Behördenworkshop: Umsetzung der Anforderungen des Art. 7 von REACH beim Import von Erzeugnissen Juristischer Blick Rechtgrundlagen aus Sicht von Behörden und Unternehmen Rechtsanwalt Dr. Dominik Greinacher Fachanwalt für Verwaltungsrecht Rechtsanwalt Sebastian Helmes Umweltbundesamt, 14. November 2008 Seite 1 Schwerpunkte I. Informationsbedürfnis: Identifikation der Informationsflüsse Innerhalb der Lieferkette Zwischen Behörden und Akteur Zwischen den verschiedenen Behörden II. Informationsanspruch: Rechtsgrundlagen der Informationsflüsse Spezielle Regelungen im Chemikalienrecht (REACH-VO und ChemG) Allgemeine Regeln des Verwaltungsrechts III. Informationsgrenzen: Zu beachtende Rechtsgüter im Rahmen der Informationsbeschaffung und/oder Weitergabe Unternehmerisches Geheimhaltungsinteresse (Datenschutz; Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse) gewerbliche Schutzrechte (Patente) Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (nemo tenetur-grundsatz) Seite 2
Informationsflüsse I Der Akteur als Informationsquelle Informationsgewinnung von einem Akteur ist auf zwei Arten möglich > freiwillig > verpflichtend/zwangsweise Gegen/ohne den Willen des Akteurs kann die Information nur erlangt werden, wenn dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist: > Eingriff in die Rechtssphäre des Adressaten - Deshalb gilt der Vorbehalt des Gesetzes, d.h. die Behörde muss ausdrücklich zu dem Eingriff ermächtigt sein, oder der Adressat muss ausdrücklich im Gesetz verpflichtet werden - Bei freiwilliger Information gilt der Vorbehalt des Gesetzes nicht > Zwei gesetzestechnische Möglichkeiten einer solcher Eingriffsnorm: - Verpflichtung: unmittelbare Pflicht des Akteurs aus Gesetz - Ermächtigung: Eingriffsgrundlage für zuständige Behörde (Akteur muss nur auf Aufforderung tätig werden Seite 3 Informationsflüsse II Informationsbedarf Damit die Vorgaben der REACH-VO im Rahmen des Importes von Erzeugnissen umgesetzt und kontrolliert werden können, sind verschiedene Informationsflüsse notwendig: > innerhalb der Lieferkette > Zwischen Akteur (Produzent; Importeur; Anwender) und Behörden (ECHA; Vollzugsbehörden) > zwischen den Behörden (EU-Ebene; Bundesbehörden; Landesbehörden; Behörden anderer Mitgliedstaaten) Seite 4
Erste Fallgruppe: Innerhalb der Lieferkette Art. 31-34 REACH-VO gelten nicht Art. 31-33 REACH-VO Produzent Importeur Anwender Vertragliche Regelung Art. 34 REACH-VO Erzeugnis Information EU-Grenze Seite 5 Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde I Registrierung Art. 7 REACH-VO gilt nicht ECHA Art. 7 REACH-VO Art. 31-34 REACH-VO gelten nicht Produzent Importeur Anwender Vertragliche Regelung Erzeugnis Information EU-Grenze Seite 6
Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde II Grundlagen der Überwachung Zoll Landesbehörden 21a ChemG 21 ChemG Art. 31-34 REACH-VO gelten nicht Produzent Importeur Anwender Vertragliche Regelung Art. 31-33 REACH-VO Seite 7 Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde III Umfang und Grenze der Überwachung 21 Abs. 3 ChemG Überwachung: Die zuständige Landesbehörde ist befugt, > von natürlichen und juristischen Personen und nicht rechtsfähigen Personenvereinigungen > alle zur Durchführung dieses Gesetzes, der auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen und der in Absatz 2 Satz 1 genannten EG-Verordnungen erforderlichen Auskünfte zu verlangen. In den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 stehen diese Befugnisse der dort bezeichneten, in den Fällen des Absatzes 2a der in der Rechtsverordnung bezeichneten Bundesoberbehörde zu. Seite 8
Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde IV Umfang und Grenze der Überwachung 21 Abs. 4 ChemG Überwachung: Die mit der Überwachung beauftragten Personen sind befugt, > 1. zu den Betriebs- und Geschäftszeiten Grundstücke, Geschäftsräume, Betriebsräume zu betreten und zu besichtigen, Proben von Stoffen, Zubereitungen und Erzeugnissen nach ihrer Auswahl zu fordern und zu entnehmen und in die geschäftlichen Unterlagen des Auskunftspflichtigen Einsicht zu nehmen, > 2. die Vorlage der Unterlagen über Anträge, Mitteilungen, Notifizierungen, Registrierungen und Zulassungen sowie sonstiger Unterlagen nach diesem Gesetz, den auf dieses Gesetz gestützten Rechtsverordnungen und den in Absatz 2 Satz 1 genannten EG- Verordnungen zu verlangen, > 3. Arbeitseinrichtungen und Arbeitsschutzmittel zu prüfen, > 4. Herstellungs- und Verwendungsverfahren zu untersuchen und insbesondere das Vorhandensein und die Konzentration gefährlicher Stoffe und Zubereitungen festzustellen und zu messen. Seite 9 Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde V Umfang und Grenze der Überwachung Zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung können die Maßnahmen nach Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 auch in Wohnräumen und zu jeder Tages- und Nachtzeit getroffen werden. Der Auskunftspflichtige hat die Maßnahmen nach Satz 1 Nr. 1, 3 und 4 und Satz 2 zu dulden sowie die mit der Überwachung beauftragten Personen zu unterstützen, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist, insbesondere ihnen auf Verlangen Räume, Behälter und Behältnisse zu öffnen und die Entnahme von Proben zu ermöglichen. Das Grundrecht des Artikels 13 des Grundgesetzes auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird insoweit eingeschränkt. Seite 10
Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde VI Grenze der Überwachung 21 Abs. 5 ChemG Überwachung: Der Auskunftspflichtige kann die Auskunft auf solche Fragen verweigern, > deren Beantwortung ihn selbst oder einen seiner in 383 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 der Zivilprozessordnung bezeichneten Angehörigen > der Gefahr der Verfolgung wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit aussetzen würde. Seite 11 Zweite Fallgruppe: Unternehmen Behörde VII Grenze der Überwachung Problem: Datensammlung > Ein Recht zur Datenerhebung bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Daten auch unbegrenzt gesammelt und gespeichert werden dürften. > Ausdrücklich geregelt für die ECHA, Art. 113 ff. REACH-VO > Ansonsten nur Erhebungsbefugnisse der zuständigen Behörden, aber keine Verarbeitungsbefugnisse > Wenn die Sammlung einen Eingriff in die Rechtspositionen des Akteurs darstellt, die über den Eingriff bei der Erhebung hinausgeht, so wäre eine Sammlung rechtswidrig. > Als entgegenstehendes Recht käme der Unternehmensdatenschutz in Betracht. Seite 12
Dritte Fallgruppe: Zwischen Behörden I Speziell geregelte Fälle ECHA Daten öffentlich, Art. 118 ff. REACH-VO Art. 124 REACH-VO Bundesbehörden Zoll 9, 22 ChemG 21a ChemG Landesbehörden Art. 122 REACH-VO andere EU-Staaten Seite 13 Dritte Fallgruppe: Zwischen Behörden II Allgemeine Informationshilfe 4 VwVfG Amtshilfepflicht: (1) Jede Behörde leistet anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe (Amtshilfe). (2) Amtshilfe liegt nicht vor, wenn > 1. Behörden einander innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe leisten; > 2. die Hilfeleistung in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgabe obliegen. Seite 14
Dritte Fallgruppe: Zwischen Behörden III Allgemeine Informationshilfe 5 Abs. 1 VwVfG Voraussetzungen und Grenzen der Amtshilfe: Eine Behörde kann um Amtshilfe insbesondere dann ersuchen, wenn sie 1. aus rechtlichen Gründen die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann; 2. aus tatsächlichen Gründen, besonders weil die zur Vornahme der Amtshandlung erforderlichen Dienstkräfte oder Einrichtungen fehlen, die Amtshandlung nicht selbst vornehmen kann; 3. zur Durchführung ihrer Aufgaben auf die Kenntnis von Tatsachen angewiesen ist, die ihr unbekannt sind und die sie selbst nicht ermitteln kann; 4. zur Durchführung ihrer Aufgaben Urkunden oder sonstige Beweismittel benötigt, die sich im Besitz der ersuchten Behörde befinden; 5. die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde. Seite 15 Dritte Fallgruppe: Zwischen Behörden IV Allgemeine Informationshilfe 5 Abs. 2 VwVfG Voraussetzungen und Grenzen der Amtshilfe Die ersuchte Behörde darf Hilfe nicht leisten, wenn 1. sie hierzu aus rechtlichen Gründen nicht in der Lage ist; 2. durch die Hilfeleistung dem Wohl des Bundes oder eines Landes erhebliche Nachteile bereitet würden. Die ersuchte Behörde ist insbesondere zur Vorlage von Urkunden oder Akten sowie zur Erteilung von Auskünften nicht verpflichtet, wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen. Seite 16
Dritte Fallgruppe: Zwischen Behörden V Allgemeine Informationshilfe 30 VwVfG Geheimhaltung: Die Beteiligten haben Anspruch darauf, dass ihre Geheimnisse, insbesondere die zum persönlichen Lebensbereich gehörenden Geheimnisse sowie die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, von der Behörde nicht unbefugt offenbart werden. Seite 17 Dritte Fallgruppe: Zwischen Behörden VI Allgemeine Informationshilfe Informationshilfe ist grundsätzlich ein Teil der Amtshilfe. > Insoweit sind die Grenzen des 5 Abs. 2 VwVfG zu beachten. > Streitig, ob/wann auch 30 VwVfG einschlägig ist ( Offenbarung?), h.m: anwendbar, aber Güterabwägung Kein Fall der Amtshilfe liegt vor, wenn die Bereitstellung von Informationen zum eigenen (gesetzlich angeordneten) Aufgabenbereich der Behörde gehört. > Dann werden Voraussetzungen und Grenzen allein durch das Fachrecht bestimmt. > 5 Abs. 2 VwVfG findet keine Anwendung. > Allerdings ist auch hier denkbar, dass sich Einschränkungen aus übergeordnetem Recht ergeben. Auf EU-Ebene ähnlicher Amtshilfebegriff; auf zwischenstaatlicher Ebene (noch) keine allgemeine Regelung. Seite 18
Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen I Begriffsbestimmungen Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse: > Begriffe entstammen ursprünglich dem Zivilrecht und Strafrecht ( 203 f. StGB; 17 UWG) > dienen dem Schutz vor missbräuchlicher Offenlegung und Ausnutzung > Stehen aber einem behördlichen Informationsinteresse in aller Regel nicht entgegen (Ausnahme: abgabenrechtliche Verwertungsverbote, z.b. 27 Abs. 2 BImSchG, evt. auch allgemein 30 VwVfG) > Virulent, wenn Daten (allgemein oder beschränkt) öffentlich gemacht werden dürfen: - Daten bei der ECHA: Art. 118 f. REACH-VO - Daten bei Vollzugsbehörden: UIG, IFG Datenschutz > Verfassungsrechtlicher Begriff: informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i.v. mit Art. 1 Abs. 1 und Art. 14 GG > Hat aber einen stark personalen Bezug (Art. 1 Abs. 1 GG) > Fraglich, ob Unternehmen überhaupt verfassungsrechtlichen Datenschutz genießen > Jedenfalls nicht vom BDSG (oder Landesgesetzen) erfasst Seite 19 Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen II Unternehmensdatenschutz Klingt in der Rechtsprechung an: > BVerfG (NJW 1988, S. 890): Die Grundrechte aus Art. 2 I i.v. mit 1 I und Art. 14 GG, ggf. i.v. mit Art. 19 III GG, verbürgen ihren Trägern Schutz gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung oder Weitergabe der auf sie bezogenen, individualisierten oder individualisierbaren Daten. > BVerwG (NVwZ 2002, S. 1522): Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ergibt sich auch aus Art. 14 GG, auf den sich die Klägerin [als juristische Person] gemäß Art. 19 III GG zu berufen vermag. Aber: Begriff in der Rechtsprechung und Wissenschaft noch nicht genau bestimmt (Reichweite; Grenzen etc.) Seite 20
Gewerblicher Rechtsschutz: Patentrecht Bei einem Erzeugnis kann es sich um eine Erfindung im Sinne des PatG handeln. Auch bei Vorliegen einer Erfindung besteht aber kein absolutes Recht auf Geheimnisschutz. Das Patentrecht geht einen anderen Weg: Schutz vor Nachahmung durch Konkurrenten bietet die Erlangung eines Patents, 1 PatG, nicht die Geheimhaltung. Problem, falls keine Erfindung vorliegt. Seite 21 Zusammenfassung/Thesen Die Informationserhebung und der zwischenbehördliche Informationsaustausch sind im Chemikalienrecht oder im subsidiären allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht geregelt. Das heißt, dass die notwendigen gesetzlichen Handlungsbefugnisse zumindest theoretisch weitgehend vorhanden sind. Mögliche Ausname: Datensammlung In welcher Weise entgegenstehende Rechtsgüter die Informationsflüsse hemmen können, lässt sich pauschal nicht beantworten. Der Konflikt zwischen Unternehmens- und Behördeninteressen ist beim Vollzug der REACH-VO besonders groß, weil die Informationen häufig von enormer wirtschaftlicher Bedeutung sind, andererseits ein Vollzug ohne die relevanten Informationen nicht möglich ist. Seite 22
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! KERMEL & SCHOLTKA Rechtsanwälte Partnerschaft von Rechtsanwälten Rechtsanwalt Dr. Dominik Greinacher Fachanwalt für Verwaltungsrecht Rechtsanwalt Sebastian Helmes Meinekestraße 4 D - 10719 Berlin Tel: +(49) 30 / 50 96 95-0 Fax: +(49) 30 / 50 96 95-77 greinacher@kermelscholtka.com helmes@kermelscholtka.com www.kermelscholtka.com Seite 23