Artenschutzfachliche Stellungnahme für die Artengruppe Reptilien Artenschutzfachliche Erfassungsergebnisse Bebauungsplan Nummer 03/96 Teltomat Gemeinde Michendorf Auftraggeber: Gemeinde Michendorf Abteilung Bauen und Öffentliche Ordnung Ansprechpartnerin: Frau Britta Lenz Telefon: 033205/598-36 Potsdamer Straße 33 14552 Michendorf Gutachterin: Artenschutzsachverständige Dipl.-Geoökologin Silke Jabczynski Eichenring 68 14469 Potsdam Telefon: 0174-1631406 E-Mail: silke.jabczynski@gmx.de in Zusammenarbeit mit M.Sc. Lars Goldbach und Dipl.-Biologe Kai Heinemann vorliegende Unterlagen: Faunistische Standortuntersuchung vom 05.10.2012 Dipl.-Biologe Tobias Teige, 12254 Berlin Datum: 01.10.2018
Inhaltsverzeichnis Seite 1. Rechtliche Grundlagen 2 2. Untersuchungsgebiet 2 3. Methodisches Vorgehen 3 4. Bestand und Bewertung der Reptilien 4 5. Vermeidungs-, Vergrämungs- und Umsiedlungsmaßnahmen 6 6. Nachweise weiterer relevanter Tierarten 7 Literaturverzeichnis 8 Kartenverzeichnis Karte 1: Bebauungsplangebiet 3 Karte 2: artenschutzfachliche Nachweise 13 Bildverzeichnis Bild 1 bis Bild 8: Bilddokumentation des Untersuchungsgebietes 9 1
1. Rechtliche Grundlagen Die artenschutzrechtlichen Verbotstatbestände des 44 Absatz 1 Bundesnaturschutzgesetz sind folgendermaßen formuliert: "Es ist verboten, 1. wild lebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, 2. wild lebende Tiere der streng geschützten Arten und der europäischen Vogelarten während der Fortpflanzungs-, Aufzucht-, Mauser-, Überwinterungs- und Wanderungszeiten erheblich zu stören; eine erhebliche Störung liegt vor, wenn sich durch die Störung der Erhaltungszustand der lokalen Population einer Art verschlechtert, 3. Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören, 4. wild lebende Pflanzen der besonders geschützten Arten oder ihre Entwicklungsformen aus der Natur zu entnehmen, sie oder ihre Standorte zu beschädigen oder zu zerstören." 2. Untersuchungsgebiet Das Untersuchungsgebiet umfasst das Bebauungsplangebiet sowie das angrenzende Ersatzhabitat für Zauneidechsen im nördlichen Gebietsabschnitt an der Straße Am Bahnhof in Michendorf. Das Bebauungsplangebiet wird nördlich und westlich von Bahngleisen und einer Streuobstwiese begrenzt. Östlich befindet sich die Potsdamer Straße und Wohnbebauung. Südlich bildet die Poststraße die Grenze des Bebauungsplangebietes. Das Bebauungsplangebiet ist weitgehend ein ungenutztes Gelände, auf dem die Schutthaufen der abgerissenen Gebäude abgelagert wurden. Auf dem Gelände finden sich unter anderem auch Holzhaufen bestehend aus Eisenbahn-Bohlen und aufgeschüttete Dachziegel sowie Gebäudereste. Des Weiteren sind Teer- und Asbestreste auf der Fläche verteilt worden. Durch das Gebiet führt eine asphaltierte Straße. Das Gelände ist überwiegend versiegelt, im Laufe der Jahre hat sich eine Bodenschicht mit niedrigem Gehölzaufwuchs entwickelt. An den südlichen und östlichen Randbereichen stehen Gebäude mit unterschiedlichen Nutzungen. Im Bebauungsplangebiet stehen zwei markante Bäume, eine Eiche (Quercus spec.) und eine Walnuss (Juglans regia). 2
Die folgende Karte zeigt das Bebauungsplangebiet in der Gemeinde Michendorf. Karte 1 - Bebauungsplangebiet - schwarz gestrichelte Linie 3. Methodisches Vorgehen zur Erfassung der Reptilien Im Untersuchungsgebiet erfolgten insgesamt drei Begehungen im August 2018. Die Begehungen fanden am 24.08., 29.08. und am 31.08.2018 statt. Die Begehungen wurden in den Vormittags- oder Nachmittagsstunden bei geeigneter Witterung (mindestens 20 C, sonnig bis bewölkt und windstill bzw. leichter Wind) durchgeführt. Sämtliche Nachweispunkte von Reptilien und weitere relevante Funde wurden mittel GPS- Gerät im Gelände eingemessen und auf die Karte übertragen. Bei den Begehungen wurden das Bebauungsplangebiet und das angrenzende Ersatzhabitat auf das Vorkommen von Reptilien untersucht. Bei den Begehungen wurden insbesondere passende Sonnen- und Versteckplätze abgegangen, die in vielfältiger Art und Ausdehnung (Schutt-, Stein- und Holzhaufen) im Bebauungsplangebiet vorhanden sind. 3
4. Bestand und Bewertung der Reptilien Bei sämtlichen Begehungen konnten im Bebauungsplangebiet streng geschützte Zauneidechsen (Lacerta agilis) nachgewiesen werden. Es konnten sowohl adulte und subadulte Tiere als auch diesjährige Schlüpflinge festgestellt werden, damit konnte ein Reproduktionsnachweis für die Art erbracht werden. Bei den Begehungen kann immer nur ein Teil des Gesamtbestandes gleichzeitig beobachtet werden. Aufgrund des Begehungszeitpunktes im August konnten keine männlichen Tiere mehr ermittelt werden, diese haben sich Ende August bereits in die Winterquartiere zurückgezogen. Vor allem der nördliche und westliche Gebietsabschnitt ist von der Zauneidechse gut besiedelt, in diesen Bereichen gelangen die meisten Nachweise. Im südlichen Gebietsabschnitt konnten weniger Zauneidechsen erfasst werden, hier fehlen offene Sandstellen zur Eiablage, die weiter nördlich in ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Das Ersatzhabitat ist nur auf drei Seiten sicher eingezäunt, die westliche Abgrenzung bildet ein für Zauneidechsen einfach zu überwindender Maschendrahtzaun. Dadurch können die Zauneidechsen aus dem Ersatzhabitat in die angrenzende Streuobstwiese und weiter in das Bebauungsplangebiet abwandern. Die Entfernung zwischen Ersatzhabitat und Bebauungsplangebiet kann von den Zauneidechsen durchaus bewältigt werden. In das Ersatzhabitat wurden in diesem Sommerhalbjahr abgefangene Zauneidechsen aus einem nahe gelegenen Bebauungsplangebiet in der Gemeinde Michendorf eingesetzt. Die Anzahl beläuft sich auf etwa 20 eingesetzte Tiere. Somit wird die weitere Besiedlung des Bebauungsplangebietes durch die Zauneidechsen aus dem Ersatzhabitat zumindest begünstigt. Die Gebietsflächen nördlich der Straße Am Bahnhof sind unbesiedelt. Aufgrund der Untersuchungsergebnisse ist von einer stabilen Population der Zauneidechse im Gebiet auszugehen. Die wiederholten Nachweise an unterschiedlichen Standorten sprechen für eine flächendeckende Besiedlung der geeigneten Lebensräume durch die Zauneidechse. Das Bebauungsplangebiet bietet sehr gute Lebensbedingungen für die Zauneidechse. Passende Sonnen- und Versteckplätze sind in verschiedener Art und Ausdehnung überall im Gebiet verteilt, offene Sandstellen zur Eiablage sind vorhanden. Der Gehölzbewuchs ist unterschiedlich hoch, unbewachsene bzw. schütter bewachsene Flächen wechseln sich mit höheren Vegetationsstrukturen ab. Lediglich in den Bereichen mit größeren Flächenversiegelungen und ohne potenzielle Winterverstecke bzw. Möglichkeiten zur Eiablage in lockerem Sandboden konnten weniger bzw. keine Zauneidechsen erfasst werden. Bei den Erfassungen im Jahr 2012, die von Herrn Dipl.-Biologe Tobias Teige durchgeführt wurden, konnten keine Zauneidechsen im Bebauungsplangebiet erfasst werden. Im Jahr 2012 war der Gebäudebestand noch vorhanden. 4
Die Zauneidechse ist in Anhang IV-der FFH-Richtlinie aufgeführt und streng geschützt. Die Zauneidechse steht in der Roten Liste von Deutschland in der Vorwarnliste und wurde im Land Brandenburg in die Kategorie 3 - gefährdet eingestuft. Die Tiere und ihre Lebensstätten sind gemäß 44 Absatz 1 Nummer 1 und Nummer 3 Bundesnaturschutzgesetz ganzjährig geschützt. Die Vorkommen im Land Brandenburg sind tendenziell rückläufig, trotzdem ist die Zauneidechse noch weit verbreitet. Die Verbreitung weist jedoch Lücken auf, viele Populationen sind individuenarm und isoliert. Zauneidechsen besiedeln offene und halboffene Habitate, etwa Bahnlinien (lineare Habitate) und Flugplätze. Die Art benötigt einen abwechslungsreichen Lebensraum mit unterschiedlich hoher Vegetation und eingestreuten Freiflächen. Vereinzelte Gehölze mit einem Verbuschungsgrad von bis zu 25 % sind positiv zu bewerten. Eine hohe Anzahl von Versteck- und Sonnenplätzen ist ebenso wie ein ausreichendes Beuteangebot erforderlich. Als Eiablageplätze dienen gut besonnte, offene oder spärlich bewachsene Sandstellen. Das Jahr der Zauneidechse beginnt im Zeitraum März/April. Der Aktivitätsbeginn wird von den vorjährigen Jungtieren und adulten Männchen eingeleitet, wenige Wochen später folgen die Weibchen. Die Paarungszeit ist von Mai bis Juli. Die Eiablage erfolgt von Ende Mai bis August. In günstigen Jahren können die ersten Schlüpflinge bereits im Juli beobachtet werden, der Hauptschlupf ist im August und September. Zauneidechsen verbringen gut ein halbes Jahr im Winterquartier (zum Beispiel Kleinsäugerbauten). Die Überwinterung startet etwa ab Anfang August, die Schlüpflinge können teilweise noch bis in den Oktober beobachtet werden. Zauneidechsen sind sehr ortstreu und haben eine geringe Wanderfreudigkeit. Die Tiere entfernen sich im Durchschnitt lebenslang nicht weiter als 30 Meter von ihrem Schlupfort. Weitere Reptilienarten konnten im Untersuchungsgebiet nicht nachgewiesen werden. 5
5. Vermeidung-, Vergrämungs- und Umsiedlungsmaßnahmen Im Bebauungsplangebiet konnte eine flächendeckende Besiedlung der Zauneidechse in den geeigneten Lebensräumen nachgewiesen werden. Lediglich der schmale Streifen nördlich der Straße Am Bahnhof ist unbesiedelt. Um eine Bebauung im Gebiet realisieren zu können, sind im Vorfeld die Zauneidechsen abzufangen und in ein geeignetes Ersatzhabitat umzusiedeln. Ein detailliertes Umsiedlungskonzept ist in Abstimmung mit der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde zu erarbeiten. Aufgrund der Flächenstrukturen und der zahlreichen Nachweise von Zauneidechsen ist die Entfernung der Schutthaufen bzw. anderer abgelagerter Materialien unter Einsatz von Baumaschinen nur nach vorheriger Umsiedlung der Zauneidechsen durchführbar. Ansonsten würden viele Tiere, die sich an und in den Ablagerungen aufhalten, getötet werden und damit ist der Tatbestand des 44 Absatz 1 Nummer 1 Bundesnaturschutzgesetz erfüllt. Der Einsatz von Baumaschinen würde zu einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos führen und ein großen Anteil der Population betreffen. Außerdem werden durch die Entfernung der abgelagerten Materialien und die nachfolgende Bebauung des Geländes die ganzjährig geschützten Lebensstätten (Fortpflanzungs- und Ruheplätze im Sinne des 44 Absatz 1 Nummer 3 Bundesnaturschutzgesetz) der Zauneidechse beseitigt, vor der Beseitigung ist eine Ausnahmegenehmigung von der zuständigen Unteren Naturschutzbehörde erforderlich. Lediglich die kleinflächige Beräumung des Geländes ohne Maschineneinsatz ist aus fachlicher Sicht ohne vorherige Umsiedlung zu vertreten. Im Vorfeld von jeglichen großflächigen Eingriffen im Bebauungsplangebiet sind die Zauneidechsen im betreffenden Bereich einzufangen und in ein passendes Ersatzhabitat umzusiedeln. Der Zielstandort muss für die Eidechsen gut geeignet sein. Dazu gehören vor allem ein ausreichendes Nahrungsangebot und abwechslungsreiche Vegetationsstrukturen. Die Flächengröße entspricht mindestens dem ursprünglichen Lebensraum. Das Ersatzhabitat muss gut vernetzt und nachhaltig gesichert sein. Das Ersatzhabitat sollte noch nicht von Zauneidechsen besiedelt sein. Die Möglichkeiten zur Einrichtung von Ersatzhabitaten umfassen eine Flächenaufwertung oder eine zeitaufwendige Neuentwicklung von Zielhabitaten (ehemalige Ackerstandorte). Die Anwendung von Vermeidungsmaßnahmen ist nur in den unbesiedelten Randbereichen denkbar, beispielsweise wenn in den Randbereichen Baumaßnahmen geplant sind und die Zauneidechsen nicht von den besiedelten Flächen in die unbesiedelten Baufelder laufen sollen. 6
Vergrämungsmaßnahmen werden genutzt, um durch die Entfernung von wichtigen Strukturelementen die Zauneidechsen zum Abwandern in umgebende Bereiche zu bewegen. Diese Maßnahmen sind im Bebauungsplangebiet nicht anwendbar, da die wichtigen Strukturelemente vor allem durch große Schuttberge gebildet werden, die ohne großen Aufwand nicht beseitigt werden können. 6. Nachweise weiterer relevanter Tierarten Bei den Begehungen konnte in einer Höhlung der Walnuss ein aktives Nest der besonders geschützten Hornisse (Vespa crabro) festgestellt werden. Die Tiere nutzen das Nest noch bis in den Oktober. Im nächsten Jahr suchen die Jungköniginnen nach der Überwinterung in der Regel einen anderen Neststandort. Bei den Begehungen konnte außerdem mehrere Baue des besonders geschützten Fuchses (Vulpes vulpes) gefunden werden. Der Fuchs unterliegt dem Jagdrecht und kann außerhalb des Zeitraums der Jungenaufzucht (1.März bis 15.Juni) bejagt werden. Des Weiteren konnten zahlreiche Exemplare der besonders geschützten Blauflügeligen Ödlandschrecke (Oedipoda caerulescens) auf den schütter bewachsenen sandigen Flächen nachgewiesen werden. Die Blauflügelige Ödlandschrecke gehört zu den ungefährdeten Arten im Land Brandenburg. Erfasste Schmetterlingsarten waren bei den Begehungen Tagpfauenauge (Aglais io), Admiral (Vanessa atalanta) und Kleiner Feuerfalter (Lycaena phlaeas, besonders geschützt). Der streng geschützte Rotmilan (Milvus milvus) konnte bei der Nahrungssuche über dem Gelände beobachtet werden. 7
Literatur BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (HRSG.), 2009: Rote Liste gefährdeter Tiere Deutschlands KÜHNEL, K.-D. ET AL., 2009: Rote Liste und Gesamtartenliste der Lurche und Kriechtiere Deutschlands (Stand Dezember 2008), in Band 1: Wirbeltiere, Bundesamt für Naturschutz: Naturschutz und biologische Vielfalt 70 (1) SCHNEEWEIß, N. ET AL., 2014: Zauneidechsen im Vorhabensgebiet was ist bei Eingriffen und Vorhaben zu tun?, Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg 23 (1), 2014 SCHNEEWEIß, N. ET AL., 2004: Rote Listen und Artenlisten der Lurche und Kriechtiere des Landes Brandenburg. Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg, 13 (4), Beilage: 35 Seiten 8
Bild 1 - Bebauungsplangebiet mit Schutthaufen (Foto: K. Heinemann) Bild 2 - Bebauungsplangebiet (Foto: K. Heinemann) 9
Bild 3 - Ersatzquartier an der Straße Am Bahnhof (Foto: K. Heinemann) Bild 4 - subadulte Zauneidechse auf dem Gelände (Foto: K. Heinemann) 10
Bild 5 - weibliche adulte Zauneidechse auf dem Gelände Bild 6 - Blauflügelige Ödlandschrecke (Foto: K. Heinemann) 11
Bild 7 - Fuchsbau Bild 8 - Walnuss mit Höhlung und aktivem Hornissennest 12
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