Ein grundsätzliches Wesensmerkmal

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Transkript:

Regenbogenfamilien und queere Jugendliche in der Ein grundsätzliches Wesensmerkmal der Institutionellen nach 28 SGB VIII ist die Offenheit für alle Kinder, Jugendlichen, Eltern und Familien, die die Voraussetzungen nach 27 SGB VIII erfüllen. Das heißt konkret, wenn»eine dem Wohl des Kindes oder Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist.«dabei ist nach 36a, Abs. 2 geregelt, dass den Anspruchsberechtigten der unmittelbare Zugang zur zuzulassen ist. Die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen findet dann innerhalb der, ggf. im multiprofessionellen Team, statt. für alle Einschränkungen im Zugang zur gibt es nicht. Innerhalb der Vorgaben von 27 SGB VIII stehen die Angebote der sberatungsstellen allen Kindern, Jugendlichen, Eltern und Familien zur Verfügung, unabhängig von der Lebensform, dem Alter und Geschlecht, der ethnischen und der sozialen Herkunft, der sexuellen Identität, der Nationalität, der Religion, der Weltanschauung und unabhängig davon, ob eine Krankheit oder Behinderung der Ratsuchenden vorliegt. sstellen haben die Verantwortung, Zugänge für alle Bevölkerungsgruppen gleichermaßen möglich zu machen und fachlich angemessen auf den jeweiligen und spezifischen Bedarf zu reagieren. Im Folgenden werden zum einem Kinder, Jugendliche und Eltern in den Blick genommen, die nicht ausschließlich heterosexuell orientiert sind, die gleichgeschlechtliche Beziehungen leben oder sich diese wünschen, und zum anderen Kinder, Jugendliche und Eltern, deren biologisches Geschlecht nicht ihrem gelebtem Empfinden entspricht, und diejenigen, auf die in ihrer geschlechtlichen Identität eine Festlegung auf weiblich oder männlich nicht zutrifft, z. B. weil biologisch weibliche und männliche Merkmale vorhanden sind (intersexuell). In Regenbogenfamilien mit gleich- oder transgeschlechtlichen Eltern wachsen selbstverständlich ebenso Kinder und Jugendliche auf, die heterosexuell orientiert sind und/ oder eine geschlechtliche Identität entwickeln, die klar männlich oder klar weiblich ist, oder eben queere Jugendliche. Auf der anderen Seite wachsen queere Jugendliche in klassischen Vater-Mutter-Kind(er)-Familien auf. Je nach Herkunftsfamilie der Jugendlichen, ob queer oder nicht, sind verschiedene oder verschieden starke innerpsychische oder familiäre Konflikte denkbar. 6 Informationen für sstellen 1/19

Regenbogenfamilien und queere Jugendliche in der Regenbogenfamilien und ihre Kinder Zunehmende Bedeutung für die Gesellschaft und somit auch für die Jugendhilfe bekommen Regenbogenfamilien, also Familien in denen mindestens ein Elternteil gleichgeschlechtlich liebt oder transgeschlechtlich lebt. Stammen die Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen eines oder beider Elternteile, so entsteht eine Regenbogenfamilien in der Konstellation einer Stieffamilie. Geht die Familiengründung auf einen gemeinsamen Kinderwunsch zurück, kommen die Kinder in der Regel als leibliche Kinder eines Elternteils während der Partnerschaft zur Welt. Das erfordert einen zeitlichen Vorlauf und eine sehr bewusste Entscheidung, wie die einzelnen Schritte gestaltet werden sollen. Gesetzliche Anpassungen, die es gleichgeschlechtlichen Eltern ermöglichen sollen, eine rechtlich abgesicherte Familie zu gründen, haben das Ziel der Gleichstellung aller Lebensformen. Dadurch und durch gesellschaftliche Entwicklungen werden Familien mit gleichgeschlechtlichen Eltern stärker sichtbar, und mehr Paare als früher finden einen Weg, ihren Kinderwunsch in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung gemeinsam zu erfüllen. Eine ausführliche Darstellung zur Bedeutung von Homosexualität im Kontext Familie und im Hinblick auf die Beratung findet sich bei Jacob und Körner (2014). Während es nach Erhebungen des Statischen Bundesamtes 1996 in Deutschland 3.000 gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften mit minderjährigen Kindern gab, waren es zehn Jahre später bereits 9.000 und im Jahr 2017 noch einmal 1.000 mehr. Es handelt sich um die Familienform mit der höchsten Zuwachsrate von 0,03 % auf 0,1 %, auch wenn die absolute Zahl noch gering ist. Rein rechnerisch wohnen im Einzugsbereich einer der ca. 1.050 sstellen im Bundesgebiet ca. zehn Regenbogenfamilien. Faktisch gibt es allerdings Schwerpunktregionen. 1/19 Informationen für sstellen Naturgemäß ist das Leben mit Kindern ebenso wie die Verantwortung für ihr Aufwachsen mit besonderen Herausforderungen verbunden. Dabei sind manche Problemstellungen über alle Lebensformen hinweg vergleichbar, z. B. die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gestaltung eines Familienlebens, in dem Konflikte gewaltfrei und konstruktiv bewältigt werden, sowie die altersgemäße Verselbständigung von Kindern und Jugendlichen. Bei Regenbogenfamilien kommen noch Faktoren hinzu, die durch die besondere Konstellation entstehen. Es beginnt mit der Frage, auf welchem Weg der Kinderwunsch erfüllt wird. Ein Umgang der Familie mit mehr oder weniger präsenten, außerhalb der Familie lebenden, leiblichen Müttern oder Vätern, die eigene Vorstellungen und Wünsche an die Gestaltung des Kontaktes mit dem Kind haben, muss gefunden werden. Das betrifft ebenso Regenbogenfamilien, in denen ein oder beide Elternteile bereits leibliche Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen haben. Es muss geklärt werden, in welcher Weise diese, im zweiten Fall in der Regel schon gewachsenen Beziehungen, für das Kind in das tägliche Leben integriert werden können. Insbesondere bei einem späten Comingout eines Elternteils kann diese Frage von großer Bedeutung für Kinder und Jugendliche sein. Ebenso stellt sich die Frage, wie die Entstehung des Kindes alters- und kindgemäß vermittelt werden kann. Nicht zuletzt können Regenbogenfamilien und ihre Kinder mit Vorurteilen und Ausgrenzungen konfrontiert werden. Sie müssen ggf. immer wieder neu entscheiden, ob und wie transparent sie ihre Lebensform in ihrem Umfeld darstellen und ob z. B. Lehrkräfte darüber informiert werden. Regenbogenfamilien sind keine einheitliche Gruppe. Unter dem Begriff werden sehr unterschiedliche Konstellationen zusammengefasst. Hinsichtlich der Lebenseinstellung, der Gestaltung des Alltags und des Wertesystems der Familie gibt es ebenso große Unterschiede wie in anderen Familien auch. Vor zusätzlichen Herausforderungen Queer: Die Vielfalt der Bezeichnungen Menschen, die sowohl hinsichtlich ihrer sexuellen Orientierung als auch ihrer geschlechtlichen Identität nicht der heterosexuellen Norm und der konventionellen Aufteilung in weiblich und männlich entsprechen, werden häufig mit unterschiedlichen Buchstabenfolgen wie LSBTIQ* beschrieben. Die Buchstaben stehen dabei für die unterschiedlichen Möglichkeiten der sexuellen Orientierung (lesbisch, schwul, bisexuell) und für die verschiedenen Formen der geschlechtlichen Identität, die sich ergeben, wenn weiblich und männlich nicht als»entweder oder«verstanden werden. Die eigene geschlechtliche Identität kann z. B. auf einem Kontinuum zwischen diesen beiden Polen verortet sein bzw. erlebt werden (z. B. intersexuell, transgender), oder das gelebte und gefühlte Geschlecht stimmen nicht mit dem bei der Geburt zugeschriebenen Geschlecht überein (z. B. transident). Das Sternchen symbolisiert die in der Buchstabenfolge nicht genannten Ausprägungen im Gesamtspektrum der Vielfalt. Es sind verschiedene und verschieden lange Buchstabenfolgen im Umlauf, teilweise aus dem Englischen übernommen, mit dem Ziel, keine Gruppe zu übersehen. Der Begriff»queer«kommt aus der Emanzipationsbewegung. Damit wird selbstbewusst die eigene Besonderheit ausgedrückt. Mit»queer«bezeichnen sich Menschen mit nicht oder nicht ausschließlich heterosexueller Orientierung und/oder einer geschlechtlichen Identität, die nicht dem bei der Geburt festgelegten biologischen Geschlecht entspricht. Auch wenn es möglicherweise eine zu starke Vereinfachung darstellt, kommt im vorliegenden Text die Formulierung»queere Jugendliche«zur Anwendung (vgl. Gaupp 2018). 7

Regenbogenfamilien und queere Jugendliche in der stehen (Regenbogen-)familien, in denen ein Elternteil eine vom biologischen Geschlecht abweichende geschlechtliche Identität lebt. Der Weg einer auch medizinischen Angleichung verlangt von den Kindern bzw. Jugendlichen sowie vom zweiten Elternteil eine hohe Anpassungsleistung. Die Familiengründung ist häufig ein mühsamer Weg voller Hindernisse gewesen. Kommt es zur Trennung einer Regenbogenfamilie, so sind vergleichbare Belastungen für Kinder und Eltern wie bei allen Familien zu beobachten. Hinzu kommt, dass die Situation komplizierter sein kann, weil der rechtliche Rahmen weitgehend unzureichend ist. Es mangelt an Erfahrungen und Lösungsmodellen, auch bei den beteiligten Institutionen wie Familiengericht u. a., so dass individuelle Wege gefunden werden müssen. Die Familiengründung ist häufig ein mühsamer Weg voller Hindernisse gewesen, so dass die Ansprüche an das Gelingen des Zusammenlebens hoch sind. Die Enttäuschung und das Gefühl individuellen Versagens, wenn es doch zur Trennung kommt, kann umso größer sein. Viele dieser Themen ebenso wie die unspezifischen Sorgen und Probleme einer Regenbogenfamilie können den Wunsch nach einer professionellen Beratung wecken, um die Herausforderungen mit einer Fachkraft zu reflektieren und neue Lösungsideen zu entwickeln. Aus Sicht der Kinder und Jugendlichen kann eine Beratung helfen, den Umgang mit den Reaktionen von erwachsenen und gleichaltrigen Bezugspersonen konstruktiv zu gestalten. Eine Ansprechperson jenseits der eigenen Eltern und der Familie kann auch hier neue Perspektiven eröffnen und zur Klärung beitragen. geschlechtlichen Identität einer gesellschaftlichen Minderheit angehören, haben eine besondere Bedeutung für die als Institution, die dem Wohl aller Kinder und Jugendlichen verpflichtet ist. Zunächst können betroffene Jugendliche aufgrund einer Fragestellung, die nicht mit dem Queersein in Zusammenhang steht, Beratungsbedarf haben, z. B. weil sie, wie andere Jugendliche auch, Konflikte mit den Eltern über Ausgehzeiten, schulische Leistungen oder Mediennutzung haben. Eine Beratung der Familie des Jugendlichen kann von den Eltern initiiert werden, auch das wiederum im Kontext der unangepassten Entwicklung oder nicht. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Problemen, die dadurch entstehen, dass sich Jugendliche außerhalb gängiger Normen bewegen, z. B. die Frage, wie Gleichaltrige oder Lehrkräfte auf ein ungewöhnliches Äußeres reagieren. Ein Coming-out, das nicht frei von inneren oder äußeren Konflikten ist, und bei dem immer wieder Überlegungen angestellt werden, welche Bezugspersonen als Gesprächspartner/innen zur Verfügung stehen, kann ebenfalls Anlass zur Beratung sein. Die Studie des Deutschen Jugendinstituts (DJI)»Coming-out und dann.?«liefert kann ein wichtiges Angebot für queere Jugendliche sein. an, mindestens einmal aufgrund ihrer geschlechtlichen Zugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung Diskriminierung erlebt zu haben, die Hälfte davon im öffentlichen Raum (www.dji. de/coming_out). Auch wenn umstritten ist, inwieweit das Coming-out von Jugendlichen mit einer erhöhten Suizidalität einhergeht, so ist dieser Aspekt in der Beratung durchaus von Bedeutung. Im Hintergrund steht dabei weniger die sexuelle Orientierung als vielmehr die Erfahrung unterschiedlichster Diskriminierung, bzw. die Angst davor. kann ein wichtiges Angebot für queere Jugendliche sein, zumal sie nicht in allen Regionen spezialisierte Einrichtungen finden. Damit queere Jugendliche mit dem Wunsch nach Unterstützung in Anspruch nehmen können, müssen sie zunächst über deren Zuständigkeit für ihre Anliegen Bescheid wissen. Um sich willkommen zu fühlen, braucht die Einrichtung ein Konzept, wie Zugänge für alle Jugendlichen und junge Erwachsenen geschaffen werden können, auch jene, die in ihrer Entwicklung individuell queer sind. In einer europaweiten Vergleichsstudie (Dalia Research) definieren sich 11 Prozent der befragten 14- bis 29-Jährigen in Deutschland als lesbisch, schwul, bisexuell oder transgender (zitiert nach Gaupp 2018). Seit 2013 ist es in Deutschland möglich, bei der Geburt eines Kindes im Personenstandsregister»Geschlecht nicht eindeutig festgelegt«einzutragen. Da das Verfassungsgericht das als nicht weitgehend genug beurteilt hat, ist im Dezember 2018 ein Gesetz zur Änderung des Personenstandsgesetzes im Bundestag verabschiedet worden. Nun Queere Jugendliche Jugendliche, die sich selber als queer bezeichnen, also hinsichtlich der sexuellen Orientierung und/oder der erste Hinweise mit welchen Herausforderungen Jugendliche sich im Kontext eines Coming-out konfrontiert sehen. So gaben 80 % der befragten queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen ist neben»weiblich«und»männlich«als Geschlecht standardmäßig»divers«möglich. Damit findet die Anerkennung der Tatsache, dass die ausschließliche Beschränkung auf zwei Geschlechter 8 Informationen für sstellen 1/19

Regenbogenfamilien und queere Jugendliche in der nicht der Lebensrealität vieler Menschen entspricht, eine konkrete Umsetzung auf Gesetzesebene. Regenbogenfamilien, queere Jugendliche und Beratung Viele Regenbogenfamilien wünschen sich Institutionen, die auf die Beratung für Menschen dieser Lebensform spezialisiert sind. Das gleiche gilt für einen Teil der queeren Jugendlichen, die bei Bedarf Beratung durch andere Betroffene oder Selbsthilfeinitiativen bevorzugen. Für einige kann es der richtige Weg sein, den Schonraum, in dem sie nicht befürchten müssen, mit gesellschaftlichen Normen konfrontiert zu werden, zu nutzen. Bei anderen allerdings steht die Sorge dahinter, dass sie wenig Verständnis und wenig Kenntnisse über die Besonderheiten ihres (Familien-)Lebens bei den Fachkräften der finden. Besonders in den Ballungsgebieten haben Familien und betroffene Jugendliche die Wahl, welches Angebot sie nutzen wollen ein allgemeines oder ein spezialisiertes. In ländlichen Gebieten dagegen ist das nicht ohne weite Wege möglich. Regenbogeneltern haben ggf. noch die Möglichkeit, sich ihren geografischen Lebensmittelpunkt selber zu wählen, während Jugendliche in dem Fall ihre Familie verlassen müssten. So kann es in einigen ländlichen Regionen zwar sein, dass dort weniger Regenbogenfamilien leben als in städtischen Gebieten, aber das Coming-out von Jugendlichen ist unabhängig vom Wohnort und ist für die Betroffenen von Belastungen begleitet, die auch vom Lebensort bestimmt sind. D. h. die sstellen sind gefordert, einerseits ihre Kompetenz zu erweitern und andererseits Regenbogenfamilien und queer lebenden Menschen jeden Alters Signale zu geben, dass sie mit ihren Anliegen willkommen sind. Beispielhaft sei die langjährige Zusammenarbeit zwischen dem Regenbogenzentrum Berlin und der Erziehungs- und Familienberatungsstelle des SOS- Kinderdorf-Vereins in Berlin genannt (Jacob, Körner 2014). Ein gemeinsames Auftreten bei Veranstaltungen, z. B. mit einem Stand bei Straßenfesten setzt dabei deutliche Zeichen. 1/19 Informationen für sstellen Beratungskompetenz Die Stärke der liegt u. a. darin, sich individuell auf die Situation von Rat suchenden Familien und Einzelpersonen einzustellen, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen einzunehmen, sie zu vertreten und ihr Wohl in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei werden die Familienmitglieder unabhängig vom Alter mit ihren Wünschen und Bedürfnissen in der Gesamtheit des Systems Familie wahrund ernstgenommen. Die jeweilige Lebensform ist dabei ein Element, das in der Ganzheitlichkeit der Lebenssituation und des Beziehungsgefüges der Familie eine Rolle spielt, manchmal eine wesentliche, das aber nicht isoliert vom Gesamtzusammenhang gesehen wird. Diese Grundhaltung der bildet eine gute Basis, um zu sehr unterschiedlichen Familien und den einzelnen Familienmitgliedern eine beraterische Beziehung aufzubauen, die Ressourcen der Familie zu erkennen und zu nutzen. Darüber hinaus ist für die Beratung von Regenbogenfamilien ebenso wie für die Beratung von Jugendlichen, die hinsichtlich ihrer geschlechtlichen Identität und/oder ihrer sexuellen Ausrichtung divers sind, explizit besonderes Fachwissen erforderlich. Dazu gehören u. a. Kenntnisse über gesetzliche Bestimmungen, die die Lebenslage der Betroffenen maßgeblich beeinflussen. Die besonderen Herausforderungen sollten ebenso bekannt sein, wie die Ressourcen, die unkonventionelle Familienformen und Lebensführungen beinhalten. Die regelmäßige Reflexion der eigenen Haltung zur gängigen Heteronormativität und zu gleichgeschlechtlich liebenden Eltern und Jugendlichen, sowie zu Menschen, die nicht in die üblichen Standards der sexuellen Identität passen, ist für die Beratung eine Grundvoraussetzung. Die Relativierung eigener Wertmaßstäbe und möglicher stereotypischer Vorurteile bedingt die Kommunikation ohne Diskriminierungen. Besonderes Augenmerk verdient dabei sprachliche Sensibilität. Die heteronormative Prägung der Gesellschaft spiegelt sich naturgemäß in der Sprache. Demgegenüber steht der Wunsch der Betroffenen nach einer Kommunikation, die frei von Diskriminierung ist. Eine wohlwollende und offene Atmosphäre in der Beratung sollte eine Klärung und Weiterentwicklung auch der Sprache möglich machen. Ein regelmäßiger Wechsel auf die Metaebene sowie die Nachfrage bei den Betroffenen und der Austausch mit ihnen über z. B. die individuell in der Die regelmäßige Reflexion der eigenen Haltung ist für die Beratung eine Grundvoraussetzung. Familie gepflegten Ausdrucksweisen ist ein wichtiger Bestandteil der Beratung. Ebenso essenziell wie die spezifische fachliche Kompetenz in der Beratung von Eltern, Kindern und Jugendlichen, bei denen die sexuelle Orientierung und die geschlechtliche Identität eine Rolle spielt, ist es, die Grenzen des eigenen Fachwissens und der fachlichen Möglichkeiten im Rahmen der zu kennen. Die Kooperation mit spezialisierten Beratungsstellen und Betroffeneninitiativen ist hier hilfreich, um für jede Familie und jeden jungen Menschen mit Fragen im Kontext der geschlechtlichen Identität und der sexuellen Orientierung die passgenaue Unterstützung zu finden. Bis Juni 2018 lief die Förderung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ( BMFSFJ) für das dreijährige Modellprojekt»Beratungskompetenz zu Regenbogenfamilien Erfordernisse und Potentiale in professioneller Begleitung«, das vom Lesben- und Schwulenverband (LSVD) durchgeführt wurde. Weitere Informationen und Material z. B. für die Öffentlichkeitsarbeit finden sich 9

Regenbogenfamilien und queere Jugendliche in der auch nach Ende der Förderperiode des Projekts unter Regenbogenkompetenz. de. Auch Fortbildungen können dort weiterhin gebucht werden. Viele Fachkräfte der nutzten die Möglichkeit zur Schulungsteilnahme, so dass von einem Kompetenzzuwachs in den multiprofessionellen Teams ausgegangen werden kann. Ein vergleichbares Projekt hinsichtlich der Beratung von queeren Jugendlichen wäre wünschenswert. Diversität in der Institutionellen Neben der professionellen Kompetenz der Fachkräfte im Umgang mit Ratsuchenden, die in Regenbogenfamilien zusammen leben oder als Jugendliche selber von einem queeren Comingout betroffen sind, sind in der Institutionellen auch strukturelle Elemente zu bedenken. Zunächst geht es um die Signale, die gegeben werden, um der Diversität von Familien und Einzelpersonen gerecht zu werden. Die Vielfalt kann sich in Bildern im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit zeigen. Eine weitere Möglichkeit ist es, in Presseartikeln anonymisierte Beispiele von Familien mit zwei Müttern oder zwei Vätern selbstverständlich und ohne besondere Fokussierung auf die Lebensform darzustellen. Des Weiteren sollte die örtliche und überregionale Kooperation mit spezialisierten Beratungsstellen und Betroffeneninitiativen ausgebaut werden. Dabei ist sowohl die Zusammenarbeit bei der Beratung einzelner Familien als auch der fallunabhängige Austausch zur Erweiterung des Fachwissens zielführend. Der Bekanntheitsgrad der Beratungsstelle als geeignete Institution zur Unterstützung aller Familien, unabhängig von der sexuellen Orientierung und Identität der Eltern, und queerer Jugendlicher steigt durch entsprechende Aktivitäten. Da einer der häufigsten Zugänge zur Beratung über persönliche Empfehlung erfolgt, ist das ein wichtiger Faktor. Mit der wachsenden Anzahl von Regenbogenfamilien und queeren Jugendlichen sowie durch deren zunehmende rechtliche Sicherheit und die gesellschaftliche Selbstverständlichkeit von Diversität hinsichtlich der bunten Lebensformen von Familien, Jugendlichen und Eltern ist diese Entwicklung auch in der angekommen. Die vorhandenen Kompetenzen einer nicht wertenden professionellen Herangehensweise, die vorrangig am Kindeswohl orientiert ist, bilden eine gute Basis für den gemeinsamen Lernprozess auf dem Weg hin zu einer für alle Familien, Kinder und Jugendlichen, egal wie unkonventionell, ungewöhnlich oder jenseits überkommener Normen in jeglicher Hinsicht sie zunächst erscheinen. Quellen DJI-Studie, Coming-out-und dann..? https://www.dji.de/ueber-uns/projekte/projekte/ coming-out-und-dann/ergebnisse.html abgerufen am 4. Oktober 2018 Gaupp, Nora: (2018): Jugend zwischen Individualität und gesellschaftlichen Erwartungen. In: Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.): DJI Impulse 120 Jung und Queer. Über die Lebenssituation von Jugendlichen, die lesbisch, schwul, bisexuell, trans* oder queer sind. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bulletin/ d_bull_d/bull120_d/dji_2_18_web.pdf https://www.destatis.de/de/zahlenfakten/ GesellschaftStaat/Bevoelkerung/HaushalteFamilien/ Tabellen/2_8_LR_Familien.html abgerufen am 2. 10. 2018 Jacob, Karin; Körner, Constanze (2014): Homosexualität und Familie. In: Menne, K.; Rohloff, J. (Hrsg.): Sexualität und Entwicklung Beratung im Spannungsfeld von Normalität und Gefährdung. Weinheim und Basel: Beltz Juventa. Jurczyk Karin (2017): Doing Family. Neu über Familien und ihre Bedürfnisse nachdenken Konstant im Wandel. Was Familien heute bewegt. Wissenschaftliche Jahrestagung des DJI, Eröffnungsvortrag 20./21. November 2017, Berlin, https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/ tagungen/2017_jahrestagung/01_jurczyk.pdf, abgerufen am 1. 10. 2018 10 Informationen für sstellen 1/19