Thrombose. Aktuelle Leitlinien und Therapiestrategien 2015. Christoph Feldmann 10. Juni 2015



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Transkript:

Thrombose Aktuelle Leitlinien und Therapiestrategien 2015 Christoph Feldmann 10. Juni 2015

* 1986 OP am Sprunggelenk vor 6 Wochen Mobilisiert in Schiene In der Nacht plötzlich Luftnot und Vernichtungsgefühl

* 1969 weiblich Flug nach Russland Nikotin, Pille Z.n. Varizenstripping li BMI 36,4 kg/m 2 Geschwollenes schmerzhaftes livides Bein rechts

S2 Leitlinie 06/2010 (06/2015)

Epidemiologie jährlichen Inzidenz von etwa 1 pro 1000 Erwachsene. > 70 Jahre 1-2 pro 100 Erwachsene 2/3 der thrombembolischen Ereignisse manifestieren sich als TVT und 1/3 als Lungenembolie. postthrombotischem Syndrom und eine VTE erhöht die Mortalität (ca 1,2 Mio) höchste Mortalitätsraten bei Krebspatienten. o o o o Tumoren aktivieren die Gerinnung, der Tumor kann Venen komprimieren und so eine venöse Stase induzieren. Immobilisierung bei Krankenhausaufenthalt, Operationen und Chemotherapie. In verschiedenen Studien ergab sich bereits in den ersten 6 Monaten nach Diagnosestellung Thromboembolie-Inzidenz von > 15 pro 1000.

Spätfolgen Progredienz der TVT Phlegmasia caerulea dolens Lungenembolie, CTEPH Langfristige Gewebeschädigung, insbesondere am Unterschenkel Postthrombotisches Syndrom o nach distaler TVT bei 33% o nach proximaler TVT bei 50% Kahn SR: Post-thrombotic syndrome after deep venous thrombosis: risk factors, prevention, and therapeutic options. Clin Adv Hematol Oncol 2009;7:433-435.

Chronisch venöse Insuffizienz Obstruktion Reflux Venöse Hypertonie Microvasculäre Pathologie Beinschmerzen/-schwellung, Ulceration

Obstruktion als Ursache häufiger Venenerkrankungen Akute Thrombose 37-80%1,2 Varikosis 18%3 PosRhrombotisches Venöse Ulcera 60%5 Syndrom 80%4 1. 2. 3. 4. 5. Narayan A, Eng J, et al. Iliac Vein Compression as Risk Factor for Left- versus Right- Sided Deep Venous Thrombosis: Case- Control Study. Radiology 2012 Dec;265(3): 949-957. Chung JW, Yoon CJ, et al. Acute iliofemoral deep vein thrombosis: evaluation of underlying anatomic abnormalities by spiral CT venography. J Vasc Interv Radiol. 2004 Mar;15(3):249-56. Ananikian PP, Nanian AM, Galstian SM, Pogoisan BS. Clinical aspects, diagnosis and treatment of varicose veins of the lower limbs associated with extravasal compression of the external iliac vein. Kardiologiia. 1984 Feb;24(2):97-100. Marston W, Fish D, Unger J, Keagy B. Incidence of and risk factors for iliocaval venous obstruction in patients with active or healed venous leg ulcers. J Vasc Surg. 2011;53:1303-1308. Johnson B, Manzo RA, Bergelin RO, Strandness DE Jr.. Relationship between changes in the deep venous system and the development of the posrhrombotic syndrome after an acute episode of lower limb deep vein thrombosis: A one- to six- year follow- up. J Vasc Surg. 1995;21:307-313.

Lungenembolie Todesfälle in der EU 2004 540.000 10% aller Todesfälle 100.000 (98.240) in Deutschland Kardiovaskulärer Notfall mit hoher Morbidität und Letalität In der Akutphase (1. Stunde) Letalität 7-11% Gesamtmortalität bis 25% Folgeerkrankung: pulmonale Hypertonie Cohen AT, Agnelli G, Anderson FA, et al. Venous thromboembolism (VTE) in Europe. The number of VTE events and associated morbidity and mortality. Thromb Haemost. 2007 Oct;98(4):756-64. Baglin T. Venous thromboembolism in hospitalised patients: a public health crisis? Br J Haematol. 2008 Jun; 141(6):764-70.

April 28 2015

Diagnostik Anamnese und Untersuchung Labor: D-Dimere Bildgebung: Sonographie, Phlebographie, CT/MRT

Diagnostik Anamnese und Untersuchung Klinische Zeichen: Payr, Homans... o Sensitivität von 0-20%, relativ hohe Spezifität Klinische Wahrscheinlichkeit Labor: D-Dimere Bildgebung: Sonographie, Phlebographie, CT/MRT

Wells- Score > 30% < 6%

Risikofaktoren Hypofibrinolyse relatives Risiko von 1.9 oralen Kontrazeptiva von 2.6. beide Risikofaktoren relatives Risiko von 21.8!

Diagnostik Anamnese und Untersuchung Labor: D-Dimere Bildgebung: Sonographie, Phlebographie, CT/MRT

D- Dimere Fibrinfragmente durch Abbau von Fibrin durch Plasmin Bestimmung ELISA Sensitivität > 95% Spezifität 40% Hoher negativer prädiktiver Wert

D- Dimere Prädiktiver Wert: 4 Wochen nach 3-6 monatiger Antikoagulation Etwa 15% der Patienten erhöhte D-Dimere auf -> höheres Rezidivrisiko Elias A. Thromb Haemost 2003;89:221-227.

Diagnostischer Algorithmus

Diagnostik Anamnese und Untersuchung Labor: D-Dimere Bildgebung: Sonographie, Phlebographie, CT/MRT

Kompressionssonographie Kompressionssonographie Methode der Wahl als primäre Bildgebung zum Nachweis und Ausschluss Vorausseiung: erfahrener Untersucher Hochauflösende Geräte Einschränkungen der Aussagekraft bei Ödemen, Hämatomen, Schmerzen, Wunden, Narben Adipösen, unbeweglichen oder unkooperativen Patienten in der Schwangerschaft

Untersuchung Alternativen 1. Vollständige Untersuchung bei Erstvorstellung 2. Nur Oberschenkel, Nachuntersuchung nach 4-7 Tagen

Sensitivität Sensitivität und Spezifität im Vergleich mit Phlebographie Proximale Strombahn (bis einschließlich popliteal) Sensitivität 95% Spezifität 94% Distale Strombahn geringere Werte Retrospektive Untersuchungen 3 Monate nach neg. Kompressionssonographie: Fehlerquote 0,5%

Ursachenforschung Bei idiopathischer TVT Abklärung auf zugrunde liegendes Malignom, altersabhängig ab der 5. Lebensdekade Bei akuter ilio-femoraler (deszendierender) TVT Abklärung einer lokalen Ursache, wie z.b. Tumoren oder bei v.a. jüngeren Frauen eine anatomische Variante oder Fehlanlage der VCI.

Ursachenforschung

Therapie Therapie Ziel: Lungenembolie und pos1hrombo4sches Syndrom verhindern, Besei4gung der akuten Symptoma4k An4koagula4on soll sofort begonnen werden, bevorzugt mit NMH oder Fondaparinux Unfrak4oniertes Heparin bei Schwerer Niereninsuffizienz (GFR < 30ml/min) Rekanalisierenden Maßnahmen Thrombus- besei4gende Maßnahmen bei jüngeren Pa4enten mit ausgedehnter ilio- femoraler Thrombose und kurzer Anamnese

Art der Antikoagulation Heparintherapie über mindestens 5 Tage Ab Tag 1 oder 2 orale An4koagula4on Heparin erst absetzen wenn INR > 2,0 Ziel- INR 2 3 DOAK (NOAK) wurden noch nicht erwähnt in dieser LL, sind aber inzwischen zugelassen

ORAL PARENTERAL TTP889 X TF/VIIa IX TFPI (tifacogin) Rivaroxaban Apixaban YM150 Edoxaban Betrixaban LY517717 Dabigatran Ximelagatran IXa VIIIa Va Xa II IIa AT APC (drotrecogin alfa) stm (ART- 123) Fondaparinux Idrabiotaparinux DX- 9065a Otamixaban Fibrinogen Fibrin APC = Activated protein C; stm = Soluble thrombomodulin; TFPI = Tissue factor pathway inhibitor. Adapted from Weitz JI, Bates SM. J Thromb Haemost. 2005;3:1843-1853. 32

Indikationen - Zulassung Pradaxa Xarelto Eliquis Lixiana (Dabigatran) (Rivaroxaban) (Apixaban) (Edoxaban) Hüft/Knie-TEP ü ü ü ü nur in Japan Vorhofflimmern ü ü ü VTE ü ü ü ACS ü

Dauer der Antikoagulation distale VT sekundäre* VTE idiopathische VTE 3 Monate langdauernd * OP, Trauma, Immobilisation, Schwangerschaft, Wochenbett, Einnahme weiblicher Hormone, lange Reise 9th ACCP Consensus Conference on Antithrombotic Therapy; Kearon, Chest 2012 AWMF online, 6/2010

Dauer der Antikoagulation

Rezidivrisiko nach venöser Thromboembolie Dauer der Antikoagulation 6 12 18 months Boutitie, BMJ 2011

Rezidivrisiko hrp://cemsiis.meduniwien.ac.at/en/kb/science- research/software/clinical- software/recurrent- vte/#calc- params

Interventionelle Therapie Thrombus mechanisch zerkleinern Lokal lysieren oder Rotationsektomieren Stent (bei May-Turner-Syndrom oder VCI- Hypoplasie)

Kompressionstherapie Ziel: Schwere und Häufigkeit des PTS reduzieren Druck mit 30-40mmHg Verband nach Fischer Kompressionsstrumpf Klasse II So früh wie möglich beginnen Dauer abhg. von Kontrolluntersuchungen (z.b. nach 3, 6 und 12 Monaten)

Immobilisierung Nein! Nur zur Linderung starker Schmerzen oder bei Begleiterkrankungen Thrombusaspekt ohne Belang floierend, wandanhajend, okkludierend Ausdehnung ohne Belang Proximal oder distal ohne Belang Ambulante Versorgung möglich!