I. Einleitung 3. II. Wissenschaftlicher Stand / Medizinische Ergebnisse 4. 1. Empfänger 4 a) Niere 4 b) Leber 4. 2. Spender 5 a) Niere 5 b) Leber 5



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Transkript:

Anlage 1 zu TOP 5.7 der 81. GMK GMK-Arbeitsgruppe Bioethik und Recht Teilbericht Lebendspende - Aktualisierung 2008 Gliederung I. Einleitung 3 II. Wissenschaftlicher Stand / Medizinische Ergebnisse 4 1. Empfänger 4 a) Niere 4 b) Leber 4 2. Spender 5 a) Niere 5 b) Leber 5 3. Grundlagen für die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken für den Spender 6 III. Situation der Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland und international 7 1. Inanspruchnahme 7 2. Organhandel 7 3. Internationale Abkommen 7 IV. Rechtliche ausgewählter Problemkreise bei der Durchführung der Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland 8 1. Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit 8 2. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen bei nicht regenerierungsfähigen Organen 10 a) Zulässiger Empfängerkreis 10 (1) Offenkundiges Nahestehen in besonderer persönlicher Verbundenheit 10 (2) Verfassungsrechtliche Beurteilung der Einschränkung des Empfängerkreises im 12 Transplantationsgesetz b) Überkreuzspende (sog. Cross-Over-Spende) 13 c) Anonyme Lebendspende 14 3. Subsidiarität der Lebendspende 15 4. Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebendspende 16 a) Freiwilligkeit / Psychische Belastungen im Spender-Empfänger-Verhältnis 16 b) Lebendspendekommission 17 (1) Überblick über die Regelungen zur Lebendspendekommission in den Ländern 17 (2) Prüfung durch die Lebendspendekommission 17 5. Ausländische Spender und Empfänger ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat des 19 Eurotransplant-Verbundes a) Subsidiarität der Lebendspende 19 b) Verpflichtung zur Nachbetreuung 20 c) Überprüfung der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Entscheidung 20

2 6. Strafbarkeit des Organhandels 21 a) Organhandel: 17 TPG 21 (1) Überkreuzspende als Organhandel? 21 (2) Kompensationen für den Spender als Organhandel? 21 b) Strafbarkeit: 18 TPG 22 V. Volkswirtschaftliche 23 1. Kosten von Organtransplantationen nach einer Lebendspende 23 a) Direkter Kostenvergleich 23 b) Ambulante Dialyse 23 c) Stationäre Transplantation 23 d) Kostenvergleich 24 e) Kosten nach Transplantation 24 f) Kosten der Lebertranplantation g) Indirekte Auswirkungen 25 2. Sozialversicherung für den Spender 25 a) Versicherungsschutz des Spenders bei komplikationsloser Organentnahme 25 (1) Krankenbehandlung 25 (2) Verdienstausfall und Fahrkosten 26 b) Versicherungsschutz des Spenders bei Organentnahme mit Komplikationen 26 (1) Gesundheitliche Schädigungen 26 (2) Tod des Spenders 26 c) Versicherungsschutz bei Wegeunfällen 27 3. Weitere Belastungen für den Spender 27 VI. Handlungsempfehlungen 28 1. Lebendspenderegister 28 2. Lebendspendekommission 28 3. Abgrenzung Versicherungsträger 28 Literatur 29

3 I. Einleitung Bei irreversiblem Versagen lebenswichtiger Organe kann die moderne Medizin heute Leben retten. Z.T. können technische Verfahren die Organfunktion übernehmen, wenn möglich, werden Spenderorgane transplantiert. Die Nierenfunktion kann über Jahre durch die Dialyse ersetzt werden. Das Verfahren bringt eigene medizinische Risiken mit sich, schränkt die Lebensqualität ein und ist kostspielig. Die volkswirtschaftliche Bedeutung sowohl der Dialyse als auch der Nierentransplantation wird im folgenden Bericht unter V. behandelt. Die Funktion anderer Organe ist durch technische Geräte bedeutend schwerer zu ersetzen. Mechanische Kreislaufersatz- und -unterstützungspumpen werden zwar erfolgreich zur Überbrückung schwerer Herzinsuffizienzen eingesetzt, eine Dauerversorgung mit einem Kunstherz ist jedoch bisher die Ausnahme. Die Entwicklung der künstlichen Leber befindet sich noch im Experimentalstadium. Ein weiteres Forschungsgebiet ist die Xenotransplantation. Die Nutzung tierischer Organe, insbesondere die von Schweinen, ist noch nicht praxisreif. Die Züchtung von Organen aus menschlichen Stammzellen befindet sich ebenfalls noch im Anfangsstadium und ist speziell bei der Nutzung embryonaler Stammzellen mit ethischen Problemen behaftet. Grundproblem der Transplantationsmedizin ist der Organmangel. Die Zahl der Dialysepatienten in Deutschland beträgt ca. 70.000, etwa 10.000 davon stehen auf der Warteliste für eine Nierentransplantation. Jedoch lediglich zwischen 2.000 und 2.500 Nieren werden pro Jahr nach postmortaler Organspende übertragen. Der Anteil von Unfallopfern unter den Organspendern geht beispielsweise durch moderne Sicherungssysteme zurück. In den Krankenhäusern werden potentielle Organspender oft nicht erkannt oder nicht gemeldet oder die Organspende unterbleibt durch organisatorische Mängel. In den seltensten Fällen liegt eine schriftliche Zustimmung des Verstorbenen vor. Angehörige lehnen die Organspende häufig wegen eigener Vorbehalte ab. Oftmals ist ihnen der Wille des Verstorbenen auch nicht bekannt. Daher hat die Gesundheitsministerkonferenz auf ihrer Sitzung am 17./18. Juni 2004 einen Beschluss gefasst mit dem Ziel, einerseits die Organisation in den Krankenhäusern im Hinblick auf die Organspende und andererseits die Aufklärung der Bevölkerung zu verbessern. Die Schere zwischen dem zur Versorgung von Patienten notwendigen Bedarf an Organen und dem Organangebot wird ständig größer. Eine vollständige Deckung des steigenden Organbedarfs aus postmortalen Spenden erscheint zurzeit unrealistisch. Für das paarige Organ Niere besteht prinzipiell die Möglichkeit der Lebendspende. Auch Teilspenden von Leber, Dünndarm und Lunge sind möglich. Die Lebendspende ist gemäß Transplantationsgesetz nachrangig gegenüber der postmortalen Organspende. Größere Verbreitung hat die Lebendspende von Nieren und Teillebern gefunden. Die rechtliche und ethische Problematik der Lebendspende soll daher im Teilbericht am Beispiel dieser Organe verdeutlicht werden. Dabei wird der hier verwendete Begriff Organ im engeren Sinne verstanden; insbesondere bezieht sich der Bericht daher nicht auf Gewebe, Blut und Knochenmark.

4 II. Wissenschaftlicher Stand / Medizinische Ergebnisse 1. Empfänger a) Niere Nach Nierentransplantation beträgt die 1-Jahres-Überlebensrate aller Patienten heute 97%; die Todesfälle sind dabei hauptsächlich auf kardiovaskuläre Ereignisse und Infektionen zurückzuführen. Nach fünf Jahren leben noch über 85% der Patienten. Ein funktionierendes Nierentransplantat liegt nach einem Jahr bei 90 bis 95% der Fälle nach Lebendspende und bei 85% der Fälle nach Leichenspende vor 1. Für den Erfolg der Nierentransplantation spielt die Gewebeverträglichkeit oder auch HLA-Kompatibilität eine entscheidende Rolle. Der Begriff leitet sich vom Human Leukocyte Antigen ab, da die Oberflächen-Antigene u.a. auf weißen Blutkörperchen lokalisiert sind. Bei kompletter HLA-Übereinstimmung, der so genannten Full-House-Identität (ca. 20% der von Eurotransplant vermittelten Nieren), sind die Ergebnisse am besten 2. Der Anteil der Lebendnierenspenden hat in Deutschland in den letzten Jahren stetig zugenommen und liegt derzeit bei fast 20% aller durchgeführten Nierentransplantationen Im Jahr 2006 sind 522 Nierentransplantationen mit Organen lebender Spender durchgeführt worden. Dies sind fast 20% aller Nierentransplantationen 3. Die erste für Deutschland dokumentierte Lebendnierentransplantation unter Nichtverwandten fand 1986 bei zufällig festgestellter Full-House-Identität statt. Zwischenzeitlich sind zahlreiche Transplantationen auch bei nichtbestehender Übereinstimmung im HLA-System mit gleich guten Ergebnissen durchgeführt worden. Neue Forschungsergebnisse erklären die schlechteren Ergebnisse der Leichenorgantransplantation mit einer immunologischen Aktivierung des Spenderorgans durch den Hirntod, welche zu einer Verschlechterung der Organqualität führt 4. Die Bedeutung der Rolle von HLA-Unterschieden könnte damit zunehmend relativiert werden. Durch eine Nierenlebendspende lässt sich die Zeit der Dialyse verkürzen bzw. die Dialyse gänzlich vermeiden. Dialysepatienten warten durchschnittlich fünf Jahre auf eine Transplantation. Während dieser Zeit haben sie ein höheres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen. Sie leiden weiterhin unter Blutarmut, Osteoporose, Juckreiz und Impotenz. Ein Teil der Dialysepatienten infiziert sich mit Hepatitis B oder C. Eine frühzeitige Nierentransplantation (durch Lebendspende) beeinflusst den Gesundheitszustand daher positiv und erhöht die Chancen für eine langdauernde gute Funktion des implantierten Organs. b) Leber Die 1-Jahres-Überlebensrate von Patienten nach Lebertransplantation liegt heute über 90%; nach 5 Jahren leben noch 86% der Transplantierten 5. Nach einem Jahr funktionieren noch 75% der Transplantate, nach 3 Jahren 66 % 6. Durch die Leberlebendspende kann die Wartezeit verkürzt und der Operationszeitpunkt geplant werden. Der Patient erhält eine gesunde Teilleber, die nur kurze Zeit ischämisch war. Allerdings kann sich die übertragene Lebermasse als zu gering erweisen. Der 1 Tullius u.a. 2 Tullius u.a. 3 Stiftung Lebendspende 4 Pratschke u.a. 5 Müller u.a. 6 RKI - Gesundheitsberichterstattung des Bundes, S. 15

5 Anschluss der Gallenwege ist schwieriger als bei einer kompletten Leichenleber. Der erwachsene Empfänger ist im Falle der Transplantation eines grenzwertigen Lebervolumens durch ein Small-for-Size-Syndrom gefährdet. Dieses Syndrom ist gekennzeichnet durch Hyperbilirubinämie, Aszites und eingeschränkter Syntheseleistung. Weitere postoperative Komplikationen sind meist infektiöser oder operationstechnischer Genese 7. Chancen Empfänger Leber-Lebendspende Verkürzung der Wartezeit/ Abwendung des eigenen Todes Optimal planbare Transplantation Optimale Organqualität Quelle: Walter/Burdelski/Bröring, S. 105 Risiken Empfänger Leber-Lebendspende Spezifische Komplikationen der Teillebertransplantation (gehäuft biliäre Komplikationen) Schuldgefühle bei Komplikationen des Spenders 2. Spender Wesentlich für die allgemeine Akzeptanz der Lebendspende ist ein vertretbares Maß an Risiken für den Spender. a) Niere Wie bei allen Operationen kann es in seltenen Fällen zu Wundinfekten, Harnwegsinfekten, Venenentzündungen, Wundblutungen und vereinzelt zu Lungenembolien kommen. Mit 0,03 bis 0,06% ist das Risiko, durch eine Nierenentnahme zu sterben, sehr gering. Eine Untersuchung in den USA fand 5 Todesfälle auf 19.368 Lebendspenden 8. Als Spätschäden nach Nierenlebendspende muss mit Einschränkungen der Nierenfunktion, mit Bluthochdruck und mit Eiweißausscheidung im Urin gerechnet werden. Mistry-Burchardi u.a. fanden bei 152 Spendern des Universitätsklinikums München nach einer mittleren Beobachtungszeit von 3 Jahren eine durchschnittliche Nierenfunktion von 73% des Ausgangswertes, wobei keine Tendenz zur Verschlechterung festzustellen war. Eine signifikante Proteinurie wurde nicht beobachtet, eine neue Hochdruckerkrankung nur bei 2 von 100 Patienten festgestellt. Narbenbrüche traten in 2% der Fälle, Narbenschmerzen bei 5% der Spender auf. Die Ergebnisse sind mit retrospektiven Untersuchungen in anderen Ländern vergleichbar. Im Schweizerischen Lebendspenderregister wird seit 1993 der Gesundheitszustand der Spender prospektiv erfasst. Die Auswertung stützt die Einschätzung, dass Lebensqualität und Lebenserwartung Gesunder durch eine Nierenspende in der Regel nicht beeinträchtigt werden. Das Risiko, im Laufe des Lebens dialysepflichtig zu werden, entspricht dem der Durchschnittsbevölkerung 9. b) Leber Die am häufigsten auftretenden schwerwiegenden Komplikationen sind biliären Ursprungs (Leckagen, Strikturen) und Infektionen. Bei ca. 5% der Spender tritt ein Galleleck am Resektionsrand der Leber auf. In 9-19% der Fälle gibt es abdominelle Probleme wie Narbenhernien und Passagestörungen des Darms 10. Valide Daten zur Arbeitsunfähigkeit liegen nicht vor. In einem Merkblatt für Spender des Universitätsklinikums Essen wird z.b. von einer Dauer der Arbeitsunfähigkeit von 2 Monaten ausgegangen. Das Mortalitätsrisiko für den Spender wird mit 0,3-1% angegeben 11. 7 Walter/Burdelski/Bröring, S. 106 8 Swiss-Transplant, Broschüre des Lebendspenderegisters 9 Nett u.a. 10 Strassburg, Manns 11 Nett u.a.; Neuhaus, Stellungnahme S. 5 zu Frage 24

6 Nach nun weltweit ca. 6000 Leber-Lebendspenden - alle Formen der Spende einbezogen - sind bis heute zehn frühe und drei späte Todesfälle nach Leber-Lebendspende berichtet worden. Die Letalität nach linkslateraler Spende liegt bei etwa 0,09 % und nach Spende des rechten Leberlappens bei etwa 0,4 bis 0,5 %. Die Gesamtletalität beläuft sich auf 0,2 %. Die Todesursachen nach Lebendspende waren zum einen auf unangemessene Spenderauswahl und zum anderen auf ein zu hohes Resektionsausmaß (bei Erwachsenen) zurückzuführen 12. Die Leberteilspende für Erwachsene ist keine Routineoperation und wird dies voraussichtlich auch nicht werden. 1989 wurde in den USA erstmalig erfolgreich ein linker Leberlappen von einer Mutter auf ihren Sohn übertragen. Für Erwachsene reicht die Masse des linken Leberlappens meist nicht aus. Seit 1997 wird deshalb für erwachsene Empfänger der rechte Leberlappen entnommen. Bis 75% einer gesunden Leber können dem Spender entfernt werden. Beide Leberteile hypertrophieren in der Folge. Die Restleber des Spenders verdoppelt sich etwa in sieben Tagen. Da sich keine neuen Leberzellen bilden, ist die Vergrößerung jedoch nicht mit einer Regeneration gleichzusetzen. Chancen Spender Leber-Lebendspende Überleben des Angehörigen Psychologische Vorteile: aktive Hilfe für die nahestehende Person Keine langfristige Morbidität Quelle: Walter/Burdelski/Bröring, S. 105 Risiken Spender Leber-Lebendspende Sehr niedriges, aber vorhandenes Risiko, am Eingriff oder dessen Folgen zu versterben Postoperative Komplikationen des Eingriffes Empfänger kann trotz Spende versterben oder erneute Transplantation benötigen 3. Grundlagen für die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken für den Spender Da zu Langzeitfolgen der Lebendspende nur wenig bekannt ist, ist die Einschätzung der gesundheitlichen Risiken für den Spender mit Unsicherheiten behaftet. Bisherige Studien umfassen in der Regel nur kleine Fallzahlen und selten mehr als den Zeitraum von einem Jahr nach Durchführung der Lebendspende. Zudem ist z.b. die Leberlebendspende ein recht junges Verfahren, so dass schon aus diesem Grund kaum Langzeiterkenntnisse vorliegen 13. Gemäß 11 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 TPG sind die Transplantationszentren zwar verpflichtet, die durch die Organspende bedingten gesundheitlichen Risiken für die Spender im Rahmen der Nachbetreuung zu dokumentieren. Häufig findet jedoch die Nachbetreuung der Spender nicht im Transplantationszentrum statt, so dass dieses der Berichtspflicht tatsächlich nicht nachkommen kann. Die Funktionsrate des Organs nach Lebendspende ist wesentlich höher als bei postmortalen Spenden, bedingt durch die umfangreichen Voruntersuchungen und kürzeren Ischämiezeiten nach Organentnahme. Diese positive Entwicklung in der Transplantationsmedizin hat nicht nur volkswirtschaftliche Bedeutung, sondern verbessert vor allem die Lebensqualität der Empfänger. Auf der anderen Seite fehlen aber ausreichend gesicherte Erkenntnisse über die gesundheitlichen Risiken für den Spender. Eine Dokumentation über Lebendspenden ist unbedingt notwendig. Allerdings scheint die Berichtspflicht der Transplantationszentren dafür nicht das geeignete Mittel zu sein. Es sollte daher geprüft werden, ob und wie der rechtliche Rahmen für die Einführung eines bundesweiten Lebendspenderegisters, finanziert durch die Krankenkassen, ausgestaltet werden könnte. In dem Register könnten Komplikationen und Beeinträchtigungen im Langzeitverlauf erfasst und anonym ausgewertet werden 14. 12 Walter/Burdelski/Bröring, S. 104 13 Enquête-Kommission, S. 15 f. 14 vgl. im Einzelnen dazu Enquête-Kommission, S. 54-57

7 III. Situation der Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland und international 1. Inanspruchnahme Der Anteil der transplantierten Organe aus Lebendspenden ist in Deutschland deutlich angestiegen. Er betrug für Nieren 1993 2,7%, 1998 14,7%, 2002 19,1 %, 2003 16,1%, 2004 19,7%, 2005 19,2% und 2006 18,8% 15. Die Lebendspende (von Nieren) spielt im Vergleich zu Deutschland weltweit eine größere Rolle. So wurden im Jahr 1996 in den USA 25%, in Norwegen sogar 50% aller Transplantationen mit Organen von lebenden Spendern durchgeführt 16. In Norwegen ist es aufgrund der geographischen Besonderheiten schwierig, sowohl die chronische Dialyse als auch die postmortale Organspende zu organisieren. Daher waren Lebendspenden von Anfang an integraler Bestandteil eines 1969 aufgelegten Nierentransplantationsprogramms. Es ist zu vermuten, dass gerade die konsequente Propagierung der Lebendspende und das Fehlen von Alternativen zu einer breiten Akzeptanz der Lebendspende geführt haben. 1998 fanden in Norwegen 17,6 Lebendnierenspenden pro 1.000.000 Einwohner statt, in Deutschland waren es 4,3 17. Bei 11,2% aller Lebertransplantationen wurde im Jahr 2002 eine Teilleber (Lebendspende) übertragen 18. 2003 waren es nur 8,7%, 2004 7,3%, 2005 8,0% und 2006 7,8% 19. 2. Organhandel Mangel an Spenderorganen in Westeuropa und die Armut z.b. in Teilen Osteuropas, in Indien und anderen Ländern sind die Hauptgründe für Organhandel, der in Deutschland ausdrücklich gesetzlich verboten und weltweit geächtet ist. Ein Handel mit Leichenorganen (im engeren Sinne, s. oben I.), wie er gelegentlich in Filmen dargestellt und von vielen Menschen für realistisch gehalten wird, erscheint in Deutschland aufgrund der Gesetzeslage unwahrscheinlich. Dagegen gab es vereinzelt Medienberichte über die vermutete Beteiligung deutscher Transplantationsmediziner am internationalen Handel mit Lebendspendeorganen. Medizinische Voraussetzung für den Organhandel sind die guten Ergebnisse von Transplantationen auch unter Nichtverwandten (siehe oben). International tätige Organisationen führen Spender aus armen Regionen der Welt mit zahlungsfähigen Patienten zusammen. Der Hauptanteil der vom Patienten aufzubringenden Summe verbleibt bei der Organisation, die Spender werden mit vergleichsweise geringen Beträgen bezahlt. Eine angemessene medizinische Nachsorge ist in ihren Herkunftsländern meist nicht möglich. Hierauf hat jüngst eine Langzeitstudie zur Situation von Lebendspendern in Indien eindringlich hingewiesen 20. Der Europarat hat sich mit der Problematik des internationalen Organhandels beschäftigt. In einer Stellungnahme hat die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Juni 2003 eindringlich darauf aufmerksam gemacht, dass der internationale Organhandel nicht unterschätzt werden darf 21. 3. Internationale Abkommen Sowohl das Übereinkommen des Europarates über den Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin vom 04.04.1997 (nachfolgend: Biomedizinübereinkommen) als auch das Zusatzprotokoll zu diesem 15 DSO 16 Kirste, Nierentransplantation: Organlebendspende unter Nichtverwandten 17 BZgA 18 Schreiber, Stellungnahme S. 1, I. 19 DSO 20 Nagel/Mayer, Der Chirurg 2003, 530 ff. 21 Rec. (2003) 1611; vgl. auch Enquête-Kommission, S. 68 f

8 Übereinkommen über die Transplantation von Organen und Geweben (nachfolgend: Zusatzprotokoll Organtransplantation) beschäftigen sich mit der Zulässigkeit der Lebendspende. Das Biomedizinabkommen gilt seit 01.12.1999, wurde allerdings nicht von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichnet. Aus diesem Grund scheidet auch eine Unterzeichnung des Zusatzprotokolls, das noch nicht in Kraft ist, aus. Ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten Bestandsaufnahme und Handlungsbedarf hinsichtlich des Übereinkommens zum Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin und seine Zusatzprotokolle (2003) beschäftigt sich ausführlich mit den Änderungen der Rechtslage in Deutschland, die durch eine Unterzeichnung des Biomedizinübereinkommens und des Zusatzprotokolls Organtransplantation erforderlich würden. Hierauf wird in diesem Bericht nicht weiter eingegangen; die Regelungen des Biomedizinübereinkommens und des Zusatzprotokolls werden lediglich in einzelnen Punkten bewertet. IV. Rechtliche ausgewählter Problemkreise bei der Durchführung der Lebendspende in der Bundesrepublik Deutschland Rechtsgrundlage für die Durchführung einer Lebendspende ist das Transplantationsgesetz (TPG). 8 TPG knüpft die Organentnahme bei einem lebenden Menschen an eine Reihe strenger Voraussetzungen. Dies sind insbesondere: - Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit des Spenders (dazu 1.), - Aufklärung und Einwilligung des Spenders, - bei der Entnahme von Organen, die sich nicht wieder bilden können: eine verwandtschaftliche oder andere besondere persönliche Verbundenheit (dazu 2.), - die Subsidiarität der Lebendspende gegenüber einer postmortalen Organspende (dazu 3.), - die Überprüfung der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Spende durch eine unabhängige Kommission (dazu 4.), - die ärztliche Beurteilung, dass der Spender voraussichtlich nicht über das Operationsrisiko hinaus gefährdet oder über die unmittelbaren Folgen der Entnahme hinaus gesundheitlich schwer beeinträchtigt wird, - die Erklärung von Spender und Empfänger, zur Teilnahme an einer ärztlich empfohlenen Nachbetreuung bereit zu sein. Nachfolgend werden außerdem die besonderen Schwierigkeiten, die bei ausländischen Spendern/Empfängern bestehen (dazu 5.) sowie der Organhandel (dazu 6.) erörtert. 1. Einwilligungsfähigkeit und Volljährigkeit Einwilligungsfähigkeit setzt ein Einsichts- und Urteilsvermögen voraus, das es dem Spender ermöglicht, die Bedeutung der Explantation und alle damit verbundenen, möglicherweise lebenslangen Beeinträchtigungen und Gefahren zu überblicken und abzuschätzen. Mit dieser Voraussetzung sollten insbesondere Menschen mit geistiger oder seelischer Behinderung sowie psychisch kranke Menschen grundsätzlich als potentielle Lebendspender ausgeschlossen werden 22. Dies schließt diesen Personenkreis jedoch nicht ausnahmslos von der Möglichkeit einer Lebendspende aus. Besitzt eine Person mit geistiger oder seelischer Behinderung oder ein psychisch kranker Mensch im Einzelfall die individuelle Fähigkeit, die Bedeutung der Organspende und ihre Folgen zu übersehen, so kommt er als Lebendspender in Betracht; auch seine Entscheidung zur Organentnahme ist dann Ausfluss eines selbstbestimmten Abwägungsprozesses. Bleiben dem Arzt in einem solchen Fall - u.u. nach Hinzuziehung 22 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 13/4355 S. 20

9 eines geeigneten Facharztes (z.b. für Psychiatrie) oder eines Psychologen - Zweifel, so muss er von der Einwilligungsunfähigkeit ausgehen 23. Im Hinblick auf die mit der Feststellung der Einwilligungsfähigkeit verbundenen Schwierigkeiten muss die Lebendspende bei geistig oder seelisch behinderten oder psychisch kranken Menschen die absolute Ausnahme bleiben. Wie in den meisten europäischen Ländern muss auch in der Bundesrepublik Deutschland der Lebendspender volljährig sein. Diese zusätzliche Einschränkung dient dem besonderen Schutz Minderjähriger. In der angespannten familiären Situation, die regelmäßig im Hinblick auf eine Lebendspende gegeben ist, besteht bei ihnen in besonderem Maße die Gefahr, dass sie ihre Einsichtsfähigkeit eher überschätzen oder fremdbestimmt werden 24. Vor diesem Hintergrund bietet die Volljährigkeitsgrenze auch für den transplantierenden Arzt Rechtssicherheit, die bei geistig oder seelisch behinderten oder psychisch kranken (erwachsenen) Menschen so nicht geschaffen werden konnte. Eine Einwilligung des Sorgeberechtigten anstelle des Minderjährigen bzw. des Betreuers anstelle des Nichteinwilligungsfähigen ist problematisch: Entscheidungen für einen Minderjährigen oder für einen Betreuten haben sich immer an dessen Wohl zu orientieren 25. Die Explantation dient jedoch nicht dem körperlichen Wohlbefinden des potentiellen Spenders. Allenfalls könnte die Entscheidung des Sorgeberechtigten oder Betreuers unter dem Gesichtspunkt des seelischen Wohlbefindens des Minderjährigen oder des Betreuten zugelassen werden. So könnte angenommen werden, dass es dessen Wohlbefinden dient, wenn der Minderjährige oder der Betreute einem nahen Verwandten mit einer Lebendspende helfen kann. Dabei handelt es sich jedoch nur um Mutmaßungen, auf die eine Entscheidung von solcher Bedeutung für das spätere Leben des Minderjährigen oder des Betreuten nicht gestützt werden darf. Im Übrigen bedürfte die Zulässigkeit einer Vertreterentscheidung in diesem Bereich einer gesetzlichen Regelung. Die Durchführung einer Lebendspende ist eine höchstpersönliche Entscheidung, die nicht von einem Vertreter getroffen werden kann. Nach der vom Bundesverfassungsgericht geprägten Wesentlichkeitslehre müsste eine Durchbrechung dieses Grundsatzes ausdrücklich gesetzlich geregelt sein. Das Transplantationsgesetz enthält aber gerade keine solche Regelung. Die Mehrzahl der europäischen Länder verlangt ebenfalls neben der Volljährigkeit die Einwilligungsfähigkeit des Lebendspenders. Einige Länder sehen allerdings vor, dass Sorgeberechtigte anstelle eines Minderjährigen entscheiden können, z.b. wenn es um eine Spende zwischen Geschwistern geht. Sowohl Art. 20 Abs. 2 Biomedizinübereinkommen als auch Art. 14 Abs. 2 Zusatzprotokoll Organtransplantation lassen ausnahmsweise auch die Entnahme von regenerierungsfähigem Gewebe bei Personen zu, die nicht selbst in die Entnahme einwilligen können. Voraussetzung ist u.a., dass kein anderer geeigneter Spender zur Verfügung steht, dass der Empfänger ein Bruder oder eine Schwester des Spenders ist und dass die Gewebetransplantation lebensrettend für den Empfänger ist. Nach Ziff. 81 und 83 des Erläuternden Berichts zum Zusatzprotokoll Organtransplantation soll Hauptanwendungsfall die Knochenmarkspende eines Minderjährigen sein. Die Knochenmarkspende eines Minderjährigen ist inzwischen in 8a TPG geregelt; hierauf soll jedoch entsprechend den Ausführungen in der Einleitung nicht weiter eingegangen werden. Die Regelung im Transplantationsgesetz, die bei den nicht regenerierungsfähigen Organen (also insbesondere Niere und Leber) keine Entscheidung anstelle eines Minderjährigen oder 23 Esser, Rn. 12-14 24 vgl. Esser, Rn. 18; Gutmann/Schroth, S. 60 25 bei Minderjährigen: 1626, 1627 Satz 1 BGB; bei Betreuten: 1901 Abs. 2 BGB

10 Nichteinwilligungsfähigen zulässt, ist sachgerecht. Mit der Lebendspende ist ein Eingriff in die körperliche Integrität eines Gesunden ohne Heilungsfunktion verbunden; vielmehr gefährdet der Eingriff die Gesundheit des Betroffenen. Es handelt sich daher um eine höchstpersönliche Entscheidung, die nur vom Betroffenen selbst getroffen werden sollte. Die Regelungen im Biomedizinübereinkommen und im Zusatzprotokoll Organtransplantation sind dagegen insofern problematisch, als sich weder die Einschränkung auf Knochenmarkspenden noch auf Minderjährige als Spender dem Text des Übereinkommens entnehmen lässt. Allerdings sollen die Ausnahmen nur für regenerierbares Gewebe gelten. 2. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen bei nicht regenerierungsfähigen Organen Zu den nicht regenerierungsfähigen Organen i.s.d. 8 Abs. 1 S. 2 TPG gehören insbesondere die Nieren, Lungenlappen und Teile der Bauchspeicheldrüse. Entsprechend der medizinischen des Vorgangs nach der Entnahme eines Teils der Leber (s. oben II. 2. b) ist dazu auch die Leber zu zählen 26. a) Zulässiger Empfängerkreis Der Empfängerkreis ist auf Verwandte ersten oder zweiten Grades, Ehegatten, Lebenspartner, Verlobte oder andere Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbundenheit offenkundig nahestehen eingegrenzt. Verwandte ersten Grades sind die Eltern und die Kinder des Spenders; Verwandte zweiten Grades sind die Großeltern, die Geschwister und die Enkel des Spenders ( 1589 S. 3 BGB). Wer Ehegatte ist, bestimmt sich nach 1303 ff. BGB; das Verlöbnis ist in 1297 ff. BGB geregelt. Der Begriff des Lebenspartners bezieht sich auf die eingetragene Lebenspartnerschaft gleichgeschlechtlicher Beziehungen nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz. Schwieriger ist dagegen die Bestimmung der besonderen persönlichen Verbundenheit, aufgrund derer ein Spender dem Empfänger offenkundig nahestehen muss. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, hat der transplantierende Arzt in jedem Einzelfall zu prüfen. (1) Offenkundiges Nahestehen in besonderer persönlicher Verbundenheit (a) Nach der Gesetzesbegründung soll für das Näheverhältnis eine gemeinsame Lebensplanung mit innerer Bindung entscheidend sein 27. Der Gesetzgeber hatte dabei insbesondere die nichteheliche Lebensgemeinschaft im Blick. Daher wird überwiegend ein Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Spender und Empfänger gefordert 28. Diese Sichtweise hat allerdings das Bundessozialgericht in einer Entscheidung von grundlegender Bedeutung als zu eng angesehen 29. Es hat dabei darauf abgestellt, dass es auch bei den in 8 Abs. 1 Satz 2 TPG aufgeführten Verwandtschaftsverhältnissen in der Regel keine gemeinsame Lebensplanung gibt. Entscheidend sei vielmehr der Gesetzeszweck, insbesondere also Organhandel auszuschließen und Unfreiwilligkeit der Spende zu verhindern. Daher müsse es darauf ankommen, ob zwischen Spender und Empfänger eine Beziehung bestehe, die hinreichend intensiv und gefestigt ist, damit das Gesetzesziel erreicht werden kann. Das bedeute, dass auch bei einer Überkreuzspende der konkrete Einzelfall auf das Bestehen einer solchen Beziehung hin geprüft werden müsse; die Überkreuzsituation allein - auch wenn sie ein wichtiger Aspekt sei - reiche nicht aus, um eine 26 so auch Enquête-Kommission, S. 21 27 BT-Drs. 13/4355 S. 20 f. 28 Esser, Rn. 76; Schroth, MedR 1999, 67 29 BSG, Urt. v. 10.12.2003, Az.: B 9 VS 1/01 R, MedR 2004, 330/332 f.

11 besondere persönliche Beziehung zu bejahen 30. Entscheidend sei vielmehr, dass die persönliche Beziehung zwischen Spender und Empfänger so stark ist, dass ihr Fortbestehen über die Operation hinaus erwartet werden könne; die Beziehung müsse grundsätzlich auf Dauer angelegt sein, jedoch spreche allein eine kurze Dauer der Beziehung vor der Transplantation nicht gegen das Vorliegen einer besonderen persönlichen Verbundenheit 31. Das BSG hatte die Sache an das LSG Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen. Jedoch haben die Parteien das Verfahren inzwischen durch Vergleich beendet; die Kriterien der besonderen persönlichen Verbundenheit wuden daher im konkreten Fall nicht geklärt. Lediglich ökonomisch motivierte, rein zweckrationale und erst recht bloß zufällige Verbindungen scheiden nach dem Transplantationsgesetz aus 32. Nicht erforderlich ist jedoch, dass Spender und Empfänger zusammenleben bzw. zusammenwohnen. Ein Näheverhältnis i.s.d. Transplantationsgesetzes liegt nicht vor, wenn die besondere persönliche Verbundenheit nicht zum Organempfänger selbst, sondern zu einer ihm wiederum nahestehenden Person besteht 33. So lehnten z.b. zwei Transplantationszentren die Nierenspende einer Frau, die in einem schwesternähnlichen Verhältnis zur Mutter des Organempfängers stand, zu recht ab. Schließlich wurde die Transplantation dann in einem dritten Transplantationszentrum doch durchgeführt. Strafrechtliche Konsequenzen ( 19 Abs. 2 TPG) wurden offensichtlich aber nicht gezogen 34. Mit dem Hinweis auf diesen Fall wird in der Literatur gefordert, das Transplantationsgesetz über seinen Wortlaut hinausgehend auszulegen: Eine enge persönliche Beziehung des Spenders zu einer dem Empfänger nahestehenden Person müsse ausreichen, wenn gewährleistet sei, dass es sich erstens um eine altruistische Organspende handele und dass zweitens die Gründe, die maßgeblich für die Beschränkung des Empfängerkreises waren, berücksichtigt würden; diese Gründe seien die gesundheitlichen Risiken für den Spender, die Schwierigkeit, die Freiwilligkeit der Spendeentscheidung festzustellen, und die Gefahr einer Kommerzialisierung der Organspende 35. Die meisten europäischen Länder kennen keine Restriktionen beim Empfängerkreis. Z.T. gibt es detaillierte Verfahrensregelungen 36. Großbritannien hat zwar eine strenge Regelung (genetische Verwandtschaft bis zum 4. Grad), die aber - nach Durchlaufen eines besonderen Verwaltungsverfahrens - Ausnahmen zulässt 37. Art. 10 Zusatzprotokoll Organtransplantation verweist auf nationale Regelungen zur Qualität der Beziehung zwischen Spender und Empfänger. Nach dem Erläuternden Bericht soll allerdings die Lebendspende auch dann zulässig sein, wenn die Betroffenen zwar nicht eng verwandt sind, aber beim Organspender aufgrund seiner Spende ein langfristiger psychologischer Nutzen zu erwarten ist; diese soll jedoch nur aufgrund national-rechtlicher Ausgestaltung möglich sein 38. An der grundsätzlichen Beschränkung des Empfängerkreises sollte festgehalten werden. Dies hat auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates im Hinblick auf die Gefahren des Organhandels gefordert 39. So hat das Bundessozialgericht den Begriff des Nahestehens in besonderer persönlicher Verbundenheit in überzeugender, der Angelegenheit angemessener Weise zwar grundsätzlich restriktiv ausgelegt, dabei aber praktikable Rahmenbedingungen für die Gesetzesanwendung aufgestellt. Eine Regelung wie die britische hat zwar den Vorzug, sehr viel flexibler zu sein als die deutsche. Dafür nimmt sie aber in Kauf, dass sogar Ehepaare das Verwaltungsverfahren 30 BSG MedR 2004, 330/333 31 BSG MedR 2004, 330/332 f.; 32 vgl. BT-Drs. 13/4355 S. 21 33 vgl. BSG MedR 2004, 330/332 34 Esser, Rn. 82; Edelmann, VersR 1999, 1065/1066 35 Edelmann, VersR 1999, 1065/1066 36 so z.b. in Spanien, vgl. Gutmann/Schroth, S. 71 f. 37 vgl. Gutmann/Schroth, S. 67 ff. 38 Ziff. 64 des Erläuternden Berichts 39 Rec. (2003) 1611, Nr. 8

12 durchführen müssen, um einander ein Organ spenden zu können, während dies für relativ weit entfernte Verwandte nicht erforderlich ist. Kritisch ist die Regelung des Zusatzprotokolls Organtransplantation zu sehen, die eine Lebendspende auch unabhängig von einer besonderen Beziehung zwischen Spender und Empfänger zulässt, wenn die Spende einen psychologischen Nutzen für den Spender hat. Es ist unklar, was ein solcher psychologischer Nutzen sein soll. (b) Offenkundig ist das Näheverhältnis, wenn es in irgendeiner Form nach außen sichtbar hervorgetreten ist. Die besondere persönliche Beziehung muss für den Arzt, der am Entscheidungsprozess bis zur Transplantation beteiligt ist, im beruflichen Kontakt bei näherer Betrachtung zweifelsfrei sein 40. Das Bundessozialgericht ist damit dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen entgegengetreten, das im Rechtszug vorgehend die Auffassung vertreten hatte, die besondere persönliche Beziehung müsse für jeden - ohne entsprechende Erkundigungen oder Ermittlungen - ersichtlich oder erkennbar sein 41. Die Auslegung des Bundessozialgerichts ist überzeugend. Das Gericht hat wesentlich darauf abgestellt, dass eine besondere persönliche Verbundenheit außerhalb von enger Verwandtschaft, Ehe oder Verlöbnis nicht zwangsläufig mit einer plakativen Außenwirkung einhergeht. (2) Verfassungsrechtliche Beurteilung der Einschränkung des Empfängerkreises im Transplantationsgesetz Ziel der Regelung in 8 Abs. 1 S. 2 TPG ist es, die Freiwilligkeit der Organspende sicherzustellen, jeder Form des Organhandels vorzubeugen und im Interesse des Gesundheitsschutzes des Lebendspenders den Vorrang der postmortalen Organentnahme deutlich zu machen. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hielt die Regelung zur Erreichung dieser Ziele für geeignet, erforderlich und insgesamt angemessen 42. Dagegen wird vorgebracht, insbesondere das Kriterium der besonderen persönlichen Verbundenheit könne unfreiwillige Spenden nicht ausschließen; gerade im familiären Umfeld könne ein erheblicher Druck ausgeübt werden 43. Es kann nicht bestritten werden, dass gerade bei Verwandtschaft oder enger emotionaler Bindung innere, subtil wirkende Zwänge bestehen können 44. Die Überprüfung der Freiwilligkeit kann daher unter Umständen sogar schwieriger sein, als bei einer Spende an einen Unbekannten; keine Art und Dauer einer Beziehung kann den Spender davor schützen, seine Spendebereitschaft später zu bereuen, bzw. den Empfänger vor den Gewissensqualen, das im nachhinein ungewollte Geschenk angenommen zu haben 45. Darüber dürfen nach Auffassung der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts aber nicht die wesentlichen Gründe für die restriktive Regelung der Lebendspende im Transplantationsgesetz vergessen werden: die Verhinderung von Organhandel und der Schutz des Lebendspenders. Zwar würde das strafrechtliche Verbot möglicherweise ausreichen, um Organhandel zu verhindern. Die Organentnahme bleibt aber für den Spender mit einem gesundheitlichen Risiko verbunden, vor dem der Gesetzgeber ihn 40 BSG MedR 2004, 330/334 41 vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 31.01.2001, L 10 VS 28/00, MedR 2003, 469/474 42 Beschl. v. 11.08.1999, Az.: 1 BvR 2181/98 u.a., NJW 1999, 3399 ff.; dabei handelt es sich allerdings um einen Nichtannahmebeschluss, der keine Bindungswirkung i.s.d. 31 Abs. 1 BVerfGG entfaltet 43 vgl. Esser, Rn. 89 m.w.nachw. 44 vgl. dazu Feuerstein, Rn. 2 45 vgl. Rittner/Besold/Wandel, MedR 2001, 118/121 f.

13 schützen will 46. b) Überkreuzspende 47 Eine Überkreuzspende wird in folgender Konstellation in Betracht gezogen: Bei zwei Paaren benötigt jeweils ein Partner ein Organ; der andere Partner möchte zwar spenden, scheidet aber aus medizinischer Sicht als Spender aus. Eine Spende an den ein Organ benötigenden Partner des jeweils anderen Paares wäre dagegen aus medizinischer Sicht möglich. Aufgrund der Verteilung der Blutgruppen in der Bevölkerung ist die ideale Überkreuzsituation 48, allerdings selten 49. Diskutiert wird dabei die Frage, ob die nach dem Transplantationsgesetz erforderliche besondere persönliche Verbundenheit hier dadurch entstehen kann, dass sich die beiden Paare auf der Suche nach einem geeigneten Spender kennengelernt haben. Dies wird oft mit der Überlegung bejaht, die beiden Paare würden als Leidensgenossen eine Schicksalsgemeinschaft bilden. Dieser Sichtweise steht 8 Abs. 1 Satz 2 TPG entgegen. Bei seiner Auslegung dieser Vorschrift hat auch das Bundessozialgericht festgestellt, dass aus der Schicksalsgemeinschaft oder dem Gleichklang der Lebensverhältnisse von Ehepaaren in der Überkreuzsituation allein gerade keine besondere persönliche Verbundenheit abgeleitet werden kann 50. Soll die Überkreuzspende unabhängig vom Bestehen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses, wie es oben konkretisiert worden ist, zulässig sein, so wäre daher eine Änderung des Transplantationsgesetzes erforderlich 51. Da die meisten anderen europäischen Länder keine Restriktionen beim Empfängerkreis kennen (s. oben), ist dort eine Überkreuzspende ohne weiteres möglich. Bei einer ausdrücklichen Zulassung der Überkreuzspende im Transplantationsgesetz müsste der Gesetzgeber auch folgende Aspekte berücksichtigen: Problematisch ist, ob die Spende überhaupt freiwillig sein kann, wenn sie unter der Bedingung gegeben wird, dass ein anderer ebenfalls spendet. Eine gesetzliche Regelung der Überkreuzspende würde zwar bedeuten, dass eine solche Bedingung zulässig ist. Es ist aber fraglich, ob in einer solchen Konstellation die Freiwilligkeit im Übrigen losgelöst von der zweiten Spende, die dem Partner des Spenders versprochen wurde, geprüft werden kann. Weiter ist die Situation zu bedenken, dass der Spender des zweiten Paares seine Einwilligung in die Organentnahme widerruft, nachdem die erste Transplantation durchgeführt wurde, z.b. weil die erste Spende nicht erfolgreich war. Zudem könnte ein Paar bei Komplikationen oder Misserfolg der Transplantation Schadensersatzansprüche gegen das andere Paar geltend machen. Es müsste daher geprüft werden, ob die gesetzgeberische Verantwortung es geböte, auch diese Situationen zu regeln, wenn die Überkreuzspende in das Gesetz aufgenommen wird. Es dürfte jedoch ausgesprochen schwierig sein, entsprechende Regelungen praxisnah zu treffen. 46 NJW 1999, 3399/3402 47 sog. Cross-Over-Spende 48 Spender A / Empfänger B und umgekehrt 49 Thiel, S. 170 50 BSG MedR 2004, 330/333 51 s. dazu auch Enquête-Kommission, S. 42

14 Es spricht daher mehr dafür, die Überkreuzspende nicht gesetzlich zu regeln 52. Schließlich könnte sich die Problematik der Blutgruppenunverträglichkeit und damit auch die Frage der Überkreuzspende durch neue Behandlungsmethoden entschärfen. Neue Verfahren zur Immunsuppression sind in Japan, wo es traditionell wenig postmortal gespendete Organe gibt, seit den neunziger Jahren etabliert; danach können die Transplantationen trotz Blutgruppenunverträglichkeit durchgeführt werden. In Europa werden diese Verfahren seit dem Jahr 2000 praktiziert, in Deutschland wurden sie seit 2004 ebenfalls mehrfach angewendet. Ob die Transplantationen langfristig erfolgreich sind, bleibt abzuwarten. Für den überschaubaren Zeitraum von einigen Jahren kann inzwischen davon ausgegangen werden, dass die Ergebnisse mit denen der blutgruppenkompatiblen Lebendspende vergleichbar sind. c) Anonyme Lebendspende Das Transplantationsgesetz schließt eine Lebendspende zwischen einander fremden Menschen aus. Jedoch wird aus unterschiedlichen Gründen der Verzicht auf eine Eingrenzung des Empfängerkreises, d.h. die Zulassung der anonymen Lebendspende gefordert. Auch die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer hat sich in einem Positionspapier vom September 2003 dafür ausgesprochen. Die Enquête-Kommission befasst sich ausführlich mit der anonymen Lebendspende und spricht sich für die Beibehaltung des Verbots aus 53. Von den Befürwortern der anonymen Lebendspende wird u.a. darauf hingewiesen, dass die traditionellen Beziehungsmuster - insbesondere ein funktionierender Familienverband - vielfach nicht mehr bestehen und daher der Personenkreis, von dem der einzelne solidarisches Verhalten erwarten kann und dem gegenüber er sich selbst zu einem solchen Verhalten motiviert fühlt, immer weniger mit dem Kreis der genetischen Verwandten identisch ist 54. Auch bestünden bei der anonymen Lebendspende keinerlei Bindungen zwischen Spender und Empfänger, so dass die Freiwilligkeit der Spende eher gewährleistet sei 55. Der wesentliche für die anonyme Lebendspende angeführte Aspekt ist jedoch der Mangel an postmortal gespendeten Organen. Dem Argument, die Eingrenzung des Empfängerkreises solle Organhandel verhindern, wird entgegnet, dies ließe sich ebenso erreichen, wenn Fremdspenden über einen Organpool der Vermittlungsstelle organisiert und die Organe von der Vermittlungsstelle unter Wahrung der Anonymität des Spenders nach den Vorschriften und Kriterien für postmortal gespendete Organe zugeteilt würden 56. Das Schweizer Bundesgesetz über die Transplantation von Organen, Geweben und Zellen vom 8. Oktober 2004 lässt die anonyme Lebendspende zu. Die anonym gespendeten Organe sollen wie die postmortal gespendeten Organe über ein Zuteilungsverfahren verteilt werden. Das Gesetz ist am 1. Juli 2007 in Kraft getreten. Im Hinblick auf die dargestellten medizinischen Risiken ist die nur eingeschränkte Zulässigkeit der Lebendspende richtig. Es ist nicht ersichtlich, dass sich das Anliegen, die Zahl der transplantablen Organe zu erhöhen, mit der Zulassung der anonymen Lebendspende erreichen ließe. Angesichts der medizinischen Risiken für den Spender kann kaum damit gerechnet werden, dass in nennenswertem Umfang anonym gespendet wird, also ohne, dass der Spender weiß, wem seine Spende zugute kommt. 52 so auch die Mehrheit der Enquête-Kommission, S. 73 53 Enquête-Kommission, S. 43-47, 74 54 Gutmann/Schroth, S. 63 55 Ständige Kommission, Positionspapier Sept. 2003 56 Gutmann/Schroth, S. 16

15 3. Subsidiarität der Lebendspende Die Lebendspende ist gemäß 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 TPG nur zulässig, wenn ein geeignetes Organ nach postmortaler Organspende im Zeitpunkt der Organentnahme nicht zur Verfügung steht. Diese Einschränkung hat mehrere Gründe: das gesundheitliche Risiko für den Spender, die Gefahr unfreiwilliger Spendeentscheidungen und die Gefahr des Organhandels 57. Die Regelung wird in der Literatur kritisiert: Da mit einer Lebendspende - jedenfalls im Bereich der Nierentransplantation - bessere Ergebnisse erzielt werden können als mit postmortal gespendeten Organen, sei es kaum vertretbar, einem Menschen eine für ihn schlechtere Behandlungsmethode aufzuzwingen, wenn er gleichzeitig die Möglichkeit habe, sich im Rahmen des sonst Zulässigen einer medizinisch erfolgversprechenderen Behandlung zu unterziehen. Auch gehöre es zum Selbstbestimmungsrecht des Organempfängers, sich frei zwischen postmortaler Organspende und Lebendorganspende zu entscheiden 58. So wird auch vorgeschlagen, jedem Patienten die Möglichkeit der Lebendspende aufzuzeigen. Dabei wird vertreten, dass sich die Spendebereitschaft deutlich erhöhen könnte, wenn in ein solches Gespräch sofort die Angehörigen einbezogen würden. Problematisch sei auch der Fall, dass der Empfänger - z.b. aus religiösen Gründen - nicht bereit ist, eine postmortale Organspende anzunehmen. Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, ob aufgrund der Subsidiaritätsregel auch derjenige, für den es einen Lebendspender gibt, auf die Warteliste für ein postmortal gespendetes Organ gesetzt - also bei Eurotransplant angemeldet - werden muss 59. Die Ablehnung einer solchen Konsequenz des Subsidiaritätsprinzips wird insbesondere damit begründet, ein Patient dürfe nicht gezwungen werden, sich zur Transplantation postmortal gespendeter Organe anzumelden, wenn er dies ablehne; gänzlich ausgeschlossen sei es, einen Patienten nur pro forma auf die Warteliste setzen zu lassen. U.a. die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer vertritt die Auffassung, auch der Lebendspendeempfänger müsse bei Eurotransplant angemeldet werden, allerdings vorrangig im Hinblick auf eine möglicherweise erforderlich werdende Retransplantation 60. In der Praxis dürfte das Subsidiaritätsprinzip derzeit nicht zu einer Einschränkung der Lebendspende führen. Da es zu wenig postmortal gespendete Organe gibt, kann davon ausgegangen werden, dass die Subsidiaritätsregel eine Lebendspende praktisch nicht verhindern wird. Die Mehrheit der europäischen Länder kennt kein Subsidiaritätsprinzip 61. Sowohl Art. 19 Abs. 1 Biomedizinübereinkommen als auch Art. 9 Zusatzprotokoll Organtransplantation gehen von der grundsätzlichen Nachrangigkeit der Lebendspende aus. Allerdings wird der Vorrang der postmortalen Organspende im Erläuternden Bericht zum Zusatzprotokoll Organtransplantation dadurch stark relativiert, dass die Lebendspende auch dann zulässig sein soll, wenn ein besseres Ergebnis zu erwarten ist als bei einem postmortal gespendeten Organ 62. Die Einwände gegen die Subsidiaritätsregel sind nicht unerheblich. Folgendes spricht gleichwohl für eine Beibehaltung des Subsidiaritätsprinzips 63. 57 ausführlicher dazu auch Enquête-Kommission, S. 49 f. 58 Esser, Rn. 55 f., 59; Edelmann, VersR 1999, 1065/1068 59 bejahend: Kirste, Bundesgesundheitsblatt 2002, 768/770; ablehnend: Gutmann/Schroth, S. 30 60 Ständige Kommission, Positionspapier Sept. 2003. 61 vgl. Gutmann/Schroth, S. 77 62 Ziff. 61 des Erläuternden Berichts 63 so auch Enquête-Kommission, S. 75

16 Die Lebendspende birgt - trotz aller Verbesserungen - nach wie vor ein gesundheitliches Risiko für den Lebendspender. Komplikationen oder Spätschäden treten zwar bei der Niere selten auf, können dann aber durchaus schwerwiegende Folgen haben; bei der Leber ist die Rate der Komplikationen wesentlich höher (s. oben II. 2. b). Der zentrale ethische Konflikt des Arztes bei der Lebendspende besteht daher im Widerspruch zwischen dem Nichtschadensgebot gegenüber dem Spender und dem Hilfsgebot gegenüber dem Empfänger 64. Die Entscheidung für eine Lebendspende wird in Abwägung zwischen dem Vorteil für den Empfänger und den bekannten Komplikationen beim Spender akzeptiert, wenn die freiwillige Entscheidung des Spenders gesichert ist und keine medizinischen Gegengründe bestehen. Die gesetzlich verankerte Subsidiarität der Lebendspende ist daher Ausdruck des Schutzes, den der Staat potentiellen Lebendspendern gegenüber ausübt. Zudem darf die Möglichkeit der Lebendspende nicht dazu führen, dass das Bemühen um die Gewinnung postmortal gespendeter Organe vernachlässigt wird 65. Diese Gefahr besteht aber, wenn die Öffentlichkeit den Eindruck gewinnt, ein auf eine Transplantation angewiesener Patient könne gut einen Lebendspender suchen. Andererseits darf die Anmeldung bei Eurotransplant nicht zur reinen Formsache zwecks Durchsetzung des Subsidiaritätsprinzips werden 66. Vor diesem Hintergrund ist auch der Vorschlag problematisch, sofort in das Gespräch über die Lebendspende die Angehörigen einzubeziehen. Es ist nicht auszuschließen, dass gerade der ärztliche Hinweis auf die Möglichkeiten der Lebendspende in einem solchen Gespräch mit den Angehörigen einen erheblichen Druck auf die potentiellen Lebendspender ausüben kann. Sicherlich muss der Arzt den Patienten über die Möglichkeit der Lebendspende aufklären; oftmals haben sich die Patienten auch bereits selbst ausführlich informiert. Ein Gespräch mit potentiellen Spendern sollte aber erst dann in Betracht kommen, wenn die Betroffenen von sich aus wieder das ärztliche Gespräch zu diesem Thema suchen. 4. Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebendspende a) Freiwilligkeit / Psychische Belastungen im Spender-Empfänger-Verhältnis Eine Lebendspende ist nur zulässig, wenn zusätzlich zum Operationsrisiko keine besondere Gefährdung bzw. keine gesundheitliche Beeinträchtigung des Spenders zu befürchten ist. Diese Formulierung berücksichtigt insbesondere körperliche Gefährdungen als Folge der Entnahme. Der Begriff der gesundheitlichen Beeinträchtigung dürfte aber weiter zu verstehen sein. Die Definition von Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation WHO beinhaltet auch psychische Faktoren. Die Pflicht zu Dankbarkeit und Treue kann das Verhältnis zwischen Spender und Empfänger erheblich belasten. Schuldgefühle beim Empfänger können sich sowohl durch gesundheitliche Beeinträchtigungen des Spenders als auch bei Verlust des empfangenen Organs ergeben 67. Studien zur psychischen Verfassung von Lebendspendern kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. So wird einerseits auf den Zuwachs an eigener Zufriedenheit über die altruistische Tat hingewiesen 68. Andererseits stellte eine retrospektive Untersuchung von 32 Nierenlebendspendern in 9 Fällen leichte Probleme (depressive Verstimmungen, Motivationsprobleme) und in 6 Fällen schwere Probleme mit psychischen und psychosomatischen Symptomen fest 69. Psychosoziale Probleme werden vor allem auch aus 64 Reiter-Theil 65 vgl. Gutmann/Schroth, S. 25, 81 66 Sengler, S. 100/103 f. 67 s. auch Enquête-Kommission, S. 36). 68 vgl. Rittner/Besold/Wandel, MedR 2001, 118/121; Gutmann/Schroth, S. 92 69 Henne-Bruns/Kaatsch, Rn. 7 f.

17 der Anfangsphase der Leberlebendspende berichtet 70. Trotz auch positiver Erfahrungen darf die psychische Belastung bei einer Lebendspende nicht unterschätzt werden. Die möglichen psychischen Auswirkungen einer Transplantation - erst recht, wenn sie gescheitert ist -, auch auf die persönlichen Beziehungen zwischen Spender und Empfänger, müssen daher Gegenstand der ärztlichen Aufklärung sein. Dafür ist die Heranziehung eines einschlägig erfahrenen Psychologen notwendig. b) Lebendspendekommission (1) Überblick über die Regelungen zur Lebendspendekommission in den Ländern In den meisten Ländern sind die Lebendspendekommissionen durch Gesetz (Heilberufekammergesetz oder Ausführungsgesetz zum Transplantationsgesetz) geregelt. Sie sind bei den Landesärztekammern errichtet; in Sachsen-Anhalt ist die Kommission beim Landesverwaltungsamt angesiedelt. In allen Ländern ist die Lebendspendekommission in der von 8 Abs. 3 TPG vorgesehenen Mindestbesetzung tätig (ein Arzt, eine Person mit der Befähigung zum Richteramt, eine in psychologischen Fragen erfahrene Person); nur in Bremen ist darüber hinaus ein Patientenvertreter Mitglied der Kommission. Über die bundesrechtliche Regelung hinausgehend ist in Bayern, Berlin/Brandenburg und Sachsen geregelt, dass alle Mitglieder der Kommission nicht weisungsabhängig vom transplantierenden Arzt sein dürfen. Das Verfahren ist in den Ländern sehr unterschiedlich geregelt: Antragsteller ist in allen Ländern das Transplantationszentrum; in Baden-Württemberg, Berlin/Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen ist darüber hinaus das Einverständnis des Spenders (z.t. durch Unterschrift auf dem Antrag) erforderlich. Alle Lebendspendekommissionen verhandeln mündlich und nichtöffentlich. Der Spender muss angehört werden in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt; er soll angehört werden in Berlin/Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Thüringen. Der Empfänger muss in Bayern, er soll in Bremen, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und in Sachsen angehört werden. Rechtsbehelfe gegen das Kommissionsvotum werden ausdrücklich ausgeschlossen in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen und Rheinland-Pfalz. Die Unabhängigkeit aller Kommissionsmitglieder ist für die Qualität der Entscheidung von eminenter Bedeutung. Deshalb sollte - über die bereits in Bayern, Berlin/Brandenburg und Sachsen bestehenden Regelungen hinaus - zur Sicherstellung der Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder im Transplantationsgesetz geregelt werden, dass die Kommissionsmitglieder nicht in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Transplantationszentrum stehen dürfen, in dem die Transplantation stattfinden soll. Dadurch, dass die Anhörung von Spender und Empfänger in den Ländern so unterschiedlich geregelt ist, sind die Kommissionen weit davon entfernt, einen einheitlich hohen Standard im Verfahren anzuwenden. Es sollte hier daher eine bundeseinheitliche Regelung dergestalt geben, dass Spender und Empfänger zwingend persönlich vor der Kommission angehört 70 Gutmann/Schroth, S. 92

18 werden müssen. (2) Prüfung durch die Lebendspendekommission Die Lebendspendekommission hat zu prüfen, ob begründete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Einwilligung in die Organspende nicht freiwillig erfolgt oder das Organ Gegenstand verbotenen Handeltreibens ist. Die Kommission soll die tatsächlichen Beweggründe des Spenders aufklären. Sie hat jedoch nicht die Aufgabe, die Freiwilligkeit der Spenderentscheidung positiv festzustellen 71. Dieses Verfahrenserfordernis entbindet den Arzt nicht davon, sich selbst von der Freiwilligkeit des Spendeentschlusses zu überzeugen. Die Stellungnahme der Kommission soll nach der Gesetzesbegründung nur eine zusätzliche verfahrensrechtliche Sicherheit bieten, ohne den Arzt zu binden 72 ; sie hat lediglich empfehlenden Charakter. Nach dem Gesetzeswortlaut hat die Kommission dagegen nicht die Einwilligungsfähigkeit des Spenders und das Verwandtschaftsverhältnis oder die sonstige persönliche Verbundenheit mit dem Empfänger zu überprüfen. In der Praxis beschäftigen sich viele Kommissionen aber auch mit diesen Fragen 73. Nach der gesetzlichen Regelung auch nicht zu prüfen hat die Kommission die Frage, ob die ärztliche Aufklärung korrekt durchgeführt worden ist. Weil die ärztliche Aufklärung aber durchaus Einfluss auf den Entschluss zur Spende haben kann, wird z.t. gefordert, dass auch dieser Aspekt von der Kommission geprüft werden müsse. Viel spricht dafür, dass die Kommission berechtigt ist, die Einwilligungsfähigkeit, die Beziehung zwischen Spender und Empfänger und auch die ärztliche Aufklärung - diese jedenfalls im Hinblick auf offensichtliche Mängel - in ihre Prüfung einzubeziehen. Die Frage, ob die Spende freiwillig gegeben wird, hängt zwangsläufig mit diesen Aspekten zusammen. Es handelt sich aber lediglich um eine inzidente Prüfung unter dem Aspekt der Freiwilligkeit. Einen ausdrücklichen Auftrag zur eigenständigen Prüfung dieser Fragen hat die Kommission nicht 74. Sieht eine Kommission begründete Anhaltspunkte für Unfreiwilligkeit oder Entgeltlichkeit der Lebendspende und lehnt daraufhin das Transplantationszentrum die Transplantation ab, so haben die Betroffenen die Möglichkeit, sich bei einem anderen Transplantationszentrum anzumelden und sich erneut einer Lebendspendekommission vorzustellen (sog. Kommissions-Hopping). Zwar wird ein solcher Tourismus dadurch erschwert, dass in allen Ländern der Antrag an die Kommission nur von den Transplantationszentren gestellt werden kann. Die Betroffenen müssen sich also zunächst in einem neuen Transplantationszentrum vorstellen; zudem prüfen auch die Transplantationsärzte, ob sie eine Lebendspende im Hinblick auf Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit verantworten können. Gleichwohl kann auch durch dieses Verfahren ein gewisser Tourismus nicht ausgeschlossen werden. Es stellt sich daher die Frage, ob es sinnvoll wäre, dass die Kommissionen untereinander Informationen über die bei ihnen abgelaufenen Verfahren austauschen könnten. Für einen länderübergreifenden Informationsaustausch gibt es derzeit keine gesetzliche Grundlage, die aus Datenschutzgründen jedoch erforderlich ist, wenn sich nicht alle Betroffenen mit der Weitergabe der Informationen einverstanden erklären; Bayern hat für seine Kommissionen eine solche Regelung geschaffen. In anderen Ländern ist z.t. vorgesehen, dass der Antragsteller mitteilen muss, ob bereits eine andere Kommission mit der Angelegenheit befasst war. Für einen Informationsaustausch spricht, dass grundsätzlich die Gefahr besteht, dass die Betroffenen lernen, wie sie vor der Kommission auftreten müssen, um Erfolg zu haben. Ist der Kommission dagegen bekannt, dass die Betroffenen von einer anderen Kommission bereits abgelehnt worden sind, wird sie das Verhalten der Betroffenen sehr viel sensibler aufnehmen und überprüfen. 71 BVerfG, NJW 1999, 3399/3402 72 BT-Drs. 13/4355 S. 21 73 vgl. auch Fateh-Moghadam, MedR 2003, 245/249 74 s. auch Enquête-Kommission, S. 51

19 Andererseits bedeutet ein Informationsaustausch auch, dass die neu befasste Kommission möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen ist. Das Fehlen von Verbindlichkeit der Kommissionsentscheidung ist geeignet, die Verantwortlichkeit des Arztes zu stärken. Andererseits beschäftigt sich die Kommission wesentlich intensiver mit der Beziehung zwischen Spender und Empfänger als der transplantierende Arzt. Wäre die Entscheidung der Kommission für den Arzt verbindlich, so würde dies jedoch eine Verlagerung der Verantwortung vom transplantierenden Arzt auf die Kommission bedeuten und u.u. auch die Frage nach der Justitiabilität der Kommissionsentscheidung neu aufwerfen. Die derzeitige Rechtslage sollte daher beibehalten werden. Wenn die Kommission ausdrücklich auch die Einwilligungsfähigkeit, das Verwandtschaftsverhältnis bzw. die besondere persönliche Verbundenheit zwischen Spender und Empfänger sowie die Durchführung der ärztlichen Aufklärung - losgelöst von der Frage der Freiwilligkeit - prüfen soll, so müsste das Transplantationsgesetz entsprechend geändert werden. Dadurch würden die Aufgaben der Kommission allerdings erheblich ausgedehnt. Ein Teil der ärztlichen Verantwortung würde auf die Kommission verlagert. Dennoch spricht viel dafür, der Kommission ausdrücklich jedenfalls die Befugnis zu übertragen, auch die besondere persönliche Verbundenheit zu prüfen. Für die Frage, ob die Einwilligung in die Organentnahme nicht freiwillig gegeben wurde oder das Organ Gegenstand verbotenen Organhandels ist, spielt die Art der Beziehung zwischen Spender und Empfänger eine erhebliche Rolle 75. Es sollte bundeseinheitlich geregelt werden, dass Spender und Empfänger offenzulegen haben, ob und mit welchem Ergebnis bereits zuvor ein Antrag bei einer anderen Lebendspendekommission gestellt wurde. Die Gefahr, dadurch würde die neuerlich befasste Kommission voreingenommen prüfen, erscheint gering. Ein sog. Kommissions-Hopping sollte demgegenüber so gut wie möglich verhindert werden 76. 5. Ausländische Spender und Empfänger ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat des Eurotransplant-Verbundes Es kommt vor, dass ausländische Spender und Empfänger ohne Wohnsitz in einem Mitgliedstaat des Eurotransplant-Verbundes (im Folgenden auch als Non-ET-Residents bezeichnet) nur zum Zwecke der Organtransplantation in die Bundesrepublik Deutschland einreisen. In diesen Fällen besteht eine Reihe von besonderen Problemen. a) Subsidiarität der Lebendorganspende Nach der Regelung des Transplantationsgesetzes muss auch der Patient, der eine Lebendspende erhalten möchte, auf der bundeseinheitlichen Warteliste geführt werden. Dies muss daher auch für die ausländischen Patienten gelten, die nur für die Transplantation einreisen 77. Die Richtlinien der Bundesärztekammer für die Warteliste zur Lebertransplantation sehen dies für die Leberlebendspende ausdrücklich vor; in den Richtlinien für die Warteliste zur Nierentransplantation fehlt allerdings eine vergleichbare Regelung für die Nierenlebendspende. Das kann auf der anderen Seite aber dazu führen, dass Non-ET-Residents tatsächlich ein - ursprünglich nicht gewolltes - postmortal gespendetes Organ vermittelt und transplantiert wird. Solche Fälle sind jüngst kritisiert worden, weil die auf ein Organ wartenden Bürger des Eurotransplant-Verbundes dadurch übergangen würden. 75 Enquête-Kommission, S. 51, 75 76 so auch Enquête-Kommission, S. 75 77 anders aber Gutmann/Schroth, S. 30

20 Aus den bereits oben (IV. 3.) genannten Gründen muss das Subsidiaritätsprinzip uneingeschränkt gelten, wobei die Anmeldung bei Eurotransplant jedoch keine reine Formsache werden darf. Grundsätzlich kann daher auch ein Patient, der eigentlich nur zur Lebendspende eingereist ist, ein postmortal gespendetes Organ über die Warteliste erhalten. Ob dem gesetzliche Grenzen gesetzt werden können, die der Kritik an der transplantationsmedizinischen Behandlung von Non-ET-Residents entgegenkommen, erscheint zweifelhaft. soll hier jedoch nicht weiter behandelt werden, da es sich um eine Frage der Vermittlung postmortal gespendeter Organe handelt. Es sei nur auf die Stellungnahme der Ständigen Kommission der Bundesärztekammer zu der Problematik hingewiesen. b) Verpflichtung zur Nachbetreuung Die Organentnahme darf nach 8 Abs. 3 S. 1 TPG erst durchgeführt werden, wenn sich Spender und Empfänger zu einer ärztlich empfohlenen Nachbetreuung bereit erklärt haben. Eine solche Erklärung werden vor allem die Spender ohne Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland, in Westeuropa oder in den USA oft nicht abgeben können. Es ist jedoch zu befürchten, dass die Erklärung gleichwohl abgegeben wird, um die Transplantation zu ermöglichen, ohne dass eine Nachbetreuung später tatsächlich durchgeführt werden kann. Die Nachbetreuung ist ein Bestandteil der Lebendspende, auf den unter keinen Umständen verzichtet werden kann. In erster Linie gebietet dies die Achtung vor dem Menschen und seiner Gesundheit. Zudem ist aber zu berücksichtigen, dass es der Organspende insgesamt großen Schaden zufügen würde, wenn aufgrund des Fehlens einer Nachbetreuung vermehrt schwerwiegende Komplikationen bei Lebendspendern auftreten würden. Die Transplantationszentren sind daher gehalten, bei ausländischen Spendern ohne Wohnsitz im Eurotransplantbereich sehr gründlich zu prüfen, ob und wie eine Nachbetreuung tatsächlich stattfinden kann bzw. wie sich der Spender die praktische Durchführung der Nachbetreuung vorstellt. c) Überprüfung der Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Entscheidung Zum einen werden für die Lebendspendekommission regelmäßig Sprachprobleme bestehen. Daher wird die Kommission verpflichtet sein, geeignete Dolmetscher heranzuziehen. In der Regel sollten dies beeidigte Dolmetscher sein, weil die Beeidigung ein gewisses Qualifikationsniveau sicherstellt. Die Hinzuziehung eines Dolmetschers führt allerdings dazu, dass zwischen den Betroffenen und der Kommission kein direkter Austausch stattfinden kann, was die Beurteilung erheblich erschweren dürfte. Umso wichtiger ist es, keine Personen als Dolmetscher einzusetzen, die aus dem näheren persönlichen Umfeld von Spender und Empfänger stammen. Zum anderen dürfte die Beurteilung für die Kommission schwierig sein, wenn sie mit einer Auffassung von Freiwilligkeit konfrontiert wird, die sich erheblich von derjenigen des westlichen Kulturkreises unterscheidet. So kann der Druck auf den Spender aufgrund eines anderen Familienverständnisses z.b. in der orientalischen Kultur erheblich höher sein 78. Die Lebendspendekommissionen müssen bei ausländischen Spendern regelmäßig (beeidigte) Dolmetscher heranziehen. Diese sollten nach Möglichkeit Erfahrungen im medizinischen/psychologischen Bereich haben und nicht aus dem persönlichen Umfeld von 78 s. dazu auch Enquête-Kommission, S. 53