Vergleich der Jugendhilfesysteme



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Transkript:

Landesjugendamt Rheinland Vergleich der Jugendhilfesysteme Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens Niederlande Deutschland Ministerie van Justitie Raad voor de Kinderbescherming

Impressum Landschaftsverband Rheinland Landesjugendamt Amt für Verwaltung und erzieherische Hilfen 50663 Köln Redaktion und Gestaltung Brigitte Vöpel Tel. : +49 (0)221/809-6770 Fax : +49 (0)221/8284-1337 E-Mail : brigitte.voepel@lvr.de September 2007 Dieses Projekt wird von der Europäischen Union kofinanziert.

1 Gesamtinhaltsübersicht Seite Länderbericht Deutschland 3 Länderbericht der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens 51 Länderbericht der Niederlande 105 (Rechts-) Grundlagen grenzüberschreitender Jugendhilfe 153 Ansprechpartner, Adressen 155

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3 Länderbericht Deutschland Vorwort Sehr geehrte Leserinnen und Leser, so nah und doch so fern! Sind die Grenzen der Zusammenarbeit in der Jugendhilfe zwischen den belgischen, niederländischen und deutschen Fachkräften im Dreiländereck der Euregio Maas- Rhein immer weniger spürbar, bauen sich doch im Verständnis der gesetzlichen Grundlagen der jeweils anderen Partner Hürden auf. Dies liegt nicht nur an den zwei verwendeten Sprachen, sondern ist auch darin begründet, dass zurzeit sehr viele Reformansätze in den Ländern umgesetzt werden. Mitunter ist schon der Blick auf den eigenen Codex schwierig genug. Mit dieser Broschüre wollen wir diese Lücke, auf die wir immer wieder von Fachkräften in den vielen gemeinsamen Veranstaltungen der letzten Jahre hingewiesen wurden, schließen. Es geht hier nicht um die Frage eines systematischen Vergleichs des Jugendrechtes der drei Länder, sondern um konkret an der Praxis orientierte Ländervergleiche, die den Fachkräften vor allen Dingen eine lesbare Zusammenfassung bietet. Damit wollen wir das gegenseitige Verständnis der Grundlagen von sozialer Arbeit in den drei Ländern fördern und den Blick dafür weiten, die Grundlagen der Unterschiede zu verstehen und zu akzeptieren. Der mit dieser Broschüre erschiene Flyer für die Bürgerinnen und Bürger der Euregio Maas-Rhein ist ein weiteres Produkt dieses Projektes, wo gezielt über die Ansprechpartner für Familien und deren Kinder in den drei Ländern informiert wird. Damit ist der Bürgerbezug auch in diesem Projekt hergestellt. Letztendlich wird der Mehrwert für die Bürgerinnen und Bürger jedoch über ein verbessertes Wissen über die rechtlichen Grundlagen der Arbeit der Fachkräfte untereinander entstehen. Diese Broschüre wird das gegenseitige Verstehen der Arbeit der in den anderen Ländern arbeitenden Fachkräfte verbessern und die Kooperation wieder ein Stück voranbringen. Die Kooperationspartner Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens, Raad voor de Kinderbescherming Maastricht, Bureau Jeugdzorg Roermond, Jugendämter Kreis Heinsberg und Stadt Herzogenrath sowie der Landschaftsverband Rheinland/ Landesjugendamt haben das Vorhaben initiiert und voran getragen sowie materiell wie auch ideell unterstützt. Die Euregio Maas-Rhein sowie die Provinz Limburg/Niederlande haben durch die Mittragung der finanziellen Last dieses Projektes wesentlich zum Gelingen beigetragen. An dieser Stelle sei dafür ausdrücklich gedankt. Die Fachhochschule Köln hat durch die fachliche Begleitung von Frau Prof. Kötter und Frau Prof. Oberloskamp erst die Erstellung dieser Broschüre ermöglicht. Frau Handelmann und Herr Prof. Roggendorf haben durch ihr Engagement unser Anliegen vorangebracht. Ich wünsche Ihnen bei Ihren Bemühungen, die Kooperation der Jugendhilfe in der Euregio Maas-Rhein weiter wachsen zu lassen alles erdenklich Gute. Michael Mertens (Leiter des Dezernates Schulen, Jugend im Landschaftsverband Rheinland)

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5 Länderbericht Deutschland Die Jugendhilfe in Nordrhein-Westfalen Prof. Dr. Helga Oberloskamp, Köln Inhaltsübersicht A. Begriff und Aufgaben der Jugendhilfe 9 1. Begriff der Jugendhilfe 9 2. Aufgaben der Jugendhilfe 9 B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen 10 I. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Jugendhilfe 10 II. Internationalrechtliche Grundlagen der Jugendhilfe 11 1. Supranationale Rechtsquellen 11 2. Staatsvertragliche multilaterale Rechtsquellen 12 3. Staatsvertragliche bilaterale Rechtsquellen 12 4. Nur die Staaten verpflichtende Übereinkommen 13 III. Nationale Rechtsgrundlagen der Jugendhilfe 13 1. KJHG / SGB VIII 13 2. AdVermiG 13 3. Ausführungsgesetze der Länder 13 IV. Jugendhilfe im System des Sozialstaats 14 1. Allgemeines 14 2. Die Förderung von Kindern/Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen 14 an sie oder ihre Eltern 2.1 Mutterschaftsgeld ( 19 195 ff. RVO, MuSchG) 14 2.2 Kindergeld (BKGG, EStG 14 2.3 Erziehungsgeld (bis 2006) bzw. Elterngeld (ab 2007) (BErzGG, BEEG) 14 2.4 Unterhaltsvorschuss 15 2.5 Sonstige Sozialleistungen und steuerliche Regelungen 15 3. Das Bildungssystem 15 C. Strukturmerkmale der Jugendhilfe 19 I. Rechtsstellung von Eltern und Kindern im Rahmen der Jugendhilfe 19 1. Eltern 19 2. Kind 19

6 3. Elterliche Sorge 20 3.1 Entstehung und Inhalt der elterlichen Sorge 20 3.2 Die elterliche Sorge im Konfliktfall 22 II. Öffentliche Jugendhilfe als Teil der staatlichen Verwaltung 23 1. Staatsaufbau und Verwaltungsstruktur 23 1.1 Rechtsetzung 23 1.2 Verwaltung 24 2. Jugendämter 24 2.1 Jugendhilfe als Selbstverwaltungsaufgabe 24 2.2 Organisation der Jugendämter 24 3. Doppelstruktur der Jugendhilfe 25 3.1 Allgemeines 25 3.2 Staatliches Wächteramt 26 3.3 Leistungserbringung 26 D. Leistungsrecht 27 I. Rechtsanspruch oder objektives Recht (Reflexrecht ) 27 II. Arten von Leistungen 27 1. Standardleistungen 27 1.1 Jugendarbeit und Jugendverbandsarbeit ( 11, 12 SGB VIII) 27 1.2 Jugendsozialarbeit ( 13 SGB VIII) 28 1.3 Erzieherischer Jugendschutz ( 14 SGB VIII) 28 1.4 Förderung der Erziehung in der Familie ( 16 21 SGB VIII) 29 1.5 Tageseinrichtungen und Tagespflege ( 22 26 SGB VIII) 29 1.6 Hilfe zur Erziehung ( 27 35, 36 40 SGB VIII) 30 1.6.1 Allgemeines 30 1.6.2 Ambulante Hilfen 31 1.6.3 Stationäre Hilfen 33 1.7 Adoptionsvermittlung 35 2. Hilfen für besondere Personengruppen 36 2.1 Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Minderjährige 36 ( 35 a SGB VIII) 2.2 Hilfe für junge Volljährige ( 41 SGB VIII) 37 3. Finanzierung der Leistungen 37

7 III. Verfahren und gerichtliche Kontrolle 38 4. Behördliches Verfahren 38 5. Fehlende Mitwirkungsbereitschaft 38 6. Örtliche Zuständigkeit des Jugendamtes 38 7. Verwaltungsgerichtliches Verfahren 39 IV. Leistungserbringungsrecht 39 8. Gewährleistung der Infrastruktur 39 9. Zulassung von freien Trägern 40 10. Beteiligung anderer als öffentlicher Träger an der Erbringung von Leistungen 40 E. Andere Aufgaben der Jugendhilfe 41 I. Allgemeines 41 II. Intervention bei Gefährdung 42 1. Einordnung 42 2. Abschätzung des Gefährdungsrisikos 42 3. Inobhutnahme 43 III. Mitwirkung der Jugendbehörden bei den Aufgaben der Gerichte 45 1. Allgemeines 45 2. Vormundschafts- und Familiengerichtshilfe 45 3. Jugendgerichtshilfe 45 IV. Rechtliche Fürsorge für Minderjährige (Beistandschaft, Pflegschaft, Vormundschaft) 47 1. Grundsatz: elterliche Sorge 47 2. Ausnahme: staatliche Rechtsfürsorge 47 3. Eintritt der Rechtsfürsorge 47 4. Abgrenzung Vormundschaft Pflegschaft 47 5. Inhalt von Vormundschaft und Pflegschaft 48 6. Person des Vormunds oder Pflegers 48 7. Beistandschaft 48

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9 A. Begriff und Aufgaben der Jugendhilfe 1. Begriff der Jugendhilfe Eine gesetzliche Definition von Jugendhilfe gibt es nicht. Es ist der Praxis überlassen festzulegen, was zur Jugendhilfe gehört und was sie folglich ist. 1 III SGB VIII beschäftigt sich allerdings mit der Frage, wozu Jugendhilfe beitragen soll und 2 I SGB VIII mit der Frage, was sie umfasst. Die Fachliteratur und die Praxis der Jugendhilfe benutzen daher Umschreibungen, einmal - um sich überhaupt verständlich zu machen und zum anderen - um eine Abgrenzung von anderen mehr oder weniger verwandten Bereichen zu ermöglichen. Letzteres hat rechtliche Auswirkungen auf die sachliche Zuständigkeit von Behörden ( 85 ff. SGB VIII). Unstreitig ist, dass der Begriff Jugendhilfe insofern unscharf ist, als er nicht nur jungen Menschen von 14 bis 18 Jahren meint, sondern auch Kinder bis 14 und junge Volljährige bis 21, in Ausnahmefällen sogar bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres ( 7 SGB VIII). Hinsichtlich des Begriffs unterscheidet z.b. Wiesner 1 zwischen einem formellen und einen materiellen Begriff von Jugendhilfe. Der formelle Begriff meint, was der Gesetzgeber des SGB VIII als Jugendhilfe bezeichnet oder erkennbar diesem Gebiet zuordnet. Demnach ist Jugendhilfe die Summe der Aufgaben, die das SGB VIII den Trägern der öffentlichen Jugendhilfe zuweist. Der materielle Begriff der Jugendhilfe findet sich ansatzweise in 1 III SGB VIII. Demnach sind die Charakteristika von Jugendhilfe - die Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen - die Unterstützung, Herstellung oder Wiederherstellung der elterlichen Erziehungsverantwortung ( 1626 ff. BGB) und die Achtung des elterlichen Erziehungsprimats bis zur Grenze missbräuchlichen und kindeswohlschädigenden Verhaltens ( 1666 BGB) - der Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefahren für ihr Wohl - der Beitrag zum Erhalt oder zur Schaffung positiver Lebensbedingungen sowie einer kinder- und familienfreundlichen Umwelt. Wenn man den Begriff Jugendhilfe weniger abstrakt umschreiben will, so kann man sagen, dass er ein Sammelbegriff ist für Hilfe- und Förderungsmaßnahmen in Erziehungsfeldern außerhalb von Familie, Schule und Berufsbildung sowie innerhalb von Familie, Schule und Berufsbildung zu deren Unterstützung 2. 2. Aufgaben der Jugendhilfe Die Aufgaben der Jugendhilfe ergeben sich aus dem Jugendhilfegesetz, dessen wichtigster Bestandteil das SGB VIII ist, sowie aus den dazu gehörigen Nebengesetzen (die bedeutendsten: Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG) und die Ausführungsgesetze der Bundesländer) 3. Demnach ist gem. 2 SGB VIII zwischen sog. Leistungen und anderen Aufgaben zu unterscheiden. Leistungen sind Vorteile, die ein Leistungsträger einer Privatperson zur Verwirklichung von sozialen Rechten zukommen lässt. Ihre Inanspruchnahme ist freiwillig. Man unterscheidet Anspruchs- ( muss, hat zu, hat ein Recht auf ) und Ermessensleistungen ( kann ). Erstere kann der Bürger einklagen, wenn er die gesetzlichen 1 Einleitung Rn. 42 ff. 2 Oberloskamp/ Adams S. 6 3 die Nebengesetze von NRW finden sich unten unter 3.4

10 Voraussetzungen erfüllt. Bei den Letzteren hat die Behörde einen Spielraum für ihre Entscheidung, so dass es in der Regel mehrere richtige behördliche Reaktionen gibt, deren Wahl gerichtlich nicht überprüft und geändert werden kann. Zwischen diesen beiden Kategorien gibt es die Soll-Leistungen, die im Regelfall den Charakter von Muss-Leistungen haben. Die anderen Aufgaben stellen eine Restkategorie dar. Sie haben keine gemeinsamen Merkmale. Historisch betrachtet haben sie eine Art polizeilichen Charakter. Sie lassen sich heute dem staatlichen Wächteramt (Art. 6 III GG) zuordnen. Auf ihre Erfüllung hat der betroffene Bürger keinen direkten Einfluss. B. Rechtliche und politische Rahmenbedingungen I. Verfassungsrechtliche Grundlagen der Jugendhilfe In der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz (GG), kommt weder das Wort Jugendhilfe vor noch ist das Kind oder der Jugendliche in einem eigenen Artikel des Gesetzes geregelt. Daraus den Schluss zu ziehen, dass der deutsche Gesetzgeber an Kindern und Jugendlichen kein Interesse habe, wäre jedoch mehr als voreilig. Die Norm, in der Kinder u. a. vorkommen, ist Art 6 GG. Er lautet in den für die betroffenen Bereiche einschlägigen Absätzen folgendermaßen: (1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. (2) 1. Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. 2. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen des Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen der wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. Inhaltlich wirklich verstehen kann man diese Vorschriften nur auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte. Im sog. Dritten Reich hatten die staatlichen Behörden und nicht die Eltern Vorrang bei der Kindererziehung. Die Kinder wurden quasi dem Führer geschenkt, und dieser gab sie den Eltern nur treuhänderisch zurück. Aus diesen Erfahrungen wollte der deutsche Verfassungsgeber von 1949 Lehren ziehen. So etwas sollte nie wieder möglich sein. Folglich wurde die Stellung der Eltern sehr stark gestaltet, allerdings keineswegs zum Nachteil der Kinder. Grundaussage ist, dass vorrangig die Eltern für ihre Kinder verantwortlich sind. Sie sind die primären Erziehungsträger. Solange die Kinder durch das elterliche Erzieherverhalten nicht gefährdet werden, kann der Staat nur fördernde Hilfe anbieten. Wird sie nicht in Anspruch genommen, kann der Staat nicht eingreifen. Keinesfalls kann er, sofern Kinder bei ihren eigenen Eltern nicht optimal aufwachsen, sich einmischen und bessere oder gar die besten Eltern für diese Kinder suchen. Allerdings ist der Staat aufgefordert, darüber zu wachen, wie Eltern ihre Kinder erziehen. Werden Kinder durch elterliches Fehlverhalten (aktiv durch Missbrauch ihrer Rechtsmacht, passiv durch Vernachlässigung der Kinder) in ihrem Wohl gefährdet, dann ist die Schwelle erreicht, bei der der Staat das elterliche Verhalten nicht mehr tolerieren kann und eingreifen muss. Der Staat ist nur ein Wächter. Man spricht daher vom Staatlichen Wächteramt. Wer dieses Wächteramt konkret ausübt, ist in der Verfassung nicht gesagt. Es ist aber klar, dass dies primär die Jugendämter sowie die Familien- und Vormundschaftsgerichte sind. Darüber hinaus müssen es auch andere Behörden sein, die mit Kindern zu tun haben, wie z.b. die Schule, die Polizei, die Gesundheitsämter. Neuerdings hat der Gesetzgeber ausdrücklich klar gestellt, dass dies in der Jugendhilfe auch die freien Träger sind. Für private Schulen fehlt bisher eine entsprechende Verpflichtung.

11 Aus der Tatsache, dass der Staat über Wohl und Wehe der Kinder wachen muss, wird hergeleitet, dass er auch schon präventiv dafür Sorge tragen muss, dass eine Kindesgefährdung erst gar nicht eintritt. Er muss daher im Vorfeld Fördermaßnahmen und Hilfen anbieten. Dies ist die vorrangige Aufgabe von Jugendämtern. Diese sind primär Leistungs- und nur nachrangig Eingriffsbehörden. Aus Art. 6 II GG hat das Kind also das Recht auf Förderung und Schutz. Daneben hat es auch die Rechte, die jedem Menschen in Deutschland zustehen. Es hat daher das Recht auf Schutz seiner Menschenwürde (Art. 1 GG), auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit (Art.1 I GG) und auf Gleichbehandlung vor dem Gesetz, unabhängig von seinem Geschlecht, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seinem Glauben, seiner religiösen und politischen Anschauung sowie seiner Behinderung (Art.3 GG). Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen gehört auch die gerichtliche Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte. Eine Verletzung dieser Rechte kann vor den Gerichten geltend gemacht werden. Hier stehen dem Kind zunächst die Fachgerichte (alle Gerichte unterhalb des Verfassungsgerichts), sodann auch der Weg zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) offen. Nach Erschöpfung des Rechtswegs bei den Fachgerichten kann es Verfassungsbeschwerde einlegen. Das BVerfG kann dann feststellen, dass das Kind durch einen staatlichen Akt in seinen Grundrechten verletzt ist. II. Internationalrechtliche Grundlagen der Jugendhilfe Im internationalen Sektor sind verschiedene Rechtsquellen von Jugendhilfe zu unterscheiden: - die supranationalen - die multilateralen staatsvertraglichen - die bilateralen staatsvertraglichen. Keine Rechtsquelle sind solche internationale Verträge, die nur die Vertragsstaaten verpflichten, ihr nationales Recht entsprechend zu gestalten. 1. Supranationale Rechtsquellen In dieser ersten Kategorie gibt es unterschiedliche Normtypen. Zum ersten Normtyp gehört die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten 4. Sie enthält materielles Recht, das für alle Bürger Deutschlands unmittelbar gilt und auf das diese sich (nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs) vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte berufen können. Für den Bereich der Jugendhilfe spielt vor allem Art. 8 EMRK eine Rolle. Er schützt das Familienleben und lässt einen behördlichen Eingriff nur zu, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwenig ist. Zum zweiten Normtyp zählt zwar auch unmittelbar geltendes Recht, das allerdings nur Fälle mit Auslandsberührung betrifft, für die früher Staatverträge oder das autonome deutsche Recht die Rechtsgrundlage darstellten. Hier sind für die Jugendhilfe zwei EG- Verordnungen bedeutsam. Durch die - VO (EG) Nr. 1347/ 2000 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten vom 29.5.2000 5 (Sprachgebrauch: Brüssel II ), bereits weitgehend abgelöst durch die - VO (EG) Nr. 4 i.d.f. der Bekanntmachung v. 17.5.2002 (BGBl. II S.1055) 5 ABl. EG 2000, Nr. L 160, S. 19

12 2201/ 2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der VO (EG) Nr. 1347/ 2000 vom 27.11.2003 6 (Sprachgebrauch: Brüssel II a ) wird neben Ehesachen (die natürlich keine Jugendhilfe sind) das ganze Spektrum der jugendhilferechtlichen Hilfs- und Schutzmaßnahmen einbezogen (Art.1 Brüssel II a). Dass diese VO nicht nur Gerichte, sondern auch Behörden mit ihren Entscheidungen betrifft, ergibt sich aus Art. 2 Nr.1 Brüssel II a. 2. Staatsvertragliche multilaterale Rechtsquellen In der zweiten Kategorie findet sich eine große Menge von Abkommen, die ebenfalls kein materielles Jugendhilferecht, jedoch für Fälle mit Auslandsberührung Regeln in allen rechtlich relevanten Bereichen (internationale Zuständigkeit, Anerkennung, anzuwendendes Recht, Vollstreckung, internationale Kooperation) enthalten. Hierzu gehören u. a., wobei nicht präzisiert werden soll, für welche der genannten Bereiche sie Geltung besitzen, folgende Übereinkommen 7 : - Haager Vormundschaftsabkommen vom 12.06.1902 - Deutsch-iranisches Niederlassungsabkommen vom 17.02.1929 - Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11.12.1953 - Haager Unterhaltsstatutabkommen (UStA) vom 24.10.1956 - Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommen (UVA) vom 15.04.1958 - CIEC-Vaterschaftsübereinkommen (CIEC-VatÜ) vom 14.09.1961 - CIEC-Mutterschaftsübereinkommen (CIEC-MutÜ) vom 12.09.1962 - EG-Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (GVÜ) vom 27.09.1968 - Haager Unterhaltsvollstreckungsabkommen (UVA) vom 02.10.1973 - Haager Unterhaltsstatutabkommen (UStA) vom 02.10.1973 - Europäisches Sorgerechtsübereinkommen vom 20.05.1980 - Haager Kindesentführungsübereinkommen vom 25.10.1980 - Auslandsunterhaltsgesetz (AUG) vom 19.12.1986 - Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (LugÜ) vom 16.9.1988 - Haager Adoptionsübereinkommen (AdÜb) vom 29.05.1993 - Haager Kinderschutzübereinkommen (KSÜ) vom 19.10.1996 3. Staatsvertragliche bilaterale Rechtsquellen Die staatsvertraglichen bilateralen Rechtsquellen sollen nicht alle aufgeführt werden, weil sie in der Jugendhilfe keine wesentliche Rolle spielen. Sie gelten mit zwei Ausnahmen vor allem für das Unterhaltsrecht, sind aber durch das supranationale Recht und die multilateralen Abkommen sowieso weitgehend bedeutungslos geworden. Sie sind nachzulesen in Jayme/ Hausmann. Als gerade für die Jugendhilfe eventuell relevant sollen benannt werden: - Deutsch-österreichisches Vormundschaftsabkommen vom 05.02.1927 - Deutsch-österreichisches Fürsorgeabkommen vom 17.01.1966 6 ABl. EG 2003, Nr. L 338, S.1 7 Fundstellen in Jayme/ Hausmann, Internationales Privat- und Verfahrensrecht, 13. Aufl. 2006

13 4. Nur die Staaten verpflichtende Übereinkommen In diesem Sektor ist das wichtigste Übereinkommen - die UN-Kinderrechtskonvention vom 20.11.1989 8. An ihr muss jeder nationale Gesetzgeber sein autonomes Recht messen und es ggfs. den Normen der Konvention anpassen. Der einzelne Bürger kann sich nicht auf die Bestimmungen der Konvention berufen und sie erst recht nicht einklagen. III. Nationale Rechtsgrundlagen der Jugendhilfe 1. KJHG/ SGB VIII Die Jugendhilfe im engen Sinn ist geregelt im Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) vom 26.6.1990 9. Dieses besteht wie fast alle modernen Gesetze aus einer Reihe von Artikeln, von denen Art. 1 das Sozialgesetzbuch VIII ist, das das vorher geltende Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) abgelöst hat. Das SGB VIII ist also Teil des Sozialgesetzbuches, das inzwischen (es wächst noch) 12 Bücher umfasst. Da die Jugendhilfe somit im Sozialgesetzbuch geregelt ist, gelten für das SGB VIII die sog. allgemeinen Teile des SGB, also SGB I mit seine verwaltungsmäßigen Grundlagen und SGB X mit seinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Normen. 2. AdVermiG Teil der Jugendhilfe ist weiterhin das Adoptionsvermittlungsgesetz (AdVermiG). In der Rechtsgeschichte sollte es mehrmals in das Jugendhilfegesetz integriert werden. Dies scheiterte jedoch bisher aus unterschiedlichsten Gründen. So ist es jetzt so, dass es aufgrund eines Verweises des KJHG (Art.2 Nr.3) bis zur Einordnung in das SGB als besonderer Teil des Sozialgesetzbuches gilt. 3. Ausführungsgesetze der Länder Zur Jugendhilfe gehört ferner das Landesrecht, das aufgrund einer Reihe von Einzelermächtigungen des SGB VIII von den 16 Bundesländern erlassen worden ist. Für NRW ist es - Erstes Gesetz zur Ausführung des KJHG (AG KJHG NW) (Organisationsgesetz) vom 12. 12.1990 10 - Zweites Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder - GTK) vom 29.10.1991, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.01.2004 11 - Drittes Gesetz zur Ausführung des KJHG; Gesetz zur Förderung der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes (Kinderund Jugendförderungsgesetz - 3. AG-KJHG - KJFöG) v. 12.10.2004 12. 8 BGBl. 1992 II S. 990, Vertragsgesetz v. 21.2.1992 - BGBl. II S. 121 9 BGBl. I S. 1163 10 GV.NRW S. 498 11 GV.NRW S. 380 und GV.NRW S.30 12 GV.NRW S.572

14 IV. Jugendhilfe im System des Sozialstaats 1. Allgemeines Die deutsche Jugendhilfe ist eine Art Vollzug des Jugendhilferechts. Das Recht grenzt sich ab von der Politik, die entweder als Reaktion auf gesellschaftliche Bedürfnisse oder als Umsetzung einer Rechtsidee Einfluss auf die Legislative nimmt. Die in der Gesellschaft vorhandenen Bereiche und Begriffe von Recht und Politik decken sich nur teilweise. Im Sprachgebrauch steht dem Jugendhilferecht keine Jugendhilfepolitik gegenüber. Vielmehr ist letztere Teil der Jugendpolitik, die neben dem Jugendhilferecht andere Bereiche umfasst wie z.b. das Jugendstrafrecht und das Jugendschutzrecht. Das Jugendstrafrecht wird allerdings auch von der Rechtspolitik, die sich mit Strafrecht befasst, beansprucht, ebenso wie das Jugendschutzrecht, soweit es den Jugendarbeitsschutz betrifft, von der Arbeits- und Sozialpolitik beansprucht wird. Umgekehrt richtet die Sozialpolitik ihr Augenmerk nicht sehr auf das Jugendhilferecht, bei dem finanzielle Leistungen weniger im Vordergrund stehen als bei sonstigen Sozialleistungen. Allerdings befasst sie sich mit sonstigen finanziellen Leistungen für oder durch Kinder und Jugendliche, wie z.b. Kindergeld, Elterngeld, Ausbildungsförderung. Auch der Unterhaltsvorschuss könnte hierhin gehören, ist aber gesetzlich den Jugendämtern zugewiesen, auch wenn er nicht im SGB VIII geregelt ist. Die Ausbildungsförderung umgekehrt, die ohne weiteres Teil von Jugendpolitik sein kann, lässt sich natürlich auch dem Schul- und Bildungsbereich zurechnen, auch wenn sie während der allgemeinen Schulpflicht noch nicht zum Einsatz kommt. Die Familienpolitik schließlich hat mit dem Familienrecht fast gar nichts zu tun, da sie sich nicht vorrangig auf die zivilrechtliche Rechtsstellung von Kindern und ihren Eltern, sondern auf die Förderung von Familie insgesamt, d.h. primär auf Sozialleistungen im öffentlichen Recht bezieht. 2. Die Förderung von Kindern und Jugendlichen durch finanzielle Zuwendungen an sie oder ihre Eltern 2.1 Mutterschaftsgeld ( 195 ff. RVO, MuSchG) Für die Zeit des Mutterschutzes (6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt) gibt es Mutterschaftsgeld. Dieses beträgt bei gesetzlich Krankenversicherten genauso viel wie ihr bisheriger Nettoverdienst. Bis zu 13 pro Tag trägt die Krankenkasse oder der Bund, den Rest der Arbeitgeber. Bei privat Krankenversicherten erbringt deren private Versicherung vergleichbare Leistungen, die ebenfalls durch den Arbeitgeber ergänzt werden. 2.2 Kindergeld (BKGG, EStG) Das Kindergeld (nach BKGG) bzw. der steuerliche Kinderfreibetrag (nach EStG) dienen im Rahmen des Familienlastenausgleichs der steuerlichen Freistellung des Existenzminimums für Kinder bei der Einkommenssteuer. Die Höhe des Kindergeldes ist nach der Kinderzahl gestaffelt. Es beträgt zurzeit für das erste bis dritte Kind jeweils 154, für jedes weitere Kind 179. 2.3 Erziehungsgeld (bis 2006) bzw. Elterngeld (ab 2007) (BErzGG, BEEG) 2.3.1 Das Erziehungsgeld war (und ist für die Altfälle ) eine familienpolitische Leistung an Eltern für die persönliche Betreuung ihres Kindes in den ersten beiden Lebensjahren, die unabhängig von der Erwerbsbeteiligung der Eltern gezahlt wurde. Das Erziehungsgeld wurde in den ersten sechs Lebensmonaten des Kindes als Pauschalbetrag (450 ) und ab dem siebenten Lebensmonat bis zum 24. Lebensmonat einkommensabhängig (300 ) gezahlt.

15 2.3.2 Das Elterngeld, auf das für Kinder, die ab dem 1.1.2007 geboren sind, Anspruch besteht, wird in Höhe von 67 % des Einkommens aus Erwerbstätigkeit gezahlt, das in den 12 Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes monatlich durchschnittlich erzielt worden ist. Es beträgt höchstens 1.800 und mindestens 300 pro Monat. Um Personen mit geringem Einkommen besser zu stellen, gilt für sie die Geringverdiener-Komponente, aufgrund derer sie mehr als 67 % des vorherigen Verdienstes erhalten. Einen Geschwisterbonus gibt es, wenn neben dem neuen Kind mindestens ein Geschwisterkind unter 3 Jahren oder 2 Geschwisterkinder unter 6 Jahren vorhanden sind. Er beträgt 10 % des Elterngeldes, mindestens jedoch 75. 2.4 Unterhaltsvorschuss (UVG) Das Unterhaltsvorschussgesetz unterstützt Alleinerziehende (ledig, verwitwet, geschieden, dauernd getrennt lebend) und ihre Kinder, wenn der andere Elternteil, bei dem das Kind nicht lebt, - sich seiner Unterhaltspflicht ganz oder teilweise entzieht oder - zur Unterhaltsleistung nicht oder nicht hinreichend imstande ist oder - verstorben ist. Den Anspruch haben Kinder unter 12 Jahren. Er beläuft sich für Kinder der ersten Altersstufe (bis 6 Jahre) bis 30.6.2007 (danach regelmäßige zweijährliche Erhöhung) auf 204, für Kinder der zweiten Altersstufe (bis 12 Jahre) auf 247. Die Leistung kann längstens 72 Monate in Anspruch genommen werden. Unterhaltszahlungen und Waisenbezüge werden auf den Anspruch angerechnet. 2.5 Sonstige Sozialleistungen und steuerliche Regelungen Darüber hinaus werden Kinder in allen Sozialleistungsgesetzen, bei denen es um Geld oder geldwerte Leistungen geht (Wohngeld, Wohnberechtigungsschein, Beratungsund Prozesskostenhilfe, Leistungen bei Krankheit, Arbeitslosengeld, Grundsicherung, Sozialhilfe, Arbeitsförderung, Ausbildungsförderung) geht, leistungssteigernd berücksichtigt. Auch im Steuerrecht (Kinderfreibetrag, Haushaltsfreibetrag, Außergewöhnliche Belastung, Pflege-Pauschbetrag, Kinderbetreuungskosten, Hausgehilfin, Kirchensteuer, Ausbildungsfreibetrag, Pauschbetrag für Körperbehinderung) spielen sie eine wichtige Rolle. 3. Bildungssystem 13 Kindergärten Kindergärten besuchen Kinder vom 3. Lebensjahr bis zum Schuleintritt ganztags oder für einen Teil des Tages. Der Besuch ist freiwillig. Die Aufgabe der Kindergärten umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Es soll die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden. In einigen Ländern existieren auch andere Einrichtungen des Übergangs in die Grundschule wie Vorklassen und Schulkindergärten. Grundschulen Die Grundschulen umfassen die ersten vier Schuljahre, in Berlin und Brandenburg e- xistiert die sechsjährige Grundschule. Grundschulen werden von allen Kindern besucht und bereiten durch die Vermittlung von Grundkenntnissen auf den Besuch weiterführ- 13 Herausgegeben vom: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Referat Publikationen; Internetredaktion, 11055 Berlin

16 ender Schulen vor. Der Unterricht umfasst in der Regel die Fächer Deutsch, Mathematik, Sachunterricht, Kunst, Musik und Sport. Angebote zum Fremdsprachenunterricht werden in allen Ländern erweitert. Orientierungsstufe Die Orientierungsstufe ist die Zusammenfassung der Klassenstufen 5 und 6, die entweder den weiterführenden Schulen zugeordnet (schulartabhängige Orientierungsstufe) oder von ihnen getrennt (schulartunabhängige Orientierungsstufe) sind. Sie dient der Förderung und Orientierung der Schüler auf die weitere Schullaufbahn. Hauptschulen Die Hauptschulen sind Pflichtschulen für alle Schüler, die nach dem Besuch der Grundschulen nicht auf eine andere weiterführende Schule gehen. Sie endet mit der 9., in einigen Ländern mit der 10. Klassenstufe. In der Mehrheit der Länder wird ein freiwilliges 10. Hauptschuljahr angeboten. Rund 30% der Hauptschüler besuchen das 10. Schuljahr. Die Hauptschule vermittelt eine allgemeine Bildung als Grundlage für eine praktische Berufsausbildung. Realschulen Weiterführende Schulen mit den Klassenstufen 5 bzw. 7 bis 10. Das Abschlusszeugnis der Realschulen bietet im Allgemeinen die Grundlage für gehobene Berufe aller Art und berechtigt zum Besuch der Fachoberschule, des Fachgymnasiums oder zum Übergag auf ein Gymnasium in Aufbauform. Die Realschule vermittelt eine erweiterte allgemeine Bildung. Gymnasien Weiterführende, allgemein bildende Schulen, die im Regelfall9 oder 8 (Klassenstufe 5 bis 13 bzw. 12) bzw. 7 (Klassenstufen 7 bis 13) Klassenstufen umfassen. Fast alle Länder bieten mittlerweile die Möglichkeit an oder planen sie, bereits nach 12 Jahren das Abitur abzulegen. Es gibt außerdem Gymnasien in Aufbauform, deren Besuch im Allgemeinen den Realschulabschluss voraussetzt. Das Abschlusszeugnis des Gymnasiums (= allgemeine Hochschulreife) gilt als Befähigungsnachweis zum Studium an allen Hochschulen. Gesamtschulen In dieser Schulform sind die verschiedenen weiterführenden Schularten in unterschiedlicher organisatorischer und inhaltlicher Form zusammengefasst. Es werden integrierte Gesamtschulen (gemeinsamer Unterricht aller Schüler) sowie additive und kooperative Gesamtschulen (verschiedene Schularten der Sekundarstufe I in einer gemeinsamen Schulanlage) unterschieden. Fachgymnasien Berufsbezogene Gymnasien, die auf einem Realschulabschluss oder einem gleichwertigen Abschluss aufbauen. Sie vermitteln nach 3 Jahren (Klassenstufen 11 bis 13) den Befähigungsnachweis für das Studium an allen Hochschulen (= allgemeine Hochschulreife). Sonderschulen An Sonderschulen wird durch spezielle pädagogische Konzepte und Förderungsmaßnahmen den besonderen Belangen von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen Rechnung getragen. Diese Schulen sind jeweils auf die unterschiedlichen Behinderungsarten ausgerichtet und erteilen Unterricht von der Primar- bis zur Sekundarstufe II (z. T. auch mit Internat).

17 Ziel ist es, neben der Vermittlung von Bildungsinhalten auch lebenspraktische und sozial integrative Hilfen zu geben. Entsprechende Einrichtungen bestehen auch im Bereich von Realschulen, Gymnasien und bei den beruflichen Schulen. Abendschulen und Kollegs Einrichtungen, an denen Erwachsene auf dem Zweiten Bildungsweg den Hauptschulabschluss, den Realschulabschluss oder die allgemeine Hochschulreife erwerben können. Dazu gehören die Abendhauptschule, die Abendrealschule und das Abendgymnasium. Der Unterricht findet abends statt; die Teilnehmer sind in den ersten Jahren berufstätig. An Kollegs wird die allgemeine Hochschulreife erworben; sie sind Vollzeitschulen, deren Schüler nicht berufstätig sind. Berufsgrundbildungsjahr Den Teilnehmern wird durch Vollzeit- und Teilzeitunterricht eine allgemeine oder auf ein Berufsfeld bezogene berufliche Grundbildung vermittelt. Duale Berufsausbildung Das System heißt dual, weil die Ausbildung an zwei Lernorten durchgeführt wird: im Betrieb und in der Berufsschule. Es ist der Kernbereich der Berufsausbildung in Deutschland; mehr als 60% eines Altersjahrganges absolvieren eine Berufsausbildung in diesem System. Die Ausbildung in den einzelnen Berufen erfolgt auf der Grundlage von Ausbildungsordnungen (= Rechtsverordnungen des Bundes). Zurzeit gibt es rund 350 aufgrund von Ausbildungsordnungen anerkannte Ausbildungsberufe. Fachoberschulen Sie bauen auf dem Realschulabschuss oder einem als gleichwertig anerkannten Abschluss auf. Der Schulbesuch dauert bei Vollzeitunterricht mindestens 1 Jahr, bei Teilzeitunterricht bis zu 3 Jahren. Das Abschlusszeugnis gilt als Zugangsberechtigung zum Studium an Fachhochschulen. Berufsfachschulen Berufsfachschulen sind Vollzeitschulen, die mindestens für die Dauer eines Jahres besucht werden. Sie können in der Regel freiwillig nach Erfüllung der Vollzeitschulpflicht zur Berufsvorbereitung oder zur vollen Berufsausbildung ohne vorherige praktische Berufsausbildung besucht werden. Sie schließen mit einer Abschlussprüfung ab; der Abschluss nach zweijährigem Schulbesuch entspricht der dem Realschulabschluss gleichgestellten Fachschulreife. Absolventen können einen Abschluss in einem anerkannten dualen Ausbildungsberuf erreichen. Berufsaufbauschulen Berufsaufbauschulen werden von Jugendlichen besucht, die eine Berufsausbildung absolvieren oder eine Berufstätigkeit ausüben. Sie können nach mindestens einem halbjährigen Besuch einer Berufsschule neben dieser oder nach erfüllter Berufsschulpflicht besucht werden. Sie sind meist nach Fachrichtungen gegliedert. Die Unterrichtsdauer beträgt bei Vollzeitschulen 1 bis 1 1/2, bei Teilzeitschulen 3 bis 3 1/2 Jahre. Der erfolgreiche Abschluss vermittelt die dem Realschulabschluss vergleichbare Fachschulreife. Schulen des Gesundheitswesens An ihnen erfolgt die Ausbildung für nichtakademische Berufe des Gesundheitswesens wie z. B. Kranken- und Kinderkrankenpfleger/in, Hebammen/Entbindungshelfer, Masseur/in, Beschäftigungstherapeuten/-therapeutin. Viele dieser Schulen sind organisatorisch und räumlich mit Krankenhäusern verbunden, an denen sowohl die theoretische als auch die praktische Ausbildung stattfinden.

18 Fachschulen Fachschulen werden freiwillig nach einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung und praktischen Berufserfahrungen, teilweise auch nach langjähriger praktischer Berufserfahrung oder aufgrund des Nachweises einer fachspezifischen Begabung besucht. Sie vermitteln eine weitergehende fachliche Ausbildung im Beruf (z. B. Meisterschulen, Technikerschulen). Der Schulbesuch dauert bei Vollzeitunterricht zwischen einem halben Jahr und drei Jahren, bei Teilzeitunterricht in der Regel 6 bis 8 Halbjahre. Universitäten (Technische Universitäten, Technische Hochschulen) Sie sind die traditionellen Hochschultypen in Deutschland. An ihnen wird das breite Spektrum der Studienfächer angeboten. Sie verbinden die Aufgaben Lehre und Forschung. Sie haben das Promotionsrecht. Kunst-, Musik-, Theologische und Pädagogische Hochschulen An Kunst- und Musikhochschulen werden Studierende in den bildenden, gestalterischen und darstellenden Künsten bzw. in musikalischen Fächern ausgebildet. An Theologischen Hochschulen werden Theologen ausgebildet. An den Pädagogischen Hochschulen (zurzeit nur noch in Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Schleswig- Holstein und Thüringen) werden Grund-, Haupt- und Realschullehrer, teilweise auch Lehrer für Sonderschulen, ausgebildet. In den übrigen Ländern findet die Ausbildung von Lehrern an Universitäten, Technischen Universitäten/ Hochschulen, Gesamthochschulen bzw. Kunst- und Musikhochschulen statt. Gesamthochschulen Gesamthochschulen (nur in Hessen und Nordrhein-Westfalen) verbinden die Aufgaben in Forschung, Lehre und Studium, die sonst von Universitäten, Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen und zum Teil auch von Kunst- und Musikhochschulen wahrgenommen werden. Kennzeichnend für sie sind integrierte Studiengänge. Die Gesamthochschulen führen die Bezeichnung Universität-Gesamthochschulen. Fachhochschulen und Verwaltungsfachhochschulen Fachhochschulen und Verwaltungsfachhochschulen haben die Aufgabe, durch eine stark anwendungsbezogene Ausbildung auf berufliche Tätigkeiten vorzubereiten, die die Anwendung wissenschaftlicher Kenntnisse und Methoden oder die Fähigkeit zur künstlerischen Gestaltung erfordern. Sie bieten Studiengänge vor allem im Ingenieurwesen und in den Bereichen Wirtschaft, Sozialwesen, Landwirtschaft und Gestaltung an. An den Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung des Bundes und der Länder werden Beamte für die Laufbahn des gehobenen Dienstes in der öffentlichen Verwaltung ausgebildet. Weiterbildung Weiterbildung ist die Fortsetzung oder Wiederaufnahme jeder Art des Lernens (auch des informellen) nach Abschluss einer unterschiedlich ausgedehnten Bildungsphase in Kindheit und Jugend. Unterschieden werden die beiden Hauptbereiche allgemeine und berufliche Weiterbildung. Die Bereiche der politischen und kulturellen Weiterbildung sind schwerpunktmäßig der allgemeinen Weiterbildung zugeordnet. Für beide Weiterbildungsbereiche gibt es Angebote der Hochschulen und freien Träger zur wissenschaftlichen Weiterbildung sowie Fernunterrichtsangebote. Geprägt wird der Weiterbildungsbereich durch die Freiwilligkeit der Teilnahme, Vielfalt der Angebote und Pluralität der Träger sowie die subsidiäre Rolle des Staates.