Kartierung eines Genorts für Nephronophthise Typ 4 auf Chromosom 1p36 durch reverse Homozygotie-Kartierung



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Transkript:

Aus dem Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau Kartierung eines Genorts für Nephronophthise Typ 4 auf Chromosom 1p36 durch reverse Homozygotie-Kartierung INAUGURAL-DISSERTATION zur Erlangung des Medizinischen Doktorgrades der Medizinischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau vorgelegt 2003 von Achim Becker geboren in Ludwigsburg

Dekan Prof. Dr. J. Zentner 1. Gutachter Prof. Dr. F. Hildebrandt 2. Gutachter Prof. Dr. G. Bauer Jahr der Promotion 2004

Für Ina

i INHALTSVERZEICHNIS 1 Einleitung...1 1.1 Der Nephronophthise (NPH) / medullary cystic kidney disease (MCKD) - Komplex... 1 1.1.1 Klinik... 2 1.1.2 Extrarenale Manifestationen... 3 1.1.3 Pathologie und Pathohistologie... 3 1.1.4 Diagnostik und Therapie... 4 1.2 Genetik der juvenilen Nephronophthise... 5 1.2.1 Formale Genetik... 5 1.2.2 Molekulare Genetik... 5 1.3 Strategien zur Identifikation von Krankheitsgenen... 6 1.3.1 Vorgehen bei bekanntem Genprodukt... 7 1.3.2 Vorgehen bei unbekanntem Genprodukt... 7 1.3.3 Positionelles und funktionelles Kandidatengenverfahren... 8 1.3.4 Physikalische Kartierung und das human genome project... 8 1.3.5 Kandidatengenanalyse... 10 1.4 Ziel der Arbeit... 12 2 Material und Methoden...13 2.1 Familienauswahl... 13 2.1.1 Einschlusskriterien... 14 2.1.1.1 Multiplexfamilie...14 2.1.1.2 Für Nephronophthise typische Klinik...14 2.1.1.3 Isolierte NPH...14 2.1.1.4 Ausschluss von NPH1...14 2.1.1.5 Ausschluss von NPH2...15 2.1.1.6 Ausschluss von NPH3...15 2.2 Polymerase-Kettenreaktion (PCR)... 15 2.3 Kopplungsanalyse... 17 2.4 Haplotypenanalyse... 19 2.5 Berechnung der LOD-Score-Werte... 19 2.6 Genomweite Kopplungsanalyse ( total-genome search )... 20 2.7 Feinkartierung... 20

ii 2.7.1 PCR mit radioaktiv markierten dctp... 21 2.7.2 Polyacrylamidgel-Elektrophorese (PAGE)... 22 2.7.3 Autoradiographie... 23 2.7.4 Auswertung der Haplotypisierung... 23 2.7.5 Homozygotie-Kartierung in konsanguinen Familien... 24 2.8 Grafische Darstellung der Stammbaum-Strukturen... 25 2.9 Elektronische Recherche... 25 2.9.1 National Center for Biotechnology Information (NCBI)... 26 2.9.2 Ensembl -Projekt... 26 2.9.3 Unified Database for Human Genome Mapping (UDB)-Map... 26 2.9.4 Primer3-Programm zur Generierung polymorpher Marker... 26 2.9.5 BCM search launcher... 27 2.10 Materialien... 27 2.10.1 Geräte... 27 2.10.2 Lösungen... 27 2.10.3 Chemikalien... 27 2.10.4 sonstige Materialien... 28 2.10.5 Oligonukleotide... 28 2.10.5.1 Bei der total-genome search verwendete Oligonukleotide...28 2.10.5.2 Bei der Feinkartierung verwendete Oligonukleotide...28 3 Ergebnisse...29 3.1 Auswahl der Familien zur Kartierung eines neuen Genorts für NPH 29 3.2 Durchführung der total-genome search... 30 3.3 Durchführung der Feinkartierung... 41 3.4 Reverse Homozygotie-Kartierung in Familie F30... 44 3.5 Berechnung der LOD-Score-Werte... 46 3.5.1 Berechnung des LOD-Score-Wertes für Familie F30... 46 3.5.2 Berechnung der multipoint-lod-score -Werte für alle Familien... 46 4 Diskussion...48 4.1 Strategien zur Kartierung eines neuen Genorts für isolierte NPH... 48 4.2 Haplotypenanalyse der Familien... 48 4.2.1 Auswahl der Familien... 48 4.2.2 total-genome search... 48

iii 4.2.3 Feinkartierung Chromosom 1p36.31... 49 4.2.4 Reverse Homozygotie-Kartierung... 49 4.2.5 Berechnung der LOD-Score-Werte... 50 4.2.5.1 Kartierung eines neuen Genorts (NPHP4) für Nephronophthise...50 4.2.5.2 Kopplung von sechs Familien an NPHP4...50 4.3 Ausblick... 50 4.3.1 Zukünftige Feinkartierung am NPHP4-Lokus zur weiteren Eingrenzung... 50 4.3.2 Kandidatengenanalyse... 51 4.3.3 Schwierigkeiten bei der Genidentifizierung in der NPHP4-Region... 52 5 Zusammenfassung...54 6 Literaturverzeichnis...55 7 Danksagung...61 8 Lebenslauf...62 9 Anhang 9.1 Oligonukleotide 9.1.1 Auflistung der zur "total-genome search" verwendeten Oligonukleotide 9.1.2 Auflistung der zur Feinkartierung verwendeten Oligonukleotide

iv ABBILDUNGSVERZEICHNIS Seite Abbildung 1: Strategien zur Identifizierung von Krankheitsgenen...7 Abbildung 2: Schritte zur Lokalisierung eines Gens...11 Abbildung 3: Darstellung der sechs untersuchten Multiplexfamilien...13 Abbildung 4: Prinzip der Polymerase-Kettenreaktion (PCR)...16 Abbildung 5: Autoradiographie des Markers X...19 Abbildung 6: Prinzip der Homozygotie-Kartierung in konsanguinen Familien...24 Abbildung 7: Grafische Darstellung einer Stammbaum-Struktur mit Haplotypen..25 Abbildung 8: Auswahl der Multiplexfamilien für die total-genome search...29 Abbildung 9: LOD-Score-Werte nach Durchführung einer total genome search mit 373 Markern...31 Abbildung 10 A-G: Darstellung der Haplotypen aller sechs Multiplexfamilien...32 Abbildung 11: Haplotypen der sechs NPH-Familien auf Chromosom 1p36.31...43 Abbildung 12: Konsanguiner Stammbaum der Familie F30...45 Abbildung 13: LOD-Score-Werte für 11 DNA-Marker versus NPH...47 Abbildung 14: Signaltransduktion zwischen Tubuluszellen und tubulärer Basalmembran...52 Abbildung 15: NCBI-Contigs in der NPHP4-Region auf Chromosom 1p36.31...53

v ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abkürzung Begriffsdefinition % (w/v) Volumenprozent %(v/v) Gewichtsprozent θ Theta APS Ammoniumpersulfat BAC bacterial artificial chromosome bp Basenpaare cdna copy DNA cm Centimorgan dctp Desoxycytidintriphosphat DNA desoxyribonucleic acid dntp Desoxynucleosidtriphosphat EDTA Ethylendiamintetraacetat EST expressed sequence tag FISH Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung kb Kilobasen LOD-Score logarithmic odds ratio Mb Megabasen MIM Mendelian Inheritance in Man (Datenbank) mrna messenger RNA NPH Nephronophthise PAC P1-related artificial chromosome PAGE Polyacrylamidgel-Elektrophorese PCR polymerase chain reaction PGE 2 Prostaglandin E 2 RNA ribonucleic acid SSCP single strand conformation polymorphism STS sequence-tagged site Taq Thermus aquaticus

vi Abkürzung TBE TEMED total-genome search Tris U YAC Begriffsdefinition Tris-Borat-EDTA-Puffer Tetramethylethylendiamin genomweite Kopplungsanalyse Trishydroxymethylaminomethan internationale Enzymeinheit yeast artificial chromosome

1 Einleitung 1 Einleitung 1.1 Der Nephronophthise (NPH) / medullary cystic kidney disease (MCKD) - Komplex Im NPH/MCKD Komplex sind unterschiedliche hereditäre zystische Nierenerkrankungen zusammengefasst. Gemeinsames pathologisches Korrelat dieser zu chronischem Nierenversagen führenden Erkrankungen ist eine chronisch sklerosierende tubulointerstitielle Nephropathie [39]. Im Gegensatz zur autosomal-rezessiv vererbten Nephronophthise stellt die MCKD eine autosomal-dominante Form dieser Erkrankung dar. Sie ist typischerweise mit Hyperurikämie und Gicht assoziiert. Sowohl die autosomal-rezessiven als auch die autosomal-dominanten Erkrankungen des NPH/MCKD-Komplexes zeigen Genlokusheterogenie. Für die MCKD existieren derzeit zwei bekannte Genorte. MCKD1 (MIM 174000) kartiert auf 1q21 [10], MCKD2 (MIM 603860) auf 16p12 [67]. Des Weiteren liegen Hinweise auf mindestens einen weiteren Genort vor [23]. Die autosomal-rezessiven Erkrankungen des NPH/MCKD-Komplexes zeigen eine noch ausgeprägtere Genlokusheterogenie mit bislang drei bekannten Genorten. Die juvenile Nephronophthise (Nephronophthise Typ 1; MIM 256100) wurde 1945 erstmals von Smith und Graham beschrieben [69]. Die heute gültige Namensgebung erfolgte dann 1951 durch Fanconi [22]. Innerhalb des NPH/MCKD-Komplexes stellt sie die häufigste Erkrankung mit autosomal-rezessivem Erbgang dar [29]. Gleichzeitig ist sie mit 10 25% auch die häufigste genetisch bedingte Ursache chronischen Nierenversagens bei Kindern [22]. Trotz einer geringen Prävalenz von nur ca. 1:1000000 ist sie für bis zu 15% der Nierentransplantationen bei Kindern verantwortlich [39]. Sie kartiert auf Chromosom 2q13 und ist bisher die einzige Erkrankung des NPH/MCKD-Komplexes, bei der die Identifizierung des Krankheitsgens (NPHP1) gelang [33]; [66]. Die infantile Nephronophthise (Nephronophthise Typ 2; (NPHP2); MIM 602088) kartiert auf 9q22-q31 [27]. Das histologische Bild der infantilen Nephronophthise ist von den anderen Formen der Erkrankung stark abweichend. Ihre Zugehörigkeit zum NPH/MCKD-Komplex wird daher von einigen Autoren in Frage gestellt [24].

2 Einleitung Die adoleszente Nephronophthise (Nephronophthise Typ 3; (NPHP3); MIM 604387) kartiert auf 3q21-q22 [53]. Bei dieser Form der Erkrankung tritt das terminale Nierenversagen erst bei einem durchschnittlichen Patientenalter von 19 Jahren auf. Bei den autosomal-rezessiven Erkrankungen des NPH/MCKD-Komplexes gibt es allerdings noch eine Anzahl von Familien mit einigen an sowohl klinisch als auch histologisch typischer Nephronophthise erkrankten Individuen, welche keine Kopplung an einen der 3 beschriebenen Genorte aufweisen. Daher ist analog zur autosomaldominanten Erkrankungsform MCKD auch bei der autosomal-rezessiven NPH anzunehmen, dass es noch mindestens einen weiteren Genort für diese Erkrankung gibt. 1.1.1 Klinik Geburt und frühkindliche Entwicklung sind bei allen Kindern vollständig unauffällig. Das Manifestationsalter der Erkrankung ist sehr unterschiedlich und abhängig von der Form der Erkrankung. Während bei NPH1 das durchschnittliche Alter der Patienten bei Eintreten des terminalen Nierenversagens bei 13 Jahren liegt [32], zeigt sich bei der NPH2 ein sehr viel früherer Beginn des terminalen Nierenversagens schon innerhalb der ersten drei Lebensjahre. Wenn sich das Nierenversagen bis zum 25. Lebensjahr noch nicht entwickelt hat, muss die Verdachtsdiagnose einer autosomal-rezessiven Form der Erkrankung in Frage gestellt werden. In einem Fall wurde die Erkrankung erst im 67. Lebensjahr diagnostiziert [72]. Bei der autosomal-dominanten MCKD kommt es in der Regel erst im Erwachsenenalter zum Auftreten des Nierenversagens [26]; [25]. In über 80% der Fälle treten bei der autosomal-rezessiven Form Polyurie, Polydipsie, verminderte Urinkonzentrationsfähigkeit, sekundäre Eneuresis sowie ein entgleister Wasser- und Elektrolythaushalt auf [77]; [39]. Bei ca. 2/3 der Patienten wird durch den renalen Salzverlust ein ausgeprägter Salzhunger verursacht [29]. Der Blutdruck liegt durch diesen chronischen Salzverlust in der Regel im Normbereich. Erst später, im Stadium der dekompensierten Niereninsuffizienz, tritt eine Hypertonie auf. Wachstumsstörungen und eine normochrome Anämie treten später hinzu [76].

3 Einleitung 1.1.2 Extrarenale Manifestationen Neben den bisher beschriebenen Erkrankungsformen gehören zum NPH/MCKD Komplex noch weitere Krankheiten mit autosomal-rezessivem Erbgang in denen die juvenile Nephronophthise mit zusätzlichen extrarenalen Manifestationen einhergeht. Dies gilt unter anderem für das Senior-Løken-Syndrom (MIM 266900) bei dem die NPH zusammen mit einer retinopathia pigmentosa auftritt [45]; [68]. Daneben sind als extrarenale Manifestationen Okulomotorische Apraxie vom Typ Cogan (MIM 257550) [65]; [6], Leberfibrosen [7], Knochenanomalien [47], zerebrale Ataxie [71] und mentale Retardierung beschrieben [40]. Ferner gibt es noch Arbeiten über die Verbindung von NPH mit dem Jeune-Syndrom [37]; [4]; [64], dem Ellis-Creveld-Syndrom [51] und dem RHYNS-Syndrom [19]. Im Gegensatz zur Gesamtheit dieser Erkrankungsformen wird die NPH ohne extrarenale Organbeteiligungen auch als isolierte NPH bezeichnet. 1.1.3 Pathologie und Pathohistologie Makroskopisch scheint die Niere von normaler Größe mit einer fein granulierten Oberfläche zu sein. Im Spätstadium der Erkrankung zeigen sich dann an der Rinde- Mark-Grenze beider Nieren Zysten von 1 15 mm Durchmesser, die mit einer klaren, bernsteinfarbenen Flüssigkeit gefüllt sind. Nierenkelche und Nierenbecken hingegen erscheinen ohne pathologischen Befund. Im Endstadium der Erkrankung imponieren geschrumpfte Nieren mit dünner, atrophischer Rinde. Dies führte zur Krankheitsbezeichnung Nephronophthise ( Nierenschwund ) [5]. Histologische Veränderungen lassen sich bereits im Frühstadium der Erkrankung beobachten. Im Lichtmikroskop zeigen sie sich als tubulointerstitielle lymphozytäre Infiltrationen. Im weiteren Krankheitsverlauf kommt es zur Ausformung atrophischer und gewundener Tubuli im Bereich der Rinde-Mark-Grenze. Elektronenmikroskopisch zeigen sich charakteristische Veränderungen der tubulären Basalmembran (TBM). Dazu zählen deren Verdickung, Aufsplitterung mit Fibroblasteneinlagerung und unregelmäßige Faltung. Im Umfeld der Glomeruli zeigt sich eine periglomeruläre Sklerose mit Verbreiterung der Bowmanschen Kapsel. Die genannten Veränderungen sind dabei zwar charakteristisch, jedoch nicht pathognomonisch für die Erkrankungen des NPH/MCKD-Komplexes [75]; [78].

4 Einleitung 1.1.4 Diagnostik und Therapie Die Diagnose einer Erkrankung des NPH/MCKD-Komplexes kann nur nach der gemeinsamen Beurteilung klinischer, genetischer und histologischer Befunde gestellt werden. Für die NPH1 steht dabei als einziger Erkrankung des Formenkreises seit einigen Jahren das Hilfsmittel eines molekulargenetischen Nachweises zur Verfügung der auf folgenden Erkenntnissen beruht: Das für die NPH1 verantwortliche Gen NPHP1 befindet sich innerhalb einer 250 kb großen Region, die bei ca. 80% der NPH1-Patienten homozygot deletiert ist [33]. Wenn keine homozygote Deletion vorliegt, kann eine Kombination aus heterozygoter Deletion und hemizygoter Punktmutation für die Krankheit verantwortlich sein [33], [66]; [2]. Da weitere Genloci für NPH bekannt sind, kann das Fehlen einer homozygoten Deletion bzw. heterozygoten Deletion und hemizygoten Punktmutation im NPHP1-Gen die Diagnose einer NPH nicht ausschließen. Unter Berücksichtigung dieser Erkenntnisse wurde ein Algorithmus für die Diagnosestellung der NPH erstellt (http://www.genetests.org) [34]. Aufgrund des langsam voranschreitenden Krankheitsbeginns und des Fehlens spezifischer Symptome werden die Erkrankungen des NPH/MCKD-Komplexes jedoch meist erst spät im Stadium des chronischen Nierenversagens diagnostiziert [29]. Im Durchschnitt beträgt die Zeit zwischen Diagnosestellung und terminaler Niereninsuffizienz drei Jahre [59].Zur Stellung der Verdachtsdiagnose einer Erkrankung des NPH/MCKD-Komplexes können einige diagnostische Hilfsmittel verwendet werden, wie zum Beispiel die Nierenbiopsie mit charakteristischem histologischem Befund sowie bildgebende Verfahren wie Ultraschall, CT oder renale Arteriographie zum Nachweis der Zysten [1]. Im Ultraschallbild zeigt sich bei normaler Nierengröße eine vermehrte Echogenität sowie eine Aufhebung der Rinde-Mark- Differenzierung. Im weiteren Krankheitsverlauf lassen sich einzelne Zysten an der Rinde-Mark-Grenze nachweisen [11]. Da die Zysten nicht zwangsläufig auftreten, kann ein negativer Befund in den drei letztgenannten Untersuchungsmethoden eine Erkrankung nicht ausschließen [49]. Mittels Nierenfunktionsszintigraphie kann zudem ein typischer Harnkonzentrierungsdefekt nachgewiesen werden [28]; [56]. Neben den genannten technischen Untersuchungen kann eine positive Familienanamnese durch Stammbaumanalyse und eine Kombination mit anderen familiär auftretenden extrarenalen Manifestationen bei der Diagnosestellung helfen. Differentialdiagnostisch müssen andere zystische Nierenerkrankungen sowie

5 Einleitung interstitielle Nephropathien ausgeschlossen werden. Beispiele hierfür sind u.a. die autosomal-rezessiv bzw. autosomal-dominant vererbte polyzystische Nephropathie (ARPKD bzw. ADPKD). Auch die chronische Pyelonephritis, die Markschwammniere und die Oligomeganephronie kommen differentialdiagnostisch in Betracht [9]. Da noch keine kausale Therapie für die Erkrankungen des NPH/MCKD Komplexes verfügbar ist, erfolgt die Behandlung symptomatisch. Das terminale Nierenversagen kann dadurch letztlich nicht verhindert werden, so dass im weiteren Verlauf der Krankheitsbehandlung immer eine Nierenersatztherapie mit Dialyse und anschließender Nierentransplantation erforderlich wird [31]. Eine Rekurrenz der Erkrankung im Transplantat wurde dabei bisher noch in keinem Fall beobachtet. In der davor liegenden Phase des kompensierten Nierenversagens besteht die symptomatische Therapie aus der Behandlung der eventuell bestehenden Hypertonie und der Korrektur des entgleisten Elektrolyt-, Säure-Basen- und Flüssigkeitshaushaltes. Im Einzelnen kann dies wie folgt geschehen: Linderung der Polyurie durch orale Natrium-Substitution, Behandlung von Osteodystrophien und sekundärem Hyperparathyreoidismus durch Calcium-Substitution, Phosphat- Reduktion und Vitamin-D-Therapie sowie Therapie einer möglicherweise bestehenden Anämie durch Erythropoetin-Gabe. Des Weiteren sollte die Behandlung durch eine psychologische Betreuung sowie eine Ernährungsberatung ergänzt werden. Auch die betroffenen Familien sollten im Rahmen einer genetischen Beratung in die Therapie einbezogen werden. 1.2 Genetik der juvenilen Nephronophthise 1.2.1 Formale Genetik Bei der Nephronophthise handelt es sich um eine Erkrankung mit autosomalrezessivem Vererbungsmodus. Dafür sprechen sowohl die familiäre Häufung erkrankter Kinder bei phänotypisch gesunden Eltern [75]; [29], als auch der hohe Konsanguinitätsindex [73]. Am NPHP1-Lokus heterozygote Individuen sind bis auf eine leichte Urinkonzentrationseinschränkung symptomfrei [3]. 1.2.2 Molekulare Genetik Das für die NPH1 verantwortliche Gen NPHP1 liegt auf Chromosom 2q13. Es umfasst 83 kb, besteht aus 20 Exonen und wird in eine mrna von 4,5 kb sowie in ein kurzes

6 Einleitung alternatives Transkript von 1,2 kb Länge umgeschrieben [55]. Das mittels in situ Hybridisierung und Northern-Blot untersuchte Expressionsmuster von NPHP1 zeigte beim Menschen eine in allen Geweben vergleichbare, schwache Expression [55]. Auffällig ist eine fehlende prominente Expression im Nierengewebe bei im Regelfall ausschließlich die Niere betreffendem Phänotyp. Das Genprodukt trägt den Namen Nephrocystin. Durch computergestützte Homologievergleiche konnte ein Strukturmodell erstellt werden, welches am aminoterminalen Ende des Proteins drei amphipatische Helices zeigt. Solche Strukturen können mit anderen Proteinen als sogenannte coiled-coil Domänen interagieren. Dazu werden zwei glutamatreiche, negativ geladene Regionen vorhergesagt, die eine SH3 (src-homology-3)-domäne umschließen. SH3-Domänen kommen zum Beispiel in Adapter-Proteinen vor, welche eine Rolle bei der Signaltransduktion an den Kontaktstellen zwischen Tubuluszellen und tubulärer Basalmembran spielen [12]; [17]. Eine weitere Stütze für die Hypothese, dass Nephrocystin eine Rolle in diesem Bereich spielt, ist der Nachweis seiner Bindung an p130 cas. Dieses Protein ist ein wesentlicher Bestandteil fokaler Adhäsionen und colokalisiert mit Nephrocystin in Zonula-adherens-Komplexen renaler Epithelzellen [21]. 1.3 Strategien zur Identifikation von Krankheitsgenen Generell werden zur Identifikation von Krankheitsgenen verschiedene Strategien verwendet [13]. Im Folgenden sollen die grundsätzlichen Schritte zur Krankheitsgenfindung kurz dargestellt werden. Abbildung 1 zeigt die prinzipielle Vorgehensweise in einer schematischen Übersicht.

7 Einleitung defektes Genprodukt bekannt Funktionsklonierung nicht bekannt Positionsklonierung AS-Sequenz des defekten Proteins Identifizierung des Gens Positionelles Kandidatengenverfahren Haplotypenanalyse der Familien + Kopplungsanalyse LOD-Score Wert > 3 = Kandidatenregion physikalische Kartierung der Kandidatenregion Aufsuchen bekannter exprimierter Gene Kandidatengene Untersuchen der DNA-Klone auf exprimierte Sequenzen Mutationsanalyse der gefundenen Gene mittels SSCP und direkter Sequenzierung Identifizierung des Gens Abbildung 1: Strategien zur Identifizierung von Krankheitsgenen Grundsätzlich unterscheiden sich die Strategien zur Identifikation von Krankheitsgenen je nachdem ob das defekte Genprodukt bekannt ist oder nicht. Ist besispielsweise das Genprodukt nicht bekannt, so stellen die Haplotypenanalyse von Familien mit von der untersuchten Krankheit betroffenen Individuen und die Positionsklonierung entscheidende Schritte auf dem Weg zur Genfindung dar. Die verschiedenen in der Abbildung hervorgehoben dargestellten Ansätze werden im Kapitel 1.3 erläutert. 1.3.1 Vorgehen bei bekanntem Genprodukt Funktionsklonierung Ausgehend von einem defekten Genprodukt lässt sich mit Hilfe der Funktionsklonierung das zugrundeliegende Gen identifizieren. Wichtige Voraussetzung dafür ist allerdings die Kenntnis der Funktion des betreffenden Gens. Nach teilweiser Aufreinigung des Genprodukts kann auf verschiedenen Wegen das für dieses Protein codierende Gen identifiziert werden. Eine Vorgehensweise ist die Herstellung spezifischer Antikörper oder Oligonukleotidsonden mit deren Hilfe spezifische cdnas in Genbanken identifiziert werden können. 1.3.2 Vorgehen bei unbekanntem Genprodukt Positionsklonierung Die Positionsklonierung wird als Verfahren zur Genfindung dann angewendet, wenn die Pathogenese der untersuchten Erbkrankheit unbekannt ist. Mit Hilfe von Kopplungsanalysen in Familien (vgl. Kapitel 2.3) und Homozygotie-Kartierung

8 Einleitung (vgl. Kapitel 2.7.5) oder durch den Nachweis chromosomaler Anomalien wird versucht, die Lokalisation des Krankheitsgens zu bestimmen. Eine entscheidende Rolle bei der Identifizierung der Kandidatenregion spielt der sogenannte LOD-Score-Wert (vgl. Kapitel 2.5). 1.3.3 Positionelles und funktionelles Kandidatengenverfahren Positionelle Kandidatengene sind jene Gene, die in der durch die Positionsklonierung identifizierten Kandidatenregion liegen. Eine solche Kandidatenregion bezeichnet man auch als kritisches Intervall. Um ihre Rolle als Erkrankungsgen nachweisen zu können, müssen sie bei betroffenen Individuen durch Mutationsanalyse beispielsweise mittels SSCP oder direkter Sequenzierung untersucht werden. Grundsätzlich gibt es neben dem positionellen auch ein funktionelles Kandidatengenverfahren. Bei dieser Form der Gensuche muss nicht unbedingt zuvor eine Kandidatenregion identifiziert werden. Die Identifizierung funktioneller Kandidatengene geschieht vielmehr aufgrund eines ähnlichen Krankheitsphänotyps oder einer ähnlichen molekularen Pathogenese zu einem bereits identifizierten Gen. Auch Tiermodelle können zur Identifizierung funktioneller Kandidatengene herangezogen werden. Die zunehmende Dichte der Gene in der transkriptionellen Karte des menschlichen Genoms lässt die positionelle Kandidatengenanalyse zum Goldstandard der Genidentifikation werden [13]. Die 1998 veröffentliche Genkarte enthält über 41 000 STSs ( sequence tagged sites, DNA Stück, dessen Sequenz bekannt ist), welche über 30 000 Gene repräsentieren [18] (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/genemap). Positionelles und funktionelles Kandidatengenverfahren können miteinander verknüpft werden. 1.3.4 Physikalische Kartierung und das human genome project Der Übergang von der Kartierung durch DNA-Marker zur kompletten Basensequenz geschieht durch die physikalische Kartierung des kritischen Intervalls. Ihr erster Schritt ist die Erstellung einer sogenannten Contig-Karte. Ein Contig ist eine Region des Genoms, welches durch eine Gruppe sich überlappender Klone definiert ist [16]; [41]. Zu ihrer Erstellung stehen verschiedene Vektoren zur Verfügung: YACs (yeast artificial chromosomes), BACs (bacterial artificial chromosomes), PACs (P1-related artificial chromosomes) und Cosmide.

9 Einleitung Aufgrund ihrer Kapazität werden zur Klonierung menschlicher DNA-Fragmente meist YACs als Vektoren verwendet. In ihnen kann die Sequenz von durchschnittlich einer Megabase (Mb) kloniert werden [8]. Auf der Grundlage eines YAC-Contigs kann im Folgenden ein PAC-Contig erstellt werden. PAC-Contigs umfassen einen kleineren Sequenzabschnitt als YAC-Contigs, haben ihnen gegenüber aber den Vorteil, dass sie weitaus weniger zu Chimärismus neigen und ihre Enden leichter ansequenziert werden können. Die Markerdichte eines Contigs kann auf diese Weise stark erhöht und der Übergang zu einer Karte exprimierter Gene ermöglicht werden [43]. Der Übergang von dem durch physikalische Kartierung erhaltenen YAC- oder PAC-Contig zu den Kandidatengenen wird als transkriptionelle Kartierung bezeichnet. Zur Identifizierung der im Contig enthaltenen Kandidatengene stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung [57]. Sie umfassen unter anderem cdna-selektion [46], Hybridisierung [61] und Zoo-Blotting [50]. Neben der Möglichkeit, selbst eine physikalische Kartierung des kritischen Intervalls durchzuführen, kann inzwischen ein weiterer Weg genutzt werden, um von der Markerkartierung zur Basensequenz zu gelangen. Das internationale human genome project hat es sich zum Ziel gesetzt, eine komplette Sequenz des menschlichen Chromosomensatzes durch DNA-Sequenzierung zu erhalten. Im Juni 2000 wurde eine vorläufige Version dieser Sequenz vorgestellt, welche die Daten aus mindestens 85% des menschlichen Euchromatins enthalten sollte [58]. Der detaillierte Bericht des Konsortiums wurde einige Monate später vorgelegt [43]; [74]. Über die Internetseiten http://www.ensembl.org/ oder http://www.celera.com/ können seither die Datenbanken des human genome project abgefragt werden. Die der Allgemeinheit zugänglichen Daten der Firma Celera wurden seit der Erstveröffentlichung im Februar 2001 nicht mehr kontinuierlich aktualisiert. Im Gegensatz dazu werden die Daten des öffentlichen Ensembl -Projekts ständig überprüft und aktualisiert. Da bei Erstveröffentlichung auch die durch die Firma Celera gewonnenen Daten in die Datenbanken des Ensembl -Projekts einflossen, und die Datenbanken kontinuierlich aktualisiert werden, stellt die Internetseite des Ensembl -Projekts (http://www.ensembl.org/) den umfassenderen Zugang zu den Sequenzdaten des human genome project dar. Für viele Regionen des menschlichen Chromosomensatzes können daher auf elektronischem Weg über das Internet Sequenzdaten abgerufen werden, die durch

10 Einleitung physikalische Kartierungen im Rahmen des human genome project gewonnen wurden. Es wurde allerdings auch über Divergenzen bei der veröffentlichten vorläufigen Version des menschlichen Genoms berichtet. Dies betrifft sowohl die Angaben zur Flächendeckung als auch die zur Kartierung der einzelnen genetischen Klone zu den Chromosomen. Daher ist die Fähigkeit der Sequenzdatenbanken des human genome project im Bezug auf die Bereitstellung verlässlicher positioneller Informationen derzeit noch limitiert [38]. Die Durchführung einer physikalischen Kartierung ist also nach wie vor in vielen Fällen nötig. Generell gilt, dass - obwohl die Sequenzierungen im Rahmen des human genome project mit mehreren Referenzindividuen durchgeführt wurden - bei Unvereinbarkeit zwischen Daten aus den elektronischen Sequenzdatenbanken und Familienanalyse immer eine Kontrolle mittels physikalischer Kartierung des kritischen Intervalls anhand von YAC- oder PAC-Contigs angestrebt werden sollte. 1.3.5 Kandidatengenanalyse Wurde in der durch transkriptionelle Kartierung oder elektronischer Recherche erhaltenen kritischen Region ein Kandidatengen entdeckt, so muss nachgewiesen werden, dass dieses für die Krankheit verantwortlich zu machen ist. Dies kann mit Hilfe mehrerer Methoden geschehen: Suche nach Mutationen mit Hilfe von direkter Sequenzierung, Southern Blot [15] denaturierender Gradientengele (DGGE) oder SSCP ( single strand conformation polymorphism ) [54]. Expressionsstudien durch Northern Blotting Generierung von knock-out Mausmodellen für die Erkrankung Für bekannte oder unbekannte Genprodukte gelangt man so letztlich zur Mutationsanalyse an Kandidatengenen, welche den Defekt des für die Krankheit verantwortlichen Gens auf Sequenzniveau beschreibt. Da es sich bei der Krankheitsgensuche meist um eine Suche nach unbekannten Genprodukten handelt, führt der Weg zur Kandidatengenanalyse häufig über die Positionsklonierung. Dabei

11 Einleitung sollte festgehalten werden, dass es sich auch bei den im Internet durch das human genome project (http://www.ensembl.org/) bereitgestellten Daten letztlich um Sequenzdaten handelt, welche durch physikalische Kartierungen gewonnen wurden. Die Schritte der Positionsklonierung von der Familien-Untersuchung bis hin zur Mutationsanalyse sollen in Abbildung 2 nochmals schematisch umrissen werden. Familien- Untersuchung Genetische Kartierung kritisches Intervall * physikalische Kartierung YAC/PAC- Klone transkriptionelle Kartierung Kandidatengene Met Val Ser Leu Gln Pro Cys Gen- Sequenzierung Mutation A A T T G G G G T T C C T T C C A A C C T T G G C T A A A A C C C C G G T T G G T T Met Val Ser Leu STOP Abbildung 2: Schritte zur Lokalisierung eines Gens Zur Lokalisierung eines Krankheitsgens kommt oft das Prinzip der Positionsklonierung zum Einsatz. Ihr erster Schritt ist die Familien-Untersuchung. Mit deren Hilfe kommt es zur genetischen Kartierung auf einem Chromosomenabschnitt dem sogenannten kritischen Intervall. Durch physikalische Kartierung mit YAC/PAC Klonen wird daraus eine transkriptionelle Karte mit Kandidatengenen erstellt. Durch Sequenzierung der Kandidatengene kann im letzten Schritt dann die krankheitsverursachende Mutation gefunden werden.

12 Einleitung 1.4 Ziel der Arbeit Obwohl es mittlerweile gelungen ist, drei Genorte für die autosomal-rezessiven Erkrankungen des NPH/MCKD-Komplexes zu kartieren, gibt es noch immer eine Reihe von Familien mit gesicherter NPH-Diagnostik ohne weitere Organbeteiligungen, deren betroffene Individuen an keinem der derzeit bekannten Genorte mit Kopplung vereinbar sind. Ziel dieser Arbeit war es daher, mit Hilfe dieser Familien einen neuen Genort für Nephronophthise ohne extrarenale Manifestationen zu kartieren. Zu diesem Zweck mussten die Familien zunächst nach klinischen und molekularbiologischen Kriterien in feste Gruppen unterteilt werden. Für die Gruppe der von NPH ohne extrarenale Manifestationen betroffenen Familien wurde dann eine Familienanalyse durchgeführt. Von den in die Untersuchung einbezogenen Individuen wurde Blut zur DNA-Isolierung bereitgestellt. Mittels PCR konnte so in Zusammenarbeit mit dem Max-Delbrueck Center for Molecular Medicine (MDC) in Berlin in einem ersten Schritt eine genomweite Kopplungsanalyse ( total-genome search ) durchgeführt werden. Nach deren Auswertung mittels LOD-Score-Wert- Berechnungen erfolgte eine weitere Haplotypenanalyse zur Feinkartierung. Auch für diese Regionen wurden erneut LOD-Score-Werte errechnet.

13 Material und Methoden 2 Material und Methoden 2.1 Familienauswahl Blutproben der Betroffenen, deren Eltern und Geschwister, wurden nach ausführlicher Aufklärung und schriftlicher Zustimmung gesammelt und klinische Daten erhoben. Nach den im Folgenden dargelegten Einschlusskriterien konnten für die Untersuchungen die in Abbildung 3 dargestellten sechs sogenannten Multiplexfamilien mit isolierter NPH gewonnen werden. F10 F30 F158 IX:1 IX:2 X:1 X:2 X:3 X:4 F444 F461 F698 II:3 II:4 Abbildung 3: Darstellung der sechs untersuchten Multiplexfamilien Die Abbildung zeigt die sechs untersuchten Multiplexfamilien. Männliche Individuen sind durch Rechtecke, weibliche Individuen durch Kreise dargestellt. Von der untersuchten Krankheit betroffene Individuen sind durch ausgefüllte Symbole gekennzeichnet. Ein diagonaler Strich durch ein Symbol steht für ein verstorbenes Individuum. Jede Familie ist mit einem F gefolgt von einer bei Erstaufnahme der Familie vergebenen Zahl bezeichnet. Die Familien sind hier und in allen folgenden Abbildungen nach aufsteigender Familiennummer geordnet dargestellt. Jedem Individuum ist eine römische Ziffer und eine arabische Ziffer zugeordnet. Die römische Ziffer bezeichnet die Generation. Begonnen wird bei der Nummerierung mit der ersten bei den Untersuchungen berücksichtigten Generation als römisch I. Die arabische Ziffer bezeichnet das Individuum und wird in jeder Generation neu mit 1 beginnend von links nach rechts vergeben. Die Darstellung der Individuen in der Kindergeneration erfolgt nach aufsteigendem Geburtsdatum von links nach rechts. Der Doppelstrich zwischen den Individuen IX:1 und IX:2 der Familie F30 symbolisiert Konsanguinität. Der horizontale Strich zwischen den Individuen II:3 und II:4 der Familie F461 weist diese als monozygote Zwillinge aus.

14 Material und Methoden 2.1.1 Einschlusskriterien 2.1.1.1 Multiplexfamilie Als Multiplexfamilie wird eine Familie dann bezeichnet, wenn mindestens zwei Individuen von Nephronophthise betroffen sind. 2.1.1.2 Für Nephronophthise typische Klinik Die Diagnose der Nephronophthise wurde durch den behandelnden pädiatrischen Hausarzt der jeweiligen Familie nach folgenden Kriterien gestellt: Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz in Folge einer Krankheitsgeschichte mit Polyurie, Polydipsie und Anämie Befund im Nieren-Ultraschall vereinbar mit NPH (siehe 1.1.4) (bei Familie F461 nicht verfügbar) Ergebnis der Nierenbiopsie im Einklang mit der Diagnose NPH (siehe 1.1.4). Diese ist zur Diagnose einer NPH nicht unbedingt erforderlich. Bei Familie F461 war eine Biopsie nicht verfügbar. 2.1.1.3 Isolierte NPH Von einer isolierten NPH spricht man dann, wenn neben der Nephronophthise keine weiteren extrarenalen Manifestationen vorliegen (vgl. 1.1.2). 2.1.1.4 Ausschluss von NPH1 Alle Familien wurden für NPH1 ausgeschlossen. In allen Familien außer F158 geschah dies durch Ausschluss von Kopplung an NPHP1. Da F158 mit Kopplung an NPHP1 vereinbar war, wurde sie im Vorfeld dieser Arbeit mit Hilfe von Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) auf das Vorhandensein einer heterozygoten Deletion im NPHP1-Gen hin untersucht [33]; [66]; [2]. Da keine heterozygote Deletion nachgewiesen wurde, konnte für diese Familie das Vorliegen einer NPH1 als äußerst unwahrscheinlich betrachtet werden.

15 Material und Methoden 2.1.1.5 Ausschluss von NPH2 Die meisten der betroffenen Kinder der 6 Familien zeigten erst in einem Alter von über 10 Jahren eine starke NPH-Nierensymptomatik. Damit liegt das Manifestationsalter deutlich über dem bei Patienten mit NPH2 beobachteten [27]. Diese manifestiert sich bereits bei Geburt oder spätestens mit Ende des 3. Lebensjahres mit terminalem Nierenversagen (vgl. 1.1.1). Für F10 konnte zusätzlich Kopplung an NPHP2 ausgeschlossen werden. 2.1.1.6 Ausschluss von NPH3 Bei allen Familien konnte Kopplung an NPHP3 ausgeschlossen werden. Die aufgrund der Einschlusskriterien ausgewählten sechs Multiplexfamilien mit isolierter Nephronophthise hatten folgenden ethnischen Ursprung: F10 Deutschland F30 Deutschland F158 Deutschland F444 Finnland F461 Frankreich F698 Belgien Die Isolierung und Aufreinigung der genomischen Patienten-DNA geschah nach Standardmethoden [48] direkt aus den gewonnenen Blutproben oder nach EBV-Transformation peripherer Lymphozyten [70]. 2.2 Polymerase-Kettenreaktion (PCR) 1985 wurde die PCR erstmals zur in-vitro-amplifikation von DNA-Fragmenten eingesetzt [63]. Sie ermöglicht die Herstellung großer Mengen spezifischer DNA-Fragmente. Als Ausgangsmaterial ( template oder Matrize) kann genomische DNA, cdna, YAC- oder PAC-DNA dienen. Die DNA-Polymerase (Taq-Polymerase) benötigt zur spezifischen Amplifikation sogenannte Oligonukleotidprimer. Diese stellen Nukleotidsequenzen aus 15-30 Nukleotiden dar, die an komplementäre DNA- Abschnitte binden. Ein Primerpaar wird so gewählt, dass die Primer die zu vervielfältigende Region einrahmen. Bei jedem Reaktionszyklus entstehen so anhand der Ausgangs-DNA-Probe neue DNA-Stränge, die dann in den nachfolgenden Reaktionszyklen ebenfalls als Matrizen zur weiteren DNA-Synthese dienen. Auf diese Weise kommt es zu einer exponentiellen Amplifikation der Ausgangs-DNA-Probe. In 25 30 Reaktionszyklen entstehen etwa 10 5 Kopien des durch die Primer definierten Ausgangs-DNA-Abschnitts. Die genaue Theorie der PCR

16 Material und Methoden ist in vielen molekularbiologischen Lehrbüchern beschrieben [48]. Abbildung 4 stellt das Prinzip der Polymerase-Kettenreaktion nochmals in einer Übersicht dar. Prinzip der Polymerase-Kettenreaktion Primer aus dem PCR-Ansatz 5 3 3 5 dntp-mix (datp, dctp, dgtp, dttp) aus PCR-Ansatz 5 3 3 5 5 3 3 5 5 3 3 5 5 3 3 5 5 3 5 5 3 5 Denaturierung bei 94 C für 4 min zur Trennung der Doppelstränge. Annealing: Binden der Oligonukleotidprimer bei spezifischer Temperatur für 45 sec. DNA-Synthese in Pfeilrichtung durch die Taq-Polymerase bei 72 C für 45 s. Erneutes Trennen der Stränge durch Hitzedenaturierung bei 94 C für 30 s 5 3 3 5 5 3 3 5 5 3 5 5 3 5 Durch bis zu 30 Zyklen kommt es zur exponentiellen DNA-Amplifikation mit etwa 10 5 Kopien des gewünschten PCR-Produktes Annealing der Oligonukleotidprimer bei spezifischer Temperatur für 45 s (nur neu synthetisierte Stränge dargestellt). DNA-Synthese mit neu synthetisierten Strängen als Matrize (72 C für 45 s) Die replizierten DNA-Stränge weisen ab diesem Schritt die gewünschte Länge auf. Abbildung 4: Prinzip der Polymerase-Kettenreaktion (PCR) Doppelsträngige DNA-Proben werden zunächst durch Erhitzen getrennt (denaturiert). Es folgt die spezifische Anlagerung der Primer an den zu ihrer jeweiligen Eigensequenz komplimentären Abschnitt der DNA-Probe ( annealing ). Im nächsten Schritt erfolgt durch die Taq-Polymerase die Synthese entlang der DNA-Proben als Matrize (DNA-Synthese). Durch zyklische Wiederholung dieser drei Schritte kommt es zur exponentiellen Amplifikation des durch die Primer eingeschlossenen DNA-Fragments. (Abbildung modifiziert nach S. Berthold)

17 Material und Methoden 2.3 Kopplungsanalyse Die Kopplungsanalyse wird zur genetischen Kartierung eines Genortes bei hereditären Erkrankungen verwendet. Im Rahmen der Positionsklonierung (vgl. 1.3.2) ist sie der erste Schritt der Genidentifikation. Als Kopplung bezeichnet man dabei die gemeinsame Vererbung von mindestens zwei Genloci. In der Meiose kommt es durch crossing-over zur genetischen Rekombination von väterlichen und mütterlichen Allelen. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit, mit der eine solche Rekombination zwischen zwei Genloci zustande kommt von deren Entfernung abhängig. Die Anzahl der Rekombinationen zwischen zwei Genloci geteilt durch die Anzahl der betrachteten Meiosen ergibt die Rekombinationsfraktion θ. Werden zwei Gene nicht gemeinsam vererbt beträgt θ = 0,5. Liegen die Gene in direkter Nachbarschaft ergibt sich eine Rekombinationsfraktion θ von 0. Die Rekombinationsfraktion richtet sich also nach der Entfernung der Genloci zueinander und kann Werte zwischen 0 und 0,5 annehmen. Aus diesem Grund wird die Rekombinationsfraktion auch als Maß für die genetische Distanz verwendet. Sie wird in centi Morgan (cm) gemessen. Dabei entspricht ein cm einer beobachteten Rekombination in 100 Meisosen (θ = 0,01). Das Verhältnis der genetischen zur physikalischen Distanz (angegeben in Basenpaaren (bp)) variiert je nach Chromosomenabschnitt. Im Durchschnitt entspricht ein cm etwa einer Megabase (Mb). Um beobachtete Rekombinationen interpretieren zu können wurde der LOD-Score als statistischer Parameter eingeführt. Er stellt den dekadischen Logarithmus der odds ratio dar. Die odds ratio ist definiert als die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer Rekombinationsfraktion θ zwei Loci gekoppelt sind (L(θ)), geteilt durch die Wahrscheinlichkeit, dass zwischen den beiden Loci keine Kopplung besteht (L(θ = 0,5)). LOD-Score = log 10 L(θ) L(θ = 0,5) Ein LOD-Score > 3 gilt dabei als signifikant für eine Kopplung zwischen zwei Genloci. Erreicht der LOD-Score einen Wert von > 2, so wird von einem hinweisenden Ergebnis gesprochen. Bei einem LOD-Score < -2 kann dagegen Kopplung ausgeschlossen werden. Zur Durchführung der Kopplungsanalyse verwendet man polymorphe DNA-Marker. Ein solcher Marker besteht aus einem Primerpärchen, das tandemförmige

18 Material und Methoden Wiederholungen von einem oder mehreren Nukleotiden, sogenannte (CA) n -repeats, umschließt. Mittels PCR lässt sich daraus ein spezifisches Fragment von ca. 100-300 bp Länge amplifizieren. Die Anzahl der (CA) n -repeats ist in der Bevölkerung polymorph. Es kann also davon ausgegangen werden, dass bei den meisten Individuuen PCR-Produkte unterschiedlicher Länge entstehen. Die PCR-Produkte werden radioaktiv markiert (siehe 2.7.1) und mittels PAGE (siehe 2.7.2) der Länge nach aufgetrennt. Eltern sind bei einer Untersuchung mit großer Wahrscheinlichkeit heterozygot für das geprüfte Fragment. Bei ihren Kindern kann aufgrund der verschiedenen Längen der PCR-Produkte festgestellt werden, welches mütterliche bzw. väterliche Allel vererbt wurde. Sind die Eltern dagegen homozygot für einen Marker oder beide Eltern und das Kind übereinstimmend heterozygot, so kann nicht rekonstruiert werden welches Allel von welchem Elternteil vererbt wurde. In einem solchen Fall wird der betreffende Marker als nicht informativ bezeichnet. Polymorphe DNA-Marker können entweder aus im Internet verfügbaren Datenbanken entnommen, oder selbst entworfen werden. Ein Beispiel für eine Internet-Datenbank ist die Généthon-Mikrosatelliten-Karte mit ca. 5000 Markern [20]. Zum Entwerfen eigener Marker wurde das Programm Primer3 verwendet (http://zeno.well.ox.ac.uk:8080/). Es wird im Kapitel 2.9.4 kurz beschrieben. Zur Kartierung eines Genorts sucht man nach Kopplung eines bestimmten Allels mit der untersuchten Krankheit. Mit anderen Worten: die Vererbung eines bestimmten Allels eines polymorphen DNA-Markers an alle betroffenen Individuen der jeweiligen Familie. Für ein signifikantes Ergebnis sind dabei entweder eine ausreichend große Anzahl betroffener Individuen in einer Familie oder mehrere Familien nötig. Die Ermittlung der LOD-Score-Werte erfolgt mit Hilfe eines Computerprogramms. In Abbildung 5 ist das Prinzip der Kopplungsanalyse mittels radioaktiv markierter PCR-Marker nochmals schematisch dargestellt.

19 Material und Methoden Autoradiographie Marker X Allel 1 2 3 4 100 bp 98 bp 96 bp 94 bp Abbildung 5: Autoradiographie des Markers X Dargestellt ist die Autoradiographie des Markers X bei einer Familie mit drei Kindern. Zwei der Kinder sind von einer autosomal-rezessiven Erkrankung betroffen. Weibliche Individuen sind durch Kreise, männliche durch Rechtecke symbolisiert. Die betroffenen Individuen sind durch ausgefüllte Symbole gekennzeichnet. Die schwarzen Balken stellen die nach ihrer Länge aufgetrennten PCR-Fragmente des polymorphen Markers X für die jeweiligen Individuen dar, wobei die längsten Produkte am weitesten oben zur Abbildung kommen. Die Länge der einzelnen Fragmente kann anhand der Skala am rechten Rand abgeschätzt werden. Die Angabe bezieht sich auf die Anzahl der Basenpaare (bp) im jeweiligen PCR-Produkt. Es ist zu erkennen, dass der Marker X hier in 4 verschiedenen Allelen vorkommt. Die von der Krankheit betroffenen Individuen erben mütterlicher- bzw. väterlicherseits jeweils die Allele 3 und 1. Nur diese Allele sind demnach mit Kopplung an den Genlokus der autosomal-rezessiven Erkrankung vereinbar. 2.4 Haplotypenanalyse Mittels PCR lassen sich Allele polymorpher Mikrosatelliten-Marker bestimmen. Allelgruppen benachbarter Marker auf einem Chromosom werden als Haplotyp bezeichnet. Hat in einer Meiose keine Rekombination stattgefunden, so werden die Allele benachbarter Mikrosatelliten-Marker gemeinsam vererbt. Manchmal ist es möglich, bestimmte Haplotypen durch mehrere Generationen oder sogar Bevölkerungsgruppen zu verfolgen. Die Haplotypenanalyse dient ebenso wie die Berechnung der LOD-Score-Werte der genetischen Kartierung eines Krankheitsgenlokus. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, den Genlokus durch die Untersuchung sowohl gesunder als auch betroffener Individuen einzuschränken. 2.5 Berechnung der LOD-Score-Werte Aufgrund der Erkenntnisse zur formalen Genetik der Nephronophthisen (siehe 1.2.1) wurde von einem autosomal-rezessiven Vererbungsmodus mit 100% Penetranz ausgegangen. Die Genfrequenz für NPH wurde auf 0,00001 festgelegt [60]. Zur Berechnung der two-point LOD-Score-Werte wurde das LINKAGE-Programmpaket [44] mit Unterstützung des neu entwickelten Programms LINKRUN verwendet. Die Berechnung der maximalen LOD-Score-Werte (Z max ) bei

20 Material und Methoden maximaler Rekombinationsfraktion (θ max ) erfolgte mit Hilfe des Programms ILINK. Die multipoint -LOD-Score-Werte wurden mit den Programmen VITESSE [52] und SIMWALK berechnet. Die Darstellung der multipoint -LOD-Score-Werte erfolgte mit Hilfe des Programms EXCEL 5.0 [Microsoft]. Sowohl für die two-point - als auch für die multipoint -LOD-Score-Werte wurde von einer Gleichverteilung der Allelfrequenzen ausgegangen. Der LODmax - 1 support interval wurde als diejenige Position auf der genetischen Karte definiert, welche die LOD-Score-Kurve in Z max 1 schneidet [14]. Zur Darstellung der genomweiten two-point-lod-score-werte wurden die Programme MAKESCAN und LODVIEW verwendet [30]. 2.6 Genomweite Kopplungsanalyse ( total-genome search ) In Zusammenarbeit mit dem Max-Delbrueck Center for Molecular Medicine (MDC) in Berlin wurde bei allen sechs Familien eine genomweite Kopplungsanalyse mit 373 Mikrosatelliten-Markern aus der Généthon-Mikrosatelliten-Karte [20] - durchgeführt. Dieses Verfahren wird auch als total-genome search bezeichnet. Die durchschnittliche Distanz der Marker betrug dabei 11 cm. Zur halbautomatischen Genotypisierung wurde ein ABI 377 DNA-Sequencer verwendet [62]. Die Haplotypen wurden durch das Programm GENEHUNTER erstellt. Die Analyse der Daten erfolgte zunächst mit den Programmen GENESCAN 2.1 und GENOTYPER 2.0 [Perkin-Elmer]. Für die weitere Auswertung wurden die Daten in Tabellen zusammengefasst, die mit dem Programm EXCEL 5.0 [Microsoft] erstellt wurden. 2.7 Feinkartierung Nach Durchführung der genomweiten Kopplungsanalyse und Auswertung der LOD-Score-Werte wurde mit der Feinkartierung begonnen. Grundlage für die Auswahl der Region war: Der in der Region erreichte maximale LOD-Score-Wert Die Anzahl der an dieser Stelle mit Kopplung vereinbaren Familien Hierzu wurde eine weitere Kopplungsanalyse mit polymorphen DNA-Markern durchgeführt. Die Marker lagen dabei in geringeren Abständen zueinander (< 11cM), so dass die durch die genomweite Kopplungsanalyse gewonnenen Haplotypendaten ergänzt werden konnten. Die Feinkartierung wurde durch PCR mit radioaktiv markierten dctp und anschließender Polyacrylamidgel-Elektrophorese (PAGE) durchgeführt.

21 Material und Methoden 2.7.1 PCR mit radioaktiv markierten dctp In der hier vorliegenden Arbeit wurden zur Identifizierung der PCR-Produkte radioaktiv markierte dctp ( 32 P-dCTP) eingesetzt. Als Primer wurden Mikrosatelliten-Marker aus der Généthon-Mikrosatelliten-Karte [20] sowie selbst entworfene Marker verwendet (siehe2.3.). Der Reaktionsansatz bestand aus 10 µl und setzte sich wie folgt zusammen: 2 µl genomische DNA (10 ng/µl) 1 µl Primer (forward, reverse) (10 pmol/µl) 1 µl dntp [2 mm datp, dgtp, dttp, 0,027 mm dctp; GibcoBRL] 0,05 µl 32 P-dCTP [10 Ci/µl; Amersham Pharmacia Biotech] 1 µl 10x PCR-Puffer [500 mm KCL, 200 mm Tris-HCL, ph 9,0; GibcoBRL] 0,3 µl 50mM MgCl [GibcoBRL] 0,3 U Taq-Polymerase [Thermus aquaticus DNA Polymerase 5 U/µl; GibcoBRL] Aqua bidest ad 10 µl Um den Ansatz gegen Austrocknung zu schützen wurde ein Tropfen Mineralöl [Sigma] auf das Gemisch gegeben. Die anschließende Durchführung der PCR geschah wie folgt: 4 min initiale Denaturierung bei 94 C 27 Zyklen der folgenden Reaktionsschritte: 30 sec Denaturierung bei 94 C 30 sec annealing (Hybridisierung) bei einer primerspezifischen Temperatur 1 min extension (DNA-Synthese) bei 72 C 5 min final extension Die annealing -Temperatur der jeweils verwendeten Primer wurde nach folgender Formel berechnet und durch eine Etablierungs-PCR überprüft: T [ C] = 4(C+G) + 2(A+T) Die Buchstaben A, C, G und T stehen dabei jeweils für die Anzahl der Basen Adenin, Cytosin, Guanin und Thymin. Zeigten sich in der Etablierungs-PCR nach dem Auftrennen im Polyacrylamidgel unspezifische Produkte, so wurde die annealing - Tempeatur in 2 C-Schritten erhöht. Zeigte sich kein Produkt, so wurde die

22 Material und Methoden annealing -Temperatur entsprechend erniedrigt. Die Auftrennung der PCR-Produkte geschah in 8%igem-Polyacrylamidgel (Laufzeit 2-6 h je nach erwarteter Größe der Produkte bei 55 W). Als Elektrophorese-Puffer wurde 1xTBE verwendet (siehe 2.10) 2.7.2 Polyacrylamidgel-Elektrophorese (PAGE) Zur Auftrennung der radioaktiv markierten PCR-Produkte wurde eine Elektrophoreseeinheit [Modell S2; Fa. Life Technologies, GibcoBRL] mit einem 8%igen denaturierenden Polyacrylamidgel von 30x40 cm Größe und einer Dicke von 0,4 mm verwendet. Das Gel wurde zwischen 2 Glasplatten gegossen. Um die Platten vor dem Blotten des Gels wieder trennen zu können, wurde eine der Platten mit Silikonlösung [Silikonlösung SERVA in Isopropanol; SERVA Electrophoresis GmbH] beschichtet. Die Herstellung des Polyacrylamidgels geschah wie folgt: 60 ml 8%iges Instagel bestehend aus: 100 ml Accugel 19:1 (siehe 2.10.2) 250 g Harnstoff 50 ml 10xTBE (siehe 2.10.2) ad 500 ml mit Aqua dest. 300 µl 10% APS (siehe 2.10.2) 30 µl TEMED Als Puffer wurde 1xTBE verwendet (siehe 2.10.2). Pro Gel konnten 45 Proben aufgetragen werden. Die Proben wurden mit 10µl Ladepuffer versetzt, der sich wie folgt zusammensetzte: 980 µl Formamid 20 µl 0,5 M EDTA 5 µl Bromphenolblau 10% (w/v) 2 µl Xylencyanol 10% (w/v) Es folgte eine 5-minütige Denaturierung bei 94 C. Von jeder Probe wurden anschließend 7 µl auf das Polyacrylamidgel aufgetragen und bei 55 W für 2-6 h elektrophoretisch aufgetrennt [Spannungsquelle: Pharmacia LKB ECPS 3000/150;

23 Material und Methoden GibcoBRL PS 9009]. Die Dauer der Auftrennung war abhängig von den erwarteten Produktgrößen. Als Richtwerte galten dabei folgende Werte: Produktgröße Laufzeit 100-150 bp 2,5 3,5 h 150 200 bp 3,5 4,5 h 200 230 bp 4,5 5 h 230 250 bp 5 6 h 250 300 bp 6 6,5 h Generell ist zu sagen, dass eine optimale Auswertung dann möglich war, wenn die Produkte bis ins untere Drittel des Gels liefen. 2.7.3 Autoradiographie Nach der PAGE wurde das Gel auf ein Whatman-Papier [GB 002; Schleicher&Schüll] transferiert, mit Frischhaltefolie bedeckt und bei 90 C in einem Vakuumtrockner [Model 583; BIO-RAD] 40 min lang getrocknet. Anschließend folgte in einer Pappkassette eine 5-15-stündige Exposition auf einem X-OMAT DS Film [100 NIF, 35x43 cm; Kodak] gefolgt von der Entwicklung mit einer automatischen Entwicklermaschine [Curix 900; Agfa]. 2.7.4 Auswertung der Haplotypisierung Nach der Entwicklung ist auf dem Röntgenfilm für jeden Marker jedes Individuums ein Bandenmuster zu erkennen. In ihm spiegelt sich die Allelkombination der mütterlicherbzw. väterlicherseits vererbten Chromosomenabschnitte wieder. Die Allelzuordnung erfolgt dabei nach der Länge des zu erwartenden Produkts und nach den stärksten Banden, den sogenannten Hauptbanden. Ist die PAGE genügend aufgetrennt, so sollten diese Banden möglichst weit auseinander liegen. Neben den starken Hauptbanden entstehen auch schwächere Banden, sogenannte Schattenbanden. Da der Genotyp eines Individuums aus einem mütterlichen und einem väterlichen Allel besteht, werden im günstigsten Fall zwei Hauptbanden sichtbar. Zeigt sich nur eine Bande, so ist das betreffende Individuum für diesen Marker homozygot. Dies bedeutet,