ARBEITSGEMEINSCHAFT ÖFFENTLICHES RECHT I Carsten Roth 4. TEST SS 2012 NAME: Matr.-Nr.: Punkte [50] Aufgabe 1: Vervollständigen Sie den folgenden Text! (8 Punkte) [1/2 Punkt Abzug pro Fehler oder nicht ausgefüllter Lücke] Als Verwaltungsverfahren bezeichnen wir das behördliche Verfahren, das auf den Erlasse eines Bescheids gerichtet ist. Leitet die Verwaltungsbehörde ein solches Verfahren ein, ohne dass zuvor ein Antrag gestellt wurde, sprechen wir von einem amtswegigen Verfahren. Es lässt sich in zwei Abschnitte unterteilen, nämlich in das Verfahren I. Instanz ( = Ermittlungsverfahren) sowie eventuell hieran anschließend in das Verfahren II. Instanz (= Rechtsmittelverfahren). Das Verfahren I. Instanz dient vor allen Dingen der Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts. Hierbei gilt der Grundsatz der materiellen Wahrheit. Hierzu hat die Behörde auch eine Beweiserhebung durchzuführen. Dabei gilt der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel. Für das Verwaltungsverfahren nach dem Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG) ergibt sich dies aus 46. Drei wichtige Beweismittel sind zb erstens der Urkundsbeweis, zweitens der Sachverständigenbeweis und drittens der Zeugenbeweis. Rechtswidrig gewonnene Beweismittel sind grundsätzlich ebenfalls verwertbar. Nach Erhebung der Beweismittel hat die Behörde eine Beweiswürdigung durchzuführen; dabei gilt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Vor der Erlassung des Bescheids muss die Behörde den Parteien eines Verwaltungsverfahrens allerdings die Möglichkeit geben, zu dem Ergebnis der Beweisaufnahme Stellung zu nehmen (= Parteiengehör). Für das Verwaltungsverfahren nach dem AVG ist dies in 46 Abs 3 geregelt. Wird ein Bescheid nicht rechtzeitig mit einem Rechtsmittel angegriffen, wird er bestandskräftig. Bestandskraft tritt auch dann ein, wenn der Adressat auf Rechtsmittel verzichtet hat oder wenn es sich um den Bescheid einer Behörde letzter (administrativer) Instanz handelt. Damit soll vor allen Dingen Rechtssicherheit erreicht werden. Kommentar [RC1]: Hier können auch andere Beweismittel genannt werden, zb Augenschein etc Kommentar [RC2]: Kein Punktabzug, wenn Abs fehlt, aber bitte im Text vermerken Kommentar [RC3]: Kein Punktabzug wenn nur letzter Instanz Aufgabe 2: Beantworten Sie folgende Fragen! (14 Punkte) 1
a. Das Verwaltungsverfahrensrecht ist eine so genannte Annexmaterie. (1) Was bedeutet der Betriff Annexmaterie? (2) Aufgrund welcher verfassungsgesetzlichen Kompetenzbestimmung durfte der Bundesgesetzgeber das Verwaltungsverfahren nach dem AVG einheitlich durch Bundesgesetz regeln? (3 Punkte) (1) Annexmaterie = Derjenige Gesetzgeber, dem die Kompetenz zur Regelung der Sachmaterie zugewiesen ist, hat u.a. auch die Kompetenz zur Regelung des (damit zusammenhängenden) Verwaltungsverfahrens. (2) Art 11 Abs 2 (1. HS) B-VG (2 Punkte) (1 Punkt) Kommentar [RC4]: ½ Punkt, wenn 1. HS fehlt. b. Was bedeutet der Grundsatz der freien Beweiswürdigung? (3 Punkte) Insbesondere wenn sich Beweisergebnisse widersprechen, muss die Behörde entscheiden, welchem Beweismittel sie Glauben schenkt. Frei ist die Behörde dabei insoweit, als sie nicht an starre Beweisregeln gebunden ist. Die Behörde muss ihr Ergebnis allerdings nachvollziehbar/plausibel. Kommentar [RC5]: Fett hervorgehobene Punkte sollten der Sache nach enthalten sein, auf genaue Übereinstimmung der Formulierungen kommt es nicht an. b. Erläutern Sie die Begriffe Justizstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht und nennen Sie zwei Grundrechte (mit zugehörigem Verfassungsartikel!), die gerade in diesen Bereichen eine wichtige Rolle spielen! (4 Punkte) - Justizstrafrecht = Strafrecht, dessen Handhabung den ordentlichen Gerichten zugewiesen ist (1 Punkt) - Verwaltungsstrafrecht = Strafrecht, dessen Handhabung Verwaltungsbehörden zugewiesen ist (1 Punkt) - Grundrechte zb: Recht auf faires Verfahren, Art 6 EMRK; keine Strafe ohne Gesetz, Art 7 EMRK) (je ½ Punkt, aber nur, wenn Artikel genannt) c. Das VStG kennt das Rechtsinstitut der Strafverfügung. Kommentar [RC6]: Alternativ können hier zb genannt werden Recht auf Freiheit und Sicherheit, Art 5 EMRK oder meinetwegen auch Hausrecht (1) Was unterscheidet die Strafverfügung nach dem VStG 1991 vom Straferkenntnis? (2) Welches Rechtsmittel sieht das VStG gegen die Strafverfügung vor? Binnen welcher Frist muss das Rechtsmittel eingelegt werden? Wann beginnt die Frist zu laufen? (3) Welche Rechtfolge tritt bei rechtzeitiger Einlegung des Rechtsmittels ein? 2
Nennen Sie jeweils auch die gesetzliche Grundlage, bei Frage (2) und (3) auch den jeweiligen Absatz und Satz! (4 Punkte) (1) Anders als Straferkenntnis ergeht die Strafverfügung ohne vorherige Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ( 47 [Abs 1 Satz 1] VStG) 1 Punkt (2) Rechtsmittel: Einspruch binnen zwei Wochen ab Zustellung, 49 Abs 1 Satz 1 VStG 2 Punkte (3) Rechtsfolge: Einleitung ordentliches Ermittlungsverfahren, 49 Abs 2 Satz 1 VStG 1 Punkt Kommentar [RC7]: ½ Punkt pro Element; für nur 49 VStG kein Punkt; für 49 Abs 1 VStG ½ Punkt, aber Satz 1 bitte im Text ergänzen Kommentar [RC8]: Vorheriger Kommentar gilt entsprechend Aufgabe 3: 1. Tragen Sie die jeweilige Entscheidungsform des Gerichts ein! (2 Punkte) a. Zivilgerichte bei Entscheidung in der Sache Urteil b. Zivilgerichte bei verfahrensrechtlicher Anordnung Beschluss c. Verfassungsgerichtshof bei Entscheidung in der Sache Erkenntnis d. Verfassungsgerichtshof bei verfahrensrechtlicher Anordnung Beschluss je ½ Punkt 2. Tragen Sie die jeweils richtige Handlungsform der Verwaltung ein! (3 Punkte) a. Erteilung einer Baubewilligung Bescheid b. Festlegung Festnahme nach 35 VStG Maßnahme c. Festlegung eines verkaufsoffenen Sonntags im Linzer Stadtgebiet Verordnung d. Erteilung einer Auskunft durch die Meldebehörde schlicht-hoheitliches Handeln e. Vereinbarung mit Kaufmann über den Erwerb von Büromaterial privatrechtlicher Vertrag f. Anordnung eines Halteverbots an der Kreuzung Landstraße/Graben Verordnung (Allgemeinverfügung) 3
je ½ Punkt 7. Kreuzen Sie an! 1) Die Rechts- und Verfassungsordnung strebt danach, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sicherzustellen. So kennt sie eine Reihe objektiver Rechtsschutzeinrichtungen. Die Verwaltung unterliegt der politischen Kontrolle des Parlaments, es gibt den Rechnungshof, es gibt die Volksanwaltschaft, usw. 2) Die objektiven Rechtsschutzeinrichtungen sind für den Rechtsschutz insbesondere dort von Bedeutung, wo die Gesetzgebung verwaltungsbetroffenen Personen keine subjektiven Rechte einräumt. 3) Nur wenn der Gesetzgeber die Verwaltung nicht nur zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichtet, sondern dem Einzelnen darüber hinaus ein subjektives (öffentliches) Recht auf das gesetzmäßige Verhalten der Verwaltung gewährt, kann der Einzelne die Verwaltung in einem rechtsstaatlichen Prozess auf das Gesetz hinzwingen. 4) Objektive Rechtsschutzeinrichtungen gewährleisten die Einhaltung der Gesetze durch die Verwaltung, sie handeln unabhängig vom Vorliegen subjektiver Rechte. 5) Der Einzelne kann das Tätigwerden objektiver Rechtsschutzeinrichtungen gerichtlich erzwingen. 2 Punkte [1/2 Punkt Abzug pro Fehler] 1. Beantworten Sie die folgenden Fragen! E beantragt bei der Gemeinde G die Bewilligung für den geplanten Bau eines Wochenendhauses am Wolfgangsee nach der Oö Bauordnung 1994. Der zuständige Bürgermeister von G verweigert E die Baubewilligung. a. Welcher Staatsteilgewalt ist das Handeln des Bürgermeisters zuzurechnen? Verwaltung (1) b. In welcher Handlungskategorie wurde der Bürgermeister von G tätig? Bescheid (1) c. Ist diese Handlungskategorie eine Rechtssatzform? (ja/nein) ja (1/2) 4
d. Auf welchen Kompetenztatbestand stützt sich die Oö Bauordnung 1994? Allgemeine Kompetenzverteilung der Art 10 bis 15 B-VG Art 15 Abs 1 B-VG: Land ist in Gesetzgebung (und Vollziehung) zuständig für das Baurecht. Land hat Gesetzgebungskompetenz für das Baurecht. (1) f. Ist die Oö Bauordnung 1994 ein Bundesgesetz oder ein Landesgesetz, eine Bundesverordnung oder eine Landesverordnung? Oö Bauordnung 1994 ist ein einfaches Landesgesetz, wurde vom Oö Landtag erlassen. (1/2) g. Ist die Verwaltung des Bundes, die Verwaltung des Landes oder die Verwaltung der Gemeinde zuständig, einen Bescheid aufgrund der Oö Bauordnung 1994 zu erlassen? Begründen Sie kompetenzrechtlich! Art 15 Abs 1 B-VG: Land ist in Gesetzgebung und Vollziehung zuständig für das Baurecht. Land hat Vollziehungskompetenz für das Baurecht. Vollziehung des örtlichen Baurechts fällt aber in die Zuständigkeit der Gemeindebehörden im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde (Art 118 Abs 3 Z 9 B-VG: örtliche Baupolizei ) (2) 6 Punkte 2. Streichen Sie die fehlerhaften Textpassagen! Der Rechtsstaat ist auch Rechtsschutzstaat. Der Rechtsschutzstaat begnügt sich nicht mit objektiven Rechtsschutzeinrichtungen. Er verlangt darüber hinaus von der Gesetzgebung und Verwaltung über ein allgemeines Beschwerde- und Anregungsrecht hinaus den vom rechtswidrigen Handeln der Vollziehung Betroffenen in einzelnen Bereichen den Anspruch einzuräumen, in einem Verwaltungsprozess gegen die Verwaltung die Richtigkeit (= Gesetzmäßigkeit) des Verwaltungshandelns durchzusetzen. Solche von der Gesetzgebung eingeräumten Ansprüche nennen wir subjektive Rechte. Der Gegenbegriff zu den subjektiven Rechten, die nur dem Einzelnen zustehen, ist der Begriff der objektiven Rechte; dies sind diejenigen Rechte, deren Einhaltung jedermann unabhängig von einer individuellen Betroffenheit im Prozesswege durchsetzen kann. Subjektive Rechte kann nur der Verfassungsgesetzgeber einräumen. Richtet sich ein subjektives Recht gegen die Verwaltung, sprechen wir von einem subjektiven öffentlichen Recht. Die subjektiven Rechte werden auf den Rechtswegen des öffentlichen Rechts durchgesetzt. Diese Rechtswege sind in drei Abschnitte gegliedert: Der erste Abschnitt umfasst den Rechtsschutz vor den Verwaltungsbehörden; der zweite Abschnitt den Rechtsschutz vor den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts; der dritte Abschnitt den Rechtsschutz vor dem Verfassungsgerichtshof. Die Rechtswege vor den Verwaltungsbehörden sehen im Wesentlichen vor, subjektive öffentliche Rechte (Parteistellung) in Bescheidverfahren nach den Verwaltungsverfahrensgesetzen (AVG ua) durchzusetzen. Die Verwaltungsverfahrensgesetze sehen dazu eine Reihe von ordentlichen Rechtsmitteln vor. Im Anwendungsbereich des AVG ist dies etwa die Vorstellung an die 5
Verwaltungsbehörde I. administrativer Instanz gegen einen Bescheid, der nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens ergangen ist, und die Berufung gegen den Mandatsbescheid. Werden Bundesgesetze in mittelbarer Bundesverwaltung in der I. Instanz vom Bezirkshauptmann (in der Statutarstadt vom Bürgermeister) im Verfahren nach dem AVG vollzogen, entscheidet die Landesregierung in der II. administrativen Instanz über die Berufung. Hat die Behörde das Verwaltungsverfahren nach dem VStG zu führen und erlässt in diesem Verfahren ein Straferkenntnis, ist die zuständige Berufungsbehörde meistens der unabhängige Verwaltungssenat eines Bundeslandes. Es gibt insgesamt zehn unabhängige Verwaltungssenate: neun unabhängige Verwaltungssenate der Länder und einen unabhängigen Verwaltungssenat des Bundes. 12 Punkte [1 Punkt Abzug für nicht erkannten Fehler oder Anstreichen richtiger Passagen als Fehler] Kreuzen Sie an! 1) Wir nennen ein Grundrecht verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht, wenn es der Verfassungsgesetzgeber gewährt; wir nennen ein Grundrecht einfachgesetzlich gewährleistetes Recht, wenn es der einfache Gesetzgeber gewährt. 2) Alle von der Verfassung gewährten subjektiven Rechte sind ohne Rücksicht auf Inhalt oder Bedeutung des Rechts Grundrechte. 3) Gemäß Art 18 B-VG darf die gesamte staatliche Verwaltung nur aufgrund der Gesetze ausgeübt werden ( Gesetzmäßigkeitsgebot, Legalitätsprinzip). Art 18 Abs 1 B-VG gibt jedermann das Grundrecht auf gesetzmäßiges Handeln der Verwaltung. 4) Eine verfassungsimmanente Schranke ist die Einschränkung des aus dem Wortlaut des Verfassungstexts folgenden Schutzbereichs eines Grundrechts im Hinblick auf den Schutzbereich eines anderen Grundrechts oder im Hinblick auf eine andere Verfassungsbestimmung. 2 Punkte (1/2 Punkt pro richtige Antwort) 6