Ortstagung Hamm am 10. September 2014



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Transkript:

1 Ortstagung Hamm am 10. September 2014 Das Bundesarbeitsgericht hat sich in jüngerer Zeit intensiv mit weiteren Erfordernissen befasst, die bei einer Massenentlassung zu beachten sind. Dabei hat es die Anforderungen an das der Massenentlassungsanzeige vorgelagerte Konsultationsverfahren gem. 17 Abs. 2 KSchG und die Voraussetzungen, unter denen es mit anderen Verfahren verbunden werden kann, näher konkretisiert. Das Konsultationsverfahren gem. 17 Abs. 2 KSchG Aktuelle Rechtsprechung und prozessrechtliche Überlegungen war Thema der Herbsttagung 2014 in Hamm. In der gut besuchte Ortstagung im Foyer des Landesarbeitsgerichts richtete der Referent, Herr Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Bernd Pakirnus, LAG Hamm, den Blick darauf, welche Erkenntnisse für die Vortragslast der Parteien und die gerichtliche Praxis aus der neueren Rechtsprechung gewonnen werden können. Zu Beginn seines Vortrags machte Pakirnus deutlich, dass nur die Auswertung mehrerer Entscheidungen in ihrer Gesamtheit ein System mit daraus ableitbaren Folgerungen erkennen lasse und dabei insbesondere der jeweils entscheidungserhebliche Sachverhalt zu berücksichtigen sei. Zum Inhalt der Informationspflicht wandte sich der Referent zunächst der Frage zu, ob die vorgesehenen Kriterien für die Auswahl der zu entlassenden Arbeitnehmer notwendig im Konsultationsverfahren mitzuteilen sind. Unter Rückgriff auf zwei zur verwandten Frage bei Massenentlassungsanzeigen ergangene Urteile des LAG Düsseldorf (LAG Düsseldorf 26.9.2013 5 Sa 530/13 und 6.3.2014 5 Sa 38/14, jeweils in der Revision bei dem BAG durch Vergleich erledigt) vertrat der Referent die Ansicht, dass auch die Unterlassung der Mitteilung der Auswahlkriterien das Konsultationsverfahren fehlerhaft mache. Hinsichtlich der Pflicht zur Information auch über die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer sprach Pakirnus das Urteil des BAG vom 18.1.2012 (6 AZR 407/11 Rn. 36) an. Danach habe eine unterbliebene Unterrichtung über die Berufsgruppen der zu entlassenden Arbeitnehmer bei der Entlassung aller Arbeitnehmer keine Folgen für die Prüfung durch den Betriebsrat, der Fehler könne sich nicht zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer auswirken. Dabei habe das BAG die Frage im Streitfall noch offen gelassen. Das Konsultationsverfahren habe jedoch neben der möglichen Verhinderung von Kündigungen auch das Ziel, über sonstige Ausgleichsmaßnahmen wie Qualifizierungen zu beraten. Diese könnten von den betroffenen Berufsgruppen abhängen. Deshalb sei die durch das BAG noch offen gelassene Frage dahin zu beantworten, dass die Verletzung der Pflicht zur Mitteilung der Berufsgruppen auch für den Fall der Kündigung aller Arbeitnehmer die Fehlerhaftigkeit des Konsultationsverfahrens nach sich ziehe. 1

2 Pakirnus referierte weiter, dass das Konsultationsverfahren bei Stilllegung des gesamten Betriebes und Entlassung aller Arbeitnehmer nicht entbehrlich sei (BAG 13.12.2012 6 AZR 48/12 Rn. 42 ff.). Dies beruhe eben darauf, dass die Beratungen mit der Arbeitnehmervertretung sich nicht allein auf die Vermeidung oder Beschränkung der Massenentlassungen beziehen müssten. Sie könnten auch die Möglichkeit betreffen, die Folgen solcher Entlassungen durch soziale Begleitmaßnahmen wie anderweitige Verwendung oder Umschulungen zu mildern (EuGH 3. März 2011 - C-235/10 u. a. - [Claes], NZA 2011, 337, 339 Rn. 56). Das Konsultationsverfahren sei nur dann entbehrlich, wenn kein Arbeitgeber mehr vorhanden sei, der als Ansprechpartner für Verhandlungen dienen könnte. Sodann wandte sich Pakirnus der Frage des richtigen Adressaten der Information und damit der Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen dem Betriebsrat und dem Gesamtbetriebsrat zu. Der GBR sei gem. 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig, wenn der geplante Personalabbau auf der Grundlage eines unternehmenseinheitlichen Konzepts durchgeführt werden solle und mehrere Betriebe von der Betriebsänderung betroffen seien (BAG 13.12.2012 6 AZR 5/12). Hierzu wies Pakirnus darauf hin, dass bei Betroffenheit mehrerer Betriebe von einer nach einem einheitlichen Unternehmenskonzept durchgeführten Betriebsänderung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für das Konsultationsverfahren auch für solche Arbeitnehmer mit einbeziehe, die in nur in einem Betrieb vorhandenen Bereichen tätig seien. Weiter seien auch Arbeitnehmer betriebsratsloser Betriebe in die Konsultation mit dem Gesamtbetriebsrat einzubeziehen, wenn diese Betriebe von einer betriebsübergreifenden Betriebsänderung betroffen seien. Dies gelte entsprechend für einzelne Unternehmen ohne Betriebsrat bei Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats. Zur Form der Unterrichtung habe das BAG im Urteil vom 20.9.2012 (6 AZR 155/11, Rn.60) offen gelassen, ob "schriftlich" in diesem Zusammenhang bedeute, dass die Unterrichtung der Formvorschrift des 126 Abs. 1 BGB genügen müsse. Habe der Arbeitgeber die von 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG geforderten Angaben in einem nicht unterzeichneten Text dokumentiert und diesen dem Betriebsrat zugeleitet, genüge die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats zu den Entlassungen, um einen etwaigen Schriftformverstoß zu heilen. Nun wisse der Arbeitgeber zu Beginn der Unterrichtung nicht, ob, wann und wie der Betriebsrat sich äußern werde. Damit bleibe der Eintritt der durch das BAG eröffneten Rettung des Arbeitgebers bei einem Formverstoß ex ante offen. Bevor sich Arbeitgeber in eine solche Situation begeben, sollten sie besser so seine Empfehlung - die reine Schriftform wahren. Die Verbindung des Konsultationsverfahrens mit anderen Verfahren stellte der Refe- 2

3 rent zunächst für das Interessenausgleichsverfahren dar. Soweit die gegenüber dem Betriebsrat bestehenden Pflichten aus 111 BetrVG mit denen aus 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG übereinstimmen würden, könne der Arbeitgeber sie gleichzeitig erfüllen (BAG 21.3.2012-6 AZR 596/10). Dabei müsse er hinreichend klarstellen, dass und welche Verfahren gleichzeitig durchgeführt werden sollten (BAG 20.9.2012 6 AZR 155/11 Rn. 46, 47). Dies gelte auch für die Verbindung mit der Anhörung gem. 102 Abs. 1 BetrVG. Insoweit habe das BAG im Urteil vom 21.3.2013 (2 AZR 60/12 Rn. 16) Bedenken gegenüber einer Verbindung der Verfahren geäußert. Derartige Zweifel ergäben sich daraus, dass die dem Betriebsrat im Rahmen des 102 BetrVG mitzuteilenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung während der Konsultation i.d.r. noch nicht hinreichend feststünden. Außerdem dokumentiere der Arbeitgeber mit einer derartigen Verbindung, dass das Konsultationsverfahren pro forma durchgeführt werde, weil die unternehmerische Entscheidung bereits getroffen sei. Dem Arbeitgeber sei anzuraten, den Betriebsrat nicht schon parallel zu der Unterrichtung nach 17 II KSchG auch nach 102 BetrVG zu den beabsichtigten Kündigungen anzuhören. Zudem könne eine Anhörung gem. 102 BetrVG mit dem Konsultationsverfahren gem. 17 Abs. 2 KSchG dann nicht verbunden werden, wenn für das Konsultationsverfahren der Gesamtbetriebsrat zuständig sei. Bei personellen Einzelmaßnahmen sei eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht begründet. Die Anhörung gem. 102 Abs. 1 BetrVG müsse dann gegenüber dem örtlichen Betriebsrat erfolgen. Bisher habe das BAG offen gelassen, ob die Konsultationen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat vor Anzeige der Massenentlassungen abgeschlossen sein müssten. Erklärte der Betriebsrat das Konsultationsverfahren vor Ablauf von zwei Wochen nach seiner Unterrichtung für abgeschlossen, stehe der Massenentlassungsanzeige das Erfordernis rechtzeitiger Unterrichtung nicht entgegen (BAG 13.12.2012 6 AZR 5/12). Die Frage, ob ein erneutes Konsultationsverfahren bei erneuter Kündigung erforderlich sei, werde in Urteilen des LAG Baden-Württemberg (18.3.2014-4 Sa 12/14 und LAG Rheinland-Pfalz 20.2.2014 2 Sa 119/13) behandelt und teils unterschiedlich gesehen. Pakirnus wies darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des EuGH das Konsultationsverfahren nicht auf die potentielle Verhinderung von Kündigungen beschränkt sei, sondern auch dem Ziel diene, eine Milderung der Folgen von Kündigungen für die Arbeitnehmer in Verhandlungen der Betriebsparteien zu ermöglichen (so auch BAG 21. März 2013 2 AZR 60/12). Die tatsächlichen Voraussetzungen für Milderungen könnten sich auch innerhalb des 30-Tage-Zeitraums sehr kurzfristig ändern, was der Betriebsrat zum Anlass nehmen könne, neue Maßnahmen zu Gunsten der zur Kündigung anstehenden Arbeitnehmer zu fordern. Diese Möglichkeit würde ihm genommen, wenn es keiner erneuten Konsultation bedürfte. 3

4 Die zeitliche Streckung der Durchführung einer einheitlichen Betriebsänderung durch das Auseinanderfallen von Terminen des Kündigungsausspruchs sei davon zu unterscheiden; sie mache kein erneutes Konsultationsverfahren, sondern ggf. eine zeitlich abgestimmte Massenentlassungsanzeige notwendig. Den Schwerpunkt bildeten die Ausführungen des Referenten zu den Anforderungen an den Parteivortrag bezüglich des Konsultationsverfahrens. Im Urteil vom 20.9.2012 (6 AZR 155/11) habe das BAG einerseits ausgeführt, die Erklärung im Interessenausgleich, das Konsultationsverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden, genüge nicht. Andererseits habe das BAG dort keine darüber hinausgehende Feststellung der Erfüllung der Konsultationspflicht getroffen. Dies sei lediglich vor dem tatsächlichen Hintergrund zu verstehen, dass im entschiedenen Fall Einzelheiten des Konsultationsverfahrens nicht bestritten gewesen wären. Die Anforderungen seien im Urteil des BAG vom 18.1.2012 (6 AZR 407/10) näher aufgezeigt worden. Der Arbeitnehmer sei darlegungs- und ggf. beweispflichtig für die tatsächlichen Voraussetzungen der Anzeigepflicht nach 17 KSchG. Stehe diese fest, habe der Arbeitgeber auf die konkrete Rüge des Arbeitnehmers die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens nach 17 KSchG darzulegen und zu beweisen. Insoweit gelte nichts anderes als für die Anhörung des Betriebsrats nach 102 BetrVG im Rahmen eines Interessenausgleichsverfahrens. Pakirnus vertrat die Ansicht, schon ein Bestreiten der ordnungsgemäßen Durchführung des Konsultationsverfahrens löse die Pflicht des Arbeitgebers zu substantiierter Darlegung des gesamten Ablaufs und Inhalts des Konsultationsverfahrens aus. Erst auf detaillierten Vortrag des Arbeitgebers zum Ablauf und Inhalt des Verfahrens wären Arbeitnehmer überhaupt in der Lage, eine konkrete, Detailfragen betreffende Rüge zu erheben. Die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast seien so anzuwenden wie bei der als vergleichbar angesprochenen Betriebsratsanhörung. Dem Arbeitnehmer, der sicher gehen wolle, sei bei der auf das Konsultationsverfahren bezogenen Rüge zu empfehlen, sämtliche Verfahrensschritte und Pflichten des Arbeitgebers vollständig aufzulisten und jeweils deren ordnungsgemäße Erfüllung zu bestreiten. Sodann stellte der Referent die sich aus dem Urteil des BAG vom 13.12.2012 (6 AZR 5/12) herzuleitende Grundsätze dar. Danach richteten sich die konkreten Anforderungen an den erforderlichen Vortrag nach den allgemeinen Regelungen zur Verteilung der Erklärungslast gemäß 138 Abs. 2 ZPO. Trage der Arbeitgeber ohne Rüge des Arbeitnehmers zu dem von ihm durchgeführten Verfahren nach 17 KSchG vor und sei daraus eindeutig ersichtlich, dass den Anforderungen des 17 KSchG nicht genügt sei, habe das Gericht nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln unabhängig von einer ausdrücklichen Rüge des Arbeitnehmers derartige Unwirksamkeitsgründe von Amts wegen zu berücksichtigen. 4

5 Dies gelte auch, wenn sich solche Unwirksamkeitsgründe aus vom Arbeitgeber in das Verfahren eingeführten Unterlagen eindeutig ergäben. Wenn aus dem Sachvortrag der Parteien ersichtlich sei, dass die Kündigung unter einem vom Streitgegenstand der Kündigungsschutzklage erfassten rechtlichen Gesichtspunkt unwirksam sei, müsse sich der Arbeitnehmer nicht ausdrücklich darauf berufen. Die Abstufung der Darlegungs- und Beweislast könne wie folgt zusammengefasst werden: 1. Behaupte der Arbeitnehmer eine anzeigepflichtige Massenentlassung und trage der Arbeitgeber pauschal vor, die Konsultationspflicht sei ordnungsgemäß erfüllt, ohne dass der Arbeitnehmer dies bestreite, könne ohne weitere Darlegungen von einem ordnungsgemäßen Konsultationsverfahren ausgegangen werden. 2. Sei das Vorliegen einer anzeigepflichtigen Massenentlassung streitig, trage der Arbeitnehmer für ihr Vorliegen die Darlegungs- und Beweislast. 3. Bestreite der Arbeitnehmer die ordnungsgemäße Erfüllung der Konsultationspflicht, ggf. auch nur mit Nichtwissen, habe der Arbeitgeber vollständig und detailliert den Ablauf und Inhalt des Konsultationsverfahrens darzulegen. 4. Bestreite der Arbeitnehmer den vorgenannten Vortrag des Arbeitgebers nicht, könne ohne weitere Darlegungen von einem ordnungsgemäßen Konsultationsverfahren ausgegangen werden. 5. Bestreite jedoch der Arbeitnehmer den vorgenannten Vortrag hinsichtlich eines oder mehrerer Punkte, so sei der Arbeitgeber für seine Behauptungen beweisbelastet und ggf. durch Beweisaufnahme die Richtigkeit seiner Behauptungen zu klären. Sodann sprach Pakirnus das Konsultationsverfahren als Wirksamkeitserfordernis einer im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochenen Kündigung an. Sei zuvor kein Konsultationsverfahren nach 17 Abs. 2 KSchG durchgeführt worden, sei eine im Rahmen einer Massenentlassung ausgesprochene Kündigung unabhängig von dem Erfordernis einer ordnungsgemäßen Anzeige bei der Agentur für Arbeit nach 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot i. S. von 134 BGB rechtsunwirksam, so das Urteil des BAG vom 21. März 2013 (2 AZR 60/12). Schließlich legte der Referent dar, dass eine Entscheidung der Agentur für Arbeit über eine Abkürzung oder Verlängerung der Sperrfrist einer Überprüfung der Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige durch die Gerichte für Arbeitssachen nicht entgegen stehe. Die Bindungswirkung eines solchen Bescheids umfasse nur seinen eigentlichen Inhalt, der in der Festsetzung der Dauer der Sperrfrist liege, jedoch nicht die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige (BAG 20.9.2012 6 AZR 155/11). 5

6 Dem zufolge könne ein Bescheid der Arbeitsagentur der Prüfung und Feststellung von Fehlern auch des Konsultationsverfahrens nicht entgegenstehen. Dem Vortrag schloss sich eine rege Diskussion an, die teils noch bei dem anschließenden, geselligen Austausch fortgesetzt wurde. Dr. Holger Schrade Präsident des Landesarbeitsgerichts, Hamm 6