende System weitgehend kompensiert wird. In diesem Zusammenhang sind jedoch mehrere Stufen zu unterscheiden: Bevor der sekundäre horizontale Länderfinanzausgleich greift, wird ein Teil des Umsatzsteueraufkommens nicht nach dem örtlichen Aufkommen, sondern nach Bedarf verteilt. Es handelt sich dabei um die sogenannten Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer. Sie dürfen maximal 25 Prozent der den Ländern zustehenden Umsatzsteuer ausmachen. Dieser bedarfsorientierte Umsatzsteuervorwegausgleich ist für sich genommen wiederum ein Umverteilungselement, auf das später noch im einzelnen eingegangen wird. In den Berechnungen zu Tabelle 3-3 (S. 24), die auf dem geltenden Recht basieren, wurden diese Ergänzungsanteile berücksichtigt. Nach Konsum neu verteilt wurde also nur der Teil des Umsatzsteueraufkommens der ansonsten tatsächlich nach Einwohnern verteilt wird. Der horizontale Länderfinanzausgleich berücksichtigt neben der primären Steuerverteilung auch die Ergänzungsanteile der Umsatzsteuer und legt die Ausgleichszahlungen, die die finanzstarken Länder leisten müssen, sowie die Ausgleichszuweisungen, die die finanzschwachen Länder empfangen, fest. Da eine Verteilung der Umsatzsteuer nach Konsum das Steueraufkommen der konsumschwachen Ländern mindert, sinkt zugleich die im Finanzausgleich zu berücksichtigende Bemessungsgrundlage, so dass diese Länder, die in der Regel ohnehin zu den Empfängerländern gehören, höhere Finanzzuweisungen aus dem Länderfinanzausgleich erhalten. Sie werden also für ihre verschlechterte Steuerbasis im Nachhinein wieder entschädigt.