Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss



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Transkript:

Berlin, im Juni 2012 Stellungnahme Nr. 49/2012 www.anwaltverein.de Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Strafrechtsausschuss zum Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung der jugendgerichtlichen Handlungsmöglichkeiten (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, Drucksache 17/9389 vom 24.04.2012) Mitglieder des Ausschusses: Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Berlin (Vorsitzender) Rechtsanwalt Dr. h. c. Rüdiger Deckers, Düsseldorf Rechtsanwältin Dr. Margarete Gräfin von Galen, Berlin Rechtsanwältin Dr. Gina Greeve, Frankfurt am Main Rechtsanwalt Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt am Main Rechtsanwalt Eberhard Kempf, Frankfurt am Main Rechtsanwältin Gül Pinar, Hamburg Rechtsanwalt Michael Rosenthal, Karlsruhe Rechtsanwalt Martin Rubbert, Berlin (Berichterstatter) Rechtsanwältin Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam Rechtsanwalt Dr. Rainer Spatscheck, München Rechtsanwalt Dr. Gerson Trüg, Freiburg im Breisgau (Berichterstatter) Zuständig in der DAV-Geschäftsführung: Rechtsanwältin Tanja Brexl, DAV-Berlin

2 Verteiler: Bundesministerium des Innern Bundesministerium der Justiz Rechtsausschuss, Innenausschuss des Deutschen Bundestages Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, Siegfried Kauder Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, Wolfgang Bosbach Landesjustizministerien Rechts- und Innenausschüsse der Landtage Bundesgerichtshof Bundesanwaltschaft Vorstand des Deutschen Anwaltvereins Landesverbände des Deutschen Anwaltvereins Vorsitzende der Gesetzgebungsausschüsse des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins Geschäftsführender Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer Vorsitzende des Strafrechtsausschusses des KAV, BAV Vorsitzende des FORUM Junge Anwaltschaft des DAV Deutscher Strafverteidiger e. V., Herr Mirko Roßkamp Regionale Strafverteidigervereinigungen Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen und -initiativen Arbeitskreise Recht der im Bundestag vertretenen Parteien Deutscher Richterbund Strafverteidiger-Forum (StraFo) Neue Zeitschrift für Strafrecht, NStZ Strafverteidiger Prof. Dr. Jürgen Wolter, Universität Mannheim ver.di, Bereich Recht und Rechtspolitik Deutscher Juristentag (Präsident und Generalsekretär) Prof. Dr. Schöch, LMU München

3 Der Deutsche Anwaltverein (DAV) ist der freiwillige Zusammenschluss der deutschen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Der DAV mit derzeit ca. 67.000 Mitgliedern vertritt die Interessen der deutschen Anwaltschaft auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. A. Problemaufriss Der vorbezeichneten Gesetzesentwurf stellt zunächst zutreffend dar, dass die Gesamtzahl der als Tatverdächtige registrierten Jugendlichen und Heranwachsenden in den letzten zehn Jahren gesunken ist. Gleichwohl sehen die Regierungsfraktionen Handlungsbedarf mit Blick auf die jugendgerichtlichen Sanktionsmöglichkeiten in dreierlei Hinsicht: - Eine gesetzliche Regelung zur Verhängung eines Jugendarrests neben einer zur Bewährung ausgesetzten Jugendstrafe, - die Anhebung des Höchtsmaßes einer Jugendstrafe gegen Heranwachsende in Fällen besonders grausamer oder anderer besonders schwerer Mordverbrechen von 10 auf 15 Jahre sowie - die gesetzliche Regelung des bisher in der jugendgerichtlichen Praxis flächendeckend angewandten Instituts der sog. Vorbewährung. Diese Stellungnahme des Strafrechtsausschusses des DAV greift die beiden erstgenannten Punkte auf: I. Zum Warnschuss Arrest bzw. Einstiegsarrest Die in der kriminalpolitischen Diskussion als Warnschussarrest (short sharp shock bzw. taste of prison) bereits seit Jahren geforderte Kombination von Jugendarrest mit der Aussetzung der Vollstreckung ( 21 JGG) bzw. der Verhängung ( 27 JGG) von Jugendstrafe oder auch mit dem Institut der Vorbewährung wird nunmehr erneut aufgegriffen.

4 Das jugendstrafrechtliche Schrifttum hat sich ebenfalls bereits seit Jahren ganz überwiegend kritisch bis ablehnend gegen einen solchen Einstiegsarrest ausgesprochen. Der Gesetzgeber legt nunmehr einen zwar regelungstechnisch (Implementierung eines neuen 16a JGG-E) neuen Vorschlag auf den Tisch, stützt sich in der Begründung aber auf die bekannten Argumente. Das bisherige sog. Koppelungsverbot in 8 Abs. 2 Satz 1 JGG wird dahingehend eingeschränkt, dass unter den Voraussetzungen des 16a JGG-E neben der Verhängung einer Jugendstrafe oder der Aussetzung ihrer Verhängung auch Jugendarrest angeordnet werden kann. 16a JGG-E normiert hinsichtlich der Verhängung von Jugendarrest neben Jugendstrafe (wie gesagt in Form des 21 JGG und auch des 27 JGG) drei Fallgruppen: - Jugendarrest muss geboten sein, um dem Jugendlichen seine Verantwortlichkeit für das begangene Unrecht und die Folgen weiterer Straftaten zu verdeutlichen (Verdeutlichungsaspekt); - Jugendarrest muss geboten sein, um den Jugendlichen zunächst für eine begrenzte Zeit aus einem Lebensumfeld mit schädlichen Einflüssen herauszunehmen und durch die Behandlung im Vollzug des Jugendarrests auf die Bewährungszeit vorzubereiten (wohl im Zusammenhang mit zuvor festgestellten schädlichen Neigungen); - Jugendarrest muss geboten sein, um in dessen Vollzug eine nachdrücklichere erzieherische Einwirkung auf den Jugendlichen zu erreichen (Erziehungsaspekt). Jugendarrest wegen des Verdeutlichungsaspekts (Abs. 1 Nr. 1) soll in der Regel nicht geboten sein, wenn der Jugendliche bereits früher Jugendarrest als Dauerarrest verbüßt oder sich nicht nur kurzfristig im Vollzug von Untersuchungshaft befunden hat. Der Warnschussarrest soll dazu beitragen zu verhindern, dass junge Verurteilte die Aussetzung als Freispruch zweiter Klasse empfinden, insbesondere wenn Mitverurteilte mit geringerem Tatbeitrag ihrerseits einen Jugendarrest zu verbüßen hätten (sog. Komplizenargument).

5 Zur kritischen Würdigung: Ausgangspunkt einer Würdigung dieses Gesetzesvorhabens ist die bereits bestehende Sanktionsvielfalt des JGG und die dadurch mögliche differenzierte und die Umstände des Einzelfalles berücksichtigende Reaktion auf Jugendstraftaten und auf die Jugendlichen selbst. Der Einstiegsarrest betrifft in Kombination mit bedingter Jugendstrafe offensichtlich gewichtige Jugendkriminalität, d.h. jugendliche Straftäter, bei denen schädliche Neigungen vorliegen bzw. nach 27 JGG vorliegen können und/oder Fälle schwerer Schuld, bei denen jedoch jeweils noch eine positive Legalprognose gestellt bzw. dies im Falle der Vorbewährung nicht ausgeschlossen werden kann. Es fragt sich bei dieser Personengruppe, ob darunter Jugendliche sind, bei denen Bewährungsauflagen und/oder -weisungen nach dem geltenden Recht keinen ausreichenden Erfolg versprechen, sondern statt dessen Einstiegsarrest erforderlich ist. Insoweit leidet der Gesetzentwurf an zwei Fehlvorstellungen: Zum einen wird das Wesen von bedingter Jugendstrafe verkannt bzw. nicht hinreichend zur Kenntnis genommen, zum anderen wird der Charakter von Weisungen und insbesondere von Auflagen nach der aktuellen Gesetzeslage nicht hinreichend gewürdigt. Es ist gerade Aufgabe der Jugendgerichte, die Sanktion Jugendstrafe auf Bewährung in Kombination mit Auflagen und Weisungen zu verdeutlichen und darauf hinzuweisen, dass Jugendstrafe, vollstreckt oder nicht, die einzige echte Kriminalstrafe des Jugendstrafrechts, und damit alles andere als ein Freispruch zweiter Klasse ist. Selbst wenn jedoch eine (sei es auch nur sehr kleine) Zielgruppe von Jugendlichen verbliebe, bei denen flankierende Maßnahmen in Form von Auflagen und Weisungen von vorne herein aussichtslos erscheinen, um dem Jugendlichen den Ernst der Lage zu vermitteln, gerade dies aber durch Jugendarrest gelingen soll, bliebe die durch den Gesetzgeber zu klärende Frage im Raume, wie sich gewährleisten lässt, dass ein in Ausnahmefällen für sinnvoll gehaltenes Instrument gerade auf jene Ausnahmefälle beschränkt bleibt und nicht als eher generelle Koppelungssanktion implementiert wird. Im Klartext bedeutet dies, dass einer möglichen erleichterten Strafaussetzung in Einzelfällen die Gefahr einer extensiven Anwendung des Warnschusses als regelhaft verhängte Annexsanktion zu Bewährungsstrafen gegenüber steht (vgl. auch Verrel/Käufl, NStZ 2008, 177 ff.). Diese Frage klärt der Gesetzentwurf nicht.

6 Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Jugendarrest gem. 16 JGG hinter der unbedingten Jugendstrafe die zweithöchste Rückfallquote aller jugendstrafrechtlichen Sanktionen aufweist (64,1 % - vgl. Jehle/Albrecht/Hohmann-Fricke: Legalbewährung nach strafrechtlichen Sanktionen, 2010, S. 61). Weiter ist der Gesetzgeber auch hier auf die übereinstimmenden Resultate der deutschen und internationalen Generalpräventionsforschung hinzuweisen, wonach die erwartete Sanktionsschwere keinen messbaren Erfolg auf das Legalverhalten hat. Vielmehr wird dieses Legalverhalten bestimmt von der individuellen Einschätzung der Normverbindlichkeit, den informellen Reaktionen im Familien- und Freundeskreis und eher deliktsspezifisch von der angenommenen Entdeckungswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne hat der sog. Sherman Report, eine Sekundäranalyse amerikanischer Präventionsprojekte, namentlich die Kombination von Bewährungsstrafen von anfänglich kurzem Freiheitsentzug als unwirksam entlarvt (www.ncjrs.gov/works/chapter9.htm). Dieses Ergebnis sollte, auch wenn der Vollzug dort in normalen Strafanstalten erfolgte, bedenklich stimmen, statt ein unwirksames Institut wie den Einstiegsarrest in das deutsche Jugendstrafrecht zu implementieren. Schließlich ist auf das sog. Komplizenargument einzugehen. Soweit im vorliegenden Gesetzesentwurf insoweit eine Gerechtigkeitslücke ausgemacht wird, basiert auch diese auf einem Missverstehen der Sanktion der bedingten Jugendstrafe, ferner ist die unterschiedliche Sanktionierung eine systemkonforme und damit durchaus gewollte Kompetenz des spezialpräventiv ausgerichteten Jugendstrafrechts (vgl. insoweit bereits Schumann, ZRP 1984, 319 (323)). Im Jugendstrafrecht erfolgt mit Ausnahme der Jugendstrafe wegen der Schwere der Schuld die Sanktionsauswahl nach erzieherischer Zweckmäßigkeit, strebt also anders als im allgemeinen Strafrecht keinen tatproportionalen Schuldausgleich an. Die Einführung des Einstiegsarrests ist daher auch in der jetzt vorgelegten Entwurfsfassung abzulehnen.

7 2. Anhebung des geltenden Höchstmaßes der Jugendstrafe für Heranwachsende 105 Abs. 3 Satz 1 JGG soll folgender Satz angefügt werden: Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre. Die Sanktionswirklichkeit in Bezug auf Heranwachsende ist im Wesentlichen dadurch gekennzeichnet, dass die Einbeziehung vor allem nach Verurteilungsregion und zugrundeliegendem Delikt variiert. Eher leichte Delikte werden wegen der verfahrensökonomischen Vorteile des Strafbefehlsverfahrens oder aufgrund regionaler Unterschiede eher nach allgemeinem Strafrecht abgeurteilt, wohingegen schwerere Delikte vermehrt nach Jugendstrafrecht abgeurteilt werden. Gründe für letztgenannten Umstand sind die größere Sanktionsflexibilität und die Möglichkeit, den Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts zu unterschreiten. Insgesamt werden über 60 % der Heranwachsenden in das Jugendstrafrecht einbezogen. Es mag sein, dass die Verfasser des vorliegenden Gesetzesentwurfs gerade die aufgezeigte Tendenz, dass im Falle schwerer Delikte auf Heranwachsende tendenziell eher Jugendstrafrecht angewendet wird, als störend empfinden. Die Begründung indes (S. 33) hebt hervor, dass und weshalb die Neuregelung auf schwerste Mordverbrechen beschränkt ist. Es werden also nicht alle Mordfälle aus dem allgemeinen Strafrahmen bis zu 10 Jahren herausgenommen (ebenfalls S. 33). In den Jahren 2007-2010 wurden insgesamt jährlich je nach Jahr zwischen 11 bis 17 Heranwachsende wegen Mordes verurteilt. Die jetzige Anhebung des geltenden Höchstmaßes der Jugendstrafe für Heranwachsende betrifft daher nur sehr geringe Fallzahlen. Der Vorschlag der Anhebung auf 15 Jahre bricht mit dem das gesamte Jugendstrafrecht prägenden Prinzip, dass Jugendliche und Heranwachsende soweit auf diese gem. 105 JGG Jugendstrafrecht anzuwenden ist nach spezialpräventiven, nicht nach generalpräventiven Gesichtspunkten abgeurteilt werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass Jugendstrafe gem. 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG wegen der Schwere der Schuld verhängt werden kann. Denn zu beachten ist, dass die Schuldzumessung im Jugendstrafrecht nicht nach denselben Kriterien vorgenommen wird, wie im allgemeinen Strafrecht. Schuldzuschreibung erfolgt hier nicht pauschalierend parallel zum

8 Erfolgsstrafrecht, sondern muss jugendtypische individuelle Schuldfähigkeit berücksichtigen. Und auch wenn Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld in erster Linie dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Schuldausgleich dient, ist zu sehen, dass die Anwendung von Jugendstrafrecht auf den betreffenden Heranwachsenden zeigt, dass entweder eine Reifeverzögerung ( 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG) bzw. eine Jugendverfehlung ( 105 Abs. 1 Nr. 2 JGG) vorliegt. In diesen Konstellationen sollte es bei dem bisherigen Höchstmaß einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren auch bei Mord und einer besonderen Schwere der Schuld bleiben.