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Transkript:

Betrifft www.betrifftkinder.de ISSN 1613-737X Heft 03 09 KINDER Das Praxisjournal für ErzieherInnen, Eltern und GrundschullehrerInnen heute Werkstatt Spuren hinterlassen Wissen Stiftungspädagogik Kleines Lexikon ungeschriebener pädagogischer Ansätze Wissen Lasst Kindheit klingen! Jedes Kind braucht Musik verlag das netz Kinder-Sprache stärken! Sprachliche Förderung in der Kita

6 Bildung neu definieren und hohe Bildungsqualität von Anfang an sichern Ein Plädoyer für die Stärkung von prozessualer Qualität, Teil 2 von Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis Um Bildungsprozesse erfolgreich, vor allem bei Kindern unter sechs Jahren, gestalten zu können, müssen diese angemessen moderiert werden. Dazu muss vor allem eine Gruppenatmosphäre geschaffen werden, die diese Prozesse unterstützt. Um die Aspekte der prozessualen Bildungsqualität zu unterstützen, werden folgende pädagogischspezifische Ansätze angewandt: Ko-Konstruieren, Bilden einer Gemeinschaft, Dekonstruieren, Dokumentieren, Ermächtigen (Empowering), Philosophieren, Problemlösen, Verstärken, Scaffolding (Hilfestellung geben) und Aufgaben analysieren. Ergänzend dazu werden in der Literatur weitere allgemeine Ansätze behandelt, die geeignet sind, die Effektivität kindlichen Lernens in der Gruppe zu steigern. Dazu gehören Demonstrieren, Beschreiben, Ermutigen, Loben und Helfen, Erleichtern, Feedback geben, Gruppen bilden, Zuhören, Modellverhalten, Positionieren von Personen, Fragen stellen, Erinnern, Singen, Vorschlagen, Erklären und Anleiten. Diese»Techniken«müssen von jeder Fachkraft angeeignet werden, um die etwa tausend Interaktionen, die jeden Tag in einer Krippen- oder Kindergartengruppe stattfinden, zu optimieren. Dies ist der Schlüssel für individuelle Gerechtigkeit und für höhere Bildungsqualität in Bildungsinstitutionen. Die englische Studie»Effective Provision of Preschool Eduation«hat deutlich gezeigt, dass die Kompetenz einer Fachkraft, Fragen zu stellen, Bildungsqualität stärken oder behindern kann. Stellvertretend für alle diese methodisch-didaktischen Ansätze, die inzwischen in den neueren Bildungsplänen (wie zum Beispiel im Bayerischen und Hessischen Bildungsplan) ihre Verankerung erfahren haben und demnach Bestandteil künftiger Erzieherprofessionalisierung sein sollten, werde ich den Ansatz der Ko-Konstruktion vorstellen, wie er von Glenda MacNaughton und Gillian Williams (2004) behandelt wird. Ko-Konstruktion als Ansatz zur Moderierung von Bildungsqualität Ko-Konstruktion als pädagogischer Ansatz heißt, dass Lernen durch Zusammenarbeit stattfindet, also von Fachkräften und Kindern gemeinsam ko-konstruiert wird. Der Schlüssel dieses Ansatzes ist die soziale Interaktion. Die Ko-Konstruktion hat sich aus dem philosophischen Ansatz des Konstruktivismus herausgebildet, nach dem man die Welt interpretieren muss, um sie zu verstehen. Auch Piagets Werk ist von dieser Auffassung geprägt: Nach Piaget lernen Kinder durch die aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt. Der soziale Konstruktivismus, der auf den Arbeiten Wygotskis aufbaut, teilt diese Auffassung, sieht jedoch den wesentlichen Faktor für die Konstruktion des Wissens in der sozialen Interaktion. Demnach lernen Kinder die Welt zu verstehen, indem sie sich mit anderen austauschen und Bedeutungen untereinander aushandeln. Dies impliziert auch, dass die geistige, sprachliche und soziale Entwicklung durch die soziale Interaktion mit anderen gefördert wird, während nach Piaget Kinder bei der Entwicklung von Sprache und Intelligenz viel mehr auf sich selbst gestellt sind. Der effektive Einsatz von Ko-Konstruktion Fachkräfte können mit Kindern Wissen ko-konstruieren, indem sie die Erforschung von Bedeutung stärker betonen als den Erwerb von Fakten. Für den Erwerb von Fakten müssen Kinder beobachten, zuhören und sich etwas merken. Die Erforschung von Bedeutung dagegen heißt, Bedeutungen zu entdecken, auszudrücken und mit anderen zu teilen ebenso wie die Ideen anderer anzuerkennen. Die Erforschung von Bedeutungen ist somit ein ko-konstruktiver Prozess, in dem Kinder und Erwachsene in einer Gemeinschaft ihr Verständnis und ihre Interpretation von Dingen miteinander diskutieren und verhandeln. Ko-Konstruktion wird durch den Einsatz von Gestaltung, Dokumentation und Diskurs unterstützt. Gestaltung, zum Beispiel Bilder, und Dokumentation, zum Beispiel Aufzeichnungen und Notizen der Fachkraft, ermöglichen es Kindern,

7 Durch die Ko-Konstruktion von Bedeutung lernen Kinder, dass die Welt auf viele Arten erklärt werden kann; Bedeutungen miteinander geteilt und untereinander aushandelt werden; ein Problem oder Phänomen auf viele Weisen gelöst werden kann; Ideen verwandelt und ausgeweitet werden können; Ideen ausgetauscht werden können; ihr Verständnis bereichert und vertieft werden kann; die gemeinsame Erforschung von Bedeutungen zwischen Erwachsenen und Kindern aufregend und bereichernd ist. Wann sollte Ko-Konstruktion eingesetzt werden? ihre eigenen Ideen auszudrücken und sie mit anderen zu teilen. Ebenso können sie dadurch die Ideen anderer kennen lernen. Der Diskurs schließlich ist der Prozess, in dem mit den Kindern über die Bedeutungen gesprochen wird, Bedeutungen ausgedrückt, geteilt und mit anderen ausgehandelt werden, während jeder versucht, die Gestaltungen und Dokumentationen der anderen zu begreifen. Fachkräfte achten dabei auf die Theorien der Kinder, ihre Vermutungen, Widersprüche und Missverständnisse und sie machen sie zum Gegenstand von Diskussionen in der Gruppe. Dadurch können sie sicherstellen, dass sie die Kinder bei der Erforschung der Bedeutungen unterstützen und nicht die bloße Vermittlung von Fakten fördern. Das Ziel der Ko-Konstruktion Mit Erwachsenen Bedeutungen zu ko-konstruieren hilft Kindern zu lernen, wie man gemeinsam mit anderen Probleme löst. Ko-Konstruktion ist deshalb eine wichtige Interventionsmethode, um das aktuelle Verständnis- und Ausdrucksniveau in allen Entwicklungsbereichen der Kinder zu erweitern. Dieser Prozess ist besonders nachhaltig, wenn Fachkräfte die Kinder dazu anregen, durch eine Vielzahl von Medien auszudrücken, wie sie die Welt begreifen. Durch Ko-Konstruktion können bessere Lerneffekte erzielt werden als durch selbstentdeckendes Lernen oder durch die individuelle Konstruktion von Bedeutung. Ko-Konstruktion kann immer dann eingesetzt werden, wenn das Kind versucht, sich die Welt um sich herum zu erklären. Dies geschieht nach neuesten Erkenntnissen bereits von Geburt an. Damit Kinder Bedeutungen ko-konstruieren können, brauchen sie eine große Vielfalt an Medien, mit deren Hilfe sie ihr Verständnis von der Welt ausdrücken und anderen mitteilen können. Diese Hilfsmittel müssen dabei ihrer Entwicklung und ihren Fähigkeiten angepasst sein. Zudem müssen sie Erwachsene um sich haben, die ihnen bei ihrem Bemühen zuhören und zusehen und mit ihnen interagieren. Bei Babys stehen sensorische Erfahrungen im Vordergrund. Ihnen sollten deshalb vielfältige Möglichkeiten geboten werden, ihre Umgebung durch Fühlen, Schmecken, Riechen, Tasten, Bewegung, Hören etc. zu erfahren. Kleinkinder entwickeln schnell die Fähigkeit, durch Sprache, Bilder, Modelle und Bauwerke die Welt zu entdecken und zu deuten. Sie besitzen eine große Bandbreite an Gesten und können sich bereits durch Musik, Rollenspiele, Geschichten, Bilder und Bewegungen ausdrücken, um anderen ihre Erfahrungen mitzuteilen. Diese Fähigkeit zu symbolischen Ausdruckweisen nimmt bei Vorschulkindern weiter zu. Im Schulalter können Kinder immer besser die Perspektiven und Gefühle anderer verstehen. Mit Ausdrucksmitteln wie Tanz und Musik drücken sie ihr Begreifen aus und erhöhen somit ihre Fähigkeit, Bedeutung zu konstruieren. Nach Gardner greifen Kinder dabei auf sieben Intelligenzbereiche zurück, um Bedeutungen zu erarbeiten und mitzuteilen: logisch-mathematische, sprachliche, musikalische, räumliche, körperlich-kinästhetische sowie interpersonale und intrapersonale Intelligenz. Diese multiplen Intelligenzen geben Fachkräften Anhaltspunkte, wie Kinder ihre Umwelt auf verschiedene Arten wahrnehmen und damit neue Bedeutungen konstruieren können. Beispielsweise könnten Bäume auf musikalische Weise erforscht (ihr Geräusch wiedergeben), räumlich dargestellt (mit einem Modell) oder die Bewegung im Wind durch eigene Bewegungen nachempfunden werden. Damit können sich

8 Ko-Konstruktion kann die Entwicklung von Selbstvertrauen fördern, indem die Kinder ermutigt werden, ihre individuelle Meinung auszudrücken und auch, indem Erwachsene Interesse an ihrer Meinung zeigen und diese wertschätzen. Zudem vermittelt Ko-Konstruktion die Bereitschaft, die Sichtweisen anderer zu verstehen und zu respektieren, wodurch das Bewusstsein und die Wertschätzung von Unterschiedlichkeit (Diversität) wachsen. Kinder können außerdem gezielt ermutigt werden, ihr Verständnis zu kulturellen Unterschieden herauszufinden und auszudrücken. Der geschlechtsspezifische Aspekt Kinder über verschiedene Wahrnehmungs- und Verstehensweisen ein und dasselbe Thema erschließen, mit anderen austauschen und somit Bedeutungen ko-konstruieren. Spezifische Aspekte der Ko-Konstruktion Einer der interessanten Aspekte dieser Ansätze besteht darin, dass sie der Fachkraft helfen, den Bildungsplan differenziert und auf das jeweilige Kind bezogen zu implementieren, eine Kompetenz, die in der bisherigen Ausbildung unzureichend vermittelt wurde. Der Prozess der Ko-Konstruktion wird oft als eine Möglichkeit präsentiert, den Kindern ein größeres Gewicht bei der Gestaltung von Lernprozessen in den Einrichtungen zu geben. Dies ist aber in einem großen Ausmaß von der aktiven Ausdrucksfähigkeit der Kinder abhängig, so dass das Schweigen schnell weniger wertgeschätzt wird. Es sollte deshalb immer im Auge behalten werden, dass auch das Schweigen eine eigene Form des Ausdrucks sein kann. Der interkulturelle Aspekt Die kulturelle und ethnische Identität von Kindern kann den Prozess der Ko-Konstruktion beeinflussen. Dabei spielt das bisher erworbene Selbstbewusstsein, das nötig ist, um die eigenen Sichtweisen anderen gegenüber zu vertreten, eine wichtige Rolle. Besonders Kinder, die sich in zwei kulturellen Gruppen bewegen, befürchten oft, in keiner der beiden sozialen Gruppen bestehen zu können und entwickeln dadurch geringeres Selbstvertrauen. Sie scheuen sich häufig, sich gegenüber anderen auszudrücken, die nicht ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Zudem können diese Kinder kulturspezifische Ausdrucksweisen verwenden, die nicht immer erkannt bzw. richtig interpretiert werden. Da bei Konflikten in der Regel Jungen diese eher durch körperliche Gewalt und Aggression lösen wollen, Mädchen dagegen mittels Sprache, Argumentation und Verhandlung, ziehen sich Mädchen in gemischt-geschlechtlichen Gruppen leicht zurück. Dies würde aber dazu führen, dass im kokonstruktivistischen Prozess die Jungen dominieren und nur die Bedeutungen der Jungen Gehör finden. Fachkräfte können einen Ausgleich fördern, indem sie Mädchen dazu ermuntern, Bedeutungen zu konstruieren. Zudem können Fachkräfte mit Jungen daran arbeiten, ihre Meinungen stärker sprachlich auszudrücken. Kinder mit besonderen Bedürfnissen In Gruppen mit Kindern mit unterschiedlichen Fähigkeiten kann Ko-Konstruktion zu einem bereichernden Prozess werden, wenn den Kindern eine große Spannbreite von Möglichkeiten angeboten wird, sich ihren spezifischen Fähigkeiten entsprechend auszudrücken. So sollten Kinder, die mit der Sprache Schwierigkeiten haben, besonders ermutigt werden, sich über Bilder, Musik, Bewegung etc. auszudrücken. Fach- und Lehrkräfte unterstützen Kinder darin, Achtung gegenüber der Diversität zu entwickeln, indem sie die verschiedenen Wege, sich auszudrücken, wertschätzen und mit den Kindern über die unterschiedlichen Arten, die Welt wahrzunehmen und zu erleben, sprechen. Perspektiven Es steht außer Zweifel, dass die Professionalisierung der Fachkräfte für den Elementarbereich, insbesondere was die Stärkung kindlicher Entwicklung und kindlicher Kompetenzen bei unter dreijährigen Kindern betrifft, den Anforderungen neuer Bildungspläne nicht genügt. Dies ist auch der Grund, warum seit geraumer Zeit eine Anhebung des Ausbildungsniveaus und eine Neukonzeptualisierung von Aus-

9 bildungsqualität verlangt wird (Fthenakis/Oberhuemer, 2002). Nachdem jüngst Österreich eine Anhebung der Erzieherausbildung auf Hochschulniveau angekündigt hat, Italien sogar eine fünfjährige gemeinsame Ausbildung auf universitären Niveau von Fachkräften befürwortet, die Institutionen übergreifend sowohl in Bildungsinstitutionen des Elementar- als auch des Primarbereichs tätig sein können, steigt der Druck auf die Bildungspolitik in Deutschland, entsprechende Reformen einzuleiten. Denn lediglich Malta und die slowakische Republik teilen europaweit mit Deutschland dieses niedrige Ausbildungsniveau. Auch die Ankündigung der Bund-Länder- Kommission, die Akademisierung der Leiterin anzustreben, genügt deshalb nicht, weil die konkrete Bildungsarbeit mit den Kindern in der Regel von der Gruppen- und nicht von der Einrichtungsleiterin geleistet wird. An der Fakultät für Bildungswissenschaften der Freien Universität Bozen werden die Studierenden umfassend für diesen Bereich qualifiziert und die Aneignung der Kompetenz, mit Hilfe dieser methodischen Ansätze die Interaktionen in der Gruppe zu optimieren, stellt einen zentralen Aspekt ihrer Ausbildung dar. Auch im Fortbildungskonzept der Hessischen Regierung findet man eine erste Verankerung der Implementation dieser Methoden, um die Fachkräfte beider Bildungsbereiche, des Elementarund Primarbereichs, zu befähigen, ein erfahrungsgeleitetes Paradigma bei der Gestaltung der Bildungsprozesse mit einem fachlich begründeten zu bereichern. Dabei gilt: Je jünger die Kinder in ihrer Entwicklung sind, desto zentraler ist die Bedeutung einer kind-, entwicklungs- und situationsgemäßen Gestaltung von Interaktionen. Die Kompetenz der Fachkräfte für diesen Bereich zu stärken ist eine nicht mehr aufschiebbare Aufgabe. Dazu ist allerdings erforderlich, diese an die Situation in unseren Bildungsinstitutionen zu adaptieren und entsprechende Materialien (vor allem videographiertes Material) und konkrete Beispiele für die Gestaltung solcher Interaktionsprozesse zu entwickeln. Die gesamte Entwicklung eines solchen Professionalisierungsangebots soll ko-konstruktiv mit der Praxis gestaltet werden. Eine solche Entwicklung bei der Professionalisierung einzuleiten, ist die Grundvoraussetzung, um kindliche individuelle Bildungsverläufe zu optimieren, das Fundament im Bildungssystem zu stärken sowie der Diversität der Familien und der Kinder, die diese Einrichtungen besuchen, gerecht zu werden. Darüber hinaus wird durch die Bereitstellung dieser Ansätze ein wichtiger Beitrag zur Stärkung früher Bildungsqualität geleistet, die allen Kindern in Deutschland zugutekommen kann. Prof. Dr. Dr. Dr. Wassilios Fthenakis, München Teil 1 des Beitrages erschien in»betrifft KINDER«, Heft 1-2/2009, S. 6ff. Fotos: Reggio Children, www.reggiochildren.it Literatur Alloway, N.: Foundation stones: The konstruction of gender in early childhood. Melbourne 1995 Alloway, N.: Early childhood enkounters the post-modern: What do we know? What can we kount as true? In: Australian Journal of Early Childhood. Melbourne, Bd. 22, S. 1-5 Anderson, C. W./Nagle, R. J./Roberts, W. A./Smith, J. W.: Attachment to substitute caregivers as a function of centre quality and caregiver involvement. Child Development. 1981, 52, S. 53-61 Broadfoot, P.: Assessment and learning: power or partnership? In: Goldstein, H./Lewis, T. (Hrsg.): Assessment: Problems, Development and Statistical Issues. Chichester 1991 Carew, J.: Experience and the development of intelligence in young children at home and in day care. Monographs of the Society for Research in Child Development. 1980, 45, S. 6-7, Serial No 187 Clarke-Stewart, K. A.: Predicting child development from child care forms and features: The Chicago Study. In: Phillips, D.: Quality in child care: What does the research tell us? Washington 1987 Dahlberg, G.: The ko-konstructing child and the ko-konstructing pedagogue some reflections on the child as an active citizen. In: Lost, Ch./Oberhuemer, P. (Hrsg.): Auch Kinder sind Bürger. Kindergarten- und Kinderpolitik in Deutschland. Hohengehren 1999, S. 118-134 Dahlberg, G: The ko-konstructing child and the ko-konstructing pedagogue some reflections on the child as an active child. In: Fthenakis, W. E./Oberhuemer, P. (Hrsg.): Frühpädagogik international: Bildungsqualität im Blickpunkt. Opladen 2004 Derman-Sparks, L.: Reaching potentials through antibias, multicultural curriculum. In: Bredekamp, S./Rosegrant, T. (Hrsg.): Reaching potentials: Appropriate curriculum and assessment for young children. Washington 1992

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