Die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik in alternden demokratischen Gesellschaften



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Transkript:

Projektbeschreibung Die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik in alternden demokratischen Gesellschaften Dr. Achim Goerres Universität zu Köln Zusammenfassung In einem zweijährigen Projekt soll die Frage untersucht werden, welchen Einfluss die Alterung einer Gesellschaft auf die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik in fortgeschrittenen demokratischen Industrienationen hat. Die empirische Analyse stützt sich zum einen auf quantitative Sekundäranalysen international vergleichender Umfragedaten zum Wohlfahrtsstaat und der dritten Welle des deutschen Alterssurveys. Zum anderen sollen qualitative Primärdaten durch 12 Focus Groups erhoben und analysiert werden, die nach Alter, Bildung und Wohnort stratifiziert sind. Als Output sieht der Antragsteller begutachtete, zum Teil in Ko-Autorenschaft verfasste Zeitschriftenartikel vor. Die gesellschaftliche Relevanz des Themas ist die folgende: demokratische Wohlfahrtsstaaten müssen reformiert werden, um mit den Folgekosten der Alterung umzugehen. Wenn die Alterung aber gleichzeitig die Nachfrage nach dieser Politik auf eine Art und Weise bestimmt, die Wählermehrheiten gegen grundsätzliche Reformen entstehen lässt, dann können gerade diese Reformen nicht umgesetzt werden, und es droht die Handlungsunfähigkeit des Staates. Thematische Einführung Gesellschaftliche Alterung ist ein Prozess, der in fast allen fortgeschrittenen Industriestaaten seit längerem stattfindet. In vielen etablierten Demokratien werden WählerInnen, die über 50 Jahre alt sind, in Kürze dauerhafte Mehrheiten stellen. Eng verknüpft mit der demographischen Vergreisung ist die Notwendigkeit zur Reform wohlfahrtsstaatlicher Regimes: die Kosten von Renten-, Gesundheits- und Pflegesystemen sind in einem gesellschaftlichem Kontext nicht mehr tragbar, in dem die Anzahl der Versorgten einer schrumpfenden Menge von Einzahlern gegenübersteht. Da politische Reformer in Demokratien Unterstützung durch das Wahlvolk bekommen müssen, ist die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik eine wichtige Determinante politischen Handelns. Die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik ist die Summe der individuellen Wähler- Einstellungen zur Rolle des Staates und zu Staatsaugaben in Politikbereichen, in denen umverteilt wird. Klassischerweise fallen darunter die Sozial- und Steuerpolitik. Eine weitere wichtige Unterscheidung innerhalb dieser Klassifizierung beruht auf altersbedingtem Eigeninteresse. Renten- und Pflegepolitik betrifft in kurzfristiger Weise ältere BürgerInnen. Bildungspolitik dagegen interessiert in erster Linie jüngere Individuen. Gesundheitspolitik ist relativ unabhängig vom Alter, weil jede/r BürgerIn für den Fall einer Erkrankung gut abgesichert sein will. Man kann die Summe der individuellen Einstellungen deswegen als Nachfrage konzeptualisieren, weil bei demokratischen Wahlen ein politischer Markt entsteht. KandidatInnen und Parteien treten als Anbieter von Politikbündeln auf und WählerInnen als Nachfrager. Anders als bei gewöhnlichen Konsummärkten jedoch wissen wir aus der politischen Psychologie, dass manche Individuen keine feste Meinung zu bestimmten Policies haben und häufig auch Einstellungen aufweisen, die miteinander logisch nicht zu vereinbaren sind (Gainous/Craig/Martinez 2007). Diese Unsicherheit individueller Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat muss in die Analyse mit einbezogen werden.

Demographische Vergreisung ist eine gesellschaftliche Veränderung, die viele Gesellschaften wenngleich in unterschiedlicher Intensität betrifft. Der Einfluss der relativen Zunahme älterer BürgerInnen und der relativen Abnahme jüngerer BürgerInnen auf die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik wird wahrscheinlich durch die Institutionen und Organisationen eines Landes beeinflusst. Deswegen ist die international vergleichende Analyse ein wichtiges Hilfsmittel, um die Makro-Ebenen-Varianz von Gesellschaften/Ländern mit in die Erklärung einbeziehen zu können. Forschungsfragen Während des zweijährigen Projektzeitraumes würde ich gerne folgende übergeordnete Forschungsfrage beantworten, die ich nach der allgemeinen Erklärung in Teilfragen zerlegen werde: Welchen Einfluss hat gesellschaftliche Alterung auf die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik in demokratischen Industrienationen? Die Population von gesellschaftlichen Systemen, über die ich eine Aussage treffen will, sind (a) liberale Demokratien, in denen die Nachfrage nach Politik aufgrund eines demokratischen Prozesses Einfluss auf das politische Ergebnis haben kann und (b) fortgeschrittene Industrienationen, in denen der Anteil der heutigen RentnerInnen im globalen Vergleich bereits einen überdurchschnittlichen Anteil hat. D.h. ich schließe alternde Demokratien aus, die sich noch in einem frühen Stadium des Alterungsprozesses befinden, wie beispielsweise Indien. Der Grund liegt in der Korrelation von ausgebauten Wohlfahrtsstaaten, wirtschaftlicher Entwicklung und Alterung. Es gibt junge Demokratien, die zwar altern, aber keinen extensiven Wohlfahrtsstaat haben. In diesen Ländern ist der Druck auf die Politik anders, der durch die Alterung entsteht. Man kann vermuten, dass sich die politischen Dynamiken in diesen Staaten von den Dynamiken unterscheiden, die durch Alterung in fortgeschrittenen Wohlfahrtsstaaten entstehen. Durch diese Festlegung ergibt sich eine theoretische Population von allen EU- Mitgliedstaaten und den OECD-Staaten, die man zu verschiedenen Zeitpunkten vergleichen kann. In der Forschungspraxis werde ich aber durch die Teilnahme bestimmter Länder an der Durchführung vergleichender Umfragen (siehe Abschnitt Methoden und Daten ) eingeschränkt sein. Um die Forschungsfrage, die sich auf die aggregierte gesellschaftliche Ebene bezieht, beantworten zu können, muss die empirische Analyse zuerst die Individualebene untersuchen. Die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik ist die Summe aus individuellen Einstellungen zur Rolle des Staates und zur Ausgabenhöhe in verschiedenen Bereichen umverteilender Politik. Die folgende Liste stellt abgeleitete Forschungsfragen zusammen, die die Analyse im Detail leiten sollen. Detailfragen für die Deskription und Exploration: Wie verändert sich die Nachfrage nach wohlfahrtstaatlicher Politik in alternden Gesellschaften? Wie unterscheiden sich die Einstellungen zwischen älteren und jüngeren Altersgruppen? Unterscheiden sich insbesondere SeniorInnen in alten Gesellschaften von SeniorInnen in jungen Gesellschaften? Was erwarten unterschiedliche Subgruppen von Senioren vom Staat z.b. von staatlicher Rente abhängige RentnerInnen? Wie erfahren RenterInnen die öffentlichen Diskussionen zu Reformen und Ressourcenknappheit? Die letzten beiden Fragen sollen vor allem in der qualitativen Analyse von Gruppendiskussionen näher untersucht werden.

Detailfragen für die kausale Analyse: Welche Rolle spielt das wohlfahrtsstaatliche Regime für den Einfluss der demographischen Veränderung auf individuelle Einstellungen? Welchen Einfluss spielt die Verrentung auf die individuellen Einstellungen im Kontext einer jungen im Vergleich zum Kontext einer alten Gesellschaft? Welchen Einfluss hat intergenerationale Solidarität für die Einstellungen? Relevanz des Themas Das Projekt ist aus zwei Blickwinkeln heraus relevant: (a) für die Literatur über Wohlfahrtsstaaten, (b) für PolitikerInnen bzw. in der Politik Arbeitende. In der Literatur ist bisher weitgehend ungeklärt, inwiefern die Einstellungen von WählerInnen Möglichkeiten für Reformen behindern oder erleichtern. Eine wichtige empirische Frage ist dabei die Bedeutung materiellen Wohls von MitbürgerInnen, die sich in anderen sozialen Umständen befinden. Wenn die Studie zeigen sollte, dass Individuen durch ihre soziale Vernetzung mit anderen Altersgruppen deren Wohlbefinden in ihre Einstellung einfließen lassen, würde das bedeuten, dass nicht nur materielles Selbstinteresse ausschlaggebend ist. Solch ein Ergebnis würde die Literatur über die Reformfähigkeit alternder Gesellschaften auf eine neue Basis stellen. Zudem würden die Ergebnisse dieses Projektes Aufschluss darüber geben, welche Strukturmerkmale einer Gesellschaft zu welcher Nachfrageänderung durch die Vergreisung führen. Die Politikrelevanz des Themas ist direkt ersichtlich. Eine ganze Reihe wohlfahrtsstaatlicher Programme muss in Deutschland und in anderen Wohlfahrtsstaaten reformiert werden. Da PolitikerInnen auf die elektoralen Konsequenzen ihrer Entscheidungen und Vorschläge bedacht sein müssen, besteht ein vitales Interesse an diesen Forschungsergebnissen. Meine anekdotische Erfahrung mit deutschen PolitikerInnen ist, dass sie von dem Widerstand älterer WählerInnen gegen alle Reformen des Wohlfahrtsstaates ausgehen. Folglich sind alle Programme, die RentnerInnen begünstigen, nur schwer reformierbar. Dabei scheinen Überlegungen zur intergenerationalen Solidarität nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Meiner Vermutung nach ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl für alternde Gesellschaften von entscheidender Bedeutung. Die Ergebnisse könnten zeigen, dass PolitikerInnen bessere Chancen für Reformen wohlfahrtsstaatlicher Programme haben, wenn sie eine kohärente Strategie anbieten, die die Notwendigkeit der Reformen aufgrund von Solidarität zwischen Altersgruppen legitimiert. Methoden und Daten Forscher können den Einfluss gesellschaftlicher Alterung auf die Nachfrage nach wohlfahrtsstaatlicher Politik auf drei verschiedene Arten untersuchen: (1) im Längsschnitt, d.h. sie vergleichen dasselbe Land zu einem frühen Zeitpunkt, an dem der Anteil von Senioren klein ist, mit demselben Land zu einem späteren Zeitpunkt mit einem höheren Anteil älterer Personen; (2) im Querschnitt. In diesem Fall werden verschiedene Gesellschaften mit einer gewissen Varianz des Seniorenanteils (die durch die theoretische Einschränkung auf den hohen Wertebereich beschränkt ist) verglichen; (3) in einer Kombination aus 1 und 2, d.h. sie vergleichen Länder im Querschnitt zu verschiedenen Zeitpunkten. Für die empirischen Analysen dieses Forschungsprojektes schlage ich eine Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden vor. Als quantitative Daten bieten sich zwei verschiedene Datenquellen an. In der international vergleichenden Analyse möchte ich vier Wellen des International Social Survey Programme Role of Government aus den Jahren 1985 1990 1996 2006 nutzen. Die letzte Welle wird im September 2008 verfügbar sein (mündliche Aussage vom Zentralarchiv in Köln). Diese Datenquelle bietet die einmalige Chance für einige

Länder, wie Westdeutschland oder Großbritannien, einen Vergleich über 20 Jahre durchführen zu können. Somit können die Unterschiede in den Makrovariablen sowohl über die Zeit hinweg bei demselben Land als auch zwischen Ländern analysiert werden. In der neuesten Welle sind im Querschnitt 29 Länder beteiligt, die liberale Demokratien mit einem hohen Altenanteil sind. 1 Ein weiterer Datensatz, dessen Analyse vor allem in Kombination mit den Gruppendiskussionen sinnvoll ist, ist die dritte Welle des Deutschen Alterssurveys. Das ist eine Umfrage, die alle 5 Jahre vom Deutschen Zentrum für Altersfragen in Berlin (DZA) im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durchgeführt wird. Die neue Welle geht im Frühjahr 2008 ins Feld. Ich bin externer Berater des DZA für einige Fragen zu Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat. Die Daten bekomme ich im Frühjahr 2009 auf Basis einer Absprache zur Verfügung gestellt. Ich halte die quantitative Analyse für sinnvoll, weil auf diese Art ein hoher Grad an objektiver und reliabler Messung erreicht werden kann. Die auf dem Zufallsprinzip basierenden Stichproben erlauben eine valide Inferenz über die Populationen der jeweiligen Länder zu einem bestimmten Zeitpunkt. Durch die Kombination von Umfragen an verschiedenen Zeitpunkten kann man zudem Aussagen über Entwicklungstrends treffen. Um die Grenzen der quantitativen Analyse auszugleichen werde ich auch qualitative Primärdaten in Form von Gruppendiskussionen (Focus Groups) zu Erwartungen vom Wohlfahrtsstaat durchführen. Gruppendiskussionen sind moderierte Gespräche mit 8 bis 12 TeilnehmerInnen, die aus einem ähnlichen sozialen Kontext kommen und sich, wenn möglich, nicht vorher kennen. Bei der Diskussion soll in der Sprache (man spricht auch vom sozialen Code) des sozialen Kontextes oder Milieus, aus dem die TeilnehmerInnen kommen, bestimmte Erfahrungen oder Erwartungen in der Diskussion formuliert werden. Gruppendiskussionen bringen Individuen dazu, sich stärker mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen und diese Themen in der Sprache ihrer eigenen Alltagswelt zu verbalisieren. Gegenüber Umfragen hat diese Methode den Vorteil, dass Probanden nicht in vorgegebenen Kategorien denken müssen und dass die Situation weniger künstlich ist als bei einer Eins-zu-eins-Befragung. Das Ziel dieser Gruppendiskussion soll sein zu erfahren, wie BürgerInnen mit dem Themen Wohlfahrtsstaat, demographische Alterung und intergenerationale Solidarität umgehen. Welche Erfahrungen machen sie? Wie erleben sie intergenerationale Solidarität? Wird Solidarität je nach Milieu anders verbalisiert? Diese qualitative Studie soll im Anschluss an die Sekundäranalyse der Umfragedaten durchgeführt werden. Wenn die quantitativen Modelle die Einstellungen zum Wohlfahrtsstaat gut erklären können, sollen die Gruppendiskussionen vor allem die Kausalketten näher beleuchten, die in den Korrelationen bei der Analyse der quantitativen Datensätze mit vielen Beobachtungen gezeigt werden konnten. Sollte die quantitative Analyse die Wirklichkeit nur schlecht (oder in Teilaspekten) beschreiben, kann diese qualitative Studie dazu dienen, alternative Erklärungen induktiv herbei zu leiten. Diese Idee stammt aus einem kürzlich erschienen Aufsatz zur Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden (Lieberman 2005). Bei der Rekrutierung der Probanden kommt es nicht darauf an, eine zufällig gezogene Stichprobe aus der Gesamtbevölkerung zu ziehen. Vielmehr ist es wichtig, Individuen aus dem gleichen sozialen Umfeld zu rekrutieren. Optimalerweise stelle ich mir 12 Gruppen von 8 bis 10 Individuen vor. Jede Gruppe sollte etwa zur Hälfte aus Frauen und Männern bestehen. Die Stratifizierung der einzelnen Gruppen folgt folgendem Schema: drei Altersgruppen (30 bis 50, 50 bis 65 [noch nicht in Rente] und 65plus [in Rente]), Bildung (mit Abitur, ohne Abitur) und Wohnort (Städtisch, ländlich). Rekrutieren würde ich die Probanden durch Zeitungsaufrufe und Aushänge in der Region Köln. Jede/r TeilnehmerIn bekommt eine geringe Aufwandsentschädigung. Die Moderation einer jeden Gruppe würde ich selbst übernehmen. 1 Anteil der 60+ Bevölkerung > 15 Prozent: Australien, Belgien, Bulgarien, Chile, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Irland, Japan, Kanada, Kroatien, Litauen, Neuseeland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Ungarn, USA, Zypern.

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