Predigt im Gottesdienst vom 25. Oktober 2015 Reformierte Kirche Birmensdorf Die Ersten werden wie die Letzten sein und die Letzten wie die Ersten

Ähnliche Dokumente
Mt 20,1-16. Leichte Sprache

Mth.20,1-16a, Predigt am Sonntag Septuagesimä am in Landau

Predigt zu einem Sonntag in der Vorfastenzeit (Septuagesimae) Kanzelgruß: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die

Predigt zu Matthäus 20, 1-16 Arbeiten im Weinberg Septuagesimae 2015 Dom 1

Predigt zum Gleichnis der Arbeiter im Weinberg, Matthäus 20, 1-16

Predigtvorbereitung zu Matthäus 20,1-16 am Sontag Septuagesimä, Sonntag, THEMA: Das Gleichnis von den gleichbezahlten Tagelöhnern

Mt 20, Die Arbeiter im Weinberg

Die Arbeiter im Weinberg

Predigt von Pfarrerin Alice Lorber über Matthäus 20,1 16 gehalten am 19. März 2017 im Gemeindezentrum Fulerum

ERSTE LESUNG Jes 55, 6-9

Ist das gerecht? Predigt zu Matthäus 20,1-16a (Septuagesimä, )

Mühe & Lohn Predigt über Mt 20,1-16a

Predigt. Herrschaftszeiten nochmal oder: Dein Reich komme, Teil 11. Bibeltext: Matthäus 19,27 20,16. Datum:

Die Arbeiter im Weinberg

Arzneimittelsicherheit zur. Patientensicherheit

Predigt zum Sonntag Septuagesimae ( 70 Tage vor Ostern) zum Evangelium Matthäus, Kap. 20, 1-16)

25. Sonntag im Jahreskreis A Gerechtigkeit oder: Worauf es ankommt

Matthäus 20,1-16. Jesus erzählt in einer Geschichte, dass Gott gerecht und gütig ist.

Gottesdienst für September 2017 Die Arbeiter im Weinberg

Von der Gnade Gottes und dem Beitrag der Menschen.

(Rektor Franz Mikl) EINLEITUNG (Sarah Fürst): KYRIE: 24. Sept 2017, 25.So Jk.A Das Gottesreich

Predigt, zum Sonntag Septuagesimae, 2015, Von den Arbeitern im Weinberg

Predigt im Gottesdienst am Sonntag 11. Januar 2015 in der ref. Kirche Birmensdorf Von der Notwendigkeit des gemeinsamen Gebets

Wortgottesdienst-Entwurf für September 2013

Wohin gehe ich? Predigt zu Matthäus 20,1-16 am 7. März 2010

Predigt am Kelterfest am Die ganz und gar unverdiente Gnade Gottes Mt 20,1-16

Predigt über Matthäus 20,1-16b am in Ittersbach. Septuagesimae Lesung: 1 Kor 9,24-27

Lohn und Gnade. Liebe Schwestern und Brüder in Christus, liebe Johanniter-Gemeinde!

Predigt im Gottesdienst am 26. April 2015 in der ref. Kirche Birmensdorf Jesus Christus der gute Hirte

Gottesdienst zum Josefstag 2016 Tag der Jugendsozialarbeit in katholischer Trägerschaft

Predigt Joh 2,1-11 St. Lukas, Liebe Gemeinde! Wenn Ihr, Konfirmandinnen und Konfirmanden, einen neuen Lehrer oder eine neue Lehrerin

Predigt am in Steinenbronn

Prof. Dr. Christoph Dinkel Pfarrer. Predigt über Matthäus 20,1-15 Gottesdienst am , Septuagesimae/Kirchentag Christuskirche Stuttgart

PREDIGT. Ref. Kirche Adliswil 14. Februar 2010 Text: Matthäus 20, 1-16 Thema: Der andere Blickwinkel Pfarrer Hanns Walter Huppenbauer

Predigt zu Epheser 1,15-23

Wie gütig darf Gott sein? Gedanken zum jüngsten Gericht

(An der Eingangstüre steht ein großer Spiegel. Daneben ein Plakat mit der Aufschrift: Alles perfekt? )

Von Weinbergarbeitern Ziel: Sei nicht um deinen Lohn besorgt! EINLEITUNG

"Wofür es sich lohnt"

In diesem Osterlicht sind wir, was wir sind. Nicht nur als reformierte Kirche, sondern auch als die je einmaligen Persönlichkeiten.

GERECHTIGKEIT. Mein Recht und das Recht der anderen

Predigt am Sonntag 23. April 2017 ref. Kirche Birmensdorf Emmaus

Liebe Mitfeiernde, Gesundsein gehört zum ganzen Menschen. Kranksein dagegen betrifft den Menschen, dem etwas fehlt. So stellt die Hausärztin

Erste und Letzte (Matthäus 20, 1-16; Septuagesimae I)

Predigt im Gottesdienst am Sonntag 30. März 2014 in der reformierten Kirche Birmensdorf Die Verklärung Jesu

Matthäus 20,

Jesus ist ein Priester. Von Gott selbst eingesetzt. Nach der Ordnung Melchisedeks.

1 Predigt im Gottesdienst mit Taufen am in der Cyriakuskirche in Illingen Pfarrer Wolfgang Schlecht

Predigt zu Lukas 22, 19

Predigt im Gottesdienst am Sonntag 26. Oktober 2014 in der reformierten Kirche Birmensdorf Das höchste Gebot

EVANGELIUM Joh 3, 1-8

Fuß- und Kopfwaschung

Meine Begabung entdecken Gaben einsetzen: Bis ER wiederkommt!

1. Thematischer Gottesdienst zum Jahresthema Sonntag als Ruhetag - inhaltlich gefüllt

Predigt zum Vaterunser

Predigt zu Matthäus 5, 10

ERSTE LESUNG Jes 5, 1-7 Der Weinberg des Herrn der Heere ist das Haus Israel Lesung aus dem Buch Jesája Ich will ein Lied singen von meinem geliebten

Bilder zum Beten mit der Liturgie Fünfundzwanzigster Sonntag im Jahreskreis A

Gottesdienst vom 11. Juli 2010, gehalten von Pfarrer Marc Stillhard

Thaler Predigt. Das Evangelium Kraft Gottes Römerbrief 1, von Pfr. Christian Münch gehalten am 10. Januar 2010 in der paritätischen Kirche Thal

Predigt (1.Kor 9,16-23): Kanzelgruß: Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

Können Sie sich vielleicht auch noch daran erinnern, wie Sie sich fühlten, als Sie diesen Brief lasen?

Bibelgesprächskreis. Neugeboren Leben in einer neuen Dimension Joh Ablauf

Rolf Theobold Was gut ist Predigt über Micha 6, Oktober 2013, Pauluskirche u. Hoffnungskirche

Predigt über Matthäus 20,1-16a in der Kreuzkirche Reutlingen am Sonntag Septuagesimä, 8. Februar 2009

Predigt zum Gottesdienst am 2. Mai 2004 Peterskirche Heidelberg. Thema: Gerechtigkeit oder Güte?

Predigt des Erzbischofs Friedrich Kardinal Wetter beim Pontifikalgottesdienst zum Weihnachtsfest 2007

Mt 21, Leichte Sprache

Predigt im Gottesdienst am Muttertag Sonntag 14. Mai 2017 reformierte Kirche Birmensdorf Dankbarkeit die Mutter aller Tugenden

Liturgievorschlag für den 4. Sonntag der Osterzeit

Gnade sei mit uns und Frieden und Gottes GeistesGegenwart,

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Matthäus 18, Leichte Sprache. Jesus erklärt, warum das Verzeihen wichtig ist.

Palmarum 25. April 2018

Weinfelder. Predigt. Diakonisches Handeln. Juni 2014 Nr Matthäus 25,35-40

Predigt zu allein die Schrift und allein aus Gnade am Reformationstag 2017

Mt 21, Leichte Sprache

Predigt im Gottesdienst am Sonntag 18. Mai 2014 in der reformierten Kirche Birmensdorf Die Himmel der Himmel können dich nicht fassen!

Gottesdienst für Januar 2012 (als Wortgottesdienst oder Hl. Messe) TAUFE DES HERRN oder Tauferneuerung (dann sind einige Änderungen notwendig)

11. Sonntag n. Trinitatis Matthäus 21, Ein unsichtbare Überschrift: Mensch, was hast du gemacht aus deinem Leben?

(PP Start mit F5) > Folie 1 (Bild vom Flyer)

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herren Jesus Christus.

Predigt zur Jahreslosung 2012 am (2.Kor 12,9) Renata Hagemann

Gott im Knast. Predigt zum Diakoniesonntag am 27. Juni 2010 in der Evangelischen Kirche zu Hinsbeck. von Pfarrer Dr. Matthias-W.

Dieses Gleichnis aus Matthäus 20, Verse 1 16 ist der vorgeschlagene Predigttext für den heutigen Sonntag:

MEHR ALS DU SIEHST HIRTENWORT. Ein Leitwort für die Kirchenentwicklung im Bistum Limburg

Domvikar Michael Bredeck Paderborn

Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge,

Ach, du liebe Güte! Unser Herr heißt nicht Justus, sondern Jesus! (Sonntag Septuagesimae) Matthäusevangelium 20, 1-15

Predigt am Erntebittgottesdienst: Gott gibt, was recht ist nicht unbedingt was wir erwarten

Der rechtfertigende Glaube als tätiger Glaube. Fortsetzung einer Predigtreihe zum Augsburgischen Bekenntnis. 6. Artikel: VOM NEUEN GEHORSAM

Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten

25. SONNTAG IM JAHRESKREIS ( SEPTEMBER), JAHRGANG A (TIME AFTER PENTECOST: LECTIONARY 25)

Predigt für das Pfingstfest. Wir hören Gottes Wort aus dem 1. Brief des Apostels Paulus an die Korinther im 2. Kapitel:

Während Jesus lehrte, kamen die führenden Priester und die Ältesten des Volkes zu ihm und fragten:»woher nimmst du dir das Recht, das alles zu tun?

Predigt zum Thema Wann ist ein Christ ein Christ?

Gott, der höchste Himmel kann dich nicht fassen! 1. Kön 8,27

Konfirmationspredigt über Mt 16,13-18 (Oberkaufungen, 17. April 2016)

1. Joh 3, Wenn wir einen Menschen taufen, dann erhält er in aller Regel auch einen Taufspruch zugesprochen. Es ist ein biblisches Wort,

Transkript:

Predigt im Gottesdienst vom 25. Oktober 2015 Reformierte Kirche Birmensdorf Die Ersten werden wie die Letzten sein und die Letzten wie die Ersten Evangelium - Mt 20,1-16 Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg Denn mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsherrn, der am frühen Morgen ausging, um Arbeiter für seinen Weinberg einzustellen. Nachdem er sich mit den Arbeitern auf einen Denar für den Tag geeinigt hatte, schickte er sie in seinen Weinberg. Und als er um die dritte Stunde ausging, sah er andere ohne Arbeit auf dem Marktplatz stehen, und er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg, und was recht ist, will ich euch geben. Sie gingen hin. Wiederum ging er aus um die sechste und neunte Stunde und tat dasselbe. Als er um die elfte Stunde ausging, fand er andere dastehen, und er sagte zu ihnen: Was steht ihr den ganzen Tag hier, ohne zu arbeiten? Sie sagten zu ihm: Es hat uns niemand eingestellt. Er sagte zu ihnen: Geht auch ihr in den Weinberg! Es wurde Abend und der Herr des Weinbergs sagte zu seinem Verwalter: Ruf die Arbeiter und zahl ihnen den Lohn aus, angefangen bei den Letzten bis zu den Ersten. Und als die von der elften Stunde kamen, erhielten sie jeder einen Denar. Und als die Ersten kamen, meinten sie, dass sie mehr erhalten würden; und auch sie erhielten jeder einen Denar. Als sie ihn erhalten hatten, beschwerten sie sich beim Gutsherrn und sagten: Diese Letzten haben nur eine Stunde gearbeitet, und du hast sie uns gleichgestellt, die wir die Last des Tages und die Hitze ertragen haben. Er aber entgegnete einem von ihnen: Freund, ich tue dir nicht unrecht. Hast du dich nicht mit mir auf einen Denar geeinigt? Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten gleich viel geben wie dir. Oder ist es mir etwa nicht erlaubt, mit dem, was mein ist, zu tun, was ich will? Machst du ein böses Gesicht, weil ich gütig bin? So werden die Letzten Erste sein und die Ersten Letzte. 1

Predigt Liebe Gemeinde, Gleicher Lohn für ganz unterschiedliche Arbeitszeiten - ist das gerecht? Stellen sie sich vor, sie gehen täglich frühmorgens zu ihrer Arbeit. Kurz vor Arbeitsschluss kommt ein Arbeitskollege von ihnen, arbeitet eine Stunde, packt dann zur selben Zeit wie sie die Sachen zusammen und macht Feierabend. Das geschieht nicht nur einmal, sondern an jedem Arbeitstag. Am Ende des Monats erhalten sie und ihr Arbeitskollege jedoch den genau gleichen Lohn. Jede und jeder von uns wäre darüber höchst empört. Wir würden dagegen Sturm laufen und uns beim Arbeitgeber beschweren wie es die Arbeiter im Weinberg taten, die sich dort seit dem frühen Morgen abrackerten. Wer mehr arbeitet, soll mehr Lohn erhalten. Das entspricht unserem natürlichen Gerechtigkeitssinn. Es ist darüber hinaus auch gerecht, wenn jemand, der viel Verantwortung trägt, für die gleiche Arbeitszeit mehr Lohn erhält. Die Wahnsinnsunterschiede bei den Gehältern, die es auch in unserem Land gibt, sind damit freilich nicht gemeint. Aber es muss nachvollziehbare Unterschiede geben. Anders funktioniert unsere menschliche Gerechtigkeit nicht. Eine Stunde Arbeit ist etwas anderes als zwölf Stunden Arbeit. Und die Piloten eines Flugzeugs tragen mehr Verantwortung als die Flugbegleiter. Das rechtfertigt Lohnunterschiede. Der Besitzer des Weinbergs macht nun aber keinen Unterschied. Ob jemand nun zwölf oder eine Stunde gearbeitet hat, ob jemand viel oder weniger Verantwortung trägt - er bezahlt allen den gleichen Lohn. Das ist nicht gerecht. Wirtschaftlich gesehen, ist es auch sehr dumm, was der Gutsbesitzer da macht. Denn wenn er Arbeit gleich bezahlt, egal ob jemand kurz oder lang arbeitet, handelt er 2

unwirtschaftlich und läuft sogar in Gefahr, früher oder später pleite zu gehen. In der Tat ist jener Besitzer des Weinbergs nicht nur ungerecht, sondern dazu noch ein schlechter Buchhalter. Liebe Gemeinde, es mag sie aufgrund des bisher Gesagten im ersten Moment überraschen, aber in unserer christlichen Glaubenstradition steht dieser Besitzer des Weinbergs für Gott. Wie? Ist Gott etwa ungerecht? Kürzlich habe ich im Internet eine Dialogpredigt von zwei Schweizer Theologieprofessorinnen über unser heutiges Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg gelesen. Die theologische Kurzsichtigkeit mit der die beiden Professorinnen das Gleichnis deuten, hat mich dann doch etwas überrascht. Die beiden Frauen sind sich darüber einig, dass es wahnsinnig ist, Gott mit diesem ungerechten, despotischen Gutsbesitzer zu vergleichen. Gott sei vielmehr auf der Seite der murrenden Arbeiter, die vom Gutsbesitzer hintergangen werden. Wenn wir das Gleichnis nur aus der horizontalen, d.h. der weltlichen Perspektive lesen, wie auch ich das am Anfang dieser Predigt getan habe, dann haben die beiden Theologinnen natürlich vollkommen recht. Aber Jesus erzählt uns gerade kein Gleichnis über eine weltliche Begebenheit, die wir mit weltlichen Massstäben zu beurteilen haben. Darum beginnt er die Erzählung ja auch mit den Worten: "Mit dem Himmelreich ist es wie mit einem Gutsherrn..." Das Himmelreich, die vertikale Dimension, die Wirklichkeit Gottes ist gemeint, und da geht es anders zu und her als in dieser Welt. Wir müssen es also mit anderen Augen sehen und anders begreifen. Aber wie? Womit ist das Himmelreich zu vergleichen? Eben mit jenem Gutsbesitzer, der allen den gleichen Lohn auszahlt, ob sie nun eine Stunde oder zwölf Stunden arbeiten. 3

Im Himmelreich, in der göttlichen Dimension ist mit "Lohn" nun aber etwas anderes gemeint als in dieser Welt. Es geht hier nicht um Geld oder Entgelt für eine getane Arbeit. Es geht vielmehr um den Wert und die Bedeutung, die wir als Menschen vor Gott haben. Wenn Gott allen ohne Unterschied den gleichen "Lohn" zahlt, heisst das: Alle Menschen sind geborgen im Blick der Liebe Gottes. So unterschiedlich wir in dieser Welt sind - in einer Beziehung sind wir alle gleich: Uns alle schaut Gott mit dem Blick der Liebe an. Vor Gott haben wir alle eine Menschenwürde, die ganz unabhängig ist von unserem Schicksal in dieser Welt und von dem, was wir hier zu leisten vermögen. Verdienen können wir uns diese Würde also auch nicht. Gott schenkt sie uns umsonst, gratis. Gott ist also keineswegs ungerecht. In seinem Blick fallen vielmehr Gerechtigkeit und Güte zusammen. Mit diesem Blick schaut er uns an und fragt uns: Blickt dein Auge neidisch, weil ich gütig bin? Mit diesem Blick geht er auf alle Menschen zu, stellt sie auf eine Stufe, die Großen wie die Kleinen, die Mächtigen wie die Ohnmächtigen, Frauen wie Männer, Junge wie Alte, Arme wie Reiche. Im Blick der Liebe Gottes, der allen Würde schenkt, sind alle gleich. Die Ersten sind wie die Letzten und die Letzten wie die Ersten. Das gilt nicht nur vor Gott, sondern auch vor Menschen. Auch für unsere menschliche Gerechtigkeit gilt im Hinblick auf die Menschenwürde, dass die Letzten soviel zählen wie die Ersten und umgekehrt. Wie stünde es sonst um diejenigen, die sich nicht durch ihre Leistung rechtfertigen können? Ich denke an Kinder, an Behinderte, Kranke und Betagte. Ist für sie kein Platz in unserer Gesellschaft vorgesehen? Es wäre doch nicht Gerechtigkeit, sondern ein Alptraum, wenn wir nur noch die anerkennen würden, die fit und leistungsstark sind. Für jede und jeden von uns kann morgen alles anders sein. Unsere Stärke kann in Schwäche umschlagen. Wo nur Leistung zählt, wird das Leben sinnlos, wenn man nichts mehr leisten kann. Wir leben nicht nur von dem, was wir hervorbringen, sondern von dem, was uns geschenkt wird. Darin sind wir alle gleich. 4

Deshalb sprechen wir von einer Würde, die uns allen geschenkt wird und die uns niemand nehmen darf. Das Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg lehrt uns: Es gibt eine Gleichheit der Menschen, die grundsätzlicher ist als alle Verschiedenheit. Alle Menschen stehen im Blick der Liebe Gottes, der uns einen Namen schenkt, noch bevor wir uns namhaft gemacht haben. Alle Menschen haben eine unverlierbare Würde. Unterschiede, die wir machen, haben sich daran zu messen. Nur dann können wir sie verantworten. Nur dann halten wir der Einsicht stand: Auch wer zuletzt kommt, ist von Gott geliebt. Amen. Aesch, 22. Oktober 2015 Pfarrer Marc Stillhard 5