Kommunikation mit/ohne Annahme geteilten Wissens

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Transkript:

Ludwig-Maximilians-Universität München Fakultät für Sprach- und Literaturwissenschaften Centrum für Informations- und Sprachverarbeitung (CIS) Hauptseminar: Geteiltes Wissen und spieltheoretische Semantik Dozent/en: Dr. Hans Leiß, Prof. Dr. Martin Hofmann Sommersemester 2011 Kommunikation mit/ohne Annahme geteilten Wissens Ausarbeitung des Seminarvortrags vom 18. Juli 2011 Janika Jürgens Magisterstudiengang Computerlinguistik

Vorbemerkung Mein Vortrag am 18. Juli 2011 sowie die vorliegende Ausarbeitung für das Hauptseminar Geteiltes Wissen und spieltheoretische Semantik stützen sich auf Kapitel 6 von Prashant Parikhs Buch The Use of Language (2001). Da ich mich in den folgenden Seiten ausschließlich an dieser Textgrundlage orientieren werde, habe ich versucht, Parikhs Terminologie sowie seine Definitionen größtenteils in englischer Sprache beizubehalten. Der Lesbarkeit, der Einfachheit und der Deutlichkeit halber werde ich jedoch einige Abkürzungen und Bezeichnungen etwas abändern. Diese Ausarbeitung verfolgt das Ziel, die teils recht komplexen Beschreibungen und Sachverhalte in möglichst einfachen Worten zu rekapitulieren, zu analysieren und zu problematisieren. Einführung Eigentlich würde man ein Kapitel, das Definitions heißt und tatsächlich fast ausschließlich aus Definitionen besteht, in einem Einführungsabschnitt zu Beginn Parikhs Buch The Use of Language erwarten und nicht in der Mitte. In den ersten fünf Kapiteln werden bereits einige Prinzipien, Bedingungen und Definitionen von Kommunikation erläutert. Kapitel 6 beschäftigt sich mit einer Reihe von Annahmen, die in den sog. BC-Assumptions aufgeführt sind und dahingehend modifiziert werden, dass wir letztlich ein vollständiges Set von Definitionen erhalten, welches das Phänomen Kommunikation und einige eng verwandte Konzepte präzise formalisiert. Ausgehend von den BC-Assumptions, die sich aus den Background Assumptions und den Circumstantial Assumptions zusammensetzen, verallgemeinern und generalisieren wir eine Ausgangsdefinition im Zuge eines Abstraktionsprozesses, in dem wir einige Annahmen davon fallen lassen oder neu aufgreifen. The Assumptions (BC-Assumptions) Unser Set von Annahmen (BC-Assumptions) setzt sich, wie bereits erwähnt, aus den Background Assumptions (BA-Assumptions) und den Circumstantial Assumptions (CA-Assumptions) zusammen. 1

Wie die Bezeichnungen bereits vermuten lassen, liefern uns die Background Assumptions einige wichtige Hintergrundinformationen. Darunter die Annahme, dass es sich bei den Spielern A und B um zwei kooperierende, rationale Agenten handelt, wobei unter rational zu verstehen ist, dass beide Spieler die jeweils beste Strategie verfolgen. Die sog. meaning-funktion m mit der Menge aller Aktionen als Definitionsbereich und der Potenzmenge der Menge aller Propositionen P als Wertebereich, stellt eine Verbindung zwischen einer Äußerung u und einer endlichen Menge von Propositionen her, d.h.: m(u) = P. Vereinfacht gesagt ist mit m die Bedeutung der gemeinsamen Sprache L gemeint. Ferner sind alle Annahmen, die in den Background Assumptions aufgeführt sind, common knowledge. Die Circumstantial Assumptions variieren mit der Diskurssituation d. So hat Agent A die Intention einen bestimmten Sachverhalt, eine Proposition p zu übermitteln und äußert zu diesem Zweck beispielsweise einen Satz oder eine andere (sprachliche) (Laut-)äußerung. Da Agent B die Absicht verfolgt, das was Agent A sagt bzw. gesagt hat zu interpretieren, muss er die Nachricht, die diese bestimmte Absicht transportieren soll, zumindest einmal empfangen und interpretieren. Mit der Bedeutungsfunktion m können wir die Proposition p identifizieren. Wenn es zwei Propositionen gibt, gehen wir davon aus, dass eine wahrscheinlicher ist als die andere, wobei jede eindeutige Äußerung u mit größerem Aufwand verbunden wäre als eine mehrdeutige Äußerung u. Mit Ausnahme der Punkte (1) und (3) sind alle aufgeführten Annahmen der Circumstantial Assumptions common knowledge. Das vollständige Annahmenset sei hier aus Gründen der Vollständigkeit noch einmal aufgeführt: Background Assumptions 1. A, B are rational. 2. L is a shared language. 3. m is a function from L to the power set of the collection of propositions. I call it the meaning function of L or just the meaning of L. 4. The above assumptions are common knowledge between A and B. 2

Circumstantial Assumptions 1. A intends to convey p. 2. A utters u. 3. B intends to interpret u. 4. B receives and interprets u. 5. m(u) = {p,p'}. 6. p' is relatively unlikely. 7. Expressing p, p' unambiguously takes greater effort than expressing them ambiguously. 8. All of the above except (1) and (3) are common knowledge. Definitionen Wir fordern, dass unser Spiel eine eindeutige Lösung hat. Wie wir zu dieser eindeutigen Lösung kommen, lässt Parikh in diesem 6. Kapitel offen. Da wir den genauen Spielablauf hier außer Acht lassen, ziehen wir die Annahmen über Wahrscheinlichkeiten (probabilities) und Nutzen (payoffs) nicht in Betracht. Wünschenswert ist eine explizite, doch gleichzeitig auch möglichst allgemein gehaltene Definition von Kommunikation, die sich nicht allein auf Sprache beschränkt. Da Kommunikation auch innerhalb und zwischen verschiedenen Gattungen erfolgen kann, liegt die Vermutung nahe, dass es Unterschiede zwischen dem Kommunikationsakt von Mensch zu Mensch, Mensch zu Tier, Mensch zu Maschine oder ähnlicher Konstellationen geben muss. Es wird versucht dieser Intuition in den Definitionen (3) und (10) zumindest ein Stück weit Rechnung zu tragen. Da wir eine nicht mehr sprachspezifische Definition von Kommunikation anstreben, müssen wir unsere meaning-funktion m für alle Aktionen erweitern. Dies bedeutet, dass wir die Annahme über eine gemeinsame Sprache L verwerfen können. Common knowledge fordern wir nicht mehr allgemein, sondern nur noch für die Teile, die auch wirklich für den Kommunikationsakt relevant sind, d.h. insbesondere für die konkrete Äußerung u. Es ist offensichtlich, dass wir dann auch unsere reception -Annahme (vgl. Punkt (4) CA-Assumptions) verwerfen können, da eine zusätzliche Aufführung von receive redundant wäre. 3

DEFINITION (1) - communication A communicates p to B by producing u iff 1. A intends to convey p to B. 2. A utters u. 3. (2) is common knowledge between A and B. 4. B intends to interpret u. 5. B interprets u. 6. (5) is common knowledge between A and B. 7. p ϵ m(u). 8. (7) is common knowledge between A and B. 9. g(u) has the unique solution <u,p> for A and B. Unter convey in Punkt (1) aus Definition (1) bzw. Punkt (1) der Circumstantial Assumptions verstehen wir schlicht einen Transfer von Informationen oder Missinformationen, ähnlich einer Übertragung von Daten von einer Festplatte zu einer anderen. Gehen wir auf Punkt (9) unserer ersten Definition etwas genauer ein. Da wir in game theory standardmäßig sämtliche Wahrscheinlichkeiten und Nutzwerte als common knowledge betrachten, ist auch das lokale Spiel g(u) common knowledge, welches wir explizit mit folgender Schreibweise ausdrücken können: <g(u),i>, wobei I die Informationsstruktur repräsentiert, die das Wissen und Glauben jedes Agenten über das Modell des jeweils anderen Agenten sowie über die objektive Situation enthält. In diesem Fall repräsentiert I common knowledge von g(u). Wir haben also gemeinsame Baumstrukturen und Wissenszustände, sodass der Spielbaum zwar der gleiche, jedoch unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten und Nutzwerte möglich sind. Wie auch immer die Wahrscheinlichkeiten und Nutzwerte genau aussehen mögen, sie sind common knowledge. Ebenso die Baumstruktur und die Wissenszustände. Da in aller Regel sowohl der Sprecher als auch der Adressat bzw. der 4

Hörer wenig über die Strategien des jeweils anderen wissen, nehmen wir an, dass es zwei unterschiedliche Spiele gibt. Parikh verzichtet in diesem Kapitel auf eine Ausarbeitung der Spielabläufe und die Festlegung spezifischer probabilities und payoffs. Wir differenzieren folglich zwischen dem Spiel des Sprechers g A (u), dem Spiel des Adressaten g B (u) und ihrer gemeinsamen Lösung <u,p>, die ein Strategiekonzept der jeweils besten Aktionen jedes Spielers formalisieren soll. So können wir Punkt (9) aus Definition (1) folgendermaßen ausdrücken: 9.' <g A (u), g B (u),i> has the unique solution <u,p> for A and B. Definition (1), die unsere Ausgangsdefinition darstellen soll und von der wir im folgenden weiter abstrahieren und generalisieren werden, soll zum Ausdruck bringen, dass eine ganze Reihe von Faktoren zusammen kommen müssen, damit Kommunikation funktionieren kann. So ist neben der Sprecherintention, die Äußerung selbst und ihre Bedeutung entscheidend. Hinzu kommen die Intention des Adressaten, die Art und Weise wie er die Äußerung interpretiert (Interpretationsakt) sowie common knowledge, die Spiele und schließlich deren Lösung(en). An dieser Stelle sollten wir anmerken, dass der Begriff der Äußerung recht weit gefasst ist und sich nicht auf sprachliche Äußerungen oder gar Sätze einer Sprache beschränken muss. Theoretisch können z.b. auch bestimmte Gestiken, das Zeigen eines Bildes, ein Fauchen oder eine symbolische Handlung mit u bezeichnet werden. Diese Handlungen im weitesten Sinne müssen nicht zwangsläufig eindeutig sein. Solange die Bedingungen aus Definition (1) erfüllt sind, können wir behaupten, dass eine Aktion kommunizierbar ist. Prinzipiell kann also jede Aktion für Kommunikation genutzt werden, solange der Sprecher die Bedeutung m ausnutzt bzw. zu nutzen versteht, oder anders ausgedrückt: Die Äußerung u muss eine Verbindung mit m aufweisen. Die Art und Weise wie der Hörer eine Äußerung interpretiert ist nicht direkt beobachtbar. Unsere Definition muss demnach fordern, dass B's Interpretationsakt common knowledge ist. Tatsächlich können in kurzer Zeit viele Äußerungen gemacht werden, sodass wir Kommunikation in den seltensten Fällen auf nur eine einzige Äußerung u zurückführen können. Da wir nicht immer wissen können, ob unser Gegenüber eine Äußerung u richtig interpretiert und ein Dialog auch mit zahlreichen kommunikativen Handlungen durchsetzt sein kann, können wir Kommunikation oft nur approximieren. Strawson (1964) hat versucht zu zeigen, dass eine gewisse Art von Symmetrie zwischen Sprecher und Adressat existiert. Für den Fall, dass wir uns nicht mehr nur auf zwei Agenten beschränken wollen, sondern mehrere Personen an einem Kommunikationsakt beteiligt sind, müssen wir Definition (1) wie folgt erweitern, um von einem joint act sprechen zu können: 5

DEFINITION (2) joint act A 1, A 2,,A n perform a joint act a by performing a 1, a 2,,a n respectively iff 1. A 1, A 2,,A n intend to perform a. 2. A 1, A 2,,A n perform a 1, a 2,,a n respectively. 3. (2) is common knowledge among A 1, A 2,,A n. 4. a 1, a 2,,a n result in a. 5. (4) is common knowledge among A 1, A 2,,A n. 6. <g A1 (a), g A2 (a),,g An (a), I> has the (unique) solution <a 1, a 2,,a n > for A 1, A 2,,A n. Jeder Agent A i kann für sich entscheiden, ob und welche individuelle Aktion a i er ausführt, um letztlich zur gemeinsamen Aktion a, dem joint act, beizutragen. Da nicht alle Aktionen zum Erfolg führen können, sondern nur bestimmte Kombinationen, müssen die individuellen Aktionen a i entsprechend koordiniert sein. Alle individuellen Aktionen der beteiligten Agenten sind common knowledge. Beispiel: Eine Anzahl von Personen in einem Ruderboot mit dem gemeinsamen Ziel das Boot vorwärts zu bewegen. Aus der Definition ist allerdings nicht ersichtlich, ob die einzelnen Agenten gleichzeitig agieren oder nacheinander am Zug sind. Uns erscheint plausibel, dass n Personen nacheinander ihre Aktionen ausführen und nicht simultan. Intuitiv gehen wir davon aus, dass sich die Spiele der einzelnen Agenten wieder in Wahrscheinlichkeiten und Nutzwerten unterscheiden, doch bleibt uns Parikh an dieser Stelle eine genaue Definition des lokalen Spiels g(a) schuldig. Besonders für Computerlinguisten ist interessant, wie sich Kommunikation zwischen Maschinen und Kommunikation zwischen Mensch und Maschine beschreiben lassen. Wir können nicht 6

behaupten, dass Computer Intentionen haben, weshalb sich uns die Frage stellt, ob sie das nicht aus dem gesamten Komplex Kommunikation ausschließt, da eine der wesentlichen Bedingungen der bisher genannten Definitionen nicht mehr gegeben ist. Es ist nicht zwangsläufig der Fall, dass der Programmierer bzw. Designer einer Anwendung immer der Sprecher und der Benutzer immer der Adressat sein muss. Parikh schlägt deshalb folgende leichte Modifikation von Definition (1) vor, in dem er zu Beginn der Definition explizit betont, dass wir es (in diesem Fall) mit einem menschlichen Agenten als Adressaten zu tun haben: DEFINITION (3) A communicates p by producing u iff there is an agent B such that 1. A intends to convey p to B. 2. A utters u. 3. (2) is common knowledge between A and B. 4. B intends to interpret u. 5. B interprets u. 6. (5) is common knowledge between A and B. 7. p ϵ m(u). 8. (7) is common knowledge between A and B. 9. g(u) has the unique solution <u,p> for A and B. Obwohl wir betont haben, dass Computer keine Intentionen haben, fällt uns in Definition (3) sofort auf, dass in den Punkten (1) und (4) paradoxerweise dennoch von intends die Rede ist. Wir vermuten, dass hier die intention -Annahme auftaucht, damit der Benutzer in der Lage ist voll auswerten zu können und um implizit anzudeuten, dass die Intention der Maschine genau der Zweck ist, zu dem sie erfunden wurde. Dies scheint uns zumindest die nahelegendste Interpretation von Definition (3). Ähnlich wie bei Definition (2) halten wir fest, dass Punkt (6) mit nur einer einzigen Äußerung u für gewöhnlich nicht zu erreichen ist. Computer können aber 7

so programmiert werden, dass sie die Absichten des Benutzers durch seine Folge von Aktionen berechnen können. In diesem Zusammenhang deutet Parikh an, dass das Konzept information flow besser geeignet sei, um zu verstehen was unter Computerkommunikation im weitesten Sinne zu verstehen ist. Doch auch diese Erklärungen und Ausführungen suchen wir in Kapitel 6 vergebens, sodass unklar bleibt was Parikh mit Definition (3) wirklich zeigen wollte. Im Umgang mit natürlichen Sprachen sehen wir uns mit dem nicht zu unterschätzenden Problem der Ungenauigkeit konfrontiert, weshalb es unbedingt notwendig ist, dieses Phänomen in unser Definitionenset aufzunehmen. Hierzu unterscheiden wir nun zwei sich überlappende Bedeutungen, nämlich eine Bedeutung des Sprechers m A und eine Bedeutung des Adressaten m B. Es ist offensichtlich, dass m nun kein common knowledge mehr ist. In der Konsequenz ergeben sich für unsere beiden Agenten auch zwei Lösungen: <u,p A > und <u,p B >. Unter der Bedingung, dass sich p A und p B ausreichend überlappen. Auf die interessante und wichtige Frage wie groß der Overlap der beiden Propositionen von A und B sein muss bzw. ob und inwiefern dieser Overlap nutzenorientiert sein soll, geht Parikh bedauerlicherweise nicht näher ein, sondern verweist auf die Erläuterungen von Rohit Parikh (1994). Anscheinend fordert Prashant Parikh für sein Konzept von Kommunikation ganz allgemein die Unterscheidung der Propositionen des Sprechers p A und des Hörers p B. Falls p A = p B, gibt es folgerichtig keine Ungenauigkeiten oder Mehrdeutigkeiten. Da dies aber in den seltensten Fällen wirklich so sein wird, gehen wir davon aus, dass sich beide Propositionen in aller Regel zumindest in irgendeiner Form überschneiden. m A (u) = P A und m B (u) = P B, wobei P A und P B endliche Mengen von Propositionen sind. Wir definieren ungenaue Kommunikation ( vagueness ) wie folgt: DEFINITION (4) - vagueness A communicates p to B by producing u iff 1. A intends to convey p to B. 2. A utters u. 3. (2) is common knowledge between A and B. 4. B intends to interpret u. 5. B interprets u. 8

6. (5) is common knowledge between A and B. 7. p A ϵ m A (u). 8. p B ϵ m B (u). 9. <g A (u), g B (u), I> has the unique solution <u, p A, p B > for A and B. 10. p A and p B have sufficient overlap. An dieser Stelle sollte sich dem Leser die Frage aufdrängen, was Parikh genau mit dem ungenauen Begriff vagueness meint. So ist unklar, ob er diese Bezeichnung mit ambiguity gleichsetzt oder nicht. Da hier keinerlei Präzisierung erfolgt, spekulieren wir und machen uns die Unterschiede folgendermaßen plausibel: Das Lexem Bank hat zwei fixe Bedeutungen, die im Allgemeinen bekannt sind und die man durch Nachschlagen aus einem Lexikon entnehmen kann, nämlich Geldinstitut und Sitzgelegenheit. Wir können vermuten, dass die meaning-funktion m die Bedeutung des Lexems Bank situationsabhängig eindeutig liefert und würden in diesem Zusammenhang von ambiguity sprechen. Angenommen wir haben kein solches Lexikon, so folgern wir, dass jedes Individuum unter einem sprachlichen Ausdruck ein bisschen etwas anderes versteht. Wir haben keine allgemein bekannten fixen Bedeutungen wie im Falle von ambiguity sondern höchstens für jedes Individuum fixe Bedeutungen, wie es etwa bis zu einem gewissen Grad bei Eigennamen vorstellbar wäre. In diesem Zusammenhang würden wir von vagueness sprechen und hoffen, dass Parikh mit dieser Erläuterung einverstanden wäre. Aus Punkt (9) von Definition (4) können wir erahnen, dass sowohl die Art und Weise wie A eine Äußerung u interpretiert als auch die Art und Weise wie B eine Äußerung u interpretiert zum Lösungsbegriff gehören. Um verstehen zu können was auf der Seite des Sprechers passiert bzw. passieren muss wenn u geäußert wird, schlägt Parikh folgende Definition der Sprecherintention ( speaker meaning, meaning C ) vor: 9

DEFINITION (5) - speaker meaning, meaning C A means C p by producing u iff there is an agent B such that 1. A intends to convey p to B. 2. A utters u. 3. A believes that (2) is common knowledge between A and B. 4. p ϵ m(u). 5. A believes that (4) is common knowledge between A and B. 6. A believes that g(u) has the unique solution <u,p> for A and B. Im Buch wird zwischen kommunikativen Aktionen ( communicative actions ) und nichtkommunikativen Aktionen ( non-communicative actions ) unterschieden. Mit dem Subskript C in meaning C soll angedeutet werden, dass eine Aktion nur dann kommunikativ ist, wenn die Forderungen aus Definition (5) erfüllt sind. Aufbauend auf Strawsons Konzept der Symmetrie zwischen Sprecher und Adressat definieren wir in Definition (6) den entsprechenden Gegenpart, nämlich die sog. Intention des Adressaten ( addressee interpretation ) im folgenden als interpretation C notiert: DEFINITION (6) - addressee interpretation, interpretation C B interprets C u as conveying p iff there is an agent A such that 1. A utters u. 2. B believes that (1) is common knowledge between A and B. 3. B intends to interpret u. 4. B interprets u. 10

5. p ϵ m(u). 6. B believes that (5) is common knowledge between A and B. 7. B believes that g(u) has the unique solution <u,p> for A and B. Um zu zeigen, wie die bisher vorgestellten Konzepte miteinander in Verbindung stehen, schlussfolgert Parikh aus seinen Definitionen folgendene interconnections : 1. Communication implies meaning C. 2. Communication implies interpretation C. 3. Meaning C and interpretation C do not together imply communication. 1. Communication implies that it is (becomes) common knowledge that B has (the information or misinformation that) p. 2. Communication implies that A s intention to convey p to B is (becomes) common knowledge. Sofern man sich bewusst ist, dass common knowledge über einen Sachverhalt ebenfalls Glauben an common knowledge über einen Sachverhalt impliziert und der Glaube, dass ein Sachverhalt common knowledge ist nicht impliziert, dass tatsächlich common knowledge vorliegt, sind die oben genannten Schlussfolgerungen recht intuitiv. Erfahrungen aus dem täglichen Leben wie beispielsweise das Senden von Emails oder das Vorhaben einen Sachverhalt lediglich anzudeuten statt explizit zu formulieren, zeigen, dass die Forderung nach common knowledge nicht immer eingehalten werden kann. Bevor wir näher auf das Konzept information flow in Abgrenzung zu communication eingehen, sei hier zunächst die Definition gezeigt: 11

DEFINITION (7) information flow A makes p flow to B by producing u iff 1. A intends to convey p to B. 2. A utters u. 3. B intends to interpret u. 4. B receives and interprets u. 5. p ϵ m A (u) and p ϵ m B (u). 6. <g A (u), g B (u), I> (where I is the empty information structure) has the unique solution <u,p> for A and B. Die Informationsstruktur, aus Punkt (6) von Definition (7) soll wieder die common knowledge Annahme über die Spiele repräsentieren und das Wissen, dass die Agenten über den Spielbaum des anderen haben, formalisieren. Etwas merkwürdig erscheint hier die Ergänzung empty und dass die sog. leere Informationsstruktur in diesem Kontext betonen soll, dass keinem Agenten irgendwelche Informationen über das Strategiemodell des anderen vorliegen. Doch wenn die Agenten überhaupt nichts über den Spielbaum des anderen wissen, was mit der leeren Informationsstruktur angedeutet werden soll, kann dann überhaupt eine gemeinsame Lösung zustande kommen? Wenn ja, wie, wenn dies nicht dem Zufall überlassen werden soll? Da die Informationsstruktur I in diesem Fall keine Informationen beinhaltet, also leer ist, könnten wir sie hier auch weglassen. Keinesfalls dürfen wir communication mit information flow verwechseln oder gar gleichsetzen, denn bei letzterem haben wir kein common knowledge über die Äußerung u mehr, wie es bei communication noch der Fall war. Aus diesem Grund müssen wir in Definition (7) erneut die reception -Annahme, die wir aus Redundanzgründen in Definition (1) streichen konnten, hier wieder aufnehmen. Analog zur Definition vagueness (Definition (4)) 12

unterscheiden wir hier erneut zwischen den Bedeutungen m A und m B, doch p ist im Gegensatz zu Definition (4) hier beiden Agenten bekannt. Im übrigen können wir davon ausgehen, dass auch in unserer Ausgangsdefinition (1) zwischen m A und m B differenziert wurde, diese aber identisch waren. Entsprechend unserer Vorgehensweise bei communication definieren wir für die Abstraktionsstufe information flow ebenfalls eine Sprecherintention meaning F (Definition (8)) und eine Adressateninterpretation interpretation F (Definition (9)), die sich folgendermaßen von meaning C und interpretation C unterscheiden: DEFINITON (8) meaning F A means F p by producing u iff there is an agent B such that 1. A intends to convey p to B. 2. A utters u. 3. A believes that B receives u. 4. p ϵ m A (u) and A believes that p ϵ m B (u). 5. A believes that <g A (u), g B (u), I> (where I is the empty information structure) has the unique solution <u,p> for A and B. DEFINITION (9) interpretation F B interprets F u as conveying p iff there is an agent A such that 1. A utters u. 2. B intends to interpret u. 3. B receives and interprets u. 4. p ϵ m B (u) and B believes that p ϵ m A (u). 13

5. B believes that <g A (u), g B (u),i> (where I is the empty information structure) has the unique solution <u,p> for A and B. Aus diesen Definitionen lassen sich wieder einige recht offensichtliche Schlussfolgerungen ableiten: 1. Making information flow implies meaning F. 2. Making information flow implies interpretation F. 3. Meaning F and interpretation F do not together imply making information flow. 1. Communication implies making information flow. 2. Meaning C implies meaning F. 3. Interpretation C implies interpretation F. Da wir auch über natürliche Ereignisse wie beispielsweise Rauch bedeutet Feuer! sprechen und deren kommunikativen Gehalt analysieren möchten, versuchen wir im nächsten und damit auch letzten Abstraktionsschritt natürlichen Informationsfluss zu definieren. Da wir nicht sagen können, dass die Natur ein Agent ist, können wir infolgedessen auch nicht mehr behaupten, dass ein Sprecher A einem Adressaten B etwas vermitteln möchte. Wir können lediglich von einer Tatsachenbeschreibung ausgehen, die etwas bedeuten bzw. einen gewissen propositionalen Gehalt vermitteln kann. Diese Tatsachenbeschreibung sei durch den Begriff des sog. Infons s, ein Informationstupel, formalisiert und folgendermaßen konkretisiert: Infon s, (informational tuple / state of affairs): <<R n, a 1,,a n ; i>>, wobei R n eine n-stellige Relation ist, a i Individuen sind und i angibt, ob die Individuen in Relation zueinander stehen oder nicht. Definition (10) definiert gewissermaßen die natürliche Bedeutung eines Infons s: 14

DEFINITION (10) An infon s conveys p to B iff 1. B intends to interpret s. 2. B perceives and interprets s. 3. p ϵ m B (s). 4. g(s) has the solution <p> for B. Das lediglich durch unser Infon s definierte Spiel g(s) können wir uns etwa als Spiel mit der Natur in dem Sinne vorstellen, dass die Natur ein Zeichen bzw. ein Signal sendet und dieses Signal als Tatsache zu verstehen ist, die wir mit s bezeichnen würden, und B dieses Infon s entsprechend m interpretiert. Die Interpretation eines Infons s ist also abhängig vom Beobachter. Wenn jedoch in der Natur ein Ereignis stattfindet, aber kein Beobachter existiert, der dieses Signal als solches wahrgenommen hat, ist dann dieses Ereignis überhaupt noch ein Zeichen für etwas? Analog zur bisherigen Vorgehensweise definieren wir noch eine Sprecherintention (Definition (11)) für natürliche Ereignisse sowie eine Adressateninterpretation (Definition (12)): DEFINITION (11) meaning C_nat An infon s means C_nat p iff there is an agent B such that 1. p ϵ m B (s). 2. g(s) (abstractly) has the solution <p> for B. 15

DEFINITION (12) interpretation C_nat B interprets C_nat s as conveying p iff 1. B intends to interpret s. 2. B perceives and interprets s. 3. p ϵ m B (s). 4. B believes that g(s) has the solution <p> for B. Schließlich tragen wir folgende Schlussfolgerungen zusammen: 1. Conveying implies meaning C_nat. 2. Conveying implies interpretation C_nat. 3. Meaning C_nat and interpretation C_nat do not together imply conveying. 1. Communication implies making information flow implies conveying. 2. Meaning C implies meaning F implies meaning C_nat. 3. Interpretation C implies interpretation F implies imterpretation C_nat. Zusammenfassung Wesentliches Ziel dieses 6. Kapitels Parikhs Buch The Use of Language war es, Kommunikation formal zu definieren. Im Zuge eines fortlaufenden Abstraktionsprozesses haben wir versucht nachzuvollziehen, wie Parikh durch eine Reihe von Definitionen die Symmetrien zwischen Sprecher und Adressat formalisiert. Auch die vagueness -Problematik findet in seinen Definitionen Eingang. Nachdem wir information flow in Abgrenzung zu communication betrachtet haben, haben wir unseren Blick abschließend auf die Formalisierung von Kommunikationsereignissen natürlichen Ursprungs geworfen. 16

Durch diesen stellenweise nicht leicht nachvollziehbaren und partiell auch nicht ganz schlüssig anmutenden Abstraktionsprozess haben wir nun ein vollständiges Set von Definitionen vorliegen, mit dem wir weiter arbeiten können. Literatur: Parikh, Prashant: The Use of Language, Stanford, Calif., CSLI Publ., 2001. Kapitel 6, S. 55 71. 17