Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg HS BWL III Institut für Staats- und Versicherungswissenschaften Sommersemester 2000 Prof. Dr. Dr. habil. Horst-Tilo Beyer Heike Hauck Arten, Probleme und Lösungsansätze der Reorganisation eines Unternehmens Abgrenzung des Begriffs Reorganisation Unter Reorganisation wird die planvolle Umgestaltung des Gesamtunternehmens oder wesentlicher Teile davon verstanden. Im Ongoing Process der Organisation stellt sie nur eine Episode dar. Zielsetzung der Reorganisation Die Reorganisation eines Unternehmens hat zum Ziel, einen gegebenen organisatorischen Ist-Zustand in einen gewünschten Soll-Zustand zu überführen, mit dessen neuer Struktur die gestellte Organisationsaufgabe möglichst effizient und dauerhaft zu bewältigen ist. Neben der Forderung nach Effizienz tritt die kundenorientierte Organisationsstruktur, die...derzeit ein Haupterfordernis organisatorischer Anpassung geworden ist..., verstärkt in den Vordergrund. Gründe und Anlässe für Reorganisationen Anstöße für Reorganisationen erfolgen meist organisationsintern (z.b. Wechsel an der Führungsspitze, eindeutiges Kontrollergebnis, neue gesetzliche Bestimmungen, Ende der Pionierphase). Organisationsinterne und externe Gründe zeigt Tab. 1: Initiierungsfaktor Beispiel Struktur Ineffiziente, nicht am Kunden orientierte Organisationsstruktur Mangelhaftes Planungs- und Kontrollsystem Führung Überlastung der Führung und Verwaltung Keine optimale Kontrollspanne des Managements Wachstum Änderung der Unternehmensgröße Umsatzwachstum Umwelt Zunehmender globaler Wettbewerb Absatzprobleme Tab. 1: Gründe für die Reorganisation von Unternehmen in Anlehnung an Dörler 1988, S. 53 und Kirsch et al. 1979, S. 7 f. Zielrichtungen von Reorganisationen Zielbereich der Reorganisation Reorganisation der Führung Umsetzungsbeispiel Verflachung der Hierarchien Umstrukturierung bis zur optimalen Kontrollspanne Einführung einer Geschäftsbereichsorganisation (z.b. Profit Center)
Zielbereich der Reorganisation Reorganisation der Organisationseinheiten Reorganisation betrieblicher Funktionen Reorganisation der DV/IT Umsetzungsbeispiel Neuorganisation oder bildung von Abteilungen (z.b. Einführung von Gruppenarbeit bei Henkel KGaA, Einführung branchenspezifischer Business Units bei SAP AG) Auflösung, Zusammenlegung oder Dezentralisierung von Abteilungen und Zentralstellen (z.b. Einführung Personalreferentensystem bei Hertie/Karstadt Warenhaus AG, Eingliederung zentraler Dienstleistungen in autonome Tochtergesellschaften ABB Group) Einführung eines KVP (z.b. Henkel KGaA) Flexible Arbeitszeitmodelle (z.b. Gleit-/ Teilzeit, Job-Sharing, Arbeitszeitkonto) Änderung der Absatzorganisation (z.b. Reduktion des Artikelspektrums, 24h-Callcenter für bessere Kundenbetreuung) Einführung neuer Planungs- und Kontrollsysteme (z.b. Balanced Scorecard) Einführung einer neuen Standardsoftware (z.b. SAP R/3) Implementierung eines Intranets Einführung computerunterstützter Informationssysteme (MIS) Tab. 2: Zielbereiche von Reorganisationen in Anlehnung an Dörler 1988, S. 41 ff. Reorganisationen bleiben in vielen Fällen keine einmalige Angelegenheit, sondern ziehen oftmals Folgereorganisationen nach sich. Probleme bei der Durchführung von Reorganisationen Reorganisation als Teilkonzept Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Reorganisationen Partieller Ansatz der Reorganisation führt nur zu einer Ausbesserung von Schwachstellen. Mitarbeiterbedingte Hindernisse Widerstand der betroffenen Mitarbeiter, z.b. aufgrund hoher Änderungsresistenz, Angst, Anreizinkompatibilität, Motivationsund Qualifikationsdefizit. Führungsbedingte Hindernisse Keine Beachtung der Präferenzen und Bedürfnisse der Mitarbeiter durch die Projektleitung. Verhalten der Topmanager stimmt nicht mit den neuen Leitsätzen überein. Organisationsbedingte Reorganisationsbarrieren Koordinations- und Motivationsprobleme, z.b. aufgrund unzureichendem Informationsmanagement. Rahmenbedingungen Z.B. Outside Options leistungsstarker Mitarbeiter, die für die Reorganisation benötigt werden. Kein unternehmensspezifisches Reorganisationskonzept Komplexe betriebliche Realität eines Unternehmens bedarf individueller Entwicklungs- und Problemlösungsstrategien. Abb. 1: Probleme bei der Durchführung von Reorganisationen
Lösungsansätze zur effizienteren Durchführung von Reorganisationen I. Die zehn Stellschrauben einer maßgeschneiderten Reorganisation nach Picot, Freudenberg und Gaßner Konzept des maßgeschneiderten Wandel Eine Reorganisation muß stets auf die spezifische Situation des Unternehmens maßgeschneidert werden. Auf individuelle Präferenzen und Verhaltensmuster der betroffenen Mitarbeiter (vor allem Wissensträger und mit Macht ausgestatteten Akteure) muß eingegangen werden. Management von Wandel findet nie auf der grünen Wiese statt. Vielmehr müssen im Vorfeld die Rahmenbedingungen (Kontextfaktoren) analysiert werden. Abb. 2: Konzept des maßgeschneiderten Wandels Von der Ausprägung der Kontextfaktoren hängt die Gestaltung einer Reorganisation mit Hilfe der zehn Stellschrauben ab: Analytische Vorarbeiten Teambildung Offenlegung von Wissen Machtpolitische Stabilisierung Setzen von Anreizen Controlling Kommunikation Aktivierung der Normen Training Timing Mit Hilfe dieses Werkzeugkastens lassen sich Reorganisationen unter gegebener Zeit- und Budgetrestriktion auf die Präferenzen der betroffenen Mitarbeiter sowie auf die Wissens- und Machtverteilung im jeweiligen Unternehmen maßschneidern. II. Die Erfolgsfaktorenmatrix nach Gaßner Reorganisationsprojekte werden von Gaßner als Bündel einzelner Gestaltungsparameter aufgefaßt, die aus Sicht des Mitarbeiters alle einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Anreizcharakter besitzen, ein Reorganisationsprojekt zu unterstützten. Abb. 3: Erfolgsfaktorenmatrix (Phase der Implementierung) Quelle: Gaßner 1999, S. 144
In die Erfolgsfaktorenmatrix werden die Gestaltungsparameter nach ihrer Anreizwirkung und dem Grad ihrer Ausprägung im jeweiligen Reorganisationsprojekt eingeordnet. Gaßner nimmt an, daß die Präferenzen der Mitarbeiter kurzfristig stabil sind, und somit nur auf die Ausprägung der Parameter hinsichtlich ihrer Ausprägung eingewirkt werden kann. Das bedeutet für das Unternehmen vor allem in die Eigenschaften zu investieren, die den Mitarbeitern wichtig sind. Gestaltungsparameter, die auf dem eingezeichneten Effizienzpfad liegen, entsprechen dieser Empfehlung. III. Erneuerung der Organisation in acht Schritten nach Kotter Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Reorganisation 1. Ein Bewußtsein für die Dringlichkeit des Wandels schaffen 2. Die richtungsweisenden Personen in einer Koalition vereinen 3. Eine Vision für das Unternehmen kreieren 4. Die gefundene Vision bekannt machen 5. Andere ermächtigen, gemäß der Vision zu handeln 6. Kurzfristige Erfolge planerisch vorbereiten und herbeiführen 7. Erreichte Verbesserungen weiter ausbauen 8. Die neuen Lösungswege fest verankern Abb. 4: Handlungsempfehlungen für eine erfolgreiche Reorganisation Im Vergleich zu anderen Lösungsansätzen betont dieses Konzept vor allem zwei Aspekte: Die Bedeutung einer Vision für den Wandel. Häufig findet man im Falle mißglückter Umgestaltungen zahlreiche Pläne und Programme, aber keine Vision. Die Vision sollte ein relativ leicht verständliches Bild der Zukunft des Unternehmens zeigen und Kunden wie auch Mitarbeiter gleichermaßen ansprechen. Jede Reorganisation benötigt ausreichend Zeit bis die ersten Erfolge sichtbar werden. Aus diesem Grund sollten kurzfristige Erfolge geschaffen werden. IV. Balanced Reorganization Scorecard nach Picot, Freudenberg und Gaßner Abb. 5: Entwurf einer Balanced Reorganization Scorecard Quelle: Picot et al. 1999, S. 152
Als Kontrollinstrument für Reorganisationen kann die Balanced Reorganization Scorecard dienen. Enthalten ist ein unternehmensspezifisches Kennzahlensystem, welches die rasche und umfassende Informationsversorgung des Managements im Hinblick auf die Erreichung der gesteckten Ziele gewährleistet. Das Kennzahlensystem zwingt durch seine Formulierung zu einer Quantifizierung der Ziele. Die vorgestellte Balanced Reorganization Scorecard stellt eine integrative Erfassung der wichtigsten Facetten, in diesem Falle von vier Betrachtungsperspektiven, dar: Der Projekt-, Mitarbeiter-, Kunden- und Finanzperspektive. Zu jeder Perspektive wird eine Beschreibung des Meßobjektes und Hinweise zur Ermittlung der Kennzahlen gegeben. Zusammenfassung: Schlüsselfaktoren einer Reorganisation Die bedeutendsten Elemente der verschiedenen Lösungsansätze sind in folgender Übersicht zusammengestellt: Abb. 6: Schlüsselfaktoren einer Reorganisation Fallbeispiel: Die erfolgreiche Reorganisation der Asea Brown Boveri Group (ABB) Literatur Gaßner, W.: Implementierung organisatorischer Veränderungen. Eine mitarbeiterorientierte Perspektive. Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Wiesbaden 1999 Picot, A. / Freudenberg, H. / Gaßner, W.: Management von Reorganisationen. Maßschneidern als Konzept für den Wandel. Wiesbaden 1999 Wolff, B.: Anreizkompatible Reorganisation von Unternehmen. Habilitationsschrift an der Ludwig- Maximilians-Universität München. Stuttgart 1999
Definition Reorganisation Unter Reorganisation wird die planvolle Umgestaltung des Gesamtunternehmens oder wesentlicher Teile davon verstanden. Im Ongoing Process der Organisation stellt sie nur eine Episode dar. Die Reorganisation eines Unternehmens hat zum Ziel, einen gegebenen organisatorischen Ist-Zustand in einen gewünschten Soll-Zustand zu überführen, mit dessen neuer Struktur die gestellte Organisationsaufgabe möglichst effizient und dauerhaft zu bewältigen ist. Neben der Forderung nach Effizienz tritt die kundenorientierte Organisationsstruktur verstärkt in den Vordergrund.