Professionalität und Praktische Intelligenz in Zeiten der Akademisierung

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Transkript:

Professionalität und Praktische Intelligenz in Zeiten der Akademisierung Referat an der Fachtagung kibesuisse in Olten 14. Mai 2018 Prof. Dr. Margrit Stamm Professorin em. der Universität Fribourg-CH Direktorin des Forschungsinstituts, Bern

Meine These Die aktuelle Diskussion um die Professionalisierung* im Frühbereich hat zwei Schwachstellen: Sie wird zu sehr mit Akademisierung gleichgesetzt. Die biographischen und praktischen Erfahrungen der Fachkräfte werden zu wenig einbezogen. Allein die Fähigkeit, Fachwissen auch anwenden zu können, führt zu Professionalität. Diese Fähigkeit heisst Praktische Intelligenz. Aber: Unsere Gesellschaft und unser Bildungssystem unterschätzen diese Intelligenzform massiv. *Prozesse, die zur beruflichen Handlungskompetenz führen.

Mein Referat Defizit oder Kompetenz? Kita-Fachkräfte im Fokus Nicht alles wirkt wie erwartet Zwischen Wissen und Können: Die Praktische Intelligenz Und jetzt? Wo könnte man ansetzen?

Defizit oder Kompetenz? Kita-Fachkräfte im Fokus

Kita-Fachkräfte in der Kritik Defizitdiskurs: Fokus auf unzureichende Qualifizierung der Fachkräfte und mangelnde Bereitschaft zu Selbstreflexion. Kompetenzdiskurs: Fokus auf die bestehenden Herausforderungen. (Zu) Grosse Kluft zwischen tatsächlich vorhandenen Kompetenzen und Anforderungen. Forschungsergebnisse: Durch Akademisierung zur Handlungskompetenz? Gruppe I: Gruppe II: Keine akademische Ausbildung Akademische Ausbildung + trotzdem + trotzdem Professionelles Handeln Unprofessionel les Handeln Akademische Ausbildung: keine Garantin für berufliche Handlungskompetenz! ( zusf. Stamm, 2018)

Nicht alles wirkt wie erwartet

Wirkungen von Kitas in Wechselbeziehung mit Familie Bessere Kita-Qualität als häusliche Qualität: Hohe Kita-Qualität kann negative familiäre Einflussmerkmale abpuffern. Bessere häusliche Qualität als Kita-Qualität: «Verlorene Ressourcen», weil Kinder in der Kita nicht so profitieren wie erwartet. Bescheidene Kita-Qualität und bescheidene häusliche Qualität: «Doppeltes Risiko», weil familiale Risikofaktoren durch nicht adäquate Kita-Qualität verstärkt werden. Befähigende Haltungen: nicht nur durch Wissensaufbau Haltungen sind wichtiger als jedes pädagogische Konzept. Praktika, biographische Erfahrungen und in der Praxis erworbenes Wissen haben beim Kita-Personal einen höheren Stellenwert als die Theorie. Eine befähigende Haltung ist nicht einfach das Ergebnis einer akademischen Ausbildung.

(1) Kita-Fachkräfte können keine Wunder vollbringen. (2) Wissen führt nicht automatisch zu beruflicher Handlungskompetenz.

Zwischen Wissen und Können: die Praktische Intelligenz

Das Intelligenz-Modell von Robert Sternberg Analytische Intelligenz Kreative Intelligenz Neue Ideen, Lösungswege entwickeln, gängige Annahmen hinterfragen Hoher IQ Gute Schulnoten Abstraktes, logisches Denken Praktische Intelligenz Stilles Wissen (Intuition) Alltagsintelligenz Erkennen und Lösen praktischer Probleme

Was bedeutet dies für Kitas? Praktische Intelligenz ist nicht einfach das Gegenteil von Akademischer Intelligenz. Stilles Wissen ist die zentrale Komponente der Praktischen Intelligenz auf dem Weg zur beruflichen Handlungskompetenz. Stilles Wissen umfasst Handlungsorientierung (wissen wie) Intuition (spüren was und wie) Informeller Erwerb (lernen in alltäglichen Berufshandlungen ohne Hilfe Dritter) Erfahrungsgebundenheit (oft sprachlich nicht genau beschreibbar; man weiss mehr als man sagen kann).

Und jetzt? Wo könnte man ansetzen?

Der Praktischen Intelligenz in Aus- und Weiterbildung mehr Beachtung schenken durch: mehr Face-to-Face-Lernen mit Könnern (Experten) ermöglichen mehr Modelllernen integrieren mehr Erfahrungswissen älterer Arbeitnehmender für Junge nutzen mehr informelles Lernen berücksichtigen Professionelle Intuition lehren und lernen. Sie gibt mehr Selbstvertrauen und mehr Selbstwirksamkeit. An Haltungen arbeiten: Die Fähigkeit zur kritischen Selbstreflexion und die Bereitschaft, Neues zu lernen sind auf dem Weg zur Professionalisierung wichtiger als die Akademisierungsfrage.

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