Anerkennung bei Hegel Jakub Kloc-Konkołowicz Inhalt 1 Einleitung... 2 2 Der Kampf um Anerkennung... 2 3 Veränderung der Rolle des Anerkennungsbegriffs... 3 4 Fazit... 4 Literatur... 4 Zusammenfassung Die Bewegung der Anerkennung hat in der praktischen Philosophie Hegels eine entscheidende Bedeutung in der Herausbildung der Ordnungen des Rechts, der Gesellschaft, des Staates und des Völkerrechts. Das bekannte Modell des Kampfes um Anerkennung aus der Phänomenologie des Geistes hat als Zweck trotz des zunächst asymmetrischen Verlaufs der Dialektik dieses Kampfes die Herausbildung einer symmetrischen Anerkennung zwischen den Subjekten. Strittig bleibt, wie groß der Umfang der Elemente der Elemente der Hegelschen Philosophie ist, welche mit dem Prinzip der Anerkennung rekonstruiert werden können. Mit dem Übergang zur späteren Rechtsphilosophie Hegels wandelt sich offensichtlich die Rolle des Anerkennungsprinzips. Zwar ist dieses Prinzip auch hier wirksam, dennoch scheint sich die Versöhnung des Individuums mit den sozialen und staatlichen Strukturen eher der rationalen Einsicht in die Möglichkeit der Verwirklichung seiner Freiheit und nicht den Prozessen der intersubjektiven Anerkennung zu verdanken. Schlüsselwörter Identität Reziprozität Ausschluss Arbeit Recht J. Kloc-Konkołowicz (*) Uniwersytet Warszawski (Universität Warschau), Instytut Filozofii, Warschau, Polen E-Mail: j.kloc-konkolowicz@uw.edu.pl # Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2018 L. Siep et al. (Hrsg.), Handbuch Anerkennung, Springer Reference Geisteswissenschaften, https://doi.org/10.1007/978-3-658-19561-8_20-1 1
2 J. Kloc-Konkołowicz 1 Einleitung Anerkennung gehört zu den wichtigsten Begriffen der praktischen Philosophie Hegels. Beginnend mit der Periode der so genannten Jenaer Realphilosophie, über die Phänomenologie des Geistes, bis zu den späten Grundlinien der Philosophie des Rechts, spielt Anerkennung, als ein mehr oder weniger ausdrücklich genanntes Prinzip, die entscheidende Rolle in der Herausbildung der Ordnungen des Rechts, der Gesellschaft, des Staates und des Völkerrechts. Das Konzept der Anerkennung bei Hegel ist in eine Begriffskonstellation eingebettet, welche (mindestens) aus folgenden Begriffen zusammengesetzt ist: Identität des Selbstbewusstseins, Reziprozität, Ausschluss (Kampf), Arbeit und Recht (darunter auch das Völkerrecht). 2 Der Kampf um Anerkennung Hegel führt das Prinzip der Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes auf der Ebene ein, auf welcher der sich entwickelnde Geist die Gestalt des Selbstbewusstseins erreicht. Diese Gestalt zeichnet sich durch verdoppelte (reflexive) Struktur aus. Die interne Verdopplung des Selbstbewusstseins (welches unendlich oder unmittelbar das Gegenteil der Bestimmtheit, in der es gesetzt ist bildet) (Hegel 1970c, S. 145) stellt sich uns dar (Hegel 1970c, S. 146) als das Verhältnis zweier Selbstbewusstseine, welche nicht imstande sind, ihre jeweilige Identität (Selbstbezüglichkeit) ohne den Bezug auf das andere Selbstbewusstsein herzustellen. Deswegen bildet die Reziprozität (Gegenseitigkeit) den internen Zweck des Anerkennungsprozesses. Die Selbstbewusstseine anerkennen sich als gegenseitig sich anerkennend (Hegel 1970c, S. 147); dadurch widerspiegelt sich die verdoppelte (reflexive) Struktur des Selbstbewusstseins in der intersubjektiven Struktur der Anerkennung. Obwohl die genannte Symmetrie der Anerkennung vorausgesetzt wird ( Anerkennen ist (...) das Erste, was werden muss ) (Hegel 1987, S. 200), wird diese Voraussetzung als vollkommen entwickelter Zweck nicht direkt, sondern durch eine dialektische Bewegung Prozess des Anerkennens (Hegel 1970a, S. 219) erreicht, in welchem als Erstes der Versuch des Ausschlusses auftritt. Indem das Selbstbewusstsein das andere Selbstbewusstsein auszuschließen versucht, gerät es in einen Kampf mit ihm, in dem es um den Beweis eigener Selbstständigkeit geht, die als die Fähigkeit verstanden wird, von allen gegenständlichen Bestimmungen zu abstrahieren. Das tapfere Bewusstsein, welches dazu imstande ist, gewinnt (als Herr ) die dominante Position über das an die Gegenständlichkeit gekettete Bewusstsein, welches sich (als Knecht ) zu einer Art Werkzeug des Herren verwandelt. Durch die erzwungene, aber damit auch erstmals systematische Arbeit, distanziert sich jedoch auch das knechtische Selbstbewusstsein allmählich von der Abhängigkeit von den Gegenständen. Im Gegensatz zur einmaligen, tapferen Tat des Herren, geschieht dies allerdings durch die Umbildung der Natur nach den bewusst gesetzten Zwecken. Arbeit als Bildung hat damit für das knechtische Bewusstsein eine befreiende und kulturstiftende Kraft, welche es ihm ermöglicht, seitens des
Anerkennung bei Hegel 3 ersten Selbstbewusstseins symmetrisch anerkannt zu werden (Hegel 1970a, S. 145 155). In den Grundlinien der Philosophie des Rechts bildet diese Vermittlung der Anerkennung durch die Arbeit einen grundlegenden Zug der modernen bürgerlichen Gesellschaft. Innerhalb dieser Gesellschaft äußert sich die allseitige Anerkennung Allgemeinheit als Anerkanntsein (Hegel 1970b, S. 349) sowohl in der Sphäre der allgemeinen, vergesellschafteten Bedürfnisse, als auch in der stabilen Gestalt der individuellen Rechte. Die Dialektik des Ausschlusses und der Anerkennung wiederholt sich auf der internationalen Ebene, wo sich die Staaten auszuschließen versuchen (Krieg), und dennoch, da sie die Anerkennung der anderen Staaten benötigen, durch ein Band verbunden bleiben und völkerrechtliche Begrenzungen ihrer Feindlichkeiten akzeptieren (Hegel 1970b, S.502). 3 Veränderung der Rolle des Anerkennungsbegriffs Strittig ist, ob sich die Rolle des Anerkennungsbegriffs im Laufe der Wandlungen des Hegelschen Systems verändert. Schon der Übergang von der Jenaer Realphilosophie zur Phänomenologie des Geistes markiert für manche Interpreten eine wichtige Veränderung bezüglich der Funktion des Anerkennungsprinzips bei Hegel. Laut Habermas wird der ursprüngliche kommunikative Sinn des Anerkennungsprozesses durch die zweckorientierte Logik der Arbeit überschattet (Habermas 1968); auch für Honneth impliziert das Anerkennungsmodell aus der Phänomenologie die Aufgabe des ursprünglichen Hegelschen Programms und den Verlust der eigensinnigen Logik des Kampfes um Anerkennung (Honneth 2003, S. 104). Für Wildt ist der Umfang der Elemente der Hegelschen Philosophie, welche mit dem Prinzip der Anerkennung rekonstruiert werden können, überhaupt deutlich begrenzt. Deswegen überfordern laut Wildt die aktuellen Versuche, den Anerkennungsbegriff etwa zur Grundlage einer Gerechtigkeitstheorie zu erklären, das Programm der Anerkennung, wie es ursprünglich bei Hegel konzipiert wurde (Wildt 2005, S. 180; siehe auch: Wildt 1982). In der späteren Philosophie Hegels scheint Anerkennung in den Hintergrund zu geraten. Damit wäre sie nur noch ein Prinzip der Ausführung der strukturellen Verwandlungen des objektiven Geistes und nicht mehr der eigentliche Motor seiner Veränderungen. Zwar ergänzt Hegel, laut Siep, die schon in der Fichteschen Philosophie rekonstruierte personale Intersubjektivitätsebene durch neue Anwendungsdimension des Anerkennungsprinzips, indem er dieses Prinzip als Grundlage des Verhältnisses zwischen dem Individuum ( Ich ) und den überindividuellen Gemeinschaften ( Wir ) einsetzt (Siep 2009). Dennoch muss der Verlauf des Kampfes um Anerkennung von der mehr allgemeinen Bewegung der Anerkennung unterschieden werden. Es lässt sich zwar immer noch mit Siemek behaupten, das Hegelsche Modell des Kampfes um Anerkennung bleibe aus der Perspektive seines Zwecks letztendlich ebenso symmetrisch, wie dies im Fichteschen Anerkennungsmodell der Fall ist (Siemek 1998, S. 172 202). Doch in dem Verhältnis des Individuums und seiner Gemeinschaft scheint das Wir im Vergleich mit dem Ich die dominante Position anzunehmen, was sich offensichtlich aus den aristotelisierenden Tendenzen
4 J. Kloc-Konkołowicz der späten Hegelschen Rechtsphilosophie ergibt. Trotzdem bleibt auch das Kantische Moment der personalen Autonomie bei Hegel immer aufrechterhalten; deswegen lässt sich aus der genannten Dominanz des Wir nicht schlussfolgern, dass der Status und die Rechte des Einzelnen auf dem Altar der Gesellschaft oder des Staates geopfert werden. So behauptet Hegel in den Grundlinien: Das Recht der Individuen an ihre Besonderheit ist ebenso in der sittlichen Substantialität enthalten, denn die Besonderheit ist die äußerlich erscheinende Weise, in welcher das Sittliche existiert (Hegel 1970b, S. 304). 4 Fazit Das für die frühe Hegelsche Philosophie des Geistes entscheidende Prinzip der gegenseitigen Anerkennung bleibt auch in seiner späteren Philosophie wirksam. Dennoch scheint sich in der Rechtsphilosophie der Berliner Periode die Versöhnung des Individuums mit den sozialen und staatlichen Strukturen eher der rationalen Einsicht in die Möglichkeit der Verwirklichung seiner Freiheit im Rahmen der objektiven Sittlichkeit zu verdanken und nicht den Prozessen der intersubjektiven Anerkennung. Literatur Habermas, Jürgen. 1968. Arbeit und Interaktion. Bemerkungen zu Hegels Jenenser Philosophie des Geistes. In Technik und Wissenschaft als Ideologie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. 1970a. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften. In Werke in zwanzig Bänden, Hrsg. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Bd. 10. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. 1970b. Grundlinien der Philosophie des Rechts. In Werke in zwanzig Bänden, Hrsg. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Bd. 7. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. 1970c. Phänomenologie des Geistes. In Werke in zwanzig Bänden, Hrsg. E. Moldenhauer und K. M. Michel, Bd. 3. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich. 1987. In Jenaer Systementwürfe III. Naturphilosophie und Philosophie des Geistes, Hrsg. R.-P. Horstmann. Hamburg: Felix Meiner Verlag. Hoffmann, Thomas Sören. 2004. Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Eine Propädeutik. Wiesbaden: Marix Verlag. Honneth, Axel. 2003. Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag. Honneth, Axel. 2011. Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit. Berlin: Suhrkamp Verlag. Siemek, Marek J. 1998. Hegel i filozofia. Warszawa: Oficyna Naukowa. Siep, Ludwig. 1979. Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie. Untersuchungen zu Hegels Jenaer Philosophie des Geistes. Freiburg/München: Verlag Karl Alber. Siep, Ludwig. 2009. Anerkennung in der Phänomenologie des Geistes und in der heutigen praktischen Philosophie. In Anerkennung, Hrsg. H.-Ch. Schmidt am Busch und Ch. F. Zurn. Berlin: Akademie Verlag.
Anerkennung bei Hegel 5 Wildt, Andreas. 1982. Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption. Stuttgart: Klett-Cotta. Wildt, Andreas. 2005. Anerkennung in der praktischen Philosophie der Gegenwart. In Selbstachtung oder Anerkennung? Beiträge zur Begründung von Menschenwürde und Gerechtigkeit, Hrsg. H. Hahn. Weimar: Bauhaus-Universität Weimar.